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Booster-Quote in Berlin bei 40 Prozent, Inzidenz weit über BundesschnittFast täglich schwere Verkehrsunfälle mit HochbetagtenStudie zeigt Probleme Neuköllner Schulen mit „konfrontativer Religionsbekundung“

heute ist Dreikönigstag – gesetzlicher Feiertag für die Landsleute der Herren Söder, Kretschmann und Haseloff. In Berlin brauchen wir das nicht, zumal wir als einzige den Feiertag am 8. März haben, an dem es zwei Stunden länger hell ist als heute. Damit aber genug der guten Laune; wir sind ja nicht zum Spaß hier.

Die Omikron-Welle schwillt nun auch in der Statistik an, nachdem die Behörden aus der Weihnachtspause zurück sind: Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 336 liegt Berlin – anders als im Dezember – jetzt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 259. Anders als oft prophezeit explodieren die Fallzahlen unter den Schulkindern nach Ferienende keineswegs (wobei die Datenbasis noch unvollständig ist); die Inzidenzen der 20- bis 59-Jährigen sind weit höher. Regiermeisterin Franziska Giffey konnte gestern eine Booster-Quote von 40 Prozent verkünden. Interessantes Detail der Impfstatistik: Von 1.437.933 Aufgefrischten in Berlin ist exakt eine/r mit Johnson&Johnson geboostert worden. Wenn Sie das waren oder erklären können, melden Sie sich bitte.

Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hat vor der morgigen Bund-Länder-Runde schon mal laut darüber nachgedacht, Restaurantbesuche nur noch Geboosterten oder 2x Geimpften mit zusätzlichem Test zu erlauben. Dass die Fälschung von Impfnachweisen trotz nunmehr klarer Einstufung als Straftat brummt, zeigt die vom Senat auf eine Linken-Anfrage genannte Zahl von 1100 Ermittlungsverfahren (Stand 17.12.). Die Brandenburger Polizei zählte mit Stand Jahreswechsel 277 entsprechende Verfahren. Die Inzidenz im Berliner Umland stieg deutlich auf 400; sowohl bei Intensivbettenbelegung als auch bei den Neuaufnahmen in Kliniken ist die Lage in Brandenburg kritischer als in Berlin. Für die Hauptstadt bezeichnete Giffey einen möglichen Lockdown als „allerallerletzten Schritt“ nach mehreren anderen noch möglichen. Das gelte ebenso für Schulschließungen.

Bis auf ein paar Windböen war das Wetter völlig unspektakulär an jenem Abend im Oktober 2019, als an der Koenigsallee mitten im Grunewald ein Ahorn aufs Auto einer 40-Jährigen krachte. Die Frau überlebte den schrecklichen Zufall nicht. Nun muss sich der Revierförster wegen fahrlässiger Tötung verantworten; für Anfang Februar hat das Gericht einen Ortstermin angesetzt. Nach damaliger Auskunft der Umweltverwaltung war der Baum zuletzt sieben Monate vor dem Unglück kontrolliert und für intakt befunden worden. Erst nach dem Umfallen hätten sich deutliche Schäden an der Wurzel gezeigt. Das Gerichtsverfahren dürfte viele Behördenmitarbeiter/innen aufschrecken: Wenn ein Förster für einen umgekippten Baum angeklagt wird – was mag daraus beispielsweise für Stürze auf Altberliner Geh- und Radwegen folgen, deren Schäden viel offensichtlicher sind als eine morsche Wurzel im Wald?

Von den durchschnittlich knapp 400 Verkehrsunfällen pro Tag in Berlin sind meist ein bis zwei schlimm genug, um als Pressemeldung der Polizei publik zu werden. Ein Abriss der vergangenen drei Wochen zeigt auf dramatische Weise, dass vor allem Hochbetagte – die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe – allzu oft überfordert sind mit den aktuellen Verhältnissen:

Autofahrerin rammt 80-Jährigen, der den Tegeler Weg überquert – schwer verletzt. Autofahrerin rammt 74-Jährigen mit Rollator, der den Tempelhofer Weg überquert – schwer verletzt. Autofahrer rammt beim Verlassen eines Parkplatzes an der Wendenschloßstraße 82-Jährige – schwer verletzt. Rangierender Lkw-Fahrer an Supermarkt in der Sundgauer Straße überfährt 80-Jährige auf dem Weg zum Einkaufen – tot. Autofahrer rammt 81-Jährige, die die Märkische Allee überquert – lebensbedrohlich verletzt. Autofahrerin rammt 96-Jährigen, der die Lehndorfstraße überquert – schwer verletzt. Autofahrer rammt 85-Jährigen, der den Ostpreußendamm überquert – schwerstverletzt. 80-jähriger Autofahrer rammt beim Abbiegen 86-jährigen Fußgänger – schwer verletzt. 82-jähriger Autofahrer rammt beim Abbiegen Fußgängerin, verletzt sie schwer. 84-jähriger Autofahrer kommt von der Fahrbahn ab – zwei Schwerverletzte. 90-jährige Autofahrerin nimmt beim Linksabbiegen dem Gegenverkehr die Vorfahrt – schwer verletzt. Autofahrerin rammt 79-Jährige, die die Landsberger Allee überquert – schwerstverletzt. 84-jähriger Autofahrer nimmt beim Linksabbiegen dem Gegenverkehr die Vorfahrt – zwei Schwerverletzte. Kaum vorstellbar, sich auf Dauer damit abzufinden.

Eine Berliner Ärztin und angehende Epidemiologin hat angesichts der Omikron-Welle das  Bundesverkehrsministerium gebeten, temporäre Tempolimits von 130 (Autobahn), 70 (Landstraße) und 30 km/h (innerorts) zu veranlassen, um den Kliniken einige der etwa 190 Intensivpatienten zu ersparen, die der deutsche Straßenverkehr pro Tag produziert. Auch Polizei und Feuerwehr würden entlastet, schrieb die Medizinerin und schickte zahlreiche Quellen mit. Das Ministerium antwortete schon am nächsten Morgen ausführlich – aber wiederholte nur das mehrfach widerlegte Märchen von den deutschen Autobahnen als „sichersten Straßen der Welt“ und schrieb, dass Unfälle „auch im Falle einer Geschwindigkeitsbeschränkung nie völlig ausgeschlossen werden“ könnten – was niemand behauptet hatte. Außerdem sei es eh oft zu voll zum Rasen und selbst 120 km/h bei erlaubten 130 könnten zu schnell sein. Die verkehrspolitische 70er-Jahre-Party im Bund geht also auch unter FDP-Regie weiter.

Weiter geht’s mit der Liste der 290 Berliner Straßen und Plätze, deren Namen einen antisemitischen Bezug haben (Q: Studie von Felix Sassmannshausen für den Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn). Empfehlungen zur Umbenennung sind gefettet, bei den anderen Namen wird zu weiterer Forschung bzw. einer Kontextualisierung geraten (etwa mit einer Erläuterung am Schild). Heute: Mitte.

Brüder-Grimm-Gasse, Bugenhagenstr., Beuthstraße (Der preußische Beamte und Politiker Ernst Beuth „teilte selber auch offen antijüdische Motive, sprach sich etwa gegen die rechtliche Gleichstellung von Juden mit Nichtjuden aus“), Bodestraße (Arnold Wilhelm Bode äußerte sich offen antisemitisch und war Mitglied der antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei), Calvinstr., Erasmusstr., Fontaneplatz, Friedrichstr., Friedrich-List-Ufer, Glinkastr., Hegelplatz, Hussitenstr., Jonasstr., Jüdenstr., Konrad-Adenauer-Str., Kronenstr., Levetzowstr., Max-Josef-Metzger-Platz, Melanchthonstr., Neue Jüdenstr., Olof-Palme-Platz, Otto-Von-Bismarck-Allee, Schinkelplatz, Schönstedtstr., Stauffenbergstr., Thurneysserstraße („Benannt nach dem Alchemisten, Montanisten und Drucker Leonhard Thurneisser/Thurneysser) (1531-1596); u.a. Herausgeber der antijüdischen Schrift ‚Ein warhafftige und Erschröckliche Geschicht‘ aus dem Jahr 1579. Darin dokumentiert er die Verurteilung und Verbrennung von 24 Juden in Frankfurt an der Oder. […]“), Voltairestr., Wilhelmstr., Wilhelm-Hasenclever-Platz, Zwinglistraße.

Telegramm

Bei Sexualkunde fehlen manche muslimische Schüler/innen, Jungs erklären Mädchen die Kleiderordnung, in Atlanten wird Israel getilgt: Zehn Neuköllner Schulen haben sich an einer Studie über „konfrontative Religionsbekundung“ beteiligt, neun davon schilderten Probleme wie die erwähnten. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) spricht von „ernsthaften Problemen“, die er angehen wolle. Das Thema sei nicht neu, kommentiert meine Kollegin Susanne Vieth-Entus. Neu wäre, wenn es diesmal nicht verpufft aus Angst vor rechten Schreihälsen, die es dann umso leichter kapern könnten.

An der FU wird coronabedingt großenteils per Videokonferenz studiert – mit der US-Software Cisco Webex, die sich nach Einschätzung der Berliner Datenschutzbeauftragten „nicht datenschutzkonform einsetzen lässt“ und deshalb „rechtswidrig“ verwendet wird, wie die Behörde dem AstA mitgeteilt hat – und der FU-Kanzlerin nach eigenem Bekunden bereits Mitte November. Geändert hat sich bisher nichts, wenn man vom wachsenden Erwartungsdruck der Studierenden absieht, dass ihre Uni demnächst die Gesetze einhält. Das „nd“ beschreibt den via Twitter jetzt weithin publik gewordenen Fall ausführlich.

Auf dem Spielplatz in der Frankenstraße in Schöneberg ist übrigens ganz plötzlich ein Wald gewachsen, der fast zu schade ist, um von den BSR-Männern abgefahren zu werden (Beweisfoto von CP-Leserin Undine U. hier).

Falls Ihnen der gestern hier empfohlene (und vom BA Mitte in einem flotten Video beworbene) Job als Verwaltungsfachangestellte/r zu profan scheint: Das Straßen- und Grünflächenamt desselben Bezirks sucht ab sofort eine/n „Stadtoberinspektor_in bzw. Tarifbeschäftigte/n für die Sachbearbeitung in Erschließungsbeitragsangelegenheiten“. Die passenden Visitenkarten müssen Sie aber selber zuschneiden.

Zitat

„Es ist vor allem für die Mitarbeitenden gerade aus dem Bereich der Pandemiebekämpfung, die dort seit fast zwei Jahren unter Hochdruck arbeiten, ein bizarres Erlebnis, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag im Kampf gegen Corona durch einen Pulk von Leuten kämpfen zu sollen, der ernsthaft so tut, als sei Corona nur ein übler Fake und sie die nützlichen Idioten einer großen Verschwörung.“

Der Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) im Interview über die regelmäßigen Demos vor seinem Rathaus.

 

Tweet des Tages

Quarantäne ist mit einigen Wirten gar nicht so übel. Erst gestern hat einer beschlossen, die freien Tage zu nutzen und ist spontan mit mir in den Winterurlab gefahren. Tagsüber ist es etwas einsam, aber abends sind wir in Gesellschaft. Liebe Grüße!

@realB11529

Antwort d. Red.: (Der im November gestartete Account hat mehr als 50.000 Follower.)

Stadtleben

Trinken – Kleiner historischer Exkurs: Der Name der Kiezkneipe „Zur Glühlampe“ rührt daher, dass einst das VEB Narva Kombinat Berliner Glühlampenwerk in Laufnähe lag. Heute beherbergt das Gebäude am U-Bahnhof Warschauer Straße Büros für die BASF. Da soll noch mal einer sagen, trinken bilde nicht! In der nach Leuchtmitteln benannten Eckkneipe finden hin und wieder Konzerte unter dem Motto „Die Welt im Kiez“ statt, Eintritt frei, Spenden erbeten. Die Atmosphäre ist freundlich, das Bier kalt, und Bundesliga-Spiele kann man hier auch sehen – umgeben von Eintracht-Frankfurt-Fans, denn die Kneipe ist der Hauptsitz des Fanclus „Adler Berlin“: Mo-Sa 18-3 Uhr, bei Bundesliga-Spielen am Sonnabend ab 15 Uhr, Lehmbruckstraße 1, U-Bhf Warschauer Straße.

Das ganze Stadtleben gibt's mit dem Tagesspiegel-Plus-Abo.

„Wir sind die Neuen“

60 der insgesamt 147 Parlamentarier sind in dieser Legislaturperiode neu im Berliner Abgeordnetenhaus. Im Checkpoint stellen wir sie vor.

Name: Katharina Günther-Wünsch (CDU)
Beruf: Abgeordnete (bis November stellv. Schulleiterin Walter-Gropius-Schule
in Neukölln)
Alter: 38 Jahre
Wahlkreis: Marzahn-Hellersdorf (WK 5)
Berliner Lieblingsort: Landschaftsschutzgebiet der Kaulsdorfer Seen und Museumsinsel
Eine Sache, auf die ich mich 2022 in Berlin freue: „Erste Plenardebatten, thematische Arbeit im Bildungsbereich, ‚richtige‘ analoge Laufevents (z.B. Berlin Marathon)“

Berliner Gesellschaft

Geburtstag – Eva Högl (53), ehemalige Bundestagsabgeordnete (SPD) / Jens Johler (78), Schriftsteller / Wilhelm Kuhweide (78), ehem. Regattasegler / Ulrike Mai (62), Schauspielerin und Synchronsprecherin / Wilfried Nünthel (67), ehem. CDU-Stadtrat in Lichtenberg  / Madeleine Wehle (54), Fernsehmoderatorin

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben Peter Berndt, verstorben am 10. Dezember 2021, Künstler / Sybille Heppner-Waldschütz, * 16. Mai 1954 / Brigitte Luck, * 1. November 1930, verstorben am 3. Januar 2022 / Detlef Pfeil, * 27. Februar 1949 / Dieter Rump, * 21. Oktober 1935, Uhrmachermeister und Juwelier / Jürgen Tenz, * 10. Mai 1942, Maler und Grafiker

StolpersteinErich Becker wurde heute vor 116 Jahren in Berlin geboren. Am 2. April 1942 deportierten die Nationalsozialisten ihn ins Warschauer Ghetto. Sein Todestag ist nicht bekannt. An der Warschauer Straße 61 in Friedrichshain wurde am 21. Juli 2017 ein Stolperstein für ihn verlegt.

Encore

Rapper, Schlepper, Bauernfänger: Als die Polizei am Montag twitterte, sie habe in einem U-Bahn-Tunnel drei Sprayer gejagt, von denen zwei entkamen und der dritte erklärte, er habe „die anderen nur bezahlt, damit sie seinen bekannten Rapper-Namen sprühen, während er zuschaut“, klang das dermaßen stulle, dass viele gleich auf Fler tippten. Aber es war dann doch ein anderer; irgendwas mit Tiefflieger oder so (korrekte Auflösung exklusiv für Abonnenten!). Nun ist jedenfalls Farbschicht im Schacht.

Auf hohem Niveau hat Thomas Lippold für diesen Checkpoint recherchiert. Die Stadtleben-Highlights hat Sarah Borufka versammelt, in der Frühproduktion hat Cristina Marina geglänzt. Morgen berichtet Ihnen wieder Lorenz Maroldt aus unserer bunten Stadt.

Schönen Tag – und beachten Sie bitte die Sonne!

Ihr Stefan Jacobs

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Seit 2014 berichten wir exklusiv aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir stellten Berlins marode Schulen vor, bis die Politik reagierte. Wir standen vor dem Bürgeramt, bis es wieder Termine gab. Wir recherchieren hartnäckig und gründlich.

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