Dass in dem Jahr, in dem wir das Mauerfall-Jubiläum feiern, in Europa wieder Grenzen geschlossen und Freiheiten genommen werden, steht so gut wie fest. Am 29. März will Großbritannien die Europäische Union verlassen. Unklar ist allerdings noch, ob das Land den harten Austritt wählt oder sich auf ein Abkommen mit der EU einigt. Über den aktuellen Vertragsentwurf stimmt das britische Unterhaus heute ab: Deal or no Deal. Letzteres ist wahrscheinlicher. Die Brexit-Hardliner in den eigenen Reihen sind gegen das von Regierungschefin Theresa May ausgehandelte Abkommen, die Opposition ist zu großen Teilen gegen den Brexit selbst. Am Montag haben sich mehr als hundert EU-Parlamentarier mit einem Brief an die Briten gewandt. Ihr Anliegen: „Wir bitten, im Interesse der nächsten Generation, den Austritt zu überdenken.“
Welche Worte der Regierende Bürgermeister Michael Müller an die britische Regierungschefin hätte richten können, hat Kollege Malte Lehming in einem fiktiven Brief festgehalten. Ein Auszug: „Im September 2017 (…) stimmten die Berliner Wähler, parallel zur Bundestagswahl, über den Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel ab, 56 Prozent stimmten für den Weiterbetrieb, 42 Prozent dagegen. Auch dieses Referendum war rechtlich nicht bindend. Deshalb beschloss die von mir geführte Regierung, sich über das Ergebnis der Abstimmung hinwegzusetzen. Das führte, wie erwartet, zu vorübergehender Kritik, bisweilen auch zu Anfeindungen. Aber recht schnell ebbten die entfachten Leidenschaften auch wieder ab. (…) Vielleicht kann das von mir geschilderte Berliner Beispiel Ihnen und Ihren Landsleuten als Richtschnur dienen.“
Für britische Staatsangehörige, die in Berlin leben, bietet die Ausländerbehörde übrigens vorsorglich einen speziellen Service. Sie können Ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels online stellen (Link hier).
Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) hat am Montag die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung „Gute Arbeit in Berlin“ vorgestellt. Hier die Zusammenfassung der „teilweise (sehr) kritischen Bewertungen“: Amhäufigsten belastet die Beschäftigten der Zeitdruck. 55 Prozent der BerlinerInnen fühlen sich häufig gehetzt. 30 Prozent fühlen sich oft bzw. sehr häufig genötigt, Abstriche an der Qualität ihrer Arbeit zu machen, um ihr Arbeitspensum zu bewältigen. Mehr als 60 Prozent arbeiten am Wochenende. Nur 31 Prozent der Befragten gaben an, in hohem bzw. sehr hohem Maß Aufstiegschancen zu haben (Männer: 36 % & Frauen: 27 %). 42 Prozent finden, dass ihr Einkommen gar nicht oder nur gerade so ausreicht. 82 Prozent gehen davon aus, dass die erwartete gesetzliche Rente gar nicht oder nur gerade ausreichen wird. Fazit: Gute Arbeit ist noch nicht, kann aber ja noch werden.
Über besonders kritische Arbeitsbedingungen berichteten in der Umfrage übrigens Leiharbeiter. Passend dazu hat Eva Inés Obergfell, Vizepräsidentin für Lehre an der Humboldt-Uni, am Montag in der Kommission für Lehre und Studium erklärt, dass ab Februar im Grimm-Zentrum Leiharbeitsfirmen eingesetzt werden, um „den Service aufrecht zu erhalten“ (Q: AStA-Twitter). Dem Checkpoint bestätigte sie den „Testlauf“ zur „Überbrückung der Prüfungsphase“. Er soll vorerst auf drei Monate begrenzt sein. Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, wusste von den Plänen noch nichts, will das Thema aber am Freitag im Kuratorium der HU ansprechen.
In der Schwimmhalle am Thälmann-Park gibt es montags künftig keine Herren-Sauna mehr. Vor gut einer Woche wurde das einem Checkpoint-Leser laut eigener Aussage vor Ort so mitgeteilt: „Es gibt da nur noch Schwule! Die haben ja auch überall Sex! Auch vor Kindern! Überall … und wir müssen ‚das‘ dann auch noch wegmachen…“ Seine Antwort (er ist selbst homosexuell), solche Vorgänge noch nie erlebt zu haben, habe nur eine weitere Steigerung der Vorwürfe zur Folge gehabt. Den Vorfall will ein Sprecher der Berliner Bäder-Betriebe nicht bestätigen („Die Mitarbeiter sagen, das, was ihnen in der Beschwerde vorgehalten wird, nicht gesagt zu haben“). Dass der Männer-Sauna-Tag aufgrund etwaiger Beschwerden der Mitarbeiter abgeschafft wurde, allerdings schon („Ich kann es im Detail nicht darstellen, aber es waren Anzüglichkeiten"). Bis Ende des Monats soll es demnach einen gemeinsamen Sauna-Tag geben (+ weiterhin einen Frauen-Sauna-Tag). Sollten zu viele Beschwerden eingehen, würde man das Ganze noch einmal überdenken. Wer sich jetzt, zu Recht, beschweren will: service@berlinerbaeder.de.
Weiter geht’s mit dem allseits beliebten Thema „Wohnen“:
Die Koalition ist sich einig: Sie hält eine Rekommunalisierung von Wohnungsbeständen der Deutsche Wohnen für finanzierbar - und sinnvoll. Es geht, wenn man Müller beim Wort nimmt, um 51.000 ehemals landeseigene Mietwohnungen, die 2004 für 405 Millionen Euro an US-Fondsgesellschaften verkauft wurden – und seit November 2013 der Deutsche Wohnen gehören. Ja richtig, der Preis lag damals bei 7941 Euro pro Wohnung.
Die Frage, ob es sich im Landeseigentum tatsächlich besser lebt, hat Kollege Ralf Schönball übrigens geklärt. Das Fazit seiner Recherche: Glücklich ist, wer in einer der 310.000 landeseigenen Wohnungen lebt. Die Mieten sind günstig und die Verwaltung ist solide.
Die Berliner CDU fordert in Sachen „Wohnungsnot“ lieber Neubauten und kritisiert die Pläne von R2G. Christian Gräff, bau- und wohnungspolitische Sprecher: „Statt über Enteignungen zu diskutieren, hätte der Senat mit der Deutsche Wohnen darüber sprechen können, wie man zu stabilen Mieten kommen kann. Dass das nicht passiert ist und sich Michael Müller nicht klar von Enteignungen distanziert hat, ist ein klarer Fehler. Offenbar ist er getrieben von Grünen und Linken und handelt gar nicht mehr selbst.“
Stichwort Neubauten: Sie erinnern sich an die Jahresauftakt-Pressekonferenz von Michael Müller am vergangenen Freitag ? Ein wenig untergegangen ist da, dass der Regierende plötzlich nicht mehr von 20.000 Wohnungen sprach, die in Berlin jedes Jahr gebaut werden müssen (wie es der Senat bislang immer getan hat), sondern von 15.000. Kurz nachgefragt: „Der Regierende Bürgermeister hält weiter am Ziel 20.000 fest, sagt aber, dass es vor allem eine Verstetigung geben muss: Die Fertigungsstellungsrate hat sich seit 2012 kontinuierlich erhöht von 5.417 Wohnungen 2012 auf 17.000 Wohnungen 2017. Vergleichbar dynamisch ist die Situation bei den Baugenehmigungen.“ Rausreden für Fortgeschrittene.
Berliner Schnuppen

Telegramm
Platzprobleme gibt es in ganz Berlin, konkret aber auch im Bundeskanzleramt. Die Regierung will deshalb einen neuen Gebäudekomplex mit 400 Büros schaffen. Baubeginn soll in rund fünf Jahren sein, die Fertigstellung ist für 2027 geplant. Insider schätzen die Kosten auf eine halbe Milliarde Euro. Helikopterlandeplatz und Betriebskita inklusive. Zumindest Letzteres kann Berlin ja definitiv gebrauchen.
Die rechtsextremistische Identitäre Bewegung hat am Montagmorgen Parteibüros und mehrere Medienhäuser (auch in Berlin) mit Flugblättern plakatiert und eine Mitarbeiterin der taz angegriffen. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt. Dazu die treffenden Worte vom Berliner Regierenden: „Leute wie die Identitären wollen ein Deutschland, in dem die Freiheiten und Grundrechte nicht mehr gelten. Dem müssen sich alle Demokratinnen und Demokraten quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen entgegenstellen. Es geht um unsere Freiheit.“
Obwohl der Berliner Verfassungsschutz die Al-Nur-Moschee in Neukölln als Salafistentreff einstuft und wegen extremistischer Bestrebungen beobachtet, werden Kinder und Jugendliche dort unterrichtet. „Keine Erkenntnisse“ gibt es laut Senat über die Auswirkungen. Bezirksbürgermeister Martin Hikel fordert, endlich zu handeln: „Mitten in unserer Stadt könnte so die nächste Generation von Salafisten ausgebildet werden.“
Neues vom Gold-Gate-Prozess: Die Diebe der 100 Kilogramm schweren und millionenteuren Münze „Big Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum drangen über ein Fenster ein, dessen Alarmsicherung seit 2014 nicht in Ordnung war. Die Öffnungs- und Verschlussüberwachung sei zum Tatzeitpunkt „leider deaktiviert“ gewesen, sagte ein Mitarbeiter am Montag vor dem Landgericht.
Blick in die Pressemitteilungen: „Der Direktor beim Polizeipräsidenten Jörg Wuttig hat heute die Leitung der Polizeidirektion 5 übernommen.“ Was der Checkpoint am fünften Dezember vermeldete, ist jetzt also auch offiziell bestätigt.
Flüge gestrichen: An deutschen Flughäfen wird heute wieder gestreikt. Die gute Nachricht: Schönefeld ist nicht betroffen. Die schlechte: In Berlin-Tegel dürfte ein Großteil der 110 Flüge auf den Strecken nach Frankfurt am Main und München ausfallen.
Züge neu vergeben: Die Deutsche Bahn verliert ihr regionales Zugpferd. Der Verkehrsverbund Berlin Brandenburg nimmt ihr nach „MAZ“-Informationen mit dem RE1 die wichtigste Pendlerstrecke im Raum Berlin-Brandenburg weg. Den Zuschlag soll die Odeg erhalten. Es kommentiert Twitter: „Immer gute Nachrichten: Mehr Wettbewerb im Bahnverkehr. Da geht's in Zukunft vielleicht auch sitzend in die Heimat.“ „Oder sogar mit WLAN.“
Autos in der Energiewende: Im Herbst sollen in Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf Straßenlaternen mit Steckdosen für Elektrofahrzeuge installiert werden. (Q: rbb24)
Fahrradinvestitionen im Wert eines Weizenbiers: 3,80 Euro hat der Berliner Senat im vergangenen Jahr laut „Berliner Zeitung“ pro Berliner in den Radverkehr investiert.
Könnte Satire sein, ist aber real: Ein braunes Frühstücksei hat bei Instagram den Beliebtheitsrekord gebrochen.
Könnte real sein, ist aber Satire: Der Postillon meldet, dass die BSR in Berlin tausende öffentliche Abfalleimer durch Fahrradkörbe ersetzt, die auf fest verankerten Fahrrad-Attrappen angebracht sind. So soll erreicht werden, dass die Behälter von Berlinern und Touristen besser als Mülleimer erkannt und genutzt werden.
Außerdem: Frohe Weihnachten. Leserin Lydia Lange durfte gestern endlich das (vor drei Wochen) aus Köln versandte Paket bei DHL abholen (Benachrichtigung kam per Post). Drinnen waren vom Bruder selbstgebackene Plätzchen. Ihr Kommentar: „Glücklicherweise wird die Sorte „Berliner Brot“ immer besser, je älter sie ist...“ Wir freuen uns mit.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
"Für manche ist es ein Arbeiterviertel, in dem Rentner mit mageren Renten bequem in der Stadt bleiben können; für andere ist es ein lautes, kriminelles Ghetto, das unter Müllhaufen und weggeworfenen Möbeln versinkt; für andere wiederum ist es ein Spielplatz mit endlosen Möglichkeiten, wo die Lebenshaltungskosten relativ niedrig sind, und Touristen und Hipster die Tage in hochqualitativen Coffeeshops und die Nächte in modischen Bars verbringen können."
Die Aljazeera-Journalistin Sumi Somaskanda über Neukölln. Den ganzen Artikel „Not just horror and crime: Parallelworlds in Berlin's Neukolln” lesen Sie hier.
Tweet des Tages
"Ihr glaubt, 'leere Gesichter' sei nur eine Metapher? Dann setzt euch Montagmorgen mal in eine U3 Richtung FU Berlin."
Stadtleben
Will man die Qualität einer Sache bestimmen, ist ein recht zuverlässiges erstes Kriterium der Blick auf das Rohmaterial, denn was schon hier nicht stimmt, kann später kaum noch ausgeglichen werden. Das junge Capperi in der Pannierstraße 32 ist in dieser Hinsicht völlig erhaben – importiert es doch von italienischen Bauern selbst und beliefert auch manch andere qualitätsbewusste Küche der Stadt. Natürliche Küche, Weinkeller und Feinkost stehen auf der Karte, auf der ein mit „The Experience“ betiteltes Menü heraussticht: Oliven-Entree, Käse- und Wurst-Antipasti, Auberginen-Caponata mit Büffelmozzarella, Casarecce mit Tomaten, Kapern, Oliven, Tagliatelle mit Ragout, das Risotto des Tages und ein Dessert nach Wahl zu gelassenen 24,50 Euro, Weinbegleitung (3 Gläser) für 9,90 Euro. Tgl. 17-23 Uhr, nicht ganz nah am U-Bhf Schönleinstraße – aber wie heißt es so schön: nach dem Essen sollst du ruhen oder dir ein Taxi holen.
Der Craft-Beer Trend hat mittlerweile unzählige Bars der Stadt erfasst und verändert – die Biererei ist keine von ihnen. Denn hier sorgt der Menüposten Craft-Beer für kein i-Tüpfelchen auf der klassischen Getränkekarte, das zumindest den Anschein des Anschlusses an die Gegenwart beweisen soll, nein: es ist von Anfang an Fokus, Basis und Kernkonzept des Händlers. Aus seinem gigantischen Sortiment an Flaschen- und Fassbieren wird seit einiger Zeit eine rotierende Auswahl an die 19 (!) Zapfhähne im Keller gehängt und am wunderbar raumgreifenden Kennenlerntresen (weil man immer mit irgendwem ums Eck sitzt und den Augenkontakt gar nicht vermeiden kann) ausgeschenkt – willkommen zur Biererei-Bar mit Vintage-Cellar (der wohl wiederum den Anschein von Geschichte erwecken soll, aber Schwamm drüber). Geöffnet ist Mo-Mi von 16 bis 0 Uhr, Do-Sa von 15-2 Uhr, So von 18-0 Uhr in der Oranienstraße 185, U-Bhf Kottbusser Tor
Mit genau 15 Tagen Verspätung dieser Hinweis: Eine der besten Quellen für Perlwein aller Art ist das Maison des Champagnes. Bis 19 Uhr geöffnet, sollte man hier zu den meisten Abendessen mit Feierlaune auch in letzter Stunde noch einen passenden Tropfen finden – darunter Exquisites und Exorbitantes, aber auch Pragmatisches, so für die nüchterne Vernunftsfeier. Und bei Bedarf auch ganz ohne Perlen, also „nur“ Wein, in ebenfalls sehr guter Auswahl – siehe aktuelle Preisliste. All das zuzüglich mit allen Tropfen gewaschener Beratungsexpertise. Di-Fr 9-19 Uhr, Mo erst ab 11 und Sa nur bis 15 Uhr in der Motzstraße 17, U-Bhf Nollendorfplatz