Was es in Berlin so alles zu hören gibt
Konzerte, Klangkunst, Soundinstallationen – akustisch geht es am Wochenende ziemlich rund in der Bundeslärmhauptstadt. Nicht nur vor den Lautsprechern.
Foto: Kovács/O’Doherty
Samstagmorgen – Wer sich unterwegs gerne in interessanten Gedanken verliert, dürfte sich in der letzten Zeit desöfteren in der Zukunft wiedergefunden haben. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man mancherorts nämlich schon seit Ende Oktober glauben, es sei längst Weihnachten – jedes Jahr das gleiche Spiel. Wer sich trotz Weihnachts- Omnipräsenz nicht länger gedulden will, versuche diesen Trick aus Zurück in die Zukunft III: Man beschleunige einfach eine Dampflock mit eingebautem Flux-Kompensator ordentlich und springe so durch die Zeit. Passenderweise begibt sich eine Schlepptender-Dampflokomotive 50 3610 samt Anhänger heute um 11.30 Uhr ab Bahnhof Gesundbrunnen auf „Weihnachtliche Stadtrundfahrt“. Sofern sie nicht wirklich gleich durch die Zeit spingt, bietet sie einen Anblick aus vergangenen Zeiten. Das Spektakel wird voraussichtlich mit einem Kaffee vom Baldon in der Hand von einer der direkt darüber gelegenen Terrassen des Lobe Block aus bestens zu beobachten sein, womit der Stilbruch stilvoll vollzogen wäre.
Samstagmittag – Wir bleiben noch im Wedding: Drei Stunden zwischen Welt- und Kiezgeschichte bietet die „City Walking Tour“ durch das Afrikanische Viertel im Wedding. Der Pfad führt nicht nur durch Straßen, die großenteils Namen afrikanischer Städte und Länder tragen, sondern auch durch die deutsch-afrikanische Kulturgeschichte. Zur optionalen Vertiefung des interkulturellen Dialogs dient die anschließende Einkehr in einem afrikanischen Restaurant mit reichlich Gesprächsstoff für weitere zwei bis drei Stunden. Treffpunkt ist um 15 Uhr vor der Seestraße 44A. Die Teilnahmegebühr (1 bis 18 Euro) ist freiwillig. Wer sie entrichtet, bekommt einen Erinnerungsbecher mit Infomaterial.
Samstagabend – Statt in die geografische Ferne führt das Berliner Duo Amnesia Scanner in die historische Distanz – nur um auf hyper-zeitgenössische Weise zu zeigen, dass vergangen Geglaubtes eigentlich nie einfach abgeschlossen ist. Mit Furcht vor Göttern, Engeln und Prophezeiungen werden Geister der Geschichte in ihrer Performance-Installation „Anesthesia Scammer“ heraufbeschworen. Vermutlich in gewohnt ohrenbetäubender Lautstärke und einer am Limit arbeitenden Tontechnik. Ab 20 Uhr im Kraftwerk, Köpenicker Straße 70. Tickets ab 18 Euro gibt es auch an der Abendkasse.
Sonntagmorgen stehen viele Arbeitnehmer bereits unter Stress, weil das Wochenende halb vorbei ist. Es gibt Menschen, die nur um der Wochenenden und Urlaube willen arbeiten. Es gibt aber auch Menschen, die sich Auszeiten nur gönnen, um bei der anschließenden Arbeit wieder volle Leistung bringen zu können. Dieses Wochenende wird im Haus der Berliner Festspiele bei einer Diskussionsrunde mit einem Postzusteller und DHL-Betriebsrat, einem Unternehmer, einem Autor und Schriftsteller und einer Talentgewinnungsexpertin darüber diskutiert, wie wir arbeiten wollen. 11 Uhr im Foyer der Schaperstraße 24, Eintritt frei.
Sonntagmittag – Apropos Arbeit und Zeit: Sogenannte „Durational Works“, also Dauer-Arbeiten, bezeichnen in der Regel Kunst, die ganz wesentlich von der bloßen Zeit lebt, über die sich ihre Herstellung oder Aufführungsdauer erstreckt. Die Klanginstallation „Minute/Year“ des Künstlerduos Kata Kovács und Tom O’Doherty zeichnet seit dem 1. Januar 2016 jeden Tag automatisch eine Minute akustisch auf. Jährlich wechselt dabei der Raum. Bei jeder neuen Aufnahme wird zugleich über Lautsprecher ein Echo aller vorangegangenen Tage abgespielt, das sich in jede neue Aufnahme mischt. Der Aufnahme- und Wiedergabe-Vorgang wiederholt sich täglich um exakt 20.19 Uhr (im Vorjahr um 20.18 Uhr, etc) – somit dauert die eigentliche Veranstaltung genau eine Minute. Für alle, die es nicht so mit der Pünktlichkeit haben, haben die Künstlerinnen in der Grüntaler9 eine umfassende audiovisuelle Dokumentation des Projektes aufgebaut, zu sehen von 16 bis 21 Uhr in der Grüntaler Straße 9, U-Bhf Gesundbrunnen.
Sonntagabend – Es schmerzt immer ein wenig, wenn die Konzerte vermeintlicher Underground-Künstlerinnen schon Wochen im Voraus ausverkauft sind. So auch bei Tirzah, für deren Konzert im Silent Green längst keine Karten mehr im Vorverkauf erhältlich sind. Umso besser für DISSIDENTS XI im Petersburg Art Space. Kunst braucht bekanntlich Raum und wenn alle bei Tirzah sind, wie es den Anschein hat, sollte der hier nicht allzu knapp werden. Die Schriftsteller Norbert Langer und Mathias Traxler lesen, zwei Life-Acts machen Musik, deren Instrumentarium in alle Richtungen zugleich verweist und sich folglich jeder Kategorisierung verwehrt: Die arabische Knickhalslaute Oud, Cello, Kontrabass, Stimme, Schlagwerk und Elektronik. Ab 20 Uhr in der Kaiserin-Augusta-Allee 101, S-Bhf Beusselstraße.