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Raed Saleh will SPD-Fraktionschef bleibenBerlin hat immer mehr BeauftragteFrost verdirbt ObsterntePolizei braucht SneakersBerlinale kommt ins Kino

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wir starten mit guter Aufklärung. Denn die wohnt ja dem Journalismus und auch dem Checkpoint inne. Vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geboren. Der Philosoph definierte die Unantastbarkeit der Menschenwürde und begründete die drei wichtigsten Fragen der geistigen Aufklärung: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Für Berlinerinnen und Berliner lautet die Antwort auf alle drei Fragen zum Glück: eigentlich alles.

Worauf kann Raed Saleh noch hoffen nach seiner desaströsen parteiinternen Niederlage als Berliner SPD-Chef? Aus der Partei heißt es, Salehs Macht stehe nun auch als alleiniger Fraktionschef in Frage. Doch eine Mehrheit gegen ihn in der Fraktion ist kaum abzusehen, viele Kritikerinnen und Kritiker wurden nach einem 2017 gescheiterten Aufstand gegen den Parteipatron aus der Fraktion gedrängt oder haben sie von sich aus verlassen. Und so sagt Saleh im Checkpoint-Gespräch am Montag durchaus selbst- und machtbewusst: „Ich bin gewählter Fraktionsvorsitzender und stehe weiterhin zur Verfügung.“

Kritik an Saleh und der Wunsch nach einer Ämterteilung macht sich eher anonym breit; bis zu den Fraktionsvorstandswahlen im Juni kann sich dies aber noch ändern. Gespräche gibt es jedenfalls auf vielen Ebenen, heißt es aus Parteikreisen. Die gerade erst ins Arbeiten kommende Koalition mit der CDU will aber kaum jemand gefährden. Auch deshalb wohl versichert Saleh: „Die Fraktion wird weiter stabil und professionell arbeiten, auch beim so wichtigen Thema Haushaltskonsolidierung.“

Der 46-Jährige aus dem Westjordanland hat im politischen Berlin schon einige Niederlagen einstecken müssen, aber sie sämtlich überstanden: 2014 verlor er nach dem Rückzug von Klaus Wowereit den Machtkampf um den Parteivorsitz, 2017 schlug er eine Protestwelle der Hälfte der Fraktion gegen seine Amtsführung nieder, vergangenes Jahr fuhr Berlins SPD mit ihm als Partei- und Fraktionschef ihr schlechtestes Wahlergebnis seit der Wiedervereinigung ein. Am Telefon wirkt Saleh am Montag durchaus angefasst von der nächsten Niederlage. „Natürlich hat mir das Ergebnis weh getan“, sagt Saleh, ergänzt aber sofort: „Wir leben zum Glück in einer Demokratie. Man kann gewählt werden oder auch nicht gewählt werden. Das respektiere ich selbstverständlich.“ Dies ist tatsächlich das Wichtigste an demokratischen Niederlagen: dass sie akzeptiert werden.

Opinary Raed Saleh SPD-Fraktion

Was Berlin manchmal im Schilde führt, verstehen die davon Betroffenen oft am wenigsten. Ein halbes Jahr nach der Umbenennung des nördlichen Teils der Manteuffelstraße in Audre-Lorde-Straße (der südliche heißt weiter Manteuffelstraße), wurden jetzt die ersten Straßenschilder ausgetauscht. An einer Ecke hängen sogar zwei untereinander und machen die doppelte Identität der Straße deutlich (Foto hier). Nun allerdings teilt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in einem Schreiben an die Anwohnenden mit, dass sich ab August auch die Hausnummern in der neuen Straße ändern werden. In einer Tabelle werden 65 aktuelle sowie die bald neu gültigen Hausnummern der Straße aufgeführt – nach einem an Zahlenbingo erinnernden System.

Während Nummer 2 die Nummer 2 bleibt, wird etwa aus der 3 die 4, aus der 4 die 6, aus der 20a die 28a, aus der 40 die 70, aus der 105 die 37 und die 39 (!) sowie aus der 123 die 9. Im Begleitschreiben an Anwohnende, das dem Checkpoint vorliegt, bedauert Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) zunächst, „dass Sie vom Bezirksamt nicht frühzeitig über die Umbenennung informiert wurden“. Nun aber seien nach dem neuen Namen auch neue Hausnummern nötig „zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung“. Eine ordnungsgemäße Nummerierung der alten Teilstraße sei etwa „für Einsätze von Polizei und Feuerwehr geboten“.

Da seit der Umbenennung bereits ein halbes Jahr vergangen ist, stellt die Post in der doppelt beschilderten Straße mit doppelten Hausnummern inzwischen nur noch an den neuen Namen Andre-Lourde-Straße zu (außer im alten Teil der Manteuffelstraße natürlich). Der Rat der Bezirksbürgermeisterin dazu klingt wie ein Schulterzucken in Papierform: „Wenn Ihre Postsendungen nicht angekommen sind, wenden Sie sich bitte an das für die Zustellung zuständige Dienstleistungsunternehmen.“ Kommentar einer genervten Anwohnerin: „Erst benennen sie die halbe Straße chaotisch um, dann ändern sie auch noch unnötig die Hausnummern. So viel Chaos für nichts und wieder nichts.“ Berlin, ein Straßenschilda.

In welchem Auftrag sind Sie eigentlich unterwegs? Das können sich die Beauftragten der Stadt Berlin bald gegenseitig fragen. Denn sie werden immer mehr. Allein die Innenverwaltung und die ihr zugeordneten Behörden zählen 59 Beauftragte, darunter Laserschutzbeauftragte und Atemschutzbeauftragte bei der Feuerwehr. Das ergab eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Julia Schneider, die der Senat auf satten 81 Seiten beantwortet hat. Allein dafür hätte man eigens eine Beauftragte beauftragen können.

Die Bezirke sind weiter fleißig auf Beauftragten-Suche, etwa für Queer (Neukölln, Pankow und Marzahn-Hellersdorf), Hitzeschutz (Pankow und Marzahn-Hellersdorf), Informations- und Kommunikationstechnik (Marzahn-Hellersdorf) sowie „Gute Arbeit“ (Charlottenburg-Wilmersdorf). In der ganzen Stadt bekannt wurde zuletzt die Arbeit der neuen Einsamkeitsbeauftragten von Reinickendorf (der Checkpoint berichtete). Besonders wenig Beauftragte gibt es in Charlottenburg-Wilmersdorf (sieben), besonders viele sind in Mitte tätig (20). Zu ihnen zählt auch ein Beauftragter für den „sicheren Umgang mit Leitern und Tritten“. Vorsicht an der Karrierestufe!

Fehlt eigentlich nur noch eine Person: die oder der Beauftragte für die Beauftragten.

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Im heutigen Newsletter würden Sie dann noch dazubekommen:

- Stumme Stimmen: Berlins berühmter Konzert-Chor steht nach 70 Jahren vor dem Aus – und weiß nicht, warum.

- Späte Strafen: Das Russische Haus in Berlin-Mitte verbreitet weiter russische Propaganda – und wird nun doch strafrechtlich verfolgt.

- Frühe Spiele: Sie sollen nur spielen, die kleinen Kinderchen. Aber wo am besten? Wir verlosen den „Spielplatzguide Berlin“.

- Mein Checkpoint-Lesetipp für Sie ist die aktuelle Liebeskolumne meiner Kollegin Joana Nietfeld. Darin erzählt sie die wahre Geschichte von Sarah. Für guten Sex und ein neues Kribbeln im Bauch verlässt sie den Vater ihrer Kinder. Sarah wagt den Absprung, doch kurz darauf erlebt sie etwas Furchtbares. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

Telegramm

Ich sehe was, was du nicht siehst – und das war Schnee. Der Winter graupelt sich noch ein wenig durch die Woche, bevor das Ende wieder schön wird. „Die Luft kommt direkt aus der Arktis“, weiß Meteorologe Jörg Riemann von der „Wettermanufaktur“. Für die Gartenernte im Sommer heißt das: Der Apfel fällt nicht mal mehr weit vom Stamm. Er fällt gar nicht.

In Berlin liegt selten Geld auf der Straße. In der Nacht zu Montag allerdings flogen in der Zehlendorfer Clayallee die Scheine nicht nur scheinbar durch die Gegend. Bei einem krachenden Banküberfall barst weit mehr als der gesprengte Geldautomat. Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden. Warum viele Geldhäuser in Deutschland ihre Scheine in gesprengten Automaten nicht automatisch unbrauchbar machen, bleibt weiterhin ihr Bankgeheimnis.

Mit dem Flugzeug kommt man schon lange nicht mehr nach Tegel. Mit der U-Bahn auch nicht. Seit November 2022 rattert die U6 nicht mehr raus in den Nordwesten. Nach der bröckelnden Brückenüberführung sind nun weitere Schäden im Bahnhof Alt-Tegel entdeckt worden, deshalb verkehrt hier der Ersatzverkehr noch bis 2026. In Tegel bleibt der Bus ein Muss.

Wie die Axt im Walde benahmen sich zuletzt nicht Berlins Förster, sondern eher ihre Vorgesetzte. Ein interner Brief von Umweltstaatssekretärin Britta Behrendt (CDU), den Berliner Wald ab sofort völlig anders zu managen als bisher, brachte die Belegschaft der Berliner Forsten auf. In einem offenen Brief schrieben der Forstleute mit „größter Bestürzung und Fassungslosigkeit“ an die Umweltverwaltung zurück, wie mein Kollege Stefan Jacobs herausgefunden hat. „Stell dir vor, du machst zwölf Jahre Mischwaldprogramm nach bestem Wissen und Gewissen und allen Richtlinien – und dann teilt dir einer mit, das ist alles Bullshit“, beschreibt ein Mitarbeiter die Stimmung. Ein Krisengespräch glättete nun fürs Erste das Rauschen im Nadelwald.

Jetzt noch ein paar gute Nachrichten auf einen Schlag:

Mit dem Rad: In Berlin sind vergangene Woche zwei Fahrräder weniger geklaut worden als in der Woche davor. Die 286 abhandengekommenen Zweiräder entdecken Sie auf unserer Fahrraddiebstahl-Karte (hier). Oder auf dem nächsten Flohmarkt.

In einem Zug: Guck an, die Bahn ist gar nicht so verschwenderisch wie angenommen. Für die pompöse Feier ihrer neuen Infrastrukturgesellschaft, einem Zusammenschluss aus DB Netz, DB Station und Service, im Januar in Hamburg hat sie doch nicht mehr als vier Millionen Euro ausgegeben, wie damals gemutmaßt und auf Checkpoint-Anfrage von der Bahn empört zurückgewiesen wurde („weit von der Realität entfernt“). Als bescheidene Realität der Bahn tritt nun zutage: Die Party hat den verschuldeten Konzern schlappe 1,4 Millionen Euro gekostet. Den Kundinnen und Kunden entgleisen trotzdem die Gesichtszüge.

Auf leisen Hufen: Der Zoll versteigert noch bis morgen beim Bezirksamt Lichtenberg verwahrte Fahrzeuge. Für derzeit 82 Euro zu haben ist dabei ein Pferdeanhänger, ausgeschrieben als „Unfall- & Bastlerfahrzeug“. Im Innenraum wäre immerhin Platz für 1 PS.

Auf schnellen Sohlen: Die Berliner Polizei sucht 400 Sneakers in den Größen 42 bis 47, Farbe und Material beliebig. Für kleinere Füße eine Ausschreibung zum Wegrennen.

Zitat

„Es macht mich froh zu sehen, dass die Leserinnen und Leser so großzügig und solidarisch sind, wenn es darum geht, mit ihren Spenden Menschen zu helfen.“

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) zu der nun schon seit 31 Jahren laufenden Tagesspiegel-Spendenaktion „Menschen helfen!“, bei der Leserinnen und Leser im vergangenen Jahr mehr als 300.000 Euro für gemeinnützige Organisationen und Projekte sammelten.

 

Kiekste

Brille auf und durch – alter Hauptstadt-Hack. Tausend Dank an Leserin Brille Brigitte Knauf! Weitere Typisch-Berlin-Bilder gern an checkpoint@tagesspiegel.de! Mit Ihrer Zusendung nehmen Sie aktuell an unserem Kiekste-Fotowettbewerb in Kooperation mit DASBILD.BERLIN teil.

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Berliner Gesellschaft

Geburtstag – „Monika, Barkey: Der lieben Wegbierdose herzliche Glückwünsche zum Geburtstag von ihrem Brieffreund Taschenbier.“ / „Ein kreatives und produktives neues Jahr wünschen wir unserem Lieblingsregisseur Florian Gärtner“ / Dr. Alexandra von Grote, Film-Regisseurin, Drehbuch-Autorin und Schriftstellerin, „Liebe Alexandra! Zu diesem Geburtstag gratulieren wir Dir besonders herzlich. Für Dein neues Lebensjahr wünschen wir Dir weiterhin Kreativität, interessante Projekte sowie beruflich und privat in jeder Hinsicht ‚Fortüne‘; M. und R.“ / „Am 23. April hat Geburtstag: Dr. Annika Lahl, scharfsichtige Ärztin, liebevolle Tante und heißgeliebte beste aller Töchter“ / Prince Louis Arthur Charles of Wales (6), Sohn des britischen Kronprinzenpaares William und Catherine; er steht an vierter Stelle der britischen Thronfolge / Mathias Stumpf (38), ehemaliger Radsportler, trainierte beim „RSV Werner Otto Berlin“, bis 2010 hielt er den deutschen Rekord über 200 Meter fliegend / „Lieber Tobias, zu deinem runden Geburtstag (60.) wünschen wir Dir alles Gute und beste Gesundheit. Bleibe weiter so offen für Neues, voller Tatendrang und Humor! Deine Freunde Retty, Gerhard, Janet, Mario“

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie uns bis Redaktionsschluss (11 Uhr) einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben Dr. Gerd-Friedrich Borgmann, * 20. März 1943 / Reinhard Heitz, * 5. Februar 1934 / Prof. Dr. Waltraut Kerber-Ganse, verstorben am 29. März 2024 / Dr. Volkhard Laitenberger, * 15. November 1940

StolpersteinAnna Weissenberg, geb. Davidsohn, kam am 27. Januar 1875 zur Welt. Ihr erster Mann starb früh, 1906 heiratete sie in zweiter Ehe den Geschäftsreisenden Berthold Weissenberg. Bei der Volkszählung im Mai 1939 lebte Anna im Jüdischen Blindenheim in Berlin-Steglitz, im Oktober 1939 wurde ihre Ehe geschieden. Am 14. September 1942 wurde sie von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 23. April 1943 ermordet wurde. An Anna Weissenberg erinnert ein Stolperstein in der Wrangelstraße 6-7 in Steglitz.

Encore

Schon aufgefallen? Immer mehr Menschen gehen wieder ins Kino. Vielleicht liegt’s daran, dass der Frühling noch einen Filmriss hat. Vielleicht auch daran, dass viele Filme der Berlinale jetzt in den Programmkinos flimmern – etwa der Mut machende Berliner Fußballfilm „Sieger sein“, die mit Schmäh produzierte österreichische Provinzkomödie „Andrea lässt sich scheiden“ oder das zwar überambitionierte, aber eindringliche deutsche Familiendrama „Sterben“. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass uns das Kino am Leben halten kann in schwierigen Zeiten: Was ist lebendiger als das gemeinsame Lachen, Weinen und Träumen mit Blick auf unsere bunte Welt?

Na klar, das fällt schon auch auf: Viele neue Filme sind zu wenig geschnitten und eigentlich eine halbe Stunde zu lang. Der Film „Sterben“ könnte auch heißen: „Stirb sehr langsam“. Sei’s drum: Wie viel Stunden gucken wir uns sonst Schrott auf dem Handy an? Und das Leben in Berlin ist oft schnittig genug.

Mitwirkende dieses morgendlichen Dokudramas waren:

Florian Schwabe (Drehbuch und Recherche).

Antje Scherer (Stadtleben und roter Teppich).

Lea-Marie Henn (Produktion und Schnitt).

Anke Myrrhe führt morgen hier Regie.

Und Cut.

Ihr Robert Ide

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