Früher kamen Politiker nicht drumherum, sich beim Bürger als Kämpfer gegen die böse Bürokratie ins rechte Licht zu setzen. Heute lassen sie sich – zumindest in Berlin - dafür feiern, dass sie wieder in die Verwaltung investieren. Genau 1254 Vollzeitstellen zum All-inclusive-Preis von 60 Millionen Euro schafft die rot-rot-grüne Landesregierung in den zwölf Berliner Bezirken, nachdem es vor 16 Jahren unter Rot und Rot (ohne Grün) noch „sparen, bis es quietscht“ hieß. Schuldenstand damals übrigens 39,8 Milliarden, heute 58 Milliarden Euro.
Wer will, wer will, wer hat noch nicht? Es gibt einen weiteren Vorschlag wg. Kreuz auf dem Nachbau des Berliner Stadtschlosses. Die drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums haben deswegen via „F.A.Z.“ Zweifel angebracht. Besser: ZWEIFEL. In Großbuchstaben wollen sie das Wort an jener Fassade montieren, die nicht nach Hohenzollern-Disney-Schloss aussieht. Schließlich sei der Zweifel ein Kernelement der preußischen Aufklärung und schon immer ein Bewohner dieses Hauses gewesen. Moment, „Zweifel“ lasen wir schon einmal an der Stelle?! Klar, 2005 prangte der Schriftzug auf dem abrissbedrohten Palast der Republik, und das Ganze soll ja obendrein eine Reminiszenz an den ollen DDR-Bau sein. Aber ehe jemand meckert, der Palast hätte ja auch gleich stehen bleiben können, halten die Humboldt-Chefs natürlich am Christenkreuz fest (bildlich gesprochen).
CP meint: Das mit den Buchstaben ist jedenfalls sehr praktisch. Falls sich das mit dem „Zweifel“ eines Tages mal erledigt hat, kann man die Buchstaben einfach neu arrangieren. Im Wort Zweifel steckt zum Beispiel die „Lefze“ (Reminiszenz an „Erdmann“, Lieblingsdackel von Kaiser Wilhelm II.) oder der „Welfe“ (heiratete die Tochter von W Zwo). Und für sowas wie „Feile“ oder gar „Filz“ lässt sich doch bestimmt auch noch ein Bezug finden.
Wer an Sommertagen die unzähligen Grillfeuer in den Parks lodern sieht, mag folgende Nachricht kaum glauben: Die Berliner essen laut einer neuen Studie im Bundesvergleich am seltensten Fleisch. Demnach gaben nur sechs Prozent an, täglich Tierisches auf dem Teller zu haben. Im Land der Frühaufsteher Sachsen-Anhalt sind es gar 26 Prozent. Gefragt hatte, nein, nicht die Grüne Woche, sondern die Bundesvereinigung der Apothekerverbände. Die wollte wissen, wie es ums Gesundheitsbewusstsein der Deutschen steht. Bittere Pille für Brandenburg: Laut der Studie ist es das Land der Sportmuffel. Nur 19 Prozent treiben fast täglich Sport, bei den Spitzenreitern Schleswig-Holstein und Hamburg sind es 31 Prozent.
Es steht zu befürchten, dass es mit dem Sporttreiben in der Region noch schlimmer wird, wenn in Berlin womöglich auch sonntags alle Geschäfte öffnen (will die FDP). Schließlich fallen die Märker bereits jetzt scharenweise zum Shoppen ein, nur weil sie am Reformationstag frei haben, während die Berliner arbeiten müssen (außer dieses Jahr). Apropos einfallen: Im gestrigen CP gab’s ja die Bitte, doch mal Einfälle zum Für und Wider Sonntagsöffnung zu liefern. Hier schon mal eine kleine Auswahl, verbunden mit der freundlichen Aufforderung, doch fleißig weiter an checkpoint@tagesspiegel.de zu mailen. Tendenz unter den Zuschriften im Augenblick: 57 Prozent pro und 43 contra Sonntagsöffnung.
Bernhard Jahntz: „Ich finde es pervers, wenn jeder an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr einkaufen soll. Denkt denn niemand an die Menschen, denen wegen der unterdrückbaren Gelüste der Konsumberauschten der Ruhetag flöten geht, weil sie dann arbeiten müssen?“
Jens Dettloff: „Ich bin dafür. Starke Gewerkschaften und Kirchen gibt es in Schweden auch. Und trotzdem haben viele Geschäfte geöffnet. Wenn das dort geht, sollte das auch bei uns gehen, oder?“
Ursula Hardmeier: „Ich bin gegen noch mehr Sonntagsöffnungen und weiß gar nicht, was diese regelmäßigen Anträge alle paar Jahre sollen. Ist das als Zeichen dafür zu werten, dass es die FDP wieder gibt? Die Argumente sind sattsam bekannt, so dass mir nur dazu einfällt: Nicht schon wieder!“
Gabriele Decker: „Ich bin für die Öffnung. Schichtdienst gibt es auch in anderen Bereichen. Wer am Sonntag nicht shoppen kann, aber die Muße dazu hat, kauft jetzt im Internet ein. Das ist schlecht für die Einzelhändler. Wer in den Gottesdienst will, hat in der Regel jeden Tag die Möglichkeit.“
Ernst Ohl: „Sonntagsarbeit mit zusätzlichem Lohn (plus 100 Prozent) vergüten. Und die FDP-Klientel (Hausärzte) auch dazu verpflichten.“
Sabine Schiel : „Warum kann nicht jeder so machen wie er will? Jeder Ladenbesitzer weiß doch am besten, wann seine Kunden zu ihm kommen.“
Michael Bolien: „Ich bin sogar dafür, die Öffnungszeiten per se zurückzufahren. Sonntags nie und samstags nur bis 14 Uhr. Gebt den Menschen mehr Freizeit und Freiheit am Wochenende. Weniger Konsum, mehr Auszeit.“
Telegramm
War sie nun mehr Freiheitskämpferin oder mehr Sklavenhändlerin? Jedenfalls reißt die Kritik am Vorschlag einer Jury in Mitte nicht ab, im Weddinger Afrikanischen Viertel eine Straße nach Nzinga, der Königin von Ndongo und Matamba (lebte von 1583 bis 1663 im heutigen Angola), zu benennen. Anlass ist der koloniale Bezug des jetzigen Namens (wovon es berlinweit noch rund 70 gibt). Die zuständige Kulturstadträtin Sabine Weißler (Grüne) hat die Jury jedenfalls schon mal zum Nachsitzen aufgefordert. Falls das Gremium keine passende Königin mehr findet: In „Bunte“ oder „Gala“ steht bestimmt noch eine nette.
Erst hat Air Berlin ständig Pech, jetzt kommt auch Bushido dazu. Der Rapper, auch bekannt als schärfster Kritiker der Servicewüste Postfiliale Hindenburgdamm 1, hat sich die Fluglinie der Schokoherzen vorgeknöpft. Auf Instagram veröffentlichte er ein Video, in dem er sich beklagt, auf dem Heimflug von München in eine Ersatzmaschine von Alitalia verfrachtet worden zu sein. Nach dem Kameraschwenk über seine finster blickenden Begleiter beschwert er sich übers unfreundliche Personal, das sich obendrein eines schweres Vergehens schuldig gemacht hat: „Es wollte einfach unsere Taschen woanders hinpacken.“
Hunderte Berliner verdienen sich mit der Anerkennung von Vaterschaften offenbar einige Scheine dazu. Nach Recherchen des RBB zahlen ausländische Frauen bis zu 5.000 Euro an diese Männer sowie an Rechtsanwälte und Notare. Die Kinder erhalten so automatisch den deutschen Pass, die Mutter darf bleiben. Schon 2010 wies der Neuköllner Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) auf das Problem hin und warnte vor Millionenkosten für den Steuerzahler wegen dieser Scheinväter.
Die Berliner Polizei ist ein Kaliber für sich, bald hat sie auch die passenden Pistolen dazu. Das Polizeipräsidium hat den Kauf von 10.000 Dienstwaffen ausgeschrieben, mit der Option auf 14.000 weitere; die jetzigen sind teilweise im besten Polizeischüler-Alter. Achtung, potenzielle Lieferanten: Nicht vergessen, eine Erklärung gemäß Paragraf 1 Abs. 2 Frauenförderverordnung vorzulegen. Steht nämlich so in der Ausschreibung.
Links-Rechts-Extremist Horst Mahler hoffte in Ungarn auf einen sicheren Orbán-Hafen, nachdem er sich vor einer Haftstrafe, anzutreten in Brandenburg/Havel, dorthin geflüchtet hatte. Doch statt - wie erhofft - Asyl folgte die Festnahme. Und jetzt liefert Ungarn den 81-Jährigen auch an Deutschland aus.
Eine Auslieferung hätte womöglich beinahe der Berlinerin Irmela Mensah-Schramm gedroht – gemessen an der Energie, mit welcher die Aktivistin von der sächsischen Polizei und Justiz verfolgt wurde. Die Frau, mittlerweile über 70, übersprüht wo sie geht und steht seit Jahren rechtsextreme und rassistische Parolen, so auch vergangenen Herbst in Bautzen. Ein Polizist, der gerade nach dem Rechten schaute, zeigte die Bundesverdienstkreuzträgerin wegen Sachbeschädigung eines Fußgängertunnels und eines Stromkastens an. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Jetzt wurde das Verfahren eingestellt (Quelle: dpa).
Auch dieses Jahr bekommen Sie kein Urlaubsgeld? Dann können Sie sich zumindest darüber freuen, dass Sie zur armen Mehrheit gehören. Nur 42,6 Prozent der deutschen Arbeitnehmer erhalten das Extra – laut einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung.
Fast 30 Jahre ist es her, dass im „Gloria“-Palast nahe der Gedächtniskirche Filme liefen. Jetzt wird das Gebäude, in dem sich zuletzt ein Hotel und Läden befanden, abgerissen. Nach 20 Gutachten und dem Okay der Obersten Denkmalschutzbehörde verschwindet das einstige Berlinale-Kino. Mehr Nachrichten aus den Bezirken gibt es übrigens in den Tagesspiegel „Leute“-Newslettern – gratis unter dieser Adresse zu bestellen.
Berlin hat eine neue Europameisterin - in einer abgefahrenen Disziplin. Franka Sonntag gewann bei der Straßenbahn-WM auf Teneriffa (!) die Einzelwertung der Frauen. Unter anderem musste sich die BVG-Mitarbeiterin vom Betriebshof Lichtenberg in Zielbremsen und Tram-Bowling beweisen. Hoffentlich hatte sie einen Sponsor, der das Übergepäck fürs Sportgerät zahlte.
Und am Ende wird ein Film draus: Die Initiative „Like Berlin“ sammelt ja „BKenntnisse“, also kurze Berlin-Geschichten von Berlinern. Sie sollen dabei helfen, dass Berlin bei allen Veränderungen Berlin bleibt. Gestern gab’s im CP schon mal eine kleine Story, heute geht’s wie versprochen weiter: „Eine Frau um die 60 springt in die U-Bahn, kurz bevor sich die Türen schließen, und bleibt mit dem Rucksack hängen. Als ich ihr helfen will, dreht sie sich zu mir und sagt: ,Du hättest die Tür echt schon früher aufhalten können!‘“
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
"Meine Damen und Herren, ich kann es selbst kaum fassen, aber wir erreichen Berlin-Ostbahnhof heute 30 Minuten zu früh."
(Ansage im ICE, gehört von @nerdityourself)
Stadtleben
Das heimlichTreu liegt versteckt im zweiten Hinterhof der Anklamer Straße 38 (Mitte, U-Bhf Bernauer Straße). Lauschig mit Garten samt Bar im Grünen, doch nicht uneingeschränkt romantisch, denn die Musik erreicht in den ehem. Räumen des VEB Berlin-Kosmetik locker den Geräuschpegel einer Werkskantine. Das Interieur: lässiger Chic, angenehm ausgeleuchtet. Serviert wird Comfort Food zum Teilen (6-16 Euro), zwei Vorspeisen à la Pulpo mit Chorizo-Emulsion oder Nierenzapfen mit Schalotten und Kapernbeeren machen bereits satt. Für die Drinks (9-14 Euro) stand Curtain-Club-Barmanager Arnd Heißen Pate. Davon zeugen die übersichtliche Auswahl (10 Cocktails) und äußerst aromatische Ausführung. Achtung: Auch mittags eine gute Adresse! Mo-Sa ab 18 Uhr (Lunch Mo-Fr 12-14 Uhr)
Berlinbesuch Vor einer Woche schloss das Street-Art Mekka „The Haus“ in der Nürnberger Straße - mehr als 70.000 Besucher in zwei Monaten haben die temporären Arbeiten internationaler Künstler gesehen. Ziemlich gut und ziemlich schade, dass dafür bald die Abrissbirne kommt, aber die Macher wollen zukünftigen Investoren damit auch signalisieren: Wir halten uns an den Deal. Und: Gebt uns weitere Chancen für vergleichbare Zwischennutzungen. Street-Art muss in Berlin aber niemand vermissen, ganzjährig und zum Teil überdimensional groß prangt sie auf Brandschutzwänden und S-Bahnzügen – oder auf Hinterhöfen wie im Haus Schwarzenberg am Hackeschen Markt.