Es war der große Tag für Sandra Scheeres, die mündliche Prüfung, für die sie sechs Monate lang gelernt hatte (inkl. zuletzt sechs Wochen Intensivkurs). Doch im Mündlichen war die Schulsenatorin noch nie sonderlich begabt, zumindest war eine Verbesserung der Note nach den erbrachten Vorleistungen eher nicht zu erwarten. Bei ihrem Referat gestern Mittag, 14 Uhr im Roten Rathaus, waren es dann aber vor allem die inhaltlichen Mängel, die den Gesamteindruck eines unzureichend vorbereiteten Prüflings hinterließen.
In sechs Tagen werden 350.000 Berliner Schülerinnen und Schüler zurück in den Regelunterricht geschickt. Und auch in sechs Wochen Sommerferien ist dem Senat kaum etwas eingefallen, um das Ansteckungsrisiko in den Schulen zu verringern, außer die Abstandsregel aufzuheben (weil sie nicht eingehalten werden kann) und das Tragen von Masken im Schulgebäude vorzuschreiben (nicht aber im Unterricht, weil das nicht eingehalten werden kann). Ach, und ein wenig Lüften wäre schön, etwa alle 45 Minuten (Experten empfehlen alle 20 Minuten), eine Verpflichtung dazu gibt es aber nicht.
Die Schulen fühlen sich zurecht völlig allein gelassen. Masken für vergessliche Schüler sollen sie selbst besorgen, im Einzelhandel oder im Internet („Das muss doch möglich sein“) und: „Wenn sich Fenster nicht öffnen lassen, weil sie defekt sind, muss sich der Pädagoge darum kümmern.“ Da dürfen dann die Lehrer nach jeder Stunde am Fenster stehen und bewachen, dass niemand rausfällt. Wäre es wirklich so undenkbar gewesen, in sechs Wochen alle defekten Fenster in den Schulen zu reparieren? Wäre es nicht möglich gewesen (und billiger), Ersatzmasken für alle Schulen gesammelt zu bestellen? Und eine klare Handreichung zu liefern, was bei Nichteinhaltung und Konflikten zu tun ist? („Es gibt doch ein Bußgeld, oder?“) Und was passiert eigentlich, wenn es draußen kälter wird?
Zumindest sei nun umfangreiches Unterrichtsmaterial für den Plan B erstellt worden, sagte Scheeres und deutete einen dicken Packen mit ihren Fingern an. „Wenn sich die Infektionszahlen verschlechtern, muss man darüber reden, welchen Weg wir gehen.“ Während andere Bundesländer schon jetzt einen detaillierten Plan für den Fall einer zweiten Welle vorgelegt haben, hat Scheeres noch nicht einmal die (geplanten 100) Lehrkräfte gefunden, die in einer Art Feuerwehr-Pool coronabedingt ausfallende Lehrer ersetzen sollen. Das sind nach Scheeres Rechnung allerdings rund 2000, die Gewerkschaft rechnet mit dem Doppelten.
Doch es war schwierig genug den höchsten Einstellungsbedarf an Lehrern seit dem Mauerfall überhaupt zu bewältigen: Von den 2500 gesuchten Lehrern fehlen auch ohne Pandemierechnung noch 90, 405 Lehrer haben gekündigt, alle Reserven an Quer- und Seiteneinsteigern wurden schon ausgeschöpft (rund 900). Auch deswegen sind alternative Konzepte wie geteilte Klassen und eine Mischung aus Präsenz- und Hausunterricht in kleineren Gruppen wohl verworfen worden.
Berlin hat keine Reserven mehr. Die Rekordzahl von 36.800 Erstklässlern ist in dieser ständig wachsenden Stadt kaum noch zu bewältigen. Auch deswegen werden die Kinder nun in ein Experiment mit offenem Ausgang geschickt, in der Hoffnung, dass irgendwie alles gut geht. Ist es doch schließlich bisher auch? Nur dass ein solches Experiment in anderen Ländern bereits zu erneuten Schulschließungen geführt hat. Berlin hätte schlauer sein können. Vermutlich schon eine Spätfolge des verkorksten Bildungssystems.
Während die eine Senatorin noch vor sich hinwurschtelt, wurde eine andere gestern im Senat verabschiedet. Der Regierende (SPD) sprach würdigende Worte („Immer aus voller Überzeugung im Interesse des Landes Berlin“) für die zurückgetretene Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke), die bereits von ihrem Staatssekretär Sebastian Scheel vertreten wurde. Formal werden ihre Aufgaben nun von Regine Günther (Grüne) übernommen, bis zur nächsten Abgeordnetenhaussitzung am 20. August soll eine Nachfolgerin gefunden werden. Ob es wirklich eine Frau wird, ist allerdings weiterhin offen. Der Vorstand führe jetzt Gespräche, hieß es. Sonstige Neubesetzungen waren im Senat kein Thema, Stimmung gut, weitermachen.
Eine Neubesetzung steht der SPD allerdings anderswo bevor, nämlich im Wahlkreis Kaulsdorf/Hellersdorf. Kurz nach 23 Uhr ruft Sven Kohlmeier zurück. Ganz normal, sagt er, „Sie kennen mich, ich bin 24/7 Abgeordneter, dafür wurde ich gewählt, dafür werde ich bezahlt.“ Umso erstaunlicher, dass einer wie er im nächsten Jahr nicht mehr für das Abgeordnetenhaus kandidiert. Nach 15 Jahren macht er Schluss – zumindest im Parlament. Er habe sich das gut überlegt, sagt Kohlmeier am Telefon. Zu Beginn seiner politischen Tätigkeit habe er sich vorgenommen, nie so zu werden wie das Establishment. „Ich wollte nicht an Posten kleben“, sagt er. „Politik braucht Veränderung. Und ich möchte gehen, bevor jemand sagt: Was macht der alte Mann noch da.“ Davon ist Kohlmeier mit 43 zwar noch weit entfernt, sagt aber: Man muss sich an seinen eigenen Worten messen lassen. Ab 2021 will er sich in Vollzeit um seine Arbeit als Rechtsanwalt kümmern, politisch bleibt er dennoch aktiv – und natürlich in der SPD. Mit ihm verlieren vor allem die Außenbezirke eine starke Stimme – und die Verkehrssenatorin einen ihrer nervigsten Kritiker. Sie und einige andere Grüne haben gestern Abend vermutlich die Korken knallen lassen. Apropos nerven: An uns liegt es hoffentlich nicht? „Der Checkpoint wäre ein wichtiger Grund zu bleiben“, sagte Kohlmeier. Na, dann ist ja alles gut.
Ratten, verdreckte Stromkästen, ungesicherte Straßenbäume, eine strangulierte Linde und eine nicht funktionierende Straßenpumpe: 18 Mängel hat Anwohner Thomas Gilges-Klemt am Klausenerplatz in Charlottenburg dokumentiert und an Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger geschickt. Aus dessen Büro hieß es gestern, man wisse davon, könne aber in „Anbetracht des Umfangs seiner Anliegen“ leider nicht sofort antworten. Man sei auf die Zulieferung des Fachbereichs Grünflächen angewiesen (oh oh...), melde sich aber bald. Umgehend geantwortet hat hingegen der Wildtierexperte des Senats, Derk Ehlert, der nicht davon ausgeht, dass die Zahl der Ratten in Berlin steigt (trotz steigender Zahl der Menschen, die sie anlocken), die Wahrnehmung verändere sich aber in diesem besonderen Jahr – weil weniger Menschen auf der Straße sind (vor allem Touristen). „In jedem Fall gibt es mehr Menschen als Ratten in Berlin.“ Na wunderbar. Am Klausenerplatz gebe es übrigens einen sehr eifrigen Rattenjäger: einen Fuchs aus dem Schlosspark Charlottenburg. Na, da können sich Herr Schuoffeneger und sein Grünflächenamt ja wieder hinlegen. Wir melden uns trotzdem heute wieder.
Im Zehn-Minuten-Takt fahren wir bald durch alle Bezirke. Am Montag fragte Lorenz Maroldt hier süffisant: „Was soll ich alle zehn Minuten in Rudow?“ (Änderung des U-Bahn-Takts), was halb Rudow dazu veranlasste, uns Vorschläge zu schicken („Man kann alle zehn Minuten nachschauen, ob der Flughafen schon fertig ist“) und gestern den Ball zurückspielte: „Lieber alle 10 Minuten nach Rudow – als nach Spandau.“
Das konnten die Spandauer natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Chef-Spandauer André Görke (Newsletter-Abo hier) schreibt uns: „Pffff, ihr könnt doch von Spandau sowieso nicht genug kriegen! 1.) Legt eure Handtücher routiniert an unseren Badeseen aus (Kladow); 2.) Stellt euch ernsthaft mittags in die Schlange bei „Florida Eis“; 3.) Staunt über Pferde auf Berlins einziger Autofähre; 4.) Stellt euer Rotes Rathaus an die Spandauer Straße; 5.) Fliegt alle drei Minuten über die Altstadt und ruft immer etwas zu laut die kessen Worte: „Das ist nicht Berlin, höhöhö“; 6.) Quetscht euch in Berlins beliebteste BVG-Fähre nach Kladow (und wärt dort froh über einen 10-Minuten-Takt!); 7.) Findet den Tagesspiegel vielleicht gar nicht so übel (wird in Spandau gedruckt); 8.) Jubelt mit Herthas Top-Talenten Jordan Torunarigha, Maxi Mittelstädt, Jessic Ngankam (alles Spandauer) 9.) Stoßt mit dem „Brandstifter“ beim Grillabend an (mit Kräutern aus Gatow) 10.) Kühlt euch in der Hitze im Fort Hahneberg oder der Zitadelle ab... Und was sagt eigentlich Ober-Checki Lorenz Maroldt dazu? Der hat schließlich mal in Spandau gelebt.“
Fehlt nur noch unser Lieblingshipsterpfarrer Viktor Weber, der ganz bescheiden empfiehlt, einen Gottesdienst bei ihm (@priestofberlin) in Staaken besuchen. „Gibt’s nur in Spandau bei Berlin.“ Ihm ist es natürlich göttlich fremd, mit dem Finger auf andere zu zeigen, also legen wir für ein Weilchen das Handtuch an der Havel aus und warten, bis die Fähre nach Wannsee kommt. Nur was soll ich alle zehn Minuten in... Schluss jetzt!
„Erzähl mal weiter“ – gemeinsam mit AutorInnen und Ihnen wollen wir während der Sommerferien Fortsetzungsgeschichten schaffen. Den Auftakt der letzten Woche machte Berit Glanz (hier zu lesen). Heute folgt Teil 3.
Stalagmit
von Berit Glanz, Uwö und (heute) Doris Jagodzinski
Plötzlich hörte sie wieder das quietschende Geräusch hinter sich, doch bevor sie reagieren konnte, legte der Feueralarm los als gäbe es kein Morgen.., so laut, dass sie das Quietschen nicht mehr hören konnte. Wie betäubt tippelte sie durch die Dunkelheit. Sie wollte wieder an die Brandtür klopfen und rufen, konnte sie aber nicht mehr finden. Stattdessen fand sie tastend den Holzverschlag eines Kellers, die Tür stand offen, sie ging wie von Sinnen hinein, stolperte und fiel hin. Sie versuchte aufzustehen, drückte sich mit beiden Händen hoch und berührte etwas Weiches, spürte Wärme. Ihr Herz klopfte, ihre Nackenhaare stellten sich auf und ihr Rücken spannte sich hart wie ein Bogen, als sie erkannte, dass es sich um ein…
Und jetzt sind Sie gefragt – Wie soll es weitergehen? Schicken Sie uns Ihre Fortsetzung (maximal 600 Zeichen) bis spätestens heute um 16 Uhr an checkpoint@tagesspiegel.de. Die beste Idee veröffentlichen wir morgen im Newsletter. Und die gesamte Geschichte (deren Ende wiederum Berit Glanz am Freitag schreiben wird) lesen Sie am Wochenende im Tagesspiegel und auf Tagesspiegel.de.
Berliner Schnuppen
Telegramm
„30 Grad und mehr ab Donnerstag: Hoch Detlef bringt Hundstage und Tropennächte“, meldete gestern der rbb. Hm, Detlef und die Hundstage, klingt wie eine Co-Produktion von Didi Hallervorden und Bruce Willis. Während ich schlotternd auf dem Balkon sitze, schneller Anruf bei der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft: Hat weder mit Bruce noch mit vergessenen Kotbeuteln am Schlachtensee zu tun. Momentan ist das Sommersternbild „der große Hund“ 30 Tage am Stück zu sehen und das bedeutet: Es wird heiß. Was auch die Frage beantwortet, was ich alle zehn Minuten AM Wannsee soll. (Sonnenbrillen-Emoji)
Apropos am Wannsee: Über die Frage, ob es nun im Wedding oder in Wedding heißt, streiten Philologen und Berlin-Ressortleiterinnen seit Jahrzenten mit Praktikanten und Historikerinnen. Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Mitte (wozu Wedding seit der Bezirksreform 2001 gehört), hat die Frage nun abschließend geklärt. Es muss natürlich heißen: am Wedding. (Beweisvideo, Sek 22).
Apropos Hundstage: Weil er am Sonnabend mit tausenden anderen Demonstranten in Berlin die Pandemie für beendet erklärt hatte, haben die Baskets Bonn nun ihren Vertrag mit Joshiko Saibou für beendet erklärt. Der Basketball-Nationalspieler sei ein „permanentes Infektionsrisiko“ hieß es vom Verein. Er selbst empfindet das als „Schlag ins Gesicht für die Meinungsfreiheit“. (maskenfrei)
Und während wir noch die Kothäufchen am Schlachtensee zählen, ist Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski ins digitale Zeitalter geflogen. Bürgeranfragen will sie jetzt via WhatsApp beantworten – allerdings erstmal einmalig und nur eine Stunde lang (am 20. April von 16 bis 17 Uhr). Der Morgenpost war dieser Knaller eine ganze Spalte auf der ersten Berlin-Seite wert, in der dankenswerterweise auch die Nummer zu lesen war: 0174 /1524092. Hab ich gestern Nacht natürlich gleich mal angerufen, um mich nach dem Stand der Dinge in Sachen Onkel Toms Hütte zu erkundigen. „Der Vodafone-Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar.“ Schade eigentlich. Aber dann warten wir eben noch zwei Wochen (sind wir ja hier gewohnt). Das Angebot soll übrigens zusätzlich zur Präsenzsprechstunde stattfinden, und: Ja, Frau Scheeres, das geht.
Am Montag ist an einer Ampel in Berlin ein Fahrradfahrer von einem LKW erfasst und tödlich verletzt worden. Heute wissen wir: Der Radfahrer war der Journalist Mathias Puddig, der aus Berlin für die Neue Berliner Redaktionsgesellschaft berichtete. „In seinem letzten Leitartikel beschrieb er das Fernweh, das uns in Corona-Zeiten so hart trifft, und berief sich dabei sowohl auf die Schlagersängerin Nana Mouskouri wie den Historiker Bodo Mrozek“, schreiben seine Kollegen der Märkischen Oderzeitung in einem Nachruf. Mathias Puddig wurde 35 Jahre alt. Unsere Gedanken sind bei seinem Partner, seiner Familie und seinen Freunden.
Noch haben Sie die Chance auf einen einmaligen Checkpoint-Deal: Passend zum Schulstart tauschen wir in dieser Woche eine Checkpoint-Schulwundertüte gegen ein Angebot Ihrer Wahl. Vorschläge nehmen wir an checkpoint@tagesspiegel.de entgegen. Was drin ist? Wird nicht verraten, ist schließlich ne Wundertüte – ähnlich wie der Checkpoint am Morgen: Sie wissen nie, was Sie erwartet, ist aber immer was Schönes dabei.
Gar nicht schön ist das, was sich seit Jahren am Blümelteich am Volkspark Mariendorf abspielt. Einst wurden dort Schwäne mit Pfeilen beschossen, Vanalismus gibt es immer wieder. Nun wurde der Teich mehr als ein Jahr lang saniert – für 2,5 Millionen Euro. Und schon wurde das frisch verlegte Pflaster wieder herausgerissen und in den Teich geworfen, Bänke mit Graffiti beschmiert, immer wieder baden Parkbesucher im Gartendenkmal. „Die mutwilligen Beschädigungen und der respektlose Umgang mit der Parkanlage machen mich nur noch wütend“, sagt Bezirksstadträtin Christiane Heiß (Grüne). Das Ordnungsamt will nun Streife laufen und Schilder aufstellen. Und früh morgens beobachtet meine Kollegin Sigrid Kneist eine alte Frau, die traurig die Scherben der Trinkgelage einsammelt.
Das Projekt @wasihrnichtseht macht Rassismuserfahrungen von Schwarzen sichtbar. Wir machen das durch eine Kooperation an dieser Stelle auch.
Der logische nächste Schritt: Nach der filmreifen letzten Saison startet Hertha BSC nun eine Serie und will die komplette neue Saison dokumentieren. Ob der Verein Jürgen Klinsmann und Salomon Kalou für einen Gastauftritt zurückholt?
Es wird ernst am BER: Gestern Abend wurde „die Sicherheitsgrenze gemäß § 8 Luftsicherheitsgesetz am Flughafen Berlin Brandenburg aktiviert und eine Sicherheitsdurchsuchung gestartet“. Beim sogenannten Cleaning wird nicht einfach nochmal durchgewischt, nachdem die Statisten ihre Dönersoße auf den Boden haben tropfen lassen, sondern sichergestellt, „dass sich keine gefährlichen/verbotenen Gegenstände mehr in den bisherigen Betriebsbereichen der ehemaligen Baustelle befinden“. Die Sache soll 10 Tage dauern, im Außenbereich kommen Hubschrauber zum Einsatz. Falls Sie sich wundern, warum da jetzt schon einer fliegt.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Mickey Mouse und Donald Duck sind nicht unsere Gäste.“
Olaf Schöpe, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands Brandenburg, über Phantasienamen auf den Restaurantlisten.
Tweet des Tages
Chefarzt: Das Monitoring geht nicht. Ich hab alles versucht! Ich: Und Sie glauben, dass ICH das schaffe? Er: Natürlich nicht, aber wenn Sie sich blamieren wollen ... Ich: Ich hab keine Angst vor Blamage. Und Sie? Er: Wieso sollte ich? ... Ich: Weil es jetzt funktioniert.
Stadtleben
Auf Lesereise begeben wir uns heute mit dem slowenischen Schriftsteller und Lyriker Aleš Šteger an historische Nichtorte abseits tausendfach gegangener Touristenpfade, wie den Platz der Republik in Ljubljana am Tag des prophezeiten Weltuntergangs und Minamisōma nahe dem Atomkraftwerk von Fukushima. An eine Busstation in Belgrad, die Zwischenstopp syrischer Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Ungarn ist, in das ehemalige Stasi-Gefängnis in Bautzen oder die im südindischen Kerala gelegene Stadt Kochi, die vielen Indienreisenden aus Arundhati Roys Buch „Der Gott der Kleinen Dinge“ bekannt sein dürfte. Ein bisschen so, wie Kerouacs „On The Road“ geschrieben sein wollte (man munkelt, Kerouac habe es mit der Technik nicht so genau genommen), hat Šteger sich für die Niederschrift der Eindrücke zu jedem Ort lediglich zwölf Stunden eingeräumt, um möglichst ungefiltert zu erzählen – und das funktioniert blendend. Logbuch der Gegenwart, 168 Seiten im Hardcover für 19,90 Euro
Urlaub ganz nah – Ein solcher Nichtort ist auch das Schloss Dammsmühle im nördlich von Berlin gelegenen Mühlenbecker Land: Als barockes Schlösschen erbaut, dann heruntergekommen, neobarock wiederaufgebaut, wieder verfallen, ist es 1940 Sommerresidenz Heinrich Himmlers geworden. Später diente es als Jagd- und Tagungsschloss der Stasi und ist heute eine schnöde Baustelle, die die architektonische Strahlkraft nur erahnen lässt. In einigen Jahren soll es Luxushotel und Spa werden, malerisch gelegen und hübsch anzusehen. Ausgiebige Spaziergänge um den Mühenteich und Mühlenbecker See mit Sprung ins Wasser lassen an vieles denken, außer Alltag.
Essen & Trinken – Nach den unzähligen Berichten zu lapidarem Umgang mit den Abstandsregeln in verschiedenen Lokalen speisen manche Gäste bekanntlich lieber zu Hause. Da trifft das Versprechen des Kaffeehaus Mila mitten ins Schwarze: „Selbstverständlich haben wir unsere Systeme so umgestellt, dass alle unsere Spezialitäten aus der guten Hausküche und alle unsere Gourmet-Kaffee-Getränke risikofrei zubereitet werden. Unser Personal in der Küche und Bar trägt, wie es zu erwarten ist, Masken und durch unsere geräumigen und durchgelüfteten Räumlichkeiten und unsere Terrasen, sowohl im Eingangsbereich als auch unsere grüne Hofterrase, ist ziemlich leicht Abstand zu halten.“ Hier entlang zur Frühstücks-, Lunch- und Abendkarte mit Safer-Food-Attitüde. Tgl 7.30-21 Uhr
Wieder Hingehen – Mag schon sein, dass man nach all dem Homeoffice und Zuhauseweilen der letzten Monate gerade auf die Besichtigung von Wohnräumen nicht so wahnsinnig viel Lust verspürt. Dabei ist allerdings leicht zu übersehen, welch beruhigende Wirkung, vom Charme der Angelegenheit ganz zu schweigen, der Einblick in den Alltag fremder Leute und auch fremder Zeiten haben kann. Anschauliches Beispiel ist das einzige im alten Stadtkern Berlins original erhaltene Bürgerhaus des 18. Jahrhunderts, das Knoblauchhaus im Nikolaiviertel, erbaut von Nadlermeister Johann Christian Knoblauch. Die Einrichtung verrät so manches über die alltäglichen Abläufe, den Charakter der Bewohner und vermittelt zu allem Überfluss eben jene Ruhe – vielleicht, weil keiner mehr da ist, der es bewohnt. Wem die geschichtsträchtigen Gegenstände zu unklar sprechen, der frage den auskunftsfreudigen und gut informierten Ausstellungswärter. Di-So 10-18 Uhr, Eintritt frei
Geschenk – Mit Küchenutensilien wie ordentlich scharfen Kochmessern kann man derzeit kaum was falsch machen, immerhin wird zurzeit so viel zu Hause gekocht wie nie zuvor. Das bestätigt auch Messerexperte Alexis Zweifler von Holzapfel: „Die Leute haben offenbar nichts zum Kochen zu Hause, es tun sich ganz neue Käuferschichten auf.“ Da gespart wird, landet zwar nicht gerade das Teuerste im Einkaufskorb. Wer aus Sparsamkeit aber weniger auswärts speisen will, investiert jetzt trotzdem in seine Küche. Die Situation habe schon zu Lieferengpässen und teils Preisverdoppelungen seitens der Hersteller geführt, sagt er. „Wir haben aber tierisch Verlust dadurch, dass wegen der Abstandsregeln bei uns nur zwei Leute zugleich rein können. Man sieht, wie draußen Wartende irgendwann einfach weggehen, wenn es ihnen zu lange dauert. Wie sich das alles auf die Jahresbilanz auswirkt, kann man noch nicht sagen. Wir machen einen Großteil des Umsatzes mit dem Weihnachtsgeschäft, da kann noch einiges passieren.“
Verlosung – Zusammen mit Herrn Zweifler verlosen wir unter allen, die uns bis 12 Uhr eine E-Mail schreiben, ein 100% Vollleinentuch vom Markenhersteller Schlitzer Leinen, wie es in Spitzengastronomie und Sterneküchen zur Abschlusspolitur von Gläsern Verwendung findet. „Hält locker 100 Jahre, nachhaltiger geht's kaum“, sagt Zweifler, „ist antibakteriell und ein Rohstoff (Flachs) der in der EU angebaut und in Deutschland verarbeitet wird. Also keine Spur von superbillig auf Kosten anderer.“
Last-Minute-Tickets – Der Filmtipp von Ticket-Kollege Jörg Wunder: „Le Mans: Gegen jede Chance“ (OmU). Tollkühne Kerle in ihren rasenden Kisten, und das gleich 153 Minuten lang? Klingt nach einem nerdigen Special-Interest-Feature für PS-Freaks. Der epische Streifen von Regisseur James Mangold („Logan“) entpuppt sich aber als packendes Rennstreckendrama, in dem eines der aufregendsten Kapitel der Motorsportgeschichte nacherzählt wird und trotzdem Platz für psychologische Zwischentöne bleibt. Der kantige britische Fahrer Ken Miles ist eine Paraderolle für Christian Bale, und auch Matt Damon überzeugt als Konstrukteurslegende Carroll Shelby. Aber der eigentliche Star ist natürlich der Ford GT40: der schönste Rennwagen aller Zeiten. Freiluftkino Hasenheide, 21.15 Uhr. Tickets zu 8,83 Euro gibt es hier, eine ausführliche Filmkritik hier und einen für noch mehr Hintergrund den Le-Mans-Vorbericht 2019 hier.
Insel-Check
Team Checkpoint hat die Segel gehisst und alle Berliner Inseln besucht – es sind mehr als 50. An dieser Stelle und auf Instagram stellen wir Ihnen täglich eine davon vor. Und oben drauf gibt’s unser Inselquartett – zum Ausschneiden für lange Autofahrten in den Ferien und Sommer-Sehnsucht im Winter.
Auf Pichelswerder kann Berlin den Hund rauslassen. Die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von Spandauern und Berlinern als beliebtes Ausflugsziel entdeckte Halbinsel an der Heerstraße bietet den besten Freunden der Menschen das größte (und wahrscheinlich beliebteste) Auslauf- und Ausschwimmgebiet der Stadt. Zahlreiche verschlungene Wege und Pfade führen unter großen Eichen und Kiefern durch das etwa 40 Hektar große Gebiet. Vom Hügel auf der Mitte und den kleinen Buchten und Stegen am Rand hat man den perfekten Blick aufs Wasser. Da schwimmt gerade eine Entenfamilie! Außerdem wird gesegelt und gesurft. Fehlt passend zum Namen nur noch ein Sektchen. Der lässt sich dann gemütlich picheln, während Bello planscht.
Text: Ann-Kathrin Hipp
Berlin heute
Verkehr – Kaiser-Friedrich-Straße (Charlottenburg): In Richtung Tegeler Weg hinter der Haubachstraße von 7 bis 17 Uhr Verengung auf nur einen Fahrstreifen.
Schöneberger Ufer (Kreuzberg): Verengung auf nur eine Spur von 9 bis 15 Uhr in Richtung Tempelhofer Ufer zwischen Köthener Brücke und Schöneberger Straße.
Demonstration – Mit einer Mahnwache und Kundgebung „Zum Gedenken an den 12. getöteten Radfahrer 2020 in Berlin“ wollen „Changing Cities“ von 17.25 bis 18.30 Uhr mit 250 Teilnehmenden an der Ecke Hermann-Dorner-Allee/ Ernst Rusker Ufer (Adlershof) protestieren. Anschließend startet ebenda die „#Vision Zero Fahrraddemonstration zum Gedenken an tödlich verunglückte Radfahrende“ des ADFC Berlin, deren 100 radfahrende Teilnehmende von 18 bis 20 Uhr zum BMVI in der Invalidenstraße 44 (Mitte) unterwegs sein werden. Verdi und der Uni-Assist-e.V. wollen mit 50 Teilnehmenden eine Kundgebung mit dem Motto „Warnstreik vor dem Arbeitgeber“ in der Geneststraße 5 (Tempelhof) von 11.30 bis 13 Uhr durchführen. Für „Menschenrechte in Kashmir“ wollen 50 Teilnehmende zur Kundgebung am Pariser Platz/Brandenburger Tor (Mitte) von 14 bis 16 Uhr zusammenkommen. Die SJ Falken Berlin wollen von 14 bis 18 Uhr eine Kinderdemo und Kundgebung mit 40 Teilnehmenden an der Ecke Gustav-Meyer-Allee/ Hussitenstraße (Humboldthain) zum Thema „Kinderrechte und Antirassismus“ ausrichten.
Gericht – Gegen einen mutmaßlichen Serieneinbrecher beginnt der Prozess um 13 Taten. Der 25-Jährige soll in Wohnungen eingedrungen und Gegenstände im Wert von insgesamt etwa 14000 Euro gestohlen haben (11 Uhr, Kriminalgericht Moabit, Turmstraße 91, Saal 501).
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Dirk Behrendt (49), Justizsenator (Grüne) / Salomon Kalou (35), Stürmer bei Hertha / Stefan Lehnberg (56), Schauspieler, Autor und Regisseur / Volker Liepelt (72), ehem. Staatssekretär für Wirtschaft (CDU) / Paul Lufter, „Hoch soll er leben! Team Checkpoint wünscht alles Liebe und einen fantastischen Tag“ / Georg M. Oswald (57), Jurist und Schriftsteller / Jürgen Reents (71), Gründungsmitglied der Grünen, ehem. Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland" / Dennis Schmidt-Foß (50), Synchronsprecher (u.a. von Eddie Murphy) / Frank Terletzki (70), ehem. DDR-Fußballnationalspieler / Christel Wiethoff (80), „...gaaaanz herzlichen zum 80.“ von Schwager Hans
Sie möchten jemandem zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.
Gestorben – Margot Bertha Fietz, * 16. November 1924 / Prof. Dr. Peter Krause, * 2. Mai 1941 / Paul Pfarr, * 15. Mai 1938, Bildhauer / Dr. med. Claus Ruda, * 13. Januar 1928
Stolperstein – Hilde Coppi (geb. Rake) (Jhg. 1909) wuchs in Berlin-Mitte auf. Anfang der 1930er Jahre begann sie, verfolgte Kommunisten zu unterstützten. Im Juni 1941 heiratete sie Hans Coppi, dessen Widerstandsaktivitäten sie unterstützte. Mehrfach informierte sie Angehörige von deutschen Kriegsgefangenen über deren Lebenszeichen, die der Moskauer Rundfunk ausstrahlte. ln den Morgenstunden des 12. September 1942 nahm die Gestapo die Hochschwangere, ihre Mutter, ihre Schwiegereltern und ihren Schwager fest. Der Gefängnispfarrer des Frauengefängnis Barnimstraße notierte: „Hilde Coppi, Hochverrat und Landesverrat, Schulze-Boysen-Kreis, zart, fein, tapfer, ganz selbstlos. Gebar am 27.11.42 ihr Kind. Hinrichtung ihres Mannes durfte ihr nicht mitgeteilt werden, ließ darum ihren Schmerz nicht laut werden. Kind wurde von ihrer Mutter erst in der Woche der Hinrichtung geholt. Stolz, beherrscht und lieb. Kein Hass. Eine rührende Persönlichkeit. Rechnete nie mit ,Gnade‘ der Menschen. Nie bereut.“ Nachdem Hitler ein Gnadengesuch im Juli 1943 abgelehnt hatte, wurde sie am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet. Ihr Stolperstein liegt in der Seidelstraße 23 (Tegel).
Encore
Die Journalistin Melisa Erkurt hat ein Buch geschrieben und, sagen wir mal, unterschiedliche Reaktionen darauf bekommen, wie sie gestern auf Twitter berichtete: „Frauen: So cool, wie du das alles meisterst. Hab schon 8 Exemplare vorbestellt! Männer: Ich wollt auch schon immer ein Buch schreiben. Kannst du bei deinem Verlag für mich nachfragen und sie sollen mir gleich ein Exemplar gratis zukommen lassen.“ Mehr als 1500 Männern und Frauen gefiel das (also der Tweet, nicht das Buch, „Generation haram“ erscheint erst am 17. August). Später am Tag schrieb Erkurt an ihren Verlag „@hanserliteratur ich hab 25 potentielle Bestseller-Autoren für euch. Können nach eigenen Angaben über alles schreiben. Mein drittes Standbein: Literaturagentin für ausschließlich Männer.“
Ganz ohne Agentin in den Checkpoint geschafft haben es drei Frauen und zwei Männer: Masha Slawinski und Sophie Rosenfeld (Recherche), Thomas Wochnik (Stadtleben) und Florenz Gilly (Produktion). Zum Ausgleich begrüßt Sie hier morgen Felix Hackenbruch.
Bis nächste Woche