Um 31°C, ab Mittag vereinzelt kräftige Schauer

Sozialsenatorin Katja Kipping im Interview: „Energie sparen beginnt bei den Reichen“Grünes Hitzekonzept: Obdachlose sollen in Berliner Freibädern gratis duschen dürfen Museumsbetreiber wollen russischen Kriegsschrott aus der Ukraine ausstellen

sehr bewegende Grüße erreichen uns heute von Checkpoint-Leserin Anne Lütke: „Ich lese den Checkpoint im Bettenhochhaus der Charité im 17. Stockwerk nach einer sehr erfolgreichen Lebendnierenspende von meinem Mann, operiert durch die besten Oberärzte.“ Team Checkpoint wünscht eine gute Genesung!

Foto von Anne Lütke (Charité Bettenhochhaus)

Beach, Berge oder Balkonien – nehmen Sie uns mit! An dieser Stelle zeigen wir während der Sommerferien, wo Sie gerade den Checkpoint lesen. Schicken Sie uns ein Foto mit einem Satz zum Urlaubsort an checkpoint.tagesspiegel.de

Hitze I. Schöner, heißer, … wenn Sie jetzt nicht gedanklich mit „Layla“ oder „geiler“ ergänzen, haben sie in den vergangenen Tagen einiges richtig gemacht – nämlich den Kopf auf Durchzug gestellt. Mir geht es natürlich um seriöse Dinge: die vergangenen Hitzetage. 38 Grad hat der Deutsche Wetterdienst gestern Mittag an der Wetterstation Tempelhof gemessen. Am heißesten in der Region war es in Langenlipsdorf (Teltow-Fläming): 39,1 Grad wurden dort gemessen – ein neuer Rekord für die Messstation. Schön ist daran freilich wenig: Das bekamen gestern auch 400 Rekruten zu spüren, die ihr Gelöbnis im Bendlerblock hatten. 28 mussten mit Kreislaufproblemen behandelt werden, drei kamen ins Krankenhaus. Wir wünschen gute Besserung.

In Schöneberg hat eine Hitzeunterkunft für Obdachlose eröffnet. Wie es dort aussieht? Lesen Sie hier. Die Unterkunft, so klein sie sein mag, markiert eine Zeitenwende, die viel umfassender ist als die von Olaf Scholz beschriebene: Hitze wird auch in unseren Breiten immer häufiger menschenfeindliche Züge annehmen. „Die Frage der Klimagerechtigkeit ist auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit und nicht nur ein Thema für Hipster“, sagt Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) dazu im Tagesspiegel-Interview. „Extremwetterlagen treffen die Ärmsten und Verletzbarsten besonders.“

Hitze II. Wenn man zurzeit Politikerinnen interviewt, wird einem schon bei der Vorbereitung die groteske Gleichzeitigkeit der Krisen dieser Zeit klar: Lieber über die Hitze im Sommer reden? Das drohende Frieren im Winter? Pandemie? Inflation? Wohnraummangel? Mein Kollege Robert Kiesel und ich haben mit Berlins Sozialsenatorin und der langjährigen Linke-Bundesvorsitzenden Katja Kipping letztlich über all das gesprochen – und über ihre Pläne, damit diese Krisen nicht, wie Kipping sagt, die Demokratie gefährden. Abonnenten lesen das Interview hier. Für alle anderen gibt’s hier einen Eindruck:

+ „Wir müssen alles tun, um zu vermeiden, dass es zu Gasabschaltungen kommt. Meine Aufgabe ist es, darauf zu drängen, dass die sozialen Folgen abgefedert werden. (…) Vorausschauende Politik bedeutet für mich, zu schauen, was wir tun müssen, damit die Stimmung nicht kippt. Wer jetzt die Sozialpolitik vernachlässigt, spielt am Ende des Tages Putin in die Arme. Es gibt aber ein wirksames Mittel dagegen: soziale Hilfen.“

+ „Ich denke da an ein Netzwerk von Wärmepunkten über die ganze Stadt verteilt. Es braucht ein stärkeres Ineinandergreifen von Nachbarschaftsinitiativen, eine Art Zusammenrücken und den berühmten ‚Berlin Spirit‘. Wir müssen uns unterhaken.“

+ „Eine Vervierfachung oder sogar Versechsfachung der Heizkosten betrifft nicht nur die Ärmsten. Das geht ganz schnell bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.“

+ „Je reicher ein Haushalt ist, desto größer ist im Durchschnitt sein Stromverbrauch. Effektives Energiesparen beginnt zuerst bei den Reichen und nicht, indem man ohnehin armen Haushalten mit noch größerer Not und Elend droht.“

+ „Ich verstehe, dass es viele nach Berlin zieht, weil das eine tolle Stadt mit einer tollen Zivilgesellschaft ist. Man muss aber mit offenen Karten spielen: In Flächenländern ist es für Flüchtlinge wahrscheinlich leichter, eine Wohnung, einen Schulplatz oder Pflegeplatz zu finden als in Berlin. Dieses Problem kriegen wir nicht einfach weg geredet.“

Wie Arme jetzt Strom sparen können, warum auch Kipping Sorge vor rechtem Massenprotesten hat und wieso die Linke-Politikerin schon lange kalt duscht, lesen Sie hier.

Hitzesommer werden von der Ausnahme zur Regel. Das lässt sich auch mit den besten Energiesparmaßnahmen nicht mehr verhindern. Der Weddinger Grünen-Abgeordnete Taylan Kurt hat deshalb einen Fünf-Punkte-Plan der Hitzehilfe für Obdachlose entwickelt. Dieser liegt dem Checkpoint exklusiv vor. Kurt fordert die Sozialverwaltung auf, das Angebot der Hitzehilfe ähnlich der Kältehilfe auf die ganze Stadt von Juli bis September auszuweiten. „Die Kältehilfe hat sich in Berlin etabliert, um Obdachlose vor dem Kältetod zu bewahren. In Zukunft muss es auch Schutz geben vor den Todesfolgen durch Hitze“, schreibt Kurt. Denkbar als Orte seien Kirchen, Rathäuser oder U-Bahnhöfe.

Obdachlose sollen künftig außerdem City-Toiletten durch die Ausgabe von Gutscheinen kostenlos nutzen können. „Schließlich wollen wir es Obdachlosen ermöglichen, nach der täglichen Schließzeit sich in Duschen von Hallen- und Freibädern zu duschen“, schreibt der Grünen-Abgeordnete. Diese sollen nach der Schließzeit eine Stunde für Obdachlose geöffnet bleiben. Nach dem Angriff einiger Krimineller (Klick!) auf Sicherheitsmitarbeiter des Columbiabades am Mittwoch, wäre das mutmaßlich sogar die einfachere Nutzungsmöglichkeit solcher Bäder.

Jetzt aber: Kunst oder Weg? Letzteren sieht man in Berlin vor lauter E-Roller-Rumliege-Kunst manchmal kaum noch. Jetzt stöhnen Sie bitte nicht! Ich habe wirklich gar nichts gegen diese Teile. Aber auch die Verkehrsverwaltung hat inzwischen erkannt, dass eine Verkehrswende, die sich auf den ersten Blick vor allem in chaotischen Zuständen ausdrückt, zu vielen zu wenig erstrebenswert scheint. Ab 1. September gelten also neue Regeln – und die haben es in sich. Beim Abstellen von E-Rollern muss künftig eine „Restwegbreite“ (das merken wir uns fürs Behördle!) von 2,30 Metern eingehalten werden, der Fluss des Verkehrs darf nicht mehr beeinträchtigt, an Haltestellen und in der Nähe von Kreuzungen nicht mehr geparkt werden. Das ordnungsgemäße Abstellen muss künftig dokumentiert werden. Je Anbieter sollen alle 50 Meter nur je vier Fahrzeuge erlaubt sein. Ein Viertel der Flotte muss zudem stets außerhalb des S-Bahnrings angeboten werden. Was Polizei und Ordnungsämter daran kritisieren? Das hat Checkpoint-Kollege Christian Latz aufgeschrieben.

Telegramm

+++Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzt Russland die Ukraine als Testfeld für mögliche weitere Angriffe gegen andere europäische Staaten.

+++ Heute sollen neue Sanktionen der EU gegen Russland in Kraft treten: Es gelten ein Einfuhrverbot für russisches Gold, strengere Exportregeln und Sanktionen gegen weitere prominente Russen.

+++ In einer 53-seitigen Materialsammlung haben internationale Experten schwerwiegende und massenhafte Verstöße der russischen Truppen gegen das humanitäre Völkerrecht seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine dokumentiert.

Alles Neuigkeiten aus der Nacht lesen Sie in unserem Liveblog.

Länger als 13 Stunden galt gestern wieder der Ausnahmezustand bei der Berliner Feuerwehr. Innensenatorin Iris Spranger reicht’s jetzt, ihre Verwaltung ist unzufrieden mit der Feuerwehrleitung. Eine schon von Vorgänger Andreas Geisel eingesetzte Task Force hat sich zwar ganze 40 Lösungsvorschläge ausgedacht, aber kaum einen umgesetzt. Spranger meldet sich deshalb nun aus dem Urlaub: „Die Steuerungsgruppe dreht noch einmal jeden Stein um“, sagte die SPD-Politikerin meinem Kollegen Alexander Fröhlich. Es gehe darum, „die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr weiterhin zu gewährleisten“. Klingt so dramatisch wie die Lage ist.

Heute tagt die Enteignungskommission das erste Mal. Dabei wollen sich die Experten erstmal grundsätzlich mit Artikel 15 des Grundgesetzes befassen, der die Möglichkeit von Vergesellschaftung regelt. Fortgesetzt wird die Sitzung am Freitag – im Anschluss daran soll dann endlich die versprochene Homepage ins Internet gestellt werden. Schon bevor die Kommission inhaltlich getagt hat, schimpfen aber die Vertreter der Enteignungsinitiative über „Versagen“. Sie können nicht nur Volksentscheide organisieren, sondern anscheinend auch hellsehen. Huibuh.

Scheiß auf Pflicht: Von rund 123.000 steuerlich erfassten Hunden in Berlin wurden nur rund 41.000 von ihren Besitzern im neuen Hunderegister angemeldet. Weil die Gebühr für eine Online-Anmeldung 17,50 Euro beträgt und die Gebühr für eine schriftliche oder telefonische Anmeldung 26,50 Euro, hat der Berliner Senat damit aber schon jetzt 728.612 Euro eingenommen. Bei so vielen registrierunwilligen Hundehalten könnte sich in einer Kosten-Nutzen-Abwägung sogar ein Polizeieinsatz rechnen. Aber wir wollen niemanden auf dumme Gedanken bringen.

Film ab! Die Deutsche Kinemathek hat ein vierminütiges Film-Juwel aus dem Jahr 1910 von Oskar Messter digitalisiert. Zu sehen: Berlin voller Pferdekutschen, Motorkutschen, Pferdeäpfel, Röcke, Hüte. Fahrräder hatten ihren Siegeszug noch vor sich. Aber sehen Sie selbst.

…seien Sie froh! Denn jetzt wird’s kalt: Oder haben Sie schon eine Idee, welches Wort sich hinter unserem heutigen Behördle versteckt?

Behördle #9

Zitat

„Albentitel wie ‚Carlo Cokxxx Nutten‘ versprechen nicht zu viel, da ist drin, was drauf steht, und das wirkt gerade im Moment wieder ein bisschen aktuell, weil der aktuell aufregende Ballermann-Schlager ‚Layla‘ dagegen geradezu rührend naiv klingt.“

Kollege Bernd Matthies wundert sich über Steinmeiers Patenschaft für Bushidos Drillinge.

 

Tweet des Tages

Sehen wir es positiv: Die Klima-Aktivisten in Berlin brauchen zur Verbindung mit dem Asphalt keinen Klebstoff mehr. #Hitzewelle

@MickyBeisenherz

Stadtleben

Essen – Wer sich schon früh morgens mit Schönheit umgeben möchte, ist im Neuköllner Frühstückslokal „Venue“ goldrichtig: gemusterter Fliesenboden, Holztheke, frische Blumen. Auch das, was hier auf die Tische kommt, erfreut Gaumen und Augen zugleich: Die Speisekarte bietet diverse Optionen zum Ankreuzen. z.B. eine halbe Avocado mit Erdnüssen und Chili-Öl, pochierte Eier oder Joghurt mit frischen Früchten, je nach Gusto wählt man daraus drei, fünf oder mehr Elemente. Das Tapas-Prinzip mit Frühstücksgerichten quasi. Täglich 10-17 Uhr, Weserstraße 172, U-Bhf Rathaus Neukölln

Berliner Gesellschaft

Geburtstag – „Liebe B, happy birthday , alles Liebe und immer ein Gläschen APS in der Nähe! LG A“ / Volker Gerhardt (78), Professor an der HU Berlin, Schwerpunkt Philosophie / „Lena Kampf (38), SZ-Journalistin mit Liebe zu Wilmersdorf ,Bitte lenken Sie mich ab!‘“ / Michael Kumpfmüller (61), Schriftsteller / Florentine Lahme (48), Schauspielerin / Klaus-Rüdiger Landowsky (80), Politiker (CDU)

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben – Anna Hess (geb. Groß), * 2. Februar 1924 / Susanne Hollburg-Severin, * 26. Juni 1956 / Udo Kortlang, * 4. März 1963 / Peter Krenz, * 26. April 1941

Stolperstein  Leo Friedländer (Jg. 1889) lebte mit seiner Schwester Hertha im Jüdischen Blindenheim in Steglitz. Beide waren sehbehindert und ledig. Im November 1941 wurde das dortige Blindenheim aufgelöst und so mussten die Geschwister in das Jüdische Blinden- und Taubstummenheim nach Weißensee ziehen. Am 14. September 1942 deportierten die Nationalsozialisten Leo und Hertha Friedländer und weitere Bewohner:innen des Heims nach Theresienstadt. Dort ermordeten die Nationalsozialisten Leo Friedländer vermutlich. Laut Totenschein starb er heute vor 79 Jahren, am 21. Juli 1943, an einem Darmkattarh. An der Wrangelstraße 6-7 in Steglitz erinnert ein Stolperstein an Leo Friedländer.

Encore

An dieser Stelle gibt’s in den Sommerferien jeden Tag einen Neun-Euro-Ticket-Tipp für Kurzentschlossene. Alles, was Sie tun müssen, ist: den Checkpoint lesen, um 9 Uhr am Hauptbahnhof stehen und losfahren. Heute zum Beispiel geht es nach A... Und zum Probe-Abo hier entlang.

Co-Autor war heute Thomas Lippold. Das Stadtleben hat Sarah Borufka geschrieben, Kathrin Mauer ist für Sie früh aufgestanden. Morgen bringt Daniel Böldt hier frischen Wind rein. Bis bald,

Ihr Julius Betschka

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