über dem Tiergarten hängen Rauchschwaden, die Straßen sind übersät von Kratern und Geröll der zerbombten Häuser, überall liegen Leichen von Menschen und Pferden, der spitze Turm der Gedächtniskirche ist eine kaputte Rundung, aus den ausgelöcherten U-Bahn-Schächten dringt kein Laut, nur der Gestank von Verwesung.
Die Menschen, die noch leben, harren in den Kellern aus, in denen es längst keine Kohlen und kaum noch Wasser gibt – aus Angst vor sowjetischen Soldaten, die siegestrunken durch die Häuser ziehen, die letzten Lebensmittel plündern und Frauen vergewaltigen; aus Angst vor dem späten Tod in der Stunde Null; aus Angst vor der eigenen Vergangenheit, in der ihr Land diesen Krieg begonnen hat, der 60 Millionen Menschen ihr Leben kostete, davon sechs Millionen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Internierten. Dieser mörderische Krieg geht nun zu Ende.
Im von den Sowjets besetzten Offizierscasino in Karlshorst landen die letzten Truppenteile der durch Europa marodierten Wehrmacht, um sich stellvertretend für Deutschland zu ergeben. Die Fahnen der Sowjets, der Amerikaner und Engländer sind aufgestellt; die Flagge der Franzosen hat man vergessen, also wird sie eilig nachgenäht aus einer roten Tischdecke, einem Bettlaken und einem zerschnittenen Blaumann. Um 0.16 Uhr ist die Kapitulationsurkunde unterschrieben an diesem 9. Mai 1945, heute genau vor 80 Jahren. Die Welt ist endlich befreit vom Nationalsozialismus. Und Berlin fängt – zunächst zusammen, später getrennt – von vorne an.
Das Gedenken an die vielen Opfer des Krieges und an die Befreiung Deutschlands durch die Rote Armee und die Alliierten wurde am Feiertag wie erwartet begleitet von Versuchen russischer Vertreter, es zur Rechtfertigung des aktuellen russischen Krieges gegen die Ukraine zu instrumentalisieren. Bei der Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal in der Schönholzer Heide trugen Botschafter Sergej Netschajew und seine Begleiter das sogenannte St. Georgs-Band am Revers, mit dem der Kreml auch die heutigen Terrortruppen in der Ukraine verherrlicht. Die Berliner Polizei hatte nur Diplomaten und Veteranen der Siegermächte das Tragen dieses traditionellen Bandes der Sowjetarmee und das Zeigen anderer prorussischer Symbole erlaubt.
Am frühen Morgen versuchten acht Aktivisten, mit einer Leiter auf ein Nebengebäude des Brandenburger Tors zu gelangen, um pro-russische Flaggen zu hissen – die Polizei verhinderte das und ermittelt nun wegen Hausfriedensbruch. Am Ehrenmal im Treptower Park wurde am Abend ein Demonstrant mit Ukraine-Fahne, der mit einer Gruppe der Opfer des russischen Angriffskrieges gedachte, körperlich angegriffen – die Polizei schritt sofort ein und nahm den auf russisch fluchenden Angreifer fest.
Ob die Auseinandersetzungen heute noch zunehmen, wird sich vor allem bei der umstrittenen „Siegesfahrt“ des russischen Motorradclubs „Nachtwölfe“ zeigen. 200 Teilnehmer auf 150 Motorrädern wollen laut Polizei am Vormittag vom Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten zu dem in Treptow fahren. Der nationalistische und militaristische Putin-Fanclub, der auf der EU-Sanktionsliste steht, wird eng von der Polizei begleitet und soll nicht im Konvoi unterwegs sein – „wenn, dann wird das in kleinerer Aufteilung passieren“, sagte ein Polizeisprecher dem Checkpoint. Das Friedensgedenken in Kriegszeiten bleibt eine heikle Angelegenheit.
Das Kriegende prägt bis heute viele Familiengeschichten. Zum Beispiel die von Aleksandra und Jürgen aus Berlin. Beide trafen sich zufällig nach dem Krieg auf einer Hochzeit in einem polnischen Dorf, in dem Jürgen nach Spuren seiner alten Heimat suchte und dabei auf die hier lebende Aleksandra stieß, die zur Liebe seines Lebens wurde. Gemeinsam hat das Paar, das heute ein Gardinenatelier in Wilmersdorf betreibt, die Grenzen des Kalten Krieges überwunden und mit beharrlicher Fröhlichkeit zum Frieden gefunden. Die neue Kolumne „Ins Herz“ über eine Liebe zwischen Zeitenwenden lesen Sie hier.
Der zweite von drei freien Donnerstagen im Mai liegt hinter uns. Diesmal ist allerdings vor dem Wochenende in den Berliner Schulen Unterricht angesagt – meist ohne besonderes Programm, wie eine Kurzumfrage des Checkpoints ergab. „Der Mai sei eh schon zerstückelt genug“, lässt Karina Jehniche, Leiterin der Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau, ausrichten. Normalität strebt auch Stephan Witzke an der Lisa-Tetzner-Grundschule in Buckow an. Er hat einige Schülerinnen und Schüler, die die vielen Feiertage gar nicht feiern: „Die haben kein schönes Zuhause und kommen lieber in die Schule, zu ihren Freunden und in die gewohnte Struktur.“
An vielen weiterführenden Schulen sind heute Lehrerinnen und Lehrer in die Abituraufsicht eingespannt: Heute wird Mathematik geschrieben – in ganz Deutschland gleichzeitig, mit Aufgaben aus einem gemeinsamen Pool. Normalität kann auch anstrengend sein – wenn man sie errechnen muss.
Wir sind nicht Papst. Das Konklave im Vatikan hat erstmals einen US-Amerikaner zum neuen Oberhaupt aller Katholikinnen und Katholiken bestimmt. Kardinal Robert Francis Prevost war lange als Missionar in Südamerika tätig und gilt als Vermittler zwischen reicheren und ärmeren Ländern sowie zwischen konservativen und moderner denkenden Gläubigen. Bei seiner ersten Ansprache als Leo XIV. betonte er am Donnerstagabend vor allem den Willen zum Frieden in der Welt. Wiederholt hat sich der 69-Jährige für den Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt, sich aber gegen hohe Kirchenämter für Frauen ausgesprochen. Die „Klerikalisierung von Frauen“ sei keine Lösung, sondern womöglich ein neuer Problemherd, glaubt der neue Pontifex. Und beschreibt damit so unfreiwillig wie treffend eins der größten Probleme der Katholischen Kirche.
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Im heutigen Newsletter würden Sie außerdem noch dazubekommen:
- Platz da, hier kommt die Polizei! Berlins Einsatzkräfte fahnden gerade nach einem neuen „schweren Mannschaftswagen“ für rund 50 Personen, ausgestattet mit einem Kühlschrank. Wir ermitteln alle Details der kuriosen Ausschreibung.
- Augenblick mal, hier spielt das Theater! Für das abwechslungsreiche Bühnenstück „Der Katze ist es ganz egal“ über die Erlebnisse eines Kindes, das am Sonntagmittag beim Festival „Augenblick mal!“ im Wedding läuft, verlosen wir Karten.
- Mein Checkpoint-Lesetipp für Sie ist ein persönliches Stück Zeitgeschichte. Der Großvater meines Kollegen Hannes Soltau war überzeugter Nationalsozialist und kämpfte für Hitler in der Schlacht um Berlin, später organisierte er in der Bundesrepublik den Volkstrauertag und setzte sich für Versöhnung ein. Über den Krieg und seine eigene Schuld schwieg er wie so viele Großeltern in Ost und West. Die ebenso kritische wie berührende Spurensuche lesen Sie hier.
Telegramm
Wir starten hier mit drei schlechten Nachrichten aus Berlin:
Nicht gut fährt die Stadt derzeit mit den Berliner Verkehrsbetrieben. Sie schließen das Geschäftsjahr 2024 mit 56 Millionen Euro im Minus ab und warnen für 2025 sogar vor einem doppelt so hohen Defizit (Hintergrund hier). Unsereiner darf sich also auf steigende Ticketpreise einrichten – bei unverändert ausgedünnten Fahrplänen. Kein schöner Zug.
Ein weiteres Sparopfer des Senats bleiben die Schulen. Bis zu 1000 Plätze für praktisches Lernen fallen weg – und damit fast die Hälfte dieser Angebote für Kinder, deren Abschluss gefährdet ist. Die Schulen hatten eigentlich mehr dieser Plätze für das neue Schuljahr angemeldet – nun wird dieser Bedarf einfach von der Tafel gewischt.
Die Verdrängung des sozialen Berlins zeigt sich auch auf dem Immobilienmarkt. Die Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft, eine Institution der queeren Szene, braucht spätestens im Herbst eine neue Unterkunft. Die aktuelle Miete für die Vereinsräume an der Schöneberger Monumentenstraße soll sich fast verdoppeln. Wer kennt es nicht?
Nun aber kommen wir zu den guten Nachrichten:
In unruhigen Zeiten bleibt Berlin konstant, die beliebtesten Babynamen 2024 waren dieselben wie schon im Jahr zuvor: Mohammed und Sophia. Bei den Bübchen bleibt laut der Gesellschaft für deutsche Sprache auf Platz 2 und 3 mit Noah und Adam alles unverändert. Bei den Mädchen sprang Hanna von Platz 6 auf 2 und Emma von Rang 5 auf 3. Hauptsache gesund!
Berlin hat oft einen Vogel. Aber welchen genau? Das können Sie am Wochenende selbst herausfinden. Der Naturschutzbund lädt Freiwillige wieder zur alljährlichen Zählung des städtischen Gefieders ein (Mitmachen hier). Vergangenes Jahr machten 2000 fleißige Berlinerinnen und Berliner die Flatter und meldeten fast 36.000 heimische Vögel. Am meisten gesichtet wurden Haussperling, Star und Ringeltaube. Spatzenklasse!
Zum Schutz der Insekten gibt‘s gerade in vielen Berliner Gärten den mähfreien Mai. In der Staatlichen Schule für Ballett und Artistik in Prenzlauer Berg herrscht dagegen der nähfreie Mai. Damit das im Juni anders wird, werden neue Näherinnen und Näher für die Kostüme gesucht. Laut Ausschreibung dürfen sie neue Tutus und Trikots gestalten, Gewänder besticken und den Bestand pflegen. Verlangt wird neben einer abgeschlossenen Ausbildung als Näherin oder Änderungsschneider vor allem „Sorgfalt beim Anfertigen und Ändern“. Spitzenklasse!
Berlin sorgt schon für den Winter vor. Im Sockel des Steglitzer Kreisels wird gerade eine Kältehilfeunterkunft geplant, die noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen soll. Die Vorbereitungen befänden sich „in einer fortgeschrittenen, aber noch nicht finalisierten Phase“, heißt es vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. „Ziel ist es, die Situation obdachloser Menschen entlang der Schloßstraße zu verbessern, ohne neue Problembereiche zu schaffen“, schreibt das Amt auf FDP-Anfrage. Die Adler Group, Noch-Eigentümerin des Kreisels, habe ihre „Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ signalisiert. Ein erwärmendes Zeichen.
Das unterkühlte Wetter lädt ins Kino – und gerade lohnt sich der Ausflug in eine andere Welt besonders. Der beste Film der Berlinale, „Träume“ von Dag Johan Haugerud, hat den Goldenen Bären gewonnen und flimmert ab jetzt über Berlins Leinwände (Trailer hier). Er entblößt das innere Drama eines Schulmädchens, das sich in eine Lehrerin verliebt. Ihre unerfüllte Sehnsucht zeigt sich in halben Blicken, literarischen Bildern, schonungslosen Worten. Für Filme wie diesen sind Kinos erbaut worden. Damit wir uns mit allen Sinnen sehen können.
Zitat
„Man muss manchmal staunen, wie wirkungslos Argumente sind.“
Wilfried Seiring, Zeitzeuge der Berliner Schule, wird heute 90 Jahre alt. Im Interview mit Susanne Vieth-Entus spricht er über seine Erinnerungen an das Kriegsende, seine Zeit als Landesschulamtsleiter nach der Wende, indoktrinierte Lehrkräfte und Smartphones.
Kiekste

Diese „wechselwarmen, eierlegenden Kriechtiere“, vulgo Schildkröten genannt, wurden beim Anbaden im Schlosspark Charlottenburg beobachtet. Von Leser André Dusedeau. Merci! Weitere Bilder aus dem bislang ebenso eher wechselwarmen Berliner Mai gern an checkpoint@tagesspiegel.de! Mit Ihrer Zusendung nehmen Sie aktuell an unserem Kiekste-Fotowettbewerb in Kooperation mit DASBILD.BERLIN teil.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Ghadah Al-Akel (60), Schauspielerin und Synchronsprecherin, u.a. für Jennifer Lopez, auf der Bühne u.a. am Berliner Schillertheater / Nazan Eckes (49), Fernsehmoderatorin, u.a. „stern TV“ und „Extra – das RTL-Magazin“, 2023 hat sie in Berlin ein Benefizkonzert für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien moderiert / Carolin Kebekus (45), Kabarettistin („Die Carolin Kebekus Show“ in der ARD), im Juni mit „Shesus“ in der Uber Arena / Lars Lindemann (54), Politiker (FDP), bis 2024 MdB / Ulrich Matthes (66), Schauspieler („Der Untergang“), Grimme-Preis für seine Darstellung im Tatort „Im Schmerz geboren“, Ensemblemitglied am Deutschen Theater, bis 2022 Präsident der Deutschen Filmakademie / „Der ganz besonderen Mitbewohnerin Laura Theuer wünscht Hartmut einen tollen Geburtstag! Lass dich feiern und verwöhnen und dazu viel Erfolg im neuen Lebensjahr!“ / Sybille Waury (55), Schauspielerin, bekannt als Tanja Schildknecht aus der „Lindenstraße“
Nachträglich: „Heute feiern wir Herzschrittmacher unsere Altistin ANITA K. mit einem Ständchen.“
Sonnabend – „Meinem Herzensmensch und großer Liebe Jörg wünsche ich alles Gute zum Geburtstag. Marion“ / Roland Kaiser (73), Schlagersänger, spielt am 14./15. Mai in der Uber Arena / „Monika und Christian wünschen dir, lieber Reinhold, alles Gute, wir denken an dich“
Sonntag – „Allet Jute vom Stadtrand zum 40. lieber Felix!“ / Maria Lange (25), Fußballspielerin, beim 1. FC Union Berlin unter Vertrag / „Zum 38. wünschen wir Rabea von Herzen alles Liebe und nur das Beste! Bleib fleißig, stark und wunderbar eigen – ganz wie es sich für unsere liebste Ameise gehört! Mama, Papa und Roman“
+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie uns bis Redaktionsschluss (11 Uhr) einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++
Gestorben – Ulla Kauer, 22. Februar 1947, verstorben am 2. April 2025 / Helga Karweg, * 10. April 1938, verstorben am 28. März 2025 / Gisela Knauer (geb. Blüher), * 27. Juni 1945, verstorben am 13. April 2025 / Dr. Ahmad Rahimi, * 11. März 1937, verstorben am 24. April 2025
Stolperstein – Cäcilie Casper, geb. Rudermann (*1917), war verlobt mit Rudolf Casper. Als sie 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert werden sollte, schloss Rudolf sich freiwillig an. Am 9. Dezember 1941 heiratete das junge Paar im Ghetto. Am 9. Mai 1942 wurden sie in das Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort ermordet. An Cäcilie Casper erinnert ein Stolperstein in der Chodowieckistraße 10 in Prenzlauer Berg.
Encore
Junge, Junge! Das Erdferkel-Junge, das vor einem Monat im Zoo zur Welt kam, ist ein Mädchen. Frida statt Friedrich heißt die Kleine nun, und soll sich laut Zoo bisher „hervorragend“ entwickeln. „Der Name wurde streng demokratisch bei uns im Revier gewählt“, heißt es von Tierpfleger Peter Kalinke. Der erste gemeinsame Nachwuchs von Mutter Memphis und Vater Kito ist artgerecht nachtaktiv und bringt „mit ihren spontanen Nachbarschaftsbesuchen bei Springhasen und Co. das WG-Leben ordentlich durcheinander“. Richtije Berlinerin eben!
Mit uns durch die Stadt gestreift sind Isabella Klose (Recherche) und Thomas Friedrich (Archiv) sowie Antje Scherer (Stadtleben) und Jasmine Dellé (Produktion). Morgen ist Jessica Gummersbach für Sie unterwegs. Wir grüßen Sie!


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