Das neue Jahr beginnt, wie das alte endete: Mit Gefangenen, die sich selbst entlassen. Nachdem sich in der JVA Plötzensee mittlerweile neun Mitbewohner innerhalb einer Woche ihre persönliche „Sie-kommen-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte“ verschafft haben, fordert die Opposition den Rücktritt von Justizsenator Dirk Behrendt. Der hat jetzt eine Kommission aus Sicherheitsexperten eingesetzt, „um Schwachstellen zu analysieren und zu beseitigen“, damit aus Gehfängnissen wieder Gefängnisse werden. Immerhin: Zwei Flüchtige haben sich bereits freiwillig zurückgemeldet. Die anderen lassen sich vielleicht von folgender Idee überzeugen: „Was die zügige Planung und Durchführung eines Bauvorhabens angeht, sollten die sieben (sic!) Gefangenen von Plötzensee nicht ins Gefängnis, sondern direkt in die Aufsicht vom Flughafen BER wechseln.“ (via Mickey Beisenherz) Minus mal Minus macht ja bekanntlich Plus.
Bis dahin bleiben wir allerdings beim Berliner Staatsversagen…
… denn nicht nur die Gefängnisse sind schlecht gesichert. Nach den Angriffen auf Polizisten und Feuerwehrleute in der Silvesternacht wurden jetzt in Neukölln auch Einsatzkräfte mit Schreckschusspistolen beschossen. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass Berlin seine Repräsentanten und Bediensteten nicht wirksam schützen kann.
Andere Schandtaten finden sich nach mehr als 28 Jahren noch immer in Form von Millionen Schnipseln in Säcken. Und das wird erstmal auch so bleiben. Der Versuch, zerrissene Stasi-Akten mit kapitalistischer Hochleistungstechnik zusammenzusetzen, ist vorerst gescheitert: „Die technischen Voraussetzungen reichen nicht“, sagt der Stasi-Akten-Beauftragte Roland Jahn. Das Fraunhofer Institut habe zwar eine leistungsfähige Software entwickelt, doch gebe es keine entsprechenden Scanner. 15.500 Säcke voller Geschichtsfetzen bleiben damit unerschlossen, Biographien unvollständig und Stasi-Fälle unentdeckt.
Zum Stichwort „unzureichende technische Voraussetzungen“ hier noch ein latent „aktueller Hinweis“ vom Senat unserer universalen Digitalhauptstadt: „Zur Sicherstellung einer möglichst bedarfsgerechten Terminbuchung für die Kundinnen und Kunden sowie zur Optimierung der Kundensteuerung ist die Online-Buchung von Terminen für die Zulassungsstellen bis auf weiteres nicht möglich. Zur Terminvereinbarung nutzen Sie bitte ab sofort die Service-Nummer 90269-330.“ Passend hierzu der Wunsch von Leser Manfred Mölders: „… dass wenigstens die analogen Telefone der Verwaltung bedient werden, wenn sie klingeln.“ Es kommentiert unser Kollege Ulrich Zawatka-Gerlach: „In den Senats- und Bezirksbehörden herrscht digitale Anarchie.“
Ob digital oder analog - Kraft beweist man in Berlin ohnehin durchs Ruhigbleiben - eine Geduldsprobe bleibt deshalb auch die folgende Geschichte aus der Reihe „Amt, aber unglücklich“: Das Amtsgericht Lichtenberg soll einen 18-jährigen Autisten nach einer Stunde Wartezeit von der Rechtsantragsstelle zu einer Beratungsstelle nach Neukölln verwiesen haben, weil der Gesetzesgeber eine vorherige Beratung vorsehe. Das Argument, dass der junge Mann überfordert sei und einen konstanten Rechtsbeistand benötige, habe die Sachbearbeiterin nicht interessiert. „Beratungsscheine kosten den Staat viel Geld, da gibt es keine Ausnahme.“ Im Berliner System der organisierten Unverantwortlichkeit wird Inklusion großgeschrieben.
Apropos Inklusion: Zumindest die Hohenzollerngruft im Berliner Dom soll im Rahmen der 2019 anstehenden Sanierung barrierefrei ausgebaut werden.
Weniger erfreulich: 24.640 Anzeigen wurden im Jahr 2016 erstattet, weil Autos unberechtigterweise auf Behindertenparkplätzen parkten. (Anfrage: MdA Seerig)
Als Konter zu dieser Negativmeldung hier noch eine schöne Geschichte aus dem Leute-Newsletter von Thomas Loy (Anmeldung hier): Weil der Verkehr selbst in Treptow-Köpenick alles andere als dörflich ist, will Vierfachmutter Daniela Britt das „Projekt Laufbus“ etablieren, um Elterntaxis entgegenzuwirken und den Schulweg ihrer Kinder sicherer zu machen. Ein erwachsener „Fahrer“ sammelt die Kinder an „Haltestellen“ ein und bringt sie zu Fuß in die Schule am Buntzelberg. Stimmt die Schulleitung zu – und finden sich ausreichend Freiwillige – soll das Projekt zum neuen Schuljahr starten. Den Checkpoint-Segen hat es jedenfalls.
Wenig segensreich war dagegen der Start ins neue Jahr für den Berliner Tierpark. Nach Zoo-Star Knut (vier Jahre) und Fritz (vier Monate) ist am gestrigen Morgen nach gerade einmal 26 Tagen das noch namenlose nächste Eisbärbaby gestorben. Todesursache des als „Stolz Berlins“ gefeierten Winzlings war Obduktionsergebnissen zufolge Austrocknung. Vielleicht hat Berlin ein Bärenproblem. Vielleicht gehören Eisbären aber auch einfach nicht in Zoos.
Telegramm
Mit 5600 registrierten Neugeborenen verzeichnete die Charité 2017 einen Babyboom. Passend dazu zwei Leseempfehlungen: Ein amüsantes Interview mit der Berliner Gynäkologin Mandy Mangler (inklusive der absurdesten Namen: Jay-Jay Jamie, Justin Dustin Jason und Schetäm-Gina). Und eine berührende Multimedia-Reportage 390 Gramm, die von Frühchen, engagierten Eltern und der Gratwanderung an der Grenze des Lebens erzählt.
Um zu wissen, was 2018 wirklich passiert, haben unsere Leute-Autoren die Zukunft der Bezirke in Blei gegossen. Das ultimative Kiez-Horoskop liefert Antworten auf die Fragen, was ein Segelschiff für Reinickendorf oder eine Kupplung für Friedrichshain-Kreuzberg bedeuten.
Sollten Sie dem Hokuspokus nicht trauen, lesen Sie ab morgen auch, was - rein faktisch - von unseren Bezirken zu erwarten ist. Dann nämlich startet unsere neue tägliche Serie „Berlins Bezirke im Polit-Check“.
Weil sich inmitten des Silvestermülls schon der Friedhof der aussortierten Weihnachtsbäume ausbreitet, hier der freundliche Hinweis der BSR: Weihnachtsbaum bitte komplett abschmücken und gut sichtbar an den öffentlichen Straßenrand legen. Nicht in Mülltüten, auch nicht zerkleinert. Die Mitarbeiter holen ihn dann in der kommenden Woche ab.
Falls Sie außerdem noch ein Sideboard oder Regal übrighaben – der Bundestag sucht per Ausschreibung Möbel (muss aber „USM Haller“ sein). Checkpoint-Hinweis: Bitte keine Betten anbieten.
Sollten Sie in Ihrem Regal, das Sie spenden wollen, zufällig auch noch eine Schale Gebäck haben, gibt es dafür ebenfalls eine Lösung: In den USA ist heute Tag des Stollen-Werfens. Hart und ungenießbar gewordener Stollen wird dann nicht in die Tonne, sondern in die Ferne geworfen. Wer siegt, gewinnt zumindest nicht an Gewicht.
Zu guter Letzt eine Runde S-Bahn-Betriebsstörungs-Bingo: „6 Grad, Windstill. Wetterbedingte Störung bei S-Bahn für S 5. Bahn endet Ostbahnhof. Proben für den Ernstfall.“ (@NargilemPoker)
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
"Wer ist der hellste Stern am Senatshimmel?"
Frage der „B.Z.“ an den Regierenden Bürgermeister. Dessen Antwort:
"Das fragen Sie nun den Regierenden Bürgermeister!? Bisschen Selbstbewusstsein gibt’s hier nun ja auch."
Michael Müller wollte als Kind übrigens Astronaut werden. (Zum Interview, geführt im Planetarium, geht’s hier)
Tweet des Tages
"Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es doch ziemlich gut sei, in Berlin zu leben. Aber das würde ich natürlich nie laut aussprechen."
Tweet des Tages
"Wo steht denn das Auto?" "Da hinten am Fabrikgelände." "Äh, das ist eine Grundschule." #BayerninBerlin
Stadtleben
Im Ixthys versorgt Young-Ai Park ihre Gäste mit südkoreanischer Hausmannskost und weisen Bibelsprüchen. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ - anderswo mag das eine Floskel sein, hier ist es ernst gemeintes Programm: Der Satz steht auf Seite Eins der Speisekarte, noch vor Tofubraten und Bibimbab. Park ist keine Profiköchin, sie kocht einfach so, wie sie es zu Hause gelernt hat. Dass es schmeckt, lässt sich schon daran erkennen, wie voll der Laden seit Jahren zu fast jeder Tageszeit ist - nutzen sie also die erste Januarwoche, in der Berlin erfahrungsgemäß etwas weniger voll ist, um sich in der Pallasstraße 21 bei einer Schale Yachae-Kalguksu (Nudelsuppe mit Gemüse, 8,50 Euro) aufzuwärmen. S-Bhf Yorckstraße, Mo-Sa 12-21.30 Uhr
Trinken in Mitte, rauchfrei und elegant: Die Bijou Bar im Hotel Monbijou am Hackeschen Markt ist neuerdings ein echtes Highlight. Vor Kurzem haben hier Jenny Klama (ehem. Bar am Steinplatz) und Max Eirich (ehem. Meisterschueler) den Tresen übernommen und die ehemals mezcallastige Karte Richtung Whisky und Eigenkreationen neu konzipiert. Funfact: Barkeeperin Klama kann nicht nur mixen, sondern auch malen - die gesamte Karte samt Zutaten. Zu bewundern bei einem „Bijou dich mal“ aus Bourbon, Schokolade, Karamell und Erdnuss. Cocktails um die 13 Euro, zu finden am Monbijouplatz 1