das selbst gesteckte Ziel war und ist groß. Vor rund vier Monaten formierte sich das Bündnis „Eine Stadt. Eine starke Verwaltung“ aus mittlerweile 39 Kammern und Verbänden, um Berlins Amts- und Behördenversagen zu identifizieren und bestenfalls im konstruktiven Dialog zu beseitigen. Jetzt gab’s die erste Zwischenbilanz.
I) Widersprechende Ziele der Politik oder Kompetenzgerangel zwischen Land und Bezirken machten es Beamten unmöglich, manche Aufgabe zu lösen. Vorgänge würden – aus Angst, Fehler zu machen – so lange geprüft, bis sie zu 100 Prozent rechtssicher sind. (Thomas Gory, stellvertretender Landesvorsitzender Beamtenbund und Tarifunion)
II) Auf dem Papier gebe es viele tolle Vorgaben, um die Natur zu schützen, in der Realität aber so gut wie keine Mitarbeiter, die die Vorschriften überwachen. (Andreas Faensen-Thiebes, BUND)
III) Dass Baufirmen mitunter ein Jahr warten, um alle Genehmigungen für die Einrichtung einer Baustelle zu erhalten, sei nicht akzeptabel. Gegenvorschlag: Ist ein Antrag nach zwei Wochen nicht bearbeitet, gibt‘s die Genehmigung automatisch. (Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau)
IV) Senat und Bezirke müssten bei der Umsetzung der 27 Felder, die im Rahmen des Zukunftspaktes Verwaltung definiert wurden, bis zum Ende der Legislatur deutlich an Fahrt gewinnen. Die Ampel stehe derzeit auf „Rotgelb“. (Beatrice Kramm, IHK-Präsidentin)
Für Frank Nägele (SPD), Staatssekretär für Verwaltungs- und Infrastrukturmodernisierung in der Senatskanzlei, Gründe genug, die Veranstaltung vorzeitig zu verlassen. Es sei ein „grobes Foulspiel“, im Vorfeld bei einem nicht-öffentlichen Podiumsgespräch in „konstruktiver Atmosphäre“ miteinander zu reden, um dann bei der anschließenden Pressekonferenz so zu agieren. Er selbst hätte gerne „an mindestens sieben Punkten“ erklärt, wo der Senat in sehr kurzer Zeit konkrete Fortschritte gemacht hat. Vielleicht dann beim nächsten Mal. Wenn‘s eins gibt.
Mit einer deutlichen Mehrheit hat die Vollversammlung der IHK am Mittwochabend das Positionspapier „Berliner Wirtschaft für Klimaschutz: Zehn Leitgedanken für eine CO2-Bepreisung“ verabschiedet und sich dafür ausgesprochen, die Klimapolitik „auf Basis eines effizienten und technologieoffenen CO2-Bepreisungsmodells neu zu justieren“. Ganz hell leuchtet das grüne Signal in Richtung Politik allerdings nicht: Um die Nennung eines konkreten Preises pro Tonne hat man sich in der Vorlage gedrückt.
Im Kampf gegen Berlins Brandstifter haben die Beamten einen mutmaßlichen Serientäter gefasst. Der Verdächtige wurde Anfang August auf frischer Tat ertappt, als er in Hamburg ein weiteres Fahrzeug anzünden wollte – und sitzt seitdem in U-Haft. 31 Brandstiftungen an Autos werden ihm zugeordnet, drei (Müller-Breslau-Straße, Bartningallee & Schaperstraße) hat er bereits gestanden. Laut Checkpoint Informationen handelt es sich bei dem 30-jährigen „bereits einschlägig verurteilten Serienbrandstifter aus Berlin“ um Marcel G., einen „psychisch labilen Pyromanen“, der vom linksradikalen Spektrum zu Bärgida wechselte und nach Brandserien in Hamburg (2012) und Berlin (2016) bereits zweimal festgenommen und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurde. Im Prozess um drei Fahrzeugbrände in Lichtenberg (2017) hatte er zuletzt gesagt, er habe gehofft, die Taten würden der linken Szene angelastet. Im Urteil hieß es: „Es ist wahrscheinlich, dass sich der Angeklagte für schlechte Behandlung durch Personen aus der linken Szene rächen wollte.“ (Q: Morgenpost) Offiziell wollte die Polizei seinen Namen nicht bestätigen.
Berlin, aber absurd: Die Verkehrsverwaltung weiß laut eigener Aussage nicht, wo in der Stadt aktuell Radwege gebaut werden (eine „entsprechend genaue und nach Bezirken unterscheidende Radwegebaustatistik wird in Berlin nicht geführt“). Das Start-up „FixmyBerlin“ dagegen hat eine im Internet öffentlich zugängliche Grafik mit genau diesen Infos erstellt. „Wir haben uns stark gewundert über die Aussage, dass es dazu keine Daten geben würde“, sagt Gründer Robert Hekele. Insbesondere, weil die Senatskanzlei das Projekt mit 90.000 Euro fördert, die Senatsverwaltung für Umwelt als „Partner“ gelistet ist – und die Verkehrsverwaltung die Plattform durch Bereitstellung von Daten unterstützt.
Stefan Taschner (MdA / Grüne) wollte vom Senat wissen, wie häufig die Einhaltung der geltenden Verkehrsregeln in Berlins Fahrradstraßen im ersten Halbjahr 2019 durch die Polizei kontrolliert wurde. Die Antwort: Prinzregentenstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf 16 Kontrollen / Weigandufer Neukölln zehn Kontrollen / Teufelsseechaussee in Charlottenburg-Wilmersdorf zwei Kontrollen / Bergmannstraße in Friedrichshain-Kreuzberg zwei Kontrollen / Alberichstraße in Marzahn-Hellersdorf eine Kontrolle / Weserstraße in Neukölln eine Kontrolle / alle anderen (17!): null Kontrollen. Welche und wie viele Verstöße festgestellt wurden, ist „aufgrund der Freitexterfassung des Tatortes in den Anzeigen, den damit verbundenen unterschiedlichen Schreibweisen und Darstellungsmöglichkeiten sowie fehlender Georeferenz“ nicht nachvollziehbar.
Gewonnen, zerronnen. Wie in Berlin nach 20 Jahren eine Eigenbedarfskündigung begründet wird, zeigt folgendes Beispiel: „Der Kläger und die Zeugin benötigen die größere Wohnung mit zusätzlichem Zimmer auch für den regelmäßigen Besuch von Familie und Freunden zum gemeinsamen Essen und für die Übernachtung der Gäste.“ 97 Quadratmeter im Bötzowviertel.
Gerade online, schon weg, so ist das mit den Wohnungen in Berlin. Wie schnell es tatsächlich geht, zeigt die Antwort von ImmoScout24 auf eine Anfrage meiner Kollegin Madlen Haarbach: Pro Jahr werden etwa 70.000 Berliner Mietwohnungen auf der Plattform inseriert (Stand 2018). Die kürzeste Verweildauer hat Stuttgart mit durchschnittlich sechs aktiven Tagen, Berlin zählt neun, Hamburg zehn, München elf. Bewerbungen gibt es in den meisten Berliner Stadtteilen im Schnitt zwischen zehn und 30. Bessere Chancen mit nur rund fünf BewerberInnen pro Inserat hat man in und um Spandau und am östlichen Stadtrand in Marzahn-Hellersdorf und Köpenick.
„Die Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung“, hatte schon Platon gesagt und der Neuköllner Künstler Clemens Schöll hat den „Wohnungsbot“ erfunden. Ein Tool, das per Algorithmus permanent Immobilienanzeigen durchsucht und automatisch ein personalisiertes Anschreiben versendet, sobald eine Wohnung die angegebenen Kriterien erfüllt. Reagieren die potentiellen VermieterInnen auf das Anschreiben, werden die Suchenden informiert. Seine jetzige Wohnung („war nur eine halbe Stunde online“), davon geht Schöll aus, hätte er ohne Bot wohl nie gefunden.
Laufliebhaber-Reminder I: Am Sonntag laufen wir mit der Checkpoint-Laufgruppe zum vorerst letzten Mal in diesem Jahr – und zwar auf dem Tempelhofer Feld (Neukölln-Seite, Eingang Herrfurthstraße). Los geht‘s um 10 Uhr mit einem Long Run, um 11 Uhr geht die gewohnte 6- bzw. 12-km-Runde an den Start, danach gibt es Getränke, Bananen und ein gemütliches Beisammensein mit dem Checkpoint-Team.
Laufliebhaber-Reminder II: Die dritte Ausgabe unseres Lauf-Talks SportCheck findet am Dienstag, 17. September, in unserem Verlagshaus statt. Zum Thema „Mythos Marathon“ sprechen wir ab 19 Uhr mit Berlin-Marathon-Gründer Horst Milde, Weltrekordhalterin Sigrid Eichner und der Profiläuferin Lisa Hahner. Für Checkpoint- und Tagesspiegel-Abonnenten ist die Veranstaltung kostenfrei, ansonsten kostet der Eintritt 5 Euro, Getränke inklusive. Anmeldung mit dem Betreff „SportCheck“ an checkpoint@tagesspiegel.de.
Berliner Schnuppen
Telegramm
Während die von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) initiierte Qualitätskommission noch in diesem Jahr erste Empfehlungen für den vorschulischen Bereich abgeben will, läuft es für die drei großen Berliner Universitäten und die Charité weiter exzellent. Laut World University Ranking 2020 des britischen Magazins „Times Higher Education“ gehören sie zu den besten 15 Universitäten in Deutschland – und den 150 besten weltweit.
Die Brandenburger Polizei hat am Mittwochnachmittag am östlichen Berliner Ring einen mutmaßlichen Mörder aus Polen durch mehrere Schüsse getötet. Wie die polnische Polizei mitteilte, soll der Mann zuvor mit einer Waffe eine Wäscherei in Gorzów betreten und eine 26 Jahre alte Ukrainerin erschossen haben.
Nach dem schweren SUV-Unfall am Freitagabend in der Invalidenstraße haben sich 50 Zeugen gemeldet – der Fahrer selbst schweigt. Laut Staatsanwaltschaft lässt er sich durch einen Anwalt vertreten.
Inmitten der Debatte um ein SUV-Verbot in Großstädten schreibt der Linken-Abgeordnete Tobias Schulze (MdA) heute im Tagesspiegel: „Statt individuelles Verhalten zu geißeln, brauchen wir Rückhalt und Akzeptanz für nachvollziehbares, wo notwendig auch radikales politisches Handeln.“ Den gesamten Gastbeitrag lesen Sie hier.
„Wie sitzt es sich auf einer Anklagebank? Warum sitzen Staatsanwälte immer am Fenster? Wo verarbeitet die Poststelle täglich ca. vier Tonnen Post? Und wie reagieren die Wachtmeisterinnen und Wachtmeister, wenn ein Angeklagter während einer Hauptverhandlung aufspringt und mit Stühlen um sich wirft?“ Antworten gibt’s der Einladung zufolge am 21. September: Tag der offenen Tür im Kriminalgericht Moabit.
Der Streit um „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ bleibt weiterhin ein Streit der Gutachter. Das neueste kommt von den Linken und Joachim Wieland (Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer). Er sagt: Berlin kann ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen erlassen.
Der Preis für die meist gestellten schriftlichen Anfragen von Bezirksverordneten in dieser Legislaturperiode geht an Treptow-Köpenick (843), gefolgt von Mitte (675) und Pankow (601). Es kommentiert der Senat: „Valide Schlussfolgerungen zur Funktion der Bezirksverordnetenversammlungen, insbesondere zur Wahrnehmung deren Kontrollfunktion gegenüber den jeweiligen Bezirksämtern, lassen sich aus den vorliegenden Daten nicht ableiten.“ (Q: Anfrage Ülker Radziwill, MdA / SPD)
Kleiner Klinsch im Rechtsausschuss: Obwohl die Tagesordnung bereits einvernehmlich abgestimmt war, hat die Koalition den seit knapp zwei Jahren vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion „Farbe bekennen zum Neutralitätsgesetz“ (= Der Senat wird aufgefordert, sich klar und deutlich für die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes auszusprechen und jegliche Aufweichung des staatlichen Neutralitätsgebotes zu verhindern) als dritten Tagesordnungspunkt gestrichen. Sven Rissmann (MdA) / CDU) kommentiert: „Der Vorgang legt offen, dass es offensichtlich zwischen SPD, Linken und Grünen erhebliche Spannungen gibt und sie beim Neutralitätsgesetz handlungsunfähig sind.“
Großer Klinsch in Kreuzberg: Aldi oder nicht Aldi, das ist hier immer noch die Frage. Am heutigen Donnerstag treffen sich die Betreiber der Markthalle 9, Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und die designierte Mediatorin Doris Wietfeldt, um das geplante Dialogverfahren durchzusprechen. Ziel sei es laut Bezirksamt, in einem ersten Schritt für die Dauer von drei Monaten Befragungen im Kiez durchzuführen. Start soll in der letzten Septemberwoche sein. Aktueller Stand der Lage: Aldi hat laut eigener Aussage noch immer einen unbefristeten Vertrag, dm vertragliche Vereinbarungen, die Anfang 2020 in Kraft treten könnten und Markthallenchef Nikolaus Driessen sagt: „Wir haben keinen Druck, die Entscheidung sollte aber mit dem Ende des Dialogprozesses gefallen sein.“
Parkletdefensive in Friedrichshain-Kreuzberg: Berlins umstrittenste Sitzmöglichkeiten sollen bis zum 31. Oktober abmontiert werden.
Fahrradbügeloffensive in Friedrichshain-Kreuzberg: Jeder und jede kann ab sofort online melden, wo im Bezirk neue Abschließmöglichkeiten installiert werden sollen.
Schilderoffensive in Schwabing: Ganze 32 Zebrastreifen-Schilder hängen im Münchner Stadtteil an der Kreuzung Georgenstraße / Tengstraße. Ganz normal, heißt es aus dem Kreisverwaltungsreferat. Und zwar deshalb: Laut gültigen „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen“ braucht es pro Zebrastreifen jeweils links und rechts ein Schild – am besten jeweils noch verdoppelt an einem sogenannten „Kragarm über der Fahrbahn (Torbogenwirkung)“. Macht bei (hier vorhandenen) vier Zebrastreifen 16 Schild-Hängorte, das jeweils in beide Fahrtrichtungen: 32. (Q: SZ)
Weniger BVG-Strafanzeigen gegen Schwarzfahrer: Laut Berliner Morgenpost ist die Zahl von 11.432 im Jahr 2016 auf 4.256 im vergangenen Jahr gesunken. Auch ein Grund, warum Berlin laut Kriminalstatistik (weniger Straftaten) sicherer wurde.
Mal wieder Zeit für eine Anti-E-Scooter-Forderung: Die Berliner CDU will Leihanbieter dazu verpflichten, wild abgestellte E-Roller innerhalb von 24 Stunden abzuholen. „Andernfalls können die Roller auf dem Sperrmüll entsorgt werden“.
Mal wieder ein FDP-Antrag zu Tegel: Die Partei will die Offenhaltung des Flughafens zur Bundessache machen und hat einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht: Darin wird die Regierung aufgefordert, „sich in den Gremien der FBB GmbH sowie gegenüber den Landesregierungen von Berlin und Brandenburg einzusetzen für einen dauerhaften Parallelbetrieb der Flughäfen Berlin-Tegel und BER“, „eine zügige und umfassende Sanierung des Flughafens Berlin-Tegel“ und „eine Verbesserung der Anbindung des Flughafens Berlin-Tegel mit öffentlichen Verkehrsmitteln, insbesondere der U-Bahn“. Ziel sei, dass Tegel in einer öffentlichen Anhörung besprochen wird.
Mal wieder eine absurde AfD-Anfrage, die sich mit gesundem Menschenverstand schnell beantworten lässt: Frank Kerker (MdA) wollte vom Senat wissen, warum Straßen und Plätze in Berlin nach Silvio Meier, nicht aber nach Horst Wessel benannt werden dürfen. Kurz und knapp: „Silvio Meier war ein Mensch, der mutig für Freiheit und Demokratie eintrat. Er war in der Friedens-und Menschenrechtsbewegung der DDR aktiv sowie engagiert gegen Rechtextremismus. Am 21. November 1992 wurde im U-Bahnhof Samariterstraße in Friedrichshain der damals 27-jährige Silvio Meier von Neonazis erstochen.“ Horst Wessel war ein „geistig-politischer Wegbereiter und Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft“. Und damit ist auch schon alles gesagt.
Der Tagesspiegel Verlag ist für den Publikumspreis des Deutschen Engagementpreises 2019 nominiert. Vom 12. September bis zum 24. Oktober kann unter www.deutscher-engagementpreis.de abgestimmt werden. Wir würden uns freuen.
Weil freiwilliges Engagement wichtig ist, und Liebe sowieso stärker als Hass, gibt es die Forderung, das Ehrenamt als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen. In vielen Bundesländern ist das schon der Fall – in Berlin noch nicht. Was hinter der Debatte steckt und warum sich R2G noch nicht über den Bürgerhaushalt einig ist, lesen Sie im aktuellen Tagesspiegel-Newsletter „Ehrensache“ (kostenlose Anmeldung hier).
Kleine Korrektur: Der Satz „Wir haben kein Konzept für die Ausstattung der Schulen mit W-Lan“ gilt nach wie vor (CP von gestern). Gesagt hatte ihn allerdings Ines Wiersgalla, Abteilungsleiterin in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Wenn nicht klar ist, dass es in diesem Lande null Toleranz gegen Rassismus gibt, dann wird das Zusammenleben nicht gelingen.“
Schlussappell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) während der Generaldebatte im Bundestag.
Tweet des Tages
In Warschau Leute kennengelernt, die #Berlin besonders mögen, weil da alles so gut funktioniere. Vor allem der #ÖPNV. Ich hab nichts gesagt, wollte sie nicht desillusionieren.
Stadtleben
Essen – Der relativ unverblümten Aufforderung ist laut CP-Informationen bisher noch niemand nachgekommen, sicherlich wird aber der ein oder andere Gast gedacht haben, er sei kurz davor. Schließlich werden im „platz doch!“ mittel- und osteuropäische Spezialitäten verköstigt, die schon von Haus aus füllend sind – wenn es dann auch noch gut schmeckt, ist man schnell in der Gefahrenzone. Mit der offenen Küche und dem einzelnen langen Esstisch hauchen die beiden Betreiberinnen der floskeligen „Wohnzimmeratmosphäre in familiärem Ambiente“ tatsächlich neues Leben ein. Das aktuelle 3-Gänge-Menü kostet 35 Euro, gekocht wird mit regionalen Produkten aus solidarischer Landwirtschaft, getrunken wird entlang der Donau: Naturwein aus Österreich, Tschechien und der Slowakei, aber auch aus Slowenien und Ungarn. Reservierungen können online gemacht werden, auch noch für heute Abend. Mi-So 18-22 Uhr, Manteuffelstraße 48, U-Bhf Görlitzer Bahnhof
Trinken – Was spontane Live-Musik zum frischgezapften Bier à la British Pub angeht, tut sich die Berliner Kneipenszene in Zeiten der DJ-Inflation nicht immer leicht. Die Blues Garage in Schöneberg ist eine der Bastionen, wo noch fleißig gejammt wird, und zwar immer donnerstags. Inneneinrichtung, Atmosphäre und Getränkeauswahl stammen noch von damals, als das Wort Kneipe in Berlin nicht Flohmarktmöbel, Industrial Design und Craft Beer bedeutete. Da nur im abgetrennten Bereich geraucht werden darf, wird hier auch rustikal und zu günstigen Preisen gekocht – standesgemäß nach dem Motto: „Futtern wie bei Muttern.“ Geöffnet rund um die Uhr (außer zwischen 5 und 6 Uhr morgens). Monumentenstraße 32, S/U-Bhf Yorckstraße
Theaterbegeisterter Berlinbesuch kommt selten zu kurz. Wenn die Gäste allerdings nur Englisch sprechen, wird es unter Umständen schon etwas schwieriger. Ein Glück also, dass Berlin seit diesem Jahr sein eigenes shakespearsches Globe-Theater hat. Auf der provisorischen Freiluftbühne auf der Mierendorff-Insel in Charlottenburg durchleben noch bis Ende dieser Woche Romeo und Julia Liebesqualen, bis Sommer nächsten Jahres soll der Rundbau dann endgültig aufgebaut sein. Einmal pro Woche finden die Aufführungen auf Englisch statt, z.B. heute Abend, 19.30 Uhr. Patrick Wildermann jedenfalls zeigte sich im Tagesspiegel angetan. Tickets gibt es ab 23 Euro. Sömmeringstraße 15, U-Bhf Mierendorffplatz
Geschenk – Einen Alternativ-Tipp in unmittelbarer Nähe zum süßen Stadtleben von gestern schlägt unsere Leserin Doris B. vor: Die Schokolade, die Sawade im Fabrikverkauf in Drei-Pfund-Paketen an Mann und Frau bringt, wird zu 100% in der Reinickendorfer Manufaktur hergestellt, und das ohne Konservierungsstoffe oder künstliche Aromen. Der Name des Berliner Unternehmens, welches seit 1880 Hauptstadt-Schokolade produziert, bezieht sich übrigens auf Marie de Savadé, die große Liebe des Firmengründers Ladislaus Ziemkiewicz. Nach der Insolvenz 2013 ist Sawade heute in neuen Händen. Im Übrigen verkauft man hier auch Pralinenschachteln mit Berliner Motiven (7-36 Euro) – Ausrede genug, die Verwandten in ganz Deutschland beim nächsten Besuch zu beschenken und dann selbst mitzunaschen. Mo, Di, Do 10-17 Uhr, Mi 10-18 Uhr, Fr 10-14 Uhr, Wittestraße 26d, U-Bhf Holzhauser Straße
Last-Minute-Tickets – Ginnie ist 26 Jahre alt und geistig behindert. Ihre vier älteren Geschwister müssen nun entscheiden, ob sie in ein Heim kommen soll oder nicht. „Idioten der Familie“ zeigt drei Brüder und zwei Schwestern, die in einem abgelegenen Häuschen am Rande Berlins zum ersten Mal seit langem wirklich Zeit miteinander verbringen und sich in der Eskalation der angespannten Situation näher kommen als erwartet. Regisseur Michael Kling geht es um die Frage nach Solidarität mit den Schwachen in einer überindividualisierten Gesellschaft und darum, „das ,Idiotische' im Normalen und das Normale im ,Idiotischen' aufzuzeigen.“ Bei der heutigen Premiere des Films um 20 Uhr im Hackesche Höfe Kino ist er selbst sowie die SchauspielerInnen anwesend. Wenn auch sie mit von der Partie sein wollen: Wir verlosen 5x2 Tickets.
Last-Minute-Tickets II – Französisch trifft Deutsch, das heißt Francoise Cactus trifft Hartmut Richard Friedrich Ziegler alias Brezel Göring. Und das schon seit Anfang der 90er Jahre. Auf der Bühne ist das Ehepaar mit den schrägen Künstlernamen zumeist als Stereo Total zu sehen, zum Beispiel heute Abend im Festsaal in ihrer Wahlheimat Kreuzberg. Da ist zu erwarten, dass zu neuem Album („Ah! Quel Cinéma!“) und alten Songs besonders fleißig im Viereck getanzt wird. Tickets kosten 20 Euro. Am Flutgraben 2, U-Bhf Schlesisches Tor
Noch hingehen – Im Gropius-Bau setzt die Pakistanerin Bani Abidi sich unter der Überschrift, „They Died Laughing“ mit dem Konflikt zwischen ihrem Heimatland Pakistan und dem größeren Nachbarn Indien auseinander. Die Ausstellung versammelt Filmarbeiten und Druckerzeugnisse der Künstlerin aus den letzten zehn Jahren, in denen sie sich oft auch auf humorvolle Art und Weise mit Leben und Kultur in der Himalaya-Region auseinandersetzt. Bani Abidi, die seit 2011 in Berlin lebt, führt heute um 17 Uhr persönlich durch ihre Ausstellung. Karten für alle Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau kosten 15/10 Euro. Mi-Mo 10-19 Uhr, S/U-Bhf Potsdamer Platz
Das Stadtleben am Donnerstag von: Julian Goldmann.
Berlin heute
Verkehr – Auf der A 10 führt die Montage von Verkehrszeichenbrücken zu einer Sperrung in Fahrtrichtung Dreieck Potsdam zwischen 20 und 5 Uhr. Der Verkehr wird über die Raststätte Michendorf-Nord umgeleitet. In Tiergarten ist der Tunnel Tiergarten-Spreebogen erneut wegen nächtlicher Wartungsarbeiten von 21 bis 5 Uhr in Richtung Moabit gesperrt. Die Hasenheide in Kreuzberg ist von 21 bis 3 Uhr wegen Messungen an der Tunneldecke der U7 zwischen Hermannstraße und Wissmannstraße gesperrt. In Niederschöneweide beginnt am Morgen auf der Schnellerstraße stadtauswärts eine neue Baustelle, weswegen bis Mitte Oktober nur zwei Fahrstreifen zur Verfügung stehen. Eine Nachtbaustelle (17 bis 5 Uhr) auf der Joachim-Tiburtius-Brücke in Steglitz führt dazu, dass in Höhe der Anschlussstelle zur A 103 in jeder Richtung nur ein Fahrstreifen zur Verfügung steht.
Der Streckenabschnitt Plänterwald – Südkreuz – Beusselstraße (Linien S41/42, S45, S46, S47) ist unterbrochen und wird mit Schienenersatzverkehr befahren. Die Linien S45 und S46 sind schon ab Baumschulenweg eingestellt.
Demonstration – Vor der Johanna-Eck-Schule in der Ringstraße in Mariendorf werden 100 Menschen zur Kundgebung „Für eine gute Zukunft der Johanna-Eck-Schule, wir wollen Frau Özhan Erhardt zurück“ erwartet (14.30-17.30 Uhr). „Zum Umbau von Karstadt und dem Hermannplatz“ gehen auf der Hasenheide zwischen von 16 bis 20 Uhr 15 Demonstranten auf die Straße. Auf dem Pariser Platz fordern zehn Aktivisten „Medizinische Behandlung und Freiheit für Leonard Peltier“ (18-19.30 Uhr). Auf der Rathausstraße 15 in Mitte wird von 18 bis 20 Uhr „gegen die Entmachtung der vom Volk gewählten Bürgermeister_innen in Diyarbakir, Van und Mardin durch Zwangsverwaltung aus Ankara“ protestiert. Es werden 100 Teilnehmer erwartet.
Gericht – Der seit fast fünf Jahren laufende Mordprozess gegen Rocker der Hells Angels wegen tödlicher Schüsse auf einen 26-Jährigen in einem Wettbüro in Wedding wird mit Verteidiger-Plädoyers fortgesetzt. Die Staatsanwälte haben gegen acht der zehn Angeklagten lebenslange Freiheitsstrafen verlangt (11 Uhr, Kriminalgericht Moabit, Turmstraße 91, Saal 500).
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Carola von Braun (77), Politikerin (FDP), erste Frauenbeauftragte des Berliner Senats (1984-1990) / Jakob Busk (26), Fußballspieler bei Union Berlin / Sigmar Gabriel (60), MdB (SPD), u.a. ehem. Bundesminister für Wirtschaft und Energie (2013-2017) / Oliver Kalkofe (54), Comedian / Christina Schwarzer (43), Politikerin (CDU)
Sie möchten jemandem zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.
Gestorben – Brigitte Horstmann, * 7. Juni 1942 / Joachim Klein, * 7. Juni 1937 / Maria Manthey, * 21. April 1936 / Barbara Steinborn, * 21. Oktober 1949
Stolperstein – Linienstraße 224: Hier wohnte Walter Boldt (Jhg. 1908). Im Zuge der Verfolgung Homosexueller durch die Nazis wurde er mehrmals von der Gestapo verhaftet und letztlich der Wehrmacht zur Strafvollstreckung übergeben. Damit er 1943 an die Kriegsfront versetzt werden konnte, wurde seine Strafe bis Kriegsende zur Bewährung ausgesetzt. Im März 1944 jedoch entließ ihn eine Überprüfungskommission aus der Wehrmacht, da er als homosexueller „Hangtäter“ nicht weiter tragbar sei. Bei dem Versuch, einer Überstellung an die Strafjustiz oder der Einlieferung ins KZ zu entkommen, wurde Walter Boldt auf der Flucht ergriffen, verurteilt und am 12. September 1944 erschossen.
Encore
Die schönsten Anekdoten entstehen beim Betriebsstörungsbingo. In diesem Fall führte eine S-Bahn-Störung zu einer gemeinsamen Busfahrt, einer 20-minütigen Verspätung und dem Gespräch zwischen einem dieser seltenenOriginal-Berliner und Checkpoint-Leser Michael Harr (Alt-Stuttgarter / Neu-Berliner):
Der Berliner schimpft über die S-Bahn und die Störung.
Der Neu-Berliner sagt: „Wenn in Stuttgart eine S-Bahn ausfällt, bricht das gesamte Verkehrsnetz zusammen und es ist völlig offen, ob und wann ich an mein Ziel kommen werde. In Berlin steige ich in den Bus um und bin zwanzig Minuten später dort, wo ich hin will.“
Der Berliner sagt: „Wir sind Berliner. Wir motzen eben."
In diesem Sinne: Kommen Sie freundlich und gut gelaunt durch den Tag. Morgen übernimmt hier mit großer Freude Anke Myrrhe. Bis bald!
Ihre Ann-Kathrin Hipp