Keine Woche hat es nach den Silvesterkrawallen gedauert, bis Politik und Öffentlichkeit sich im Abspulen altbekannter Reaktionsmuster verheddert haben. „Böllerverbot!“ fordern die, die sowieso gegen die Feuerwerke sind, „Body- und Dashcams!“ ruft Innensenatorin Spranger (SPD), als für die Sicherheitskräfte Zuständige natürlich an deren Ausstattung interessiert. „Failed state Berlin!“ hallt es derweil aus den Alpen (Söder im „Spiegel“: „wieder typisch Berlin!“; defund Berlin!, fordert CSU-Chef Dobrindt). „Brennpunkt Neukölln!“ nicken sich die zu, die sich an Rütli-Schule und Co. erinnern; „Migrationsproblem!“ meinendie, die nur auf den richtigen Moment gewartet haben, mit ihren Ressentiments Politik zu machen.
Ließe man all das beiseite, könnte die Silvestergewalt Anlass werden, endlich das eigentliche Problem zu besprechen – oder es gar zu verringern: die massive soziale Ungleichheit in Berlin und daraus resultierende Frustration. Die High-Deck-Siedlung, ein Gewalt-Schwerpunkt der Silvesternacht, ist zugleich der Kiez mit den berlinweit meisten Hartz-IV-Empfänger*innen (56,4 Prozent) – und der niedrigsten Wahlbeteiligung (48 Prozent, Datenanalyse hier). Es ist, als signalisierten die Menschen: Die Politik vertritt uns sowieso nicht. Die Silvester-Gewalt ist nicht zu entschuldigen. Aber das darf nicht dazu verführen, den Kontext der Geschehnisse zu ignorieren: Armut, Ausgrenzung, soziale Perspektivlosigkeit.