Gesundheit ist die erste Pflicht im Leben. Das wusste schon Oscar Wilde. Auf freiwilliger Basis lassen sich Pflichten nur halb gut durchsetzen. Das merkt jetzt der Senat. Und so wird Rot-Rot-Grün heute aller Voraussicht nach mit Verzögerung Berliner Art (und als letztes Bundesland überhaupt) die Maskenpflicht im Einzelhandel beschließen. Die SPD hatte die Forderung bereits vergangene Woche gestellt, SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hat sie jetzt nochmal bekräftigt (und 79 Prozent von knapp 3.000 Checkpoint-LeserInnen sind auch dafür). Einen Formulierungsvorschlag will die Senatskanzlei für die Sitzung vorbereiten. Links-grün wird den wohl – wenn auch widerwillig – mittragen.
Wie (unterschiedlich) die Meinungen zur Maskenpflicht diskutiert wurden und werden, zeigt ein Checkpoint-Blick in die montägliche Staatssekretärskonferenz: Staatssekretär Matz (Gesundheit / SPD) hält es für unglücklich, dass die Pflicht nur in Berlin nicht gilt. Staatssekretär Woop (Europa / Linke) sieht keinen objektiven Grund zur Einführung. Dass einige Museen eine Tragepflicht über ihr Hausrecht vorschreiben wollen, lehnt sein Haus ab. Senatskanzleichef Gaebler (SPD) kontert mit Paragraph 2 der Eindämmungsverordnung und sieht keine Gründe gegen die Tragepflicht in nachgeordneten Einrichtungen. Staatssekretär Rickerts (Wirtschaft) und Staatssekretärin Gottstein (Verbraucherschutz und Antidiskriminierung / Grüne) wollen das Thema lieber im Senat weiter erörtern. Gottstein regt an, zu prüfen, ob es in anderen Bundesländern weitere Maßnahmen gibt, die in Berlin nicht umgesetzt wurden. Staatssekretär Tidow (Umwelt und Klimaschutz / Grüne) betont die Notwendigkeit einer strukturierten Überarbeitung der Verordnung. Gaebler stimmt – im Grundsatz – zu.
In der Senatssitzung als Sachverständige zu Gast sind am heutigen Dienstag: Prof. Dr. Olaf Köller, Universität Kiel, IPN Leibniz Institute for Science and Mathematics Education (telefonisch zugeschaltet), Martin Hoyer, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e. V., Miriam Pech, BISSS –Vereinigung der Berliner ISS Schulleiterinnen und Schulleiter und Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschuss Berlin.
Die Schulen denen, die sie am dringendsten brauchen – das fordert die Berliner SPD-Fraktion. Ein entsprechender Antragsentwurf sieht vor, die Notbetreuung von Grundschulen auf Sekundarschulen auszuweiten – und ihr im Zweifelsfall den Vorrang vor dem regulären Unterricht zu geben. Das Augenmerk soll sich auf SchülerInnen richten, die zu Hause vernachlässigt werden, auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, auf FörderschülerInnen, Kinder berufstätiger Alleinerziehender und solche, die in den vier Wochen der Schulschließung keinen Kontakt zu Lehrkräften hatten. Sie zurück in die Klassenzimmer zu bringen, habe oberste Priorität. Auch – und obwohl – Fachleute schon jetzt davon ausgehen, dass es durch die Vorsichtsmaßnahmen „bis Weihnachten“ dauern könnte, bis alle Jahrgänge zum analogen Unterricht zurückgekehrt sind.
Berlins Bezirke stellen sich auf einen langanhaltenden Corona-Kampf ein und sich selbst deshalb technisch besser auf. Das Gesundheitsamt Mitte setzt als Vorreiter auf eine neue Software, die unter anderem die Kontaktnachverfolgung effizienter machen soll. Man sei nicht in der Lage, mit den bisherigen Excel-Tabellen weiterzuarbeiten, sagt Amtsarzt Lukas Murajda. Man müsse nach „dem Sprint“ der ersten Wochen auf „einen Marathon-Modus“ umschalten, sagt Stadtrat Ephraim Gothe (SPD). Die Einführung sei in allen zwölf Bezirken verabredet, sagt die Gesundheitssenatorin. Planungen belaufen sich auf die kommenden zwölf Monate.
Was am Tag der Arbeit in Berlin passiert, ist vorab immer ein bisschen ungewiss. In diesem Jahr ist es das noch ein bisschen mehr. „Der 1. Mai darf nicht zum Ischgl von Berlin werden“, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD). Dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung „werden wir alles unterordnen“. Zahlreiche Demonstrationen würden nicht zugelassen. Stationäre Kundgebungen mit maximal 20 Teilnehmern seien unter Wahrung der Abstandsregeln erlaubt, 18 bis dato angemeldet. Um die vielen nicht-angemeldeten, dezentralen Proteste zu verhindern, sind 13 Hundertschaften aus anderen Bundesländern angefordert. Autonome haben bereits aufgerufen, sich vermummt „mit Schals oder Masken“ bereitzuhalten und „Feuerwerke“ angekündigt. Sicherheitskreise erwarten ein „Katz-und-Maus-Spiel“ mit der Polizei. 2020 ist das noch ein bisschen gesundheitsgefährdender.

Wie gefährlich sind die Corona-Leugner? Bei den Anti-Anti-Ausbreitungs-Protesten sammeln sich vermehrt Rechtextreme und Verschwörungstheoretiker. Sicherheitskreise warnen: Die Demonstrationen in Berlin, anderen Orten und im Internet seien „ein Vorspiel auf das, was zu erwarten ist“. Es sei zu befürchten, dass die „Anschlussfähigkeit“ von Extremisten zunehme und damit „mittelfristig auch die Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung“. Hochkonjunktur der Realitätsverweigerer.
Notiz am Rande: Engel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Auch Martin Kesici („Angel of Berlin“) hat am Wochenende an Berlins Verschwörungsrunde vor der Volksbühne teilgenommen. Eine Erinnerung, ihn von jeglichen Playlists zu löschen.
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hat sich für den 8. Mai als bundesweiten Feiertag ausgesprochen. „Es gibt keinen besseren Ort, um den Sieg über den Faschismus zu feiern“, sagt er. Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano sieht das ähnlich und fordert die Feiertagssprechung via Petition. Was sie außerdem fordert: „AfD, NPD und ihre Verbündeten aufzuhalten, das Treiben gewalttätiger und mordender Neonazis zu unterbinden, ihre Netzwerke in Polizei, Bundeswehr aufzudecken und aufzulösen, einzugreifen, wenn Jüdinnen und Juden, Muslime, Roma und Sinti und andere, die nicht in das Weltbild von Nazis passen, beleidigt und angegriffen werden, Geflüchtete in Deutschland aufzunehmen, die Logik des Militärischen zu durchbrechen und Waffenexporte zu verhindern und die Diffamierung und Behinderung demokratischer und antifaschistischer Gruppen und Organisationen durch Geheimdienste und Finanzämter zu beenden.“
Ein bisschen klingt es nach Utopie: Mit der Wiedereröffnung der Spielplätze könnten in Xhain bis zu 30 temporäre Spielstraßen entstehen. Der Clou: Das Bezirksamt bittet die BürgerInnen um Mithilfe bei der Umsetzung. Mindestens sieben Personen sollen die Straßen während der Öffnung (am Sonn- und Feiertag jeweils zwischen 12 und 18 Uhr) betreuen und durch „freundliche Kommunikation auf die Beachtung der Distanzregeln hinweisen“. Das Straßen- und Grünflächenamt unterstützt durch das Parkmanagement sowie die Park- und Kiezläufer und hilft bei Fragen und Problemen. Und: An einigen der betreffenden Straßen werden Tankwagen und / oder Wasserzapfstationen eingerichtet, „damit auch dem leidenden Baumbestand durch gemeinsame nachbarschaftliche Gießaktionen geholfen werden kann“. Nur mal kurz die Welt retten.
Nicht alles funktioniert, wie man sich das wünscht. Berlins Zoo und Tierpark öffnen heute unter strengen Sicherheitsmaßnahmen ihre Tore – allerdings nur für die, die es sich leisten können. Tickets werden online verkauft. Ermäßigungen gibt’s keine. „Mein Sohn ist schwerbehindert. Er hat Anspruch auf eine Begleitperson. Früher ist seine Betreuerin oft mit ihm in den Zoo gegangen. Aber wenn es keine freien Tickets für die Begleitperson gibt, dann geht Zoobesuch auch wieder nicht. Ich frage mich, für wie lange“, schreibt uns Checkpoint-Leserin Sina Kaprolat. „Innerhalb kürzester Zeit einen neuen Online-Shop auf die Beine zu stellen, war ein enormer Kraftakt für uns“, heißt es auf Checkpoint-Nachfrage. Man arbeite „mit Hochdruck an einer passenden und vor allem risikofreien Lösung“ und bittet noch um ein wenig Geduld – bis zur Überwindung der Zwei-Klassengesellschaft im Tierreich.
Zum Schluss noch ein Dank! Das letzte Jahr hat gezeigt: Team Checkpoint – das sind nicht nur wir, das sind auch Sie, unsere Abonnentinnen und Abonnenten. Was wir hier machen, Tag für Tag und vor allem Nacht für Nacht, das können wir nur durch Ihre Unterstützung. Ihr Beitrag bildet eine wichtige Grundlage für unsere journalistische Arbeit – gerade auch in Zeiten wie diesen, in denen der Tagesspiegel, wie viele andere Medien, unter wirtschaftlichen Druck geraten ist. Ihre Nachrichten – sei es via Twitter, Mail oder Brief, sind jeden Tag Anlass für Recherchen und Motivation, Herzblut in diesen Newsletter zu stecken. Wir machen weiter.
Berliner Schnuppen

Telegramm
Heute in einer anderen Welt wäre die Sonderausstellung „Von Casablanca nach Karlshorst“ anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes im Museum eröffnet worden. Dem Internet sei Dank ist sie alternativ (hier) digital zu sehen.
Heute vor 50 Jahren führte eine Schneeschmelze (!) zu Hochwasser in der Havel. Es kommentiert wahlweise Donald Trump, die AfD oder ein Verschwörungstheoretiker vor der Volksbühne: Klimawandel gibt’s gar nicht.
Heute in 100 Jahren? Senatssprecher Julian Mieth will das Groß-Berlin-Jubiläum zum Anlass nehmen, um über ein #BerlinUpdate nachzudenken – und wir denken gerne mit. Wo muss nachgebessert werden, um die Stadt als Metropole der Zukunft zu gestalten? Welche Vision gibt und welche braucht es? Wir sammeln: checkpoint@tagesspiegel.de.
Düstere Prognose:Berlins landeseigene Investitionsbank erwartet, dass die Wirtschaft in der Hauptstadt stärker als andernorts unter der Corona-Krise leidet – Vorstandschef Jürgen Allerkamp geht für 2020 von einem Rückgang von bis zu zehn Prozent aus.
Die Internetplattform „I am Expact“ kümmert sich um die wirklich wichtigen Dinge und hat ein Tutorial veröffentlicht: „How to buy an apartment in Germany (while in coronavirus lockdown)“. Spoiler: via Videoschalte.
Das Forschungsinstitut F+B hat eine „anziehende Mietdynamik“ in Deutschlands Metropolen festgestellt. In allen Metropolen? Nein. In der von R2G regierten Hauptstadt entspannt sich die Lage. Mit 8,90 Euro pro Quadratmeter „für die Standardwohnung“ ist die durchschnittliche Miete um 2,4 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Geschäftsführer Bernd Leutner kommentiert: „Wir gehen davon aus, dass sich hier im ersten Quartal bereits die ersten Auswirkungen des Mietendeckels zeigen, der im Februar in Kraft getreten ist.“
Weniger Menschen, weniger Verbrecher: Berlins Polizei verzeichnet in der Corona-Krise einen Kriminalitätsrückgang um 23 Prozent. Die Zahl der Notrufe wegen häuslicher Gewalt hat hingegen mit 34 Prozent deutlich zugenommen – die Strafanzeigen in diesem Bereich zählen ein Plus von drei Prozent.
Fünf Stunden Straßensperrungen, 250 PolizistInnen, 50 Fahrzeuge und ein Helikopter – oder anders gesagt: eine Beerdigung der Clanfamilie Remmo in Coronazeiten. Ob so ein Großeinsatz nötig gewesen sei, wollte Sprecher Thilo Cablitz nicht kommentieren. „Das sollen Virologen beurteilen.“
Virologischer Großeinsatz für die Notfallrettung der Berliner Feuerwehr am Montagabend: Aus einer Pflegeeinrichtung in Fennpfuhl wurden 73 Personen in Krankenhäuser transportiert. Es gab 28 bestätigte Covid19-Erkrankte, von weiteren muss ausgegangen werden. Wir wünschen nur das Beste.
„Hallo, ich bin Bobbi“, begrüßt der Bärchenchatbot der Berliner Verwaltung. „Aktuell helfe ich Ihnen auch gerne mit Ihren Fragen rund um das Coronavirus.“ – „Wo muss ich in Berlin eine Maske tragen?“ – „Ich habe mehrere passende Dienstleistungen gefunden.“ – „1. Berlinpass beantragen“ – „Fahren Busse?“ – „Ich habe mehrere passende Dienstleistungen gefunden.“ – „1. Prostituiertenfahrzeug – Anzeige der Aufstellung“. Keine weiteren Fragen.
Um wohnungslose Sexarbeiterinnen besser zu versorgen, stellt der Senat 77.000 Euro aus Mitteln des Runden Tisches Sexarbeit zur Verfügung. Das Zentrum „Die Pumpe“ bietet 17 Notunterbringungsplätze mit Lebensmittelversorgung und Duschmöglichkeiten.
Essensprioritäten während der Pandemie: Laut Lieferando bestellten die Deutschen am Anfang der Coronakrise weniger und jetzt mehr als zuvor. „Tausende Restaurants” haben sich dem Unternehmen zufolge seit Mitte März auf der Plattform neu angemeldet. Die aktuellen Top-Gerichte: 1) Pizza – vor allem Margherita. 2) Burger – vor allem Cheeseburger. 3) Pommes Frites. 4) Salat. 5) Asiatisch. Gilt bundesweit wie in Berlin.
Rasen, falsch parken, eng überholen: AutofahrerInnen, die das Gesetz missachten, müssen von heute an mit deutlich härteren Bußen rechnen. Zwei Beispiele zum Berlinausschneiden und Merken: Parken auf Geh- und Radwegen kostet jetzt 55 statt 20 Euro. Bei Raserei (innerorts und außerorts) verdoppeln sich die möglichen Strafgelder bis zur 20-km/h-Marke.
Kontrollen zur Verhinderung illegaler Autorennen wurden am vergangenen Wochenende berlinweit durchgeführt. Die Bilanz: 4.109 Geschwindigkeitsüberschreitungen, 561 überprüfte Fahrzeuge und 22 Strafermittlungsverfahren. In elf Fällen besaßen die FahrerInnen keinen gültigen Führerschein, in sieben Fällen waren die Fahrzeuge pflichtversichert, in drei bestand der Verdacht illegaler Autorennen.
Eine Erkenntnis aus Reinickendorf: FDP-Mann David Jahn macht sich Sorgen um die Erzieherinnenausbildung im Kita-Eigenbetrieb. Zu Recht: „Aufgrund unserer eigenen empirischen Feststellungen kann von einer Abbruchquote von ca. 5-10% im Verlauf der Ausbildung ausgegangen werden“, schreibt das Bezirksamt. Und: 60 Stellen sind in den Reinickendorfer Kitas derzeit vakant, 40 davon waren (Stand 01.03.) temporär durch Personaldienstleister besetzt.“ Anmerkung der Redaktion: Sie bleiben nicht ewig geschlossen.
Keine neue Erkenntnis aus Marzahn: „Für welches Gebiet in Marzahn-Hellersdorf wird derzeit die Umsetzung eines Pilotvorhabens zum Starkregenrisikomanagement vorbereitet?“, wollte CDU-Mann Mario Czaja vom Berliner Abgeordnetenhaus wissen. Die Antwort: In keinem, weil keins geplant ist. Fragen zwei bis sechs entfallen. Ist ja gerade auch sehr trocken.
Der Maulwurf ist das Wildtier des Jahres. Passt: Unsere Frisuren eskalieren und er kann nichts sehen.
Korrektur zum gestrigen Morsecode: Gemeint war natürlich „Wir werden kommen“ statt „lommen“ (auch wenn das tatsächlich ein schönes Verb für Checkpoint-Chef Lorenz Maroldt / Kürzel „lom“) wäre.
Tegel – sollen sie’s lieber schließen oder lassen sie die Offenhaltung besser sein? Der Branchenverband der Flughäfen hat sich jetzt auch für eine vorzeitige Flughafen-Stilllegung ausgesprochen. „Die Berliner Flughäfen können das – durch die Corona-Krise – mit einem Standort leisten“, sagt ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. Außerdem gibt’s ja vielleicht bald einen neuen.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Der Schlüssel zur Flucht aus dem Lockdown? Schlafen Sie in Ihrem Gästezimmer und tun Sie so, als wäre es eine Reise.“
Empfehlung der Washington Post // Checkpoint-Amerkung: Für alle ohne Guestroom zählt die Dusche dann als Meer, der Flur als Strand und die Küche als Kerzenschein-Dinner-Restaurant.
Tweet des Tages
Wenn man mit Mundschutz beim Einkaufen nicht nur Leben retten könnte – sondern auch doppelt Treuepunkte kassieren würde, um sich so ein paar Prozente auf ein überteuertes Messer- oder Pfannenset zu sichern, gäbe es bei uns in Deutschland deutlich weniger Maskenpflicht-Kritiker.
Stadtleben
Neu in Mitte ist das Magic John´s in der Oranienburger Straße 48. Letzte Woche konnte der Aus-dem-Fenster-Verkauf großer Pizzastücke endlich losgehen, am 1. Mai soll auch ein mitteweiter Lieferservice starten. Quasi als Antipode zur neapolitanischen Ausführung bricht die hier ausgegebene „New York Style“-Variante mit dem Understatement hauchdünner Knusperteige: Auf dem reichhaltigen Boden tummeln sich u. a. Trüffelricotta, geröstete Portobello-Pilze und Petersilie. Geöffnet tgl. 12-23 Uhr
Die Kreativität der Gastronomen kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie arg es viele trifft, die in den Restaurants, Imbissen und Bars tätig sind. Doch es ist erstaunlich, wie Berlin hier mal wieder Vorreiter ist. Kai Röger hat recherchiert, welche neuen Ideen auch nach der Krise Bestand haben könnten – seinen Artikel über Gourmetmenüs zum Selbstfertigstellen und ungeahnte Kooperationen finden Sie hier.
Um das Geld für Tim Raues „Fuh Kin Great Dinner Spezial“ (278 Euro/ 2 Pers. inklusive Champagner, Rotweine und Gläser) zusammenzubekommen, sollten Sie vielleicht aber erstmal ihre Steuererklärung machen. Tipps dafür hat Heike Jahberg hier zusammengestellt.

Kiezhelfer werden – Für Anne und Marco, Betreiber des Napoljonska in Mitte (Foto), nimmt die Schließung ihres Familiencafés mittlerweile existenzbedrohende Ausmaße an. Seit zwölf Jahren bevölkern täglich (Spät-)Frühstücker, Mittagshungrige und Kaffeetrinker den kleinen Laden in der Kastanienallee 43, das „rosa Café und den bunten Lampen“, wo Hipster neben Familien sitzen und Nachbarn auf den neusten Kiez-Schnack vorbeikommen. „Wir haben hart gekämpft, um statt vom Tourismus vor allem vom Kiez leben können. Unsere Speisen sind alle vegetarisch und glutenfrei, besonders beliebt sind unsere Müslis, die wir selber machen, wie so gut wie alles was auf unserer Karte steht.“ Anne und Marco sind mit ihrer Familie nach Brandenburg ausgewichen, das schien sicherer und bedeutet für die beiden Kinder mehr Bewegungsfreiheit im Grünen. Das bedeutet aber auch: Der Laden hat seit Wochen komplett zu.
Für alle, die unterstützen möchten: Gutscheine für das Napoljonska – und andere Kiezläden – finden Sie auf unserer Tagesspiegel-Kiezhelfer-Seite. Damit es sie noch gibt, wenn die Krise vorbei ist.
Ihr Laden braucht Hilfe? Schreiben Sie uns an checkpoint@tagesspiegel.de. Das ganze Stadtleben gibt's mit Checkpoint-Abo.
Im digitalen Exil – Was wie ein Motto für den gegenwärtigen Alltag klingt, ist für die re:publica und Media Convention, Berlins bedeutendste Konferenzen für digitale Themen, der Weg, doch stattzufinden – und ganz nebenbei eine neue Normalität zu erproben, die mit Rückkopplungstools und „Deep Dive“-Funktion Interaktion zwischen den Teilnehmenden ermöglicht. Wer dabei sein möchte: re-publica.tv startet am 7. Mai.
Gegenwartsliteratur – Mit seinem neuen Berlin-Roman „Arbeit“ hat Autor Thorsten Nagelschmidt den ersten „Corona-Roman“ geschrieben, noch bevor es eine Corona-Pandemie gab. Seine Protagonisten sind Menschen, viele aus Kreuzberg, die „den Laden am laufen halten“, „die in unserer postheroischen, nichtsdestotrotz nach Helden gierenden Gegenwart gerade als solche gefeiert werden“ und nach Corona-Krise bald wieder vergessen sein dürften, wie Gerrit Bartels im Tagesspiegel schreibt. Wie gut, dass Nagelschmidts „Wimmelbild der Gesellschaft“ den vielen Dienstleistern und Dienstleisterinnen ein „kleines Denkmal“ setzt. Erscheint vsl. am 29. April (S.Fischer, 336 Seiten, 22 Euro) – bestellbar über jede Kiezbuchhandlung.
Apropos Wimmelbild der Gesellschaft – Für den Theodor-Wolff-Preis sind in diesem Jahr zwei Stücke aus dem Tagesspiegel nominiert: Ein Essay von Anna Sauerbrey über die Unvernunft des Einzelnen (Kategorie: Meinung) und eine Reportage von Katja Füchsel über einen Sexualstraftäter, der als rückfallgefährdet gilt und nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Berlin lebt.
Live im Stream (ein Tipp von „Ticket“-Kollege Jörg Wunder) – Da Musikern in der Corona-Krise mangels Auftrittsmöglichkeiten die Einnahmen weggebrochen sind, müssen sie eben das digitale Hütchen rumgehen lassen. So appellieren die Macher der virtuellen Berliner Jazz-Konzertreihe „Into The Shed“ eindringlich an alle Zuschauer der Livestreams, die Beteiligten mit einem freiwilligen Obulus – empfohlen werden 5-10 Euro – zu honorieren (am besten über: PayPal.me/intotheshed). In der 28. Auflage der vom Club der polnischen Versager organisierten Reihe trifft der umtriebige Gitarrist Ronny Graupe auf den norwegischen Vibraphonisten Karl Ivar Refseth. Graupe, der schon mit der deutschen Jazzlegende Rolf Kühn spielen durfte und dessen Technik in der „ZEIT“ als „virtuos bis zum Anschlag, aber ohne Testosterondoofheit“geadelt wurde, ist regelmäßiger Teilnehmer der Improvisationsduelle. In Refseth, der sich auch im Bigband-Format des Andromeda Mega Express Orchestras durchzusetzen wusste, hat er einen Sparringspartner seiner Kragenweite. Der Livestream beginnt um 21.30 Uhr (nächste Termine: 30. April, 3. Mai).
Nur mit Ticket – Nicht live, aber dafür „on demand“ und nur mit Ticket, ist das virtuelle Quarantäne-Varieté aus dem Wintergarten zu sehen. Ein Mindestbeitrag von 5 Euro ist nötig, um eine Aufzeichnung vergangener Shows ansehen zu können – dafür aber auch so lange, bis aus „Quarieté“ im Wohnzimmer wieder Varieté im Wintergarten wird. Auf dem Programm stehen u. a. die „Woodstock Variety Show“ und „Twist again“ (Rockabilly & Akrobatik). Tickets gibt es hier.
Mit Tipps für zu Hause heute von: Stefanie Golla
Berlins heimliche HeldInnen
Brischitt weiß nicht mehr weiter: Um den Oster-Speck abzutrainieren hat sie sich schon morgens den blauen Trainingsanzug, das pinke Schweißband und die rote Nase angezogen. Hinter Brischitt steckt Maria Gundolf, Clown-Schauspielerin und stellvertretende künstlerische Leiterin des Vereins „Rote Nasen“. Normalerweise tritt sie als Klinik-Clown vor kranken Kindern oder Senioren auf, jetzt musste das Aufmunterungsprogramm ins Internet verlegt werden. „Der unmittelbare Kontakt füttert uns sonst als Clowns. Unser Publikum ist unser Spiegel, doch das hin- und herspielen mit den Patient*innen ist auf Facebook und Instagram schwieriger“, erklärt Maria Gundolf. Besser klappe es im 1:1-Videogespräch, da „kann man auch tolle Sachen machen, wie zaubern, Sachen verschwinden lassen, oder tatsächlich umfallen, wenn die Kinder pusten“. So versucht Brischitt weiterhin Teil des Klinik-Alltags zu bleiben. „Vor zwei Wochen hatte ich Kontakt zu einem kleinen Jungen aus dem Herzzentrum an der Charité, den ich schon länger kenne“, erzählt Gundolf. Seit Anfang März habe Sie ihn nicht mehr gesehen. „Es war die pure Freude, sich endlich wieder zu sehen. Er war schwach, hat aber Brischitt und ihre ebenfalls zugeschaltete Kollegin Scharli Mo erkannt, sich über unsere Gesichter gefreut und versucht, mitzuspielen“. Das ältere Publikum lasse sich allerdings nur schwer digital erreichen, v.a. für Demenzerkranke seien die Videos oft zu schnell. Deshalb haben sich die Roten Nasen für sie etwas anderes ausgedacht, nämlich Fenster- und Gartenvisiten, bei denen die Bewohner von ihren Zimmern aus zuschauen können. „In Zeiten wie diesen braucht man eben auch Humor und Leichtigkeit, dafür sind uns neben den Kindern und Senioren auch die Eltern und Pfleger dankbar.“ (Text: Nina Dworschak/ Foto:privat)

Berlin heute
Verkehr – A10 (Östlicher Berliner Ring): Wegen Fahrbahnsanierungsarbeiten wird der Streckenabschnitt zwischen AS Erkner und AS Rüdersdorf bis Ende September 2020 für beide Richtungen jeweils zweispurig auf der Fahrbahn in Richtung AD Spreeau geführt. Die Auffahrt der AS Erkner in Richtung AD Barnim ist während der Bauarbeiten gesperrt.
Kreuzung Hardenbergstraße/ Joachimsthaler Straße (Charlottenburg): Wegen Umbaus des gesamten Kreuzungsbereichs werden bis Mitte Juni Fahrstreifen verschwenkt und reduziert.
Nestorstraße (Halensee) zwischen Westfälische Straße und Paulsborner Straße: gesperrt bis zum Herbst 2022, Fuß- und Radverkehr frei.
Stromstraße (Moabit): In Höhe Bugenhagenstraße ist jeweils nur eine Spur frei (9-16 Uhr).
Florastraße (Pankow): Richtung Wollankstraße steht vor der Kreuzung Mühlenstraße nur ein Fahrstreifen zur Verfügung (bis Anfang Mai), das Linksabbiegen ist nicht möglich.
Waidmannsluster Damm (Tegel): Zwischen Bonifaziusstraße und Liebfrauenweg steht für beide Richtungen ab dem Morgen nur ein gemeinsamer Fahrstreifen zur Verfügung – eine Baustellenampel regelt bis Mitte Mai den Verkehr.
S-Bahn: In der Nacht (22-1.30 Uhr) pendeln die Linien S8 und S9 im 20-Minutentakt zwischen Baumschulenweg und Treptower Park. Zusätzlich ist die S8 zwischen Schöneweide und Baumschulenweg unterbrochen (Umfahrung mit S46, S9 und S45), die S9 zwischen Treptower Park und Spandau (Umfahrung mit der Ringbahn und der S3)
Gericht – Ein 29-Jähriger, der im Rahmen eines Online-Spiels zu mehreren Kindern Kontakt aufgenommen, sie eingeschüchtert und gezwungen haben soll, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, muss sich wegen Missbrauchs verantworten. Die Betroffenen seien acht bis zwölf Jahre alt gewesen (9 Uhr, Kriminalgericht Moabit, Turmstraße 91, Saal B 219).
Universität – An der TU Berlin führt Prof. Dr. Søren Salomo, Leiter des Fachbereichs Technologie- und Innovationsmanagement, derzeit eine Umfrage zum Thema „Arbeiten im Homeoffice“ durch. Gemeinsam mit einem Forscherteam der Dänischen Technischen Universität werden die Nutzung digitaler Technologien als Folge des Covid-19 Ausbruchs untersucht. Dabei interessiert vor allem, wie Arbeitnehmer mit Ihren Kollegen zusammenarbeiten und Ihren Arbeitsalltag im Homeoffice organisieren – wer mitmachen möchte: Hier geht´s zur Umfrage.
Berlin vor 75 Jahren – 28. April 1945 (Tag 8 der Schlacht um Berlin): „Die Ereignisse überstürzen sich. (…) Ein Auto mit 3 Mann war von Halensee gekommen, um Verbindung mit der Gruppe Hagenplatz aufzunehmen. Kein Mensch hat sie gewarnt, dass die Königsallee nicht mehr frei von Russen ist. Sie bekamen von den eingesickerten Russen, die sich am Hasensprung befanden, Feuer. Alle drei waren verwundet. Wir haben sie aus dem Auto herausgezerrt und setzten uns so der Gefahr aus, ebenfalls beschossen zu werden, und brachten sie in unser Haus. Hanni, die sonst nie Blut sehen konnte, verband den einen Soldaten, der einen Oberarmschuss hatte, wobei die Schlagader getroffen war. (…) Ein Feldwebel aus Hamburg war schwerstverwundet durch Hakenschuss und Rückenschuss. Er schrie stundenlang vor Schmerzen. Ein blonder Junge auch aus Hamburg, der aussah wie Walter Laux, hatte einen bösen Schuss in den Rücken unten rechts und Bauchausschuss. Er hat viel Blut verloren und größte Schmerzen, aber er hat kein Wort darüber verloren. Die beiden Schwerverwundeten diktierten Frau Roessing ihre Abschiedsbriefe an ihre Familien, denn sie glaubten beide nicht, dass sie diese wiedersehen, besonders weil der Russe vor der Tür stand, der sie sicher erschießen würde. (…)“
An dieser Stelle lesen Sie bis zum 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai Auszüge aus den Tagebüchern des Berliner Verlegers Curt Cowall.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Vincent Andreas (48), Komponist und Leiter des Kammerchors Nikolassee / „Cathrin (51), alles Gute und Liebe für die großartigtste Partnerin in Crisis, die ich mir vorstellen kann.“ / Philip Dorner (42), „Es gratulieren herzlich seine Eltern Petra und Ingomar“ / Christian Goiny (55), für die CDU im AGH / Monika Klose (70) Bibliothekarin – „bises virtuelles de Danielle, Ursula et de tous les amis français“ / Milla Knauder (4), „Liebling und Sonnenschein der Großfamilie“ / Paul Nolte (57), Historiker und Professor an der FU / Christian Rickerts (45), Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe / Manfred Röming (78), „Danke, dass Du immer für mich da bist, lieber Papa!“ / Hartmut Rohde (54), Bratschist / Keven Schlotterbeck (23), Innenverteidiger bei Union / Monika Schmidt-Raehse (76) „You are looking younger than ever!“ / Uwe Schrader (66), Regisseur und Drehbuchautor / Willi Steul (69), Ethnologe, Journalist und Rundfunkmanager, ehem. Intendant des Deutschlandradios / Giuseppe Vita (85), Wirtschaftmanager, ehem. Aufsichtsratsvorsitzender der Axel Springer SE
Sie möchten jemandem zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.
Gestorben – Raimund Fellinger, * 1. Oktober 1951, Cheflektor bei Suhrkamp / Dr.-Ing. Martin Georg Frohberg, * 17. August 1929, ehem. Direktor der Institute für Hüttenkunde und für Metallurgie an der TU / Evelyn Jancke, * 21. Juli 1934, Rektorin i.R. / Dr. med. Hans-Albrecht Klein, * 01. August 1933 / Klaus-Dieter Klost, * 28. Dezember 1950 / Peter Kuch, * 01. August 1933 / Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Wefelscheid, * 16. April 1941
Stolperstein –Heute vor 79 Jahren, am 28. April 1941, kam Jona Fischl im Jüdischen Krankenhaus in Berin-Gesundbrunnen zur Welt. Er war das einzige Kind der damals 27-jährigen Amalie und Emil Fischl. Am 4. März 1943, acht Wochen vor seinem zweiten Geburtstag, wurde Jona Fischl zusammen mit seinen Eltern, seiner Großmutter Elsa und seiner Tante Ilse mit dem 34. Osttransport nach Auschwitz deportiert und unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Vor seinem ehemaligen Wohnhaus am Hertwigswalder Steig 8 in Kaulsdorf erinnert ein Stolperstein an ihn.
Encore
Alarm in Berlin: die Goldelse wurde gestohlen. Also nicht die große, sondern die Miniaturversion des Fundraving-Modells der gemeinnützigen Organisation Rave The Planet. Aber immerhin. Der entstandene Schaden soll sich den Machern rund um Dr. Motte zufolge (inklusive weiterer Beschädigungen) auf knapp 20.000 Euro belaufen. Die Täter sollen in einem Bekennerschreiben „Sufflaune“ als Motiv angegeben haben. Team Techno bleibt verständnisvoll: „Jeder macht mal Fehler und hat eine zweite Chance verdient. Sollten wir diese Woche noch von den Täter*innen persönlich hören, sind wir weiterhin für ein Gespräch und eine außergerichtliche Lösung offen.“ Geständnisse bitte bis zum ersten Mai via Mail an: info@ravetheplanet.com.
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