Ha, die Jugend von heute, bekanntlich faul, digital besessen, unpolitisch und ohne Glauben an irgendetwas, hat es mal richtig krachen lassen. Also wirklich krachen lassen mit Hammer und so – und (vermutlich) ganz ohne Drogen und Alkohol. In der Nacht zum 500. Thesenjubiläum haben Jugendliche an 300 evangelischen Kirchen der Stadt in ganz alter Luther-Manier (analog!) Thesen angeschlagen. 95 sind es zwar nicht, aber in der Kürze liegt ja bekanntlich der Pfeffer (und sonst reichen ja auch 140 Zeichen): In den 15 Thesen fordern die jungen Kirchgänger zum Beispiel eine verständlichere Sprache und mehr Spaß in der Kirche („Wer Spaß macht, steht meistens im Verdacht, nicht gottgefällig zu sein“). Außerdem sei die Evangelische Kirche ohne Visionen und „in ihren Strukturen gefangen, ohne sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu beschäftigen“. Da könnte auch die Berliner Verwaltung mal reinlesen (für Sesselpuper gibt’s hier alles natürlich auch online). Heute übergeben die Jugendlichen ihre Vorschläge an Bischof Markus Dröge. Na, hoffentlich heißt es am Ende nicht: Außer Thesen nix gewesen.
Was bleibt also von 500 Jahren Reformation? Ein Kirchenjahr, das die Erwartungen (besucherzahlenmäßig) nicht ganz erfüllt hat, trotzdem blickten gestern lauter beseelte Gesichter in die Fernsehkameras. Also warum nicht ein jährliches Ding daraus machen? Einen zusätzlichen freien Tag könnten wir hier als Letztplatzierte in der landesweiten Feiertagsverteilung (9 im Vergleich zu 13 z.B. in Bayern) doch ganz gut gebrauchen. Und der Luther ist doch einer, auf den man sich einigen kann. Überraschendes Ergebnis der "Abendschau"-Bürgerumfrage: Alle dafür. Auch Kultursenator Lederer findet: „Gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht auch Ruhepausen.“ Hauptargument dagegen ist übrigens, dass die Brandenburger (die bekanntlich immer frei haben am 31.10.) an dem Tag so viel Geld ausgeben in Berlin. Wenn Sie also gestern vereinzelt verwirrte Menschen mit Vorbauchschnalltaschen am Alex getroffen haben: Die hatten sich vermutlich im Jahr geirrt. Kommen Sie doch in 12 Monaten wieder. Wir sind dann wieder arbeiten.
Mit einem Pickup-Truck ist ein Mann gestern Abend in New York auf einen Radweg gefahren und hat mindestens acht Menschen getötet und viele weitere verletzt. Die Polizei geht derzeit von einem islamistisch motivierten Terroranschlag aus, der Mann habe Waffen bei sich gehabt und „Allahu akbar“ gerufen. In Deutschland konnten die Behörden offenbar einen größeren Terroranschlag verhindern: In Schwerin wurde ein Syrer festgenommen, der einen Bombenanschlag vorbereitete, mit dem Ziel „möglichst viele Menschen zu töten“. Der Mann hatte Kontakte zum IS und radikalisierte sich übers Internet. Er habe alleine in seiner Wohnung in einem Plattenbau gelebt und sich in religiösen Hass hineingesteigert. Wo der Anschlag stattfinden sollte, ist unbekannt.
Kreis bleibt Kreis. Nun also wirklich: Dietmar Woidke sagt die Kreisreform ab. Der brandenburgische Regierungschef verabschiedet sich vom zentralen Projekt seiner rot-roten Regierung, nach dem Aufstand aller Kommunalvertreter (auch aus der SPD), konnte er nicht mehr anders. Das heißt: Neben Potsdam bleiben auch die hochverschuldeten Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt/Oder kreisfrei, stattdessen plant Woidke nun eine mildere Verwaltungsreform ohne Zwangsfusionen. Die Gesetzesentwürfe werden vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen. Und wer soll nun schuld sein daran? Tagesspiegel-Kollege Thorsten Metzner schreibt: Mindestens SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz muss wohl gehen, möglicherweise auch der zuständige SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter. Woidke selbst hatte seine „Konsequenzen“ gerade noch rechtzeitig nicht als Rücktrittsdrohung missverstanden wissen wollen. Voran kommt er aber auch nicht mehr, bestenfalls dreht er sich noch: im Kreis.
Erst kürzlich war es wieder soweit. Alle zwei Jahre beschert der Mietspiegel vielen Berlinern vor allem eins: eine Mieterhöhung im Briefkasten (wenn die Post denn ankommt). Inzwischen weiß der erfahrene Mieter, dass es sich lohnt, genauer hinzugucken. Denn häufig versuchen es Vermieter einfach mal – und ziehen die Forderung schon nach dem ersten Einspruch schon wieder zurück. 1000 Verfahren hat die Deutsche Wohnen nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr gegen Mieter geführt, meist erfolglos. Weil das ja nervt und ziemlich teuer ist, versucht Berlins größter Vermieter nun vorm Verfassungsgerichtshof des Landes, den Mietspiegel abzuschaffen. Das könnte dramatische Folgen haben, auch für Altmieter. Bisher treffen die stark steigenden Mieten vor allem Neumieter, kippt der Mietspiegel, könnten die Vermieter bei allen anheben. Noch ist nicht klar, ob das Gericht die Klage annimmt. Es sieht aber eher gut aus – also schlecht für die Mieter.
Dass die Hubbelpiste A111 irgendwann saniert werden muss, ist seit Jahren bekannt. 2011 hatte der Senat beschlossen, die Pläne 2014 umzusetzen. Jetzt ist CDU-MdA Tim-Christopher Zeelen (der steht da offenbar häufiger im Stau) aufgefallen: Das ist ja schon vorbei! Antwort des Senats auf seine Anfrage: „Durch die angespannte Personalsituation in der Abteilung Tiefbau und die damit verbundene erforderliche Projektpriorisierung konnte die Planung der Maßnahme nicht fortgeführt werden.“ Aha. Und wann macht ihr das jetzt? „Derzeit läuft die Bauvorplanung. Geplant ist, dass daraus bis Mitte 2018 ein integriertes Verkehrs- und Baukonzept entsteht. Erste Baumaßnahmen auf der A 111 finden voraussichtlich nicht vor 2021 statt. Eine voraussichtliche Gesamtbauzeit lässt sich aktuell nicht seriös angeben.“ Heißt übersetzt: Dauert also noch ein bisschen und dann ein bisschen. Wahrscheinlich wartet man noch auf die Baustelle an der U6, die „nach 60-jähriger durchgehender Nutzung grundlegend saniert“ werden soll, es kommt zu Sperrungen zwischen den Bahnhöfen Borsigwerke und Kurt-Schumacher-Platz – also parallel. Geplante Umsetzung: 2020 und 21– also parallel. Wir wollten eh lieber in den Süden.
Telegramm
Man muss schon aufpassen, wen man sich einlädt. 18 Fensterscheiben haben Linksextremisten im Familienzentrum Adalbertstraße in Kreuzberg eingeworfen, die entsprechenden Pflastersteine fand eine Mitarbeiterin morgens im Gebäude. In der vergangenen Woche war ein Polizist zu einer Präventionsveranstaltung zu Gast gewesen – das hat den Herrschaften nicht so gut gefallen. „Angst, zentraler Pfeiler der herrschenden Gesellschaftsordnung, wird täglich von denen gesät, die ihre vermeintliche Sicherheit verkaufen wollen“, heißt es in einem wirren Bekennerschreiben, unterschrieben mit „Solidarität für Nero“. Der 22-Jährige hatte einen Polizeihubschrauber mit einem Laserpointer geblendet und war Mitte Oktober zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. Was der nette Kontaktbeamte damit zu tun haben soll, erklären uns die Solidarischen leider nicht.
Apropos wirre Mittelungen. Die Jungen Liberalen Berlin haben zu Halloween mal eine richtig gruselige Pressemitteilung verschickt. Titel: „Holt die Toten aus den Gräbern!“. „Zu Halloween werden wieder etliche Untote, Geister und andere Leichname durch die Straßen der Hauptstadt ziehen – obwohl sie das eigentlich nicht dürften“, heißt es da. Huch, ist Halloween heimlich verboten worden? Doch nein, haha: Die JuLis wollen das Bestattungswesen liberalisieren, also erlauben, die Asche mit nach Hause zu nehmen, auf Waldfriedhöfen zu bestatten, „aber auch alternative Bestattungsmethode wie Raketenbestattungen“ ermöglichen. Dazu der Landesvorsitzende Roman-Francesco Rogat: „Warum sollten Verstorbene bei ihrer letzten Ehrung nicht noch Sternenstaub kosten dürfen,statt auf einem Friedhof wortwörtlich ins Gras beißen zu müssen?“
Das geht ja schon allein deswegen nicht, weil die Friedhöfe ohnehin unter Nachschub an Toten leiden. Alle unter die Erde ist das Motto und am besten im Ganzen, damit sie schön viel Platz wegnehmen. Die Lösung dafür könnten nun aber Hund, Katze und Maus sein. Laut Bundesverband der Tierbestatter boomt nämlich das Geschäft, vor allem in Berlin. Immer mehr Menschen wollen sich gemeinsam mit ihrem Tier beerdigen lassen (Quelle: dpa). Mittlerweile gibt es dem Verband zufolge die ersten Friedhöfe, die Urnen von Mensch und Tier gemeinsam beisetzen. Umsatz: 20 Millionen Euro jährlich. In Berlin gibt es schon sechs Tierfriedhöfe, zum Beispiel den Bärliner (sic!) Tierfriedhof Steglitz. Bären werden hier jedoch seltener begraben, am häufigsten kommen Hund und Katze unter die Erde. Unterschied: Die Urne des Tiers darf auch auf den Kaminsims. Oder von mir aus ins Weltall.
Noch gruseliger ist nur, was sich kürzlich in der Charlottenburger Göthestraße abgespielt hat. Hier haben Anwohner in den vergangenen Tagen reihenweise überlegt, ob das was sie sehen, vielleicht an den Schnapspralinen zum Frühstück gelegen hat: Das „h“ auf den Straßenschildern war ein bisschen nach vorn gerutscht, 17 Schilder zwischen Steinplatz und Karl-August-Platz waren auf einmal zur „Göhtestraße“ geworden – ziemlich professionell überklebt. Anruf bei Constantin Film in München, zuständig für Produktion und Verleih des dritten Teils einer Komödie mit ähnlicher Schreibweise, die am Wochenende in Berlin Premiere feierte – keine Ahnung: Die für die Vermarktung zuständige Mitarbeiterin sei feiertagsbedingt abwesend. Die Aufkleber sind jetzt entfernt worden, Anzeige folgt. So schnell geht Berliner Verwaltung – bei den unwichtigen Dingen.
Also schnell wieder zu den wirklich wichtigen Dingen. Heute beginnt die Arbeit der Kältehilfe. Neuesten Berechnungen zufolge stehen für 4000 bis 6000 Obdachlose in der Stadt 1000 Schlafplätze zur Verfügung. Wenn Sie helfen wollen, finden Sie alle Informationen beim Kältenotruf. Der Kältebus der Stadtmission ist unter 0178/523 58 38 erreichbar.
Das ICC fällt jedenfalls als Notunterkunft aus, seit drei Jahren gammelt es vor sich hin, die Flüchtlinge, die dort zeitweise leben mussten, sind auch wieder ausgezogen. Dennoch will Wirtschaftssenatorin Popp nicht, dass das olle Kongresszentrum abgerissen wird, wie kürzlich der Aufsichtsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf vorgeschlagen hatte (CP von Montag). Geht nicht, sagt Pop, soll ja wieder genutzt werden, Überraschung: Als Kongresszentrum. (Q: "Morgenpost").
Nach Sturm „Herwart“ sollten heute alle Züge von und nach Berlin wieder fahren. Wenn das (wahrscheinlich) doch nicht so ganz klappt, beschweren Sie sich bitte direkt bei der Bahn. Liegt dann bestimmt am Wetter.
Apropos bei der Bahn beschweren. Gut gemeint aber ziemlich geschmacklos ist die Idee der Bahn, einen Zug nach Anne Frank zu benennen. Eigentlich eine schöne Sache: Die Bahn will ihre neuen ICE4-Züge nach berühmten Persönlichkeiten taufen, Konrad Adenauer soll dabei sein, Erich Kästner, die Geschwister Scholl und Dietrich Bonhoeffer. Anne Frank sei der am häufigsten eingereichte Name gewesen. Zynismus? Rechtsruck? Oder einfach nur ein Fall von: nicht nachgedacht, dass das jüdische Mädchen deportiert wurde und im KZ Bergen-Belsen starb? Die Anne-Frank-Stiftung kommentiert diplomatisch: „Die Namensgebung führt zu Kontroversen, und das verstehen wir gut.“ Wir auch. Bitte anhalten und umkehren.
Nachtrag in Sachen Feiertag: Da heute der 1. November ist, können wir langsam mit der Weihnachtsplanung beginnen. Hier kommt die gute Nachricht: In diesem Jahr fällt der Heiligabend auf einen Sonntag, Sie können also einfach im Schlafanzug am Weihnachtsbaum sitzen bleiben und schon zum Frühstück Punsch trinken, denn Sie müssen nicht zum Last-Minute-Shopping in die Mall. Supermärkte hätten zwar eine Ausnahmeregelung, die meisten wollen aber offenbar nicht mitmachen. So zum Beispiel Aldi, Rewe und Penny (Quelle: "B.Z."). Könnte doch recht besinnlich werden – wenn auch wahrscheinlich nicht am Sonnabend.
Weil Air Berlin bekanntlich nicht mehr ist, setzt die Lufthansa ab heute Jumbojets auf der Strecke Frankfurt-Berlin ein. Da die Airline bereits stündlich fliegt, ist eine Erhöhung der Kapazitäten nur mit größeren Flugzeugen möglich, in diesem Fall mit dem zweitgrößten Passagierflugzeug der Welt.
Die Boeing 747 wird aber nicht lange zu sehen sein (wahrscheinlich bis Ende November), denn, oh Wunder: Der Betrieb in Tegel ist auf Maschinen dieser Größe nicht ausgelegt. Und da Tegel bekanntlich ohnehin leicht überlastet ist (die letzte Bretterbude heißt hier inzwischen Terminal), müssen die Riesen so schnell wie möglich wieder weg. Andocken können die großen Maschinen ohnehin nicht, das heißt: 4 Busse, bibbern auf dem Rollfeld – und bitte nicht trödeln! In 50 Minuten muss der Jumbo wieder abheben. Deswegen bleibt auch das Oberdeck geschlossen. Checkpoint-Tipp: Einfach kurz warten, bis der BER fertig ist.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Wir empfehlen Euch daher, euch noch intensiver als ohnehin schon Gedanken zu machen, ob ihr für solch ein Unternehmen arbeiten möchtet oder vielleicht doch lieber auf einige Köder wie einen Welcome Bonus etc. zu verzichten und euer Glück bei einer seriöseren Firma zu suchen.“
Offener Brief angeblicher Eurowings-Mitarbeiter, die ihre Ex-Air-Berlin-Kollegen vor einer Bewerbung warnen (Quelle: "B.Z.")
Tweet des Tages
"Mumienkostüme kamen cooler rüber, als noch keine Blumen auf dem Klopapier waren."
Stadtleben
Essen, wo chinesische Esskultur auf deutsche Weintradition trifft: Laut Herrn Wu, Besitzer des Hot Spot, harmoniert insbesondere deutscher Riesling mit der Schärfe der chinesischen Küche. Kein Wunder also, dass sich das Restaurant nahe dem Kurfürstendamm durch seine große, sorgfältig zusammengestellte Weinkarte auszeichnet. Den kulinarischen Kultur-Clash genießt man hier übrigens am besten in Gesellschaft, in der man die fleischlastigen Klassiker wie Ente und Schweinebauch, oder vegetarische Aubergine nach Yuxiang-Art wunderbar teilen kann. Eisenzahnstraße 66, U-Bhf Adenauerplatz, täglich 12-22.30 Uhr.
Trinken im Café Klangwerk in der Kaiserin-Augusta-Straße 12 in Tempelhof, wo man getrost mal länger verweilen kann: Nach einem ausgiebigen Weltmusik-Frühstück (Schafskäse, Hummus, Oliven, Tomaten-Paprika-Creme und mehr. 5,90 Euro) einfach der Musik lauschen, sich unternehmungslustig auf die Spielsammlung stürzen, oder bei einem Caramell Latte (3,40 Euro) wärmen. Und wenn der wöchentliche Tatort die Gemüter erhitzt, hält das Musikcafé seine Pforten extra länger zum gemeinsamen Fernsehabend und Täterratenoffen. U-Bhf Kaiserin-Augusta-Straße, Mo-Fr 9-19 Uhr, Sa 10-19.30 Uhr, So 11-23 Uhr.