Berlin hat’s mal wieder auf einen beunruhigenden ersten Platz geschafft. Mit 23 Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen in sieben Tagen ist die Hauptstadt unter den Bundesländern Corona-Spitzenreiter. Zwei der drei Alarm-Ampeln zeigen erstmals Gelb. Viren-Hotspot ist Friedrichshain-Kreuzberg und der Prototyp des Virus-Trägers U-30, feierwütig und verantwortungslos. Es sind vor allem die jungen Menschen, die sich derzeit anstecken (weshalb die Zahl der Infizierten, nicht aber die der Toten steigt). Neben Kontakten im eigenen Haushalt wird „nachlässiges Freizeitverhalten“ als zweithäufigste Übertragungsursache geführt. Von Corona-Fällen mit bis zu 300 Kontaktpersonen ist in Xhain die Rede. „Davon sind dann aber nur noch 200 ermittelbar“, sagt Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Der Rest bleibt ein unberechenbares Risiko.
„Das Tempo der Neuinfektionen gewinnt an Fahrt“, sagte auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag im Gesundheitsausschuss. „Das ist ein Grund zur Sorge.“ Von internationalen Reisen in den Herbstferien (12. bis 26. Oktober) rät sie ab. Über eine berlininterne Verschärfung von Maßnahmen berät der Senat heute. Aus Koalitionskreisen heißt es allerdings, neue Auflagen seien zunächst nicht geplant. Es kommentiert Chef-Virologe Christian Drosten: „Wir müssen vordenken, sonst sind wir irgendwann zu spät. (…) Natürlich kann nicht jeder Einzelne immer das Ganze beeinflussen. Aber wer schon früh gewarnt wird, dass sich in 80 Kilometern Entfernung ein Stau aufbaut, kann jetzt schon mal überlegen, ob er einen Umweg nimmt.“ (Das gesamte doppelseitige Drosten-Tagesspiegel-Interview lesen Sie hier.)
Während Berlins Elternvertreter dem weiteren Pandemieverlauf mit Sorge entgegensehen (LEA-Vorsitzender Norman Heise: „Die Schulen sind nicht besser vorbereitet als im März.“) fällt der Schwimmunterricht an der Carl-Sonnenschein-Grundschule in Mariendorf bereits ins Wasser. Weil das Nichtschwimmerbecken im Ankogelbad gesperrt ist, hat man beschlossen, DrittklässlerInnen mit wenig oder keiner Schwimmerfahrung bis auf Weiteres vom Unterricht auszuschließen. Via Mail sei man über die Maßnahme informiert worden, sagt Matthias Bothe, Vater eines betroffenen Kindes. „Dort stand im ersten Absatz etwas von Handtuch mitbringen und den Mundschutz nicht vergessen, und dann ganz beiläufig im zweiten Absatz: Folgende Kinder können jedoch nicht teilnehmen. Und die wurden auch noch namentlich aufgezählt.“ Seine Tochter (& rund 20 andere) hätten dann frei. Das ist wie, „wenn einige Kinder der Klasse noch kein Englisch können und einige schon, und plötzlich sagen die Lehrer, ich arbeite aber lieber mit denen, die es schon können“. Von Seiten der Schulleitung heißt es auf Checkpoint-Anfrage: „Die Gefahr des Ertrinkens ist zu hoch. Ein sicherer Schwimmunterricht muss über allem stehen. Wie lange das geht, werden wir sehen.“
Sehr lange läuft schon das folgende Unendlichkeitsprojekt: Gregor Kijora (SPD) wollte deshalb vom Bezirksamt Pankow wissen, was die Gründe für die starken Verzögerungen beim Bau der Sporthalle an der Rheinhold-Burger-Oberschule sind (Vorbemerkung: „Das gesamte Projekt startete bereits vor über 10 Jahren. Aktuell ist dort eine Brachfläche zu sehen.“) Stadtrat Torsten Kühne (CDU) stellt fest, dass Bedarf und Wunsch „noch wesentlich älter“ sind und zählt dann die unendlichen Unwägbarkeiten auf: Zusätzlich zur Planungs- und Genehmigungsphase (fünf bis sechs Jahre) gab’s leider: schwere Bodenverhältnisse, unvollständige Leitungspläne, die Kündigung des Auftragnehmers, die Aufhebungsvereinbarung des Generalplanervertrages, keine Angebote für die Leistung „Wasserhaltung“, die Nachprüfungsverfahren bei der Leistung „Erd- und Verbauarbeiten /Gründung“ und die Erstellung einer neuen „Ausführungsplanung“ (weil die alte aufgrund „massiver Änderungen“ nicht mehr gültig war). Fazit: Derzeit kann „noch kein konkretes Fertigstellungsdatum“ benannt werden. Mini-BER.
Die Meldung „Lufthansa stellt Airbus A380 ein“ hat Checkpoint-Leser Christian Lüdtke zum Anlass genommen, um nachzufragen, ob das nicht „die Chance für den BER“ wäre, „die Eröffnung nochmals zu verschieben, damit das A380-passende Terminal wieder zurückgebaut werden kann?“ Flughafen-Sprecher Daniel Tolksdorf kann beruhigen: „Die Gates können trotzdem genutzt werden. Wir haben zwei Gates, wo der A380 besonders gut abgefertigt werden kann, mit zwei sogenannten ‚Fingern‘, von denen einer höher gefahren werden kann. An diese Gates passt aber auch jedes andere Flugzeug. Wir müssen nicht umbauen.“ Good News.
Time to say Goodfly: Zum Tegel-Abschied bietet die Agentur „Airevents“ am 07. November 2020 (voraussichtlich letzter Betriebstag) innerstädtische Sonderflüge an und damit „die einzigartige Möglichkeit, sich in würdiger Form vom ehrwürdigen Flughafen Berlin-Tegel zu verabschieden“. Viermal wird der von Eurowings gecharterte Airbus A319 abheben. Die einfache Strecke (BER-TXL) ist ab 88 Euro zu haben, den 45-minütige Rundflug (TXL-TXL) gibt’s ab 144 Euro, einen der allerletzten Abflüge (TXL-BER) ab 177 Euro. Fensterplatz und Sitzplatzreservierung kosten extra. „Light Catering“ (= Wasser) und ein Handgepäckstück bis 8 Kilo sind inklusive. Die Mindestteilnehmerzahl „ist bereits auf allen Flügen erreicht“. Ob die FDP-Fraktion gereicht hat?
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Taubheitsgefühle, Schmerzen in der Brust, Bluthochdruck und Diabetes: Ärzte diagnostizieren Christian F. Lebensgefahr – die Justiz tut nichts. Der Patient sitzt in der JVA Plötzensee und ist wegen Betrugs vorbestraft.
Telegramm
Kremlkritiker Alexej Nawalny meldet sich mit seinem ersten Blogbeitrag zurück. „Zwei unabhängige Labore in Frankreich und Schweden und ein Speziallabor der Bundeswehr haben Spuren von Nowitschok in und auf meinem Körper bestätigt“, schreibt er und fordert von den russischen Behörden die Rückgabe seiner Kleidung, die ihm vor dem Flug nach Deutschland abgenommen worden sei.
Erneute Schlappe für Rot-Rot-Grün: Nach den Pop-up-Radwegen ist die zweite Eilentscheidung gegen einen Senatsbeschluss gefallen. Das Verwaltungsgericht verbietet die geplanten verkaufsoffenen Sonntage am 4. Oktober und 8. November.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) will die durch die Corona-Krise gebeutelten Gastronomen in der kalten Jahreszeit unterstützen und denkt dabei auch über die (seit längerem) von der FDP geforderten Heizmöglichkeiten im Freien nach. Der zusätzliche Kohlendioxid-Ausstoß solle dann allerdings anderweitig ausgeglichen werden. Wir sollten „uns alle solidarisch mit der Gastronomie zeigen und beispielsweise mit einem autofreien Sonntag das CO2 wieder einsparen“.
Berlins Verkehrswende könnte aufs Wasser fallen. Die SPD Köpenick will Stau künftig mit Schiffen umgehen und fordert Linienboote von Wendenschloß/Grünau bis nach Mitte und Charlottenburg. Man spare nicht nur Nerven, sondern (Personenschiffe fahren 20-35 km/h) auch Zeit.
Am 1. Oktober übernimmt Eva Kreienkamp die BVG-Leitung und damit einen „kaputtgesparten Betrieb“, wie die Zeitung „nd“ schreibt. Aus Problemen mache die BVG meist ein Geheimnis. „Die ‚technische Störung‘,weswegen vom vergangenen Samstagnachmittag bis Sonntagmorgen zwischen Kottbusser und Halleschem Tor keine Züge fuhren, war eine Entgleisung. Am Samstag fuhr ein Zug am Kottbusser Tor im Wendegleis auf den Prellbock auf, der zweite Wagen sprang aus den Schienen.“ Wir spielen weiter. (Betriebsstörungs)-Bingo!
Die Checkpoint-Laufgruppe (garantiert betriebsstörungsfrei) geht auf Weltrekordjagd! Da der Berlin-Marathon in diesem Jahr ausfällt, laufen wir am kommenden Sonntag alternativ 2:01:39 Stunden um den Volkspark Friedrichshain und versuchen mehr Kilometer als Weltrekordhalter und Wunderläufer Eliud Kipchoge zu sammeln. Klingt unmöglich? Nicht als Team! Los geht’s um 10 Uhr am Märchenbrunnen, für Verpflegung sorgt SCC Events und der rbb schaut wohl auch vorbei.
Der norwegische Milliardär und Abenteurer Ivar Tollefsen steigt über den von ihm kontrollierten schwedischen Wohnungskonzern Heimstaden Bostad groß auf dem Berliner Immobilienmarkt ein. In „zentralen Lagen Berlins“ will er Euro 3.902 Wohnungen für insgesamt 830 Millionen Euro kaufen (wahrscheinlich Eigenbedarf).
Ein zeitgenössisches „architektonisches Highlight“ hat die Berliner Wohnungsmarktwundertüte gestern wieder ausgespuckt. 778,73 Euro warm für 37 Quadratmeter (zu sehen hier).
58 Euro kostet in Berlin eine Grundbuchauskunft – normalerweise. Seit gut einem Jahr wird allerdings nicht abgerechnet. Schuld ist ein Computervirus. Ursachen unklar. Mehr als 1,6 Millionen Euro fehlen.
Dafür gibt’s extra Ausgaben und zwar 4 Millionen. So hoch sind (Stand jetzt) an Berlins Schulen die Stornokosten für diesjährige Klassenfahrten, die das Land pandemiebedingt übernehmen will. (Q: Paul Fresdorf, MdA FDP)
Keine Hochzeit für Hochzeiten: Die Corona-Pandemie hat die Zahl der Eheschließungen in Berlin deutlich sinken lassen. Heirateten im ersten Halbjahr 2019 noch 6.088 Paare, waren es 2020 nur 5.147 Paare. Ganz Deutschland zählte 139.900. (Q: Statistische Bundesamt)
Das Projekt @wasihrnichtseht macht Rassismuserfahrungen von Schwarzen sichtbar. Wir machen das durch eine Kooperation an dieser Stelle auch.
Politisch motivierte Gewalt: Die Geschäftsstelleneingangstür der Grünen Marzahn-Hellersdorf ist am Montagmorgen eingeschlagen und mit weißer Farbe beschmiert worden. Die Kriminalpolizei ermittelt. Der Kreisverband teilt mit: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“
Ebenfalls am Montagmorgen hat ein derzeit unbekannter Mann gegen 4.45 Uhr zwei sechs bis acht Meter hohe Bäume in Weißensee ab- und zwei weitere so tief angesägt, dass die Berliner Feuerwehr sie fällen musste. Sägenmassaker Berliner Art. Die Frage bleibt: Warum?
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Vor fast 60 Jahren bekam ich im Kurs Verwaltungsrecht für Rechtsreferendare vom Kursleiter folgenden Rat mit auf den Weg: ‚Ein guter Beamter prüft zuerst seine Zuständigkeit und verneint sie.‘‘‘
Checkpoint-Leser Rainer Müller-Hannemann ergründet die Ursprünge des Behörden-Ping-Pongs.
Tweet des Tages
Friedrich Merz ist heute Morgen mit Christian Lindner aufgewacht. Aber nicht, was ihr jetzt denkt.
Stadtleben
Essen & Trinken – Unterhalb des Suhrkamp-Verlagshauses können Sie seit Anfang August im Remi schlemmen. Die beiden jungen Niederländer Lode van Zuylen und Stijn Remi eröffneten damit ihr zweites Restaurant in Berlin. Es steht für moderne europäische und saisonale Küche – zum schnellen Lunch, einem spontanen Glas Wein auf der Terrasse oder einem ausgedehnten Abendessen à la carte. Walk-ins sind jederzeit willkommen, für eine Reservierung geht es hier entlang. Di-Sa Lunch 12-15 Uhr, Abendessen 18-22 Uhr, Drinks 12-22 Uhr, Torstraße 48, Mitte, U-Bhf Rosa-Luxemburg-Platz
Das ganze Stadtleben – mit Tipps für Hochprozentiges und Reisen in die Zwanziger Jahre – gibt’s mit Tagesspiegel-Plus-Abo.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Robert Andrich (26), Fußballspieler beim 1. FC Union / Gerrit Behrens, „Endlich darf unser Lieblingssohn legal radioeins hören - Herzlichen Glückwunsch!“ / Klaas Heufer-Umlauf (37), Moderator, Schauspieler, Sänger, Fernsehproduzent / René Koch, „Alles Liebe und Gute dem großen Visagisten dieser Stadt und Frauenversteher für die Zukunft. Bleiben Sie weiter so aktiv und lebendig für die Schönheit. Herzlichst Eveline Harder“ / Christopher Lenz (26), Fußballspieler beim 1. FC Union / Sabine Lisicki (31), Tennisspielerin / Barnaby Metschurat (46), Schauspieler / Christian Ulmen (45), Schauspieler, Fernsehmoderator und Produzent / Friederike Unverzagt v. Ravenstein (53), „eine der besten Pyrotechnikerinnen Deutschlands, alles Gute zum Geburtstag, wünscht ihr großer Bruder Harald Unverzagt“
Sie möchten jemandem zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.
Gestorben – Hathumar Drost, verstorben am 7. September 2020 / Gertrud Köhler, * 18. April 1923 / Georgios Passadakis, * 19. November 1959 / Karlheinz Wuthe, * 16. Februar 1927, Senatsdirigent i.R., Dipl.-Ing. Architekt
Stolperstein – Isidor Weissbart wurde am 25. Februar 1870 im heutigen Kępno in Polen geboren. Am 31. August 1942 wurde er vom Anhalter Bahnhof aus nach Theresienstadt deportiert. Dort wurde er heute vor 78 Jahren ermordet. Zu seinem Gedenken liegt ein Stolperstein in der Karl-Marx-Straße 118 in Neukölln.
Encore
Happy autofreier Tag! Berlin beteiligt sich in diesem Jahr mit temporären Spielstraßen. Insgesamt drei Kilometer werden an zwei Dutzend Orten von 14 bis 18 Uhr gesperrt. Via Twitter kommentiert taz-Kollege Felix Zimmermann: „Das ist mindestens so fragwürdig wie am Muttertag 1mal Müll rausbringen. Lieber Regierende, liebe Verkehrssenatorin, lieber Verkehrsverwaltungssprecher, da geht mehr. Verkehrsampelphasen für Fußgänger verlängern & für rechtsabbiegende Sattelschlepper getrennt schalten... Für die Verkehrsverwaltung 1 kleiner Schritt, für alle ein Gewinn.“ Dazu Verkehrsverwaltungssprecher Jan Thomsen: „Ampelschaltungen ändern ‚1 kleiner Schritt‘. Ich lache hart.“
Mit harter Arbeit unterstützt wurde dieser Checkpoint von Vivien Krüger (Recherche), Sophie Rosenfeld (Stadtleben) und Florenz Gilly (Produktion). Morgen übernimmt Lorenz Maroldt und serviert Ihnen die Lacher des Tages. Machen Sie’s gut.
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