wir werden einander viel verzeihen müssen – diesen Satz hatte Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits zu einer Zeit gesagt, in der viele das Ausmaß der Pandemie kaum einschätzen konnten. April 2020: Als der ein oder andere schon schimpfte, dass die Politik zu schleppend agiert; als der Begriff „mütend“ allerdings noch nicht erfunden und eine leise Hoffnung auf baldige Besserung da war. Knapp 1,5 Jahre, viel Missmanagement und viel Leichtsinnigkeit später, überschreitet Deutschland eine traurige Marke, die sich nur schwer verzeihen lässt: Mehr als 100.000 Menschen sind – Stand 23.11. – an und mit Corona gestorben (Q: Zeit Online) Wie viele davon hätten verhindert werden können?
Die selbsternannte Aufbruchs-Ampel beginnt ihre Amtszeit am pandemischen Tiefpunkt. Noch heute sollen Koalitionspapier und Ressortverteilung vorgestellt werden. Gestern wurden die finalen Verhandlungen kurzzeitig unterbrochen, weil Bald-Kanzler Olaf Scholz sowie die Spitzen von FDP und Grünen zu Beratungen mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel zusammenkamen. „Wir haben eine hochdramatische Situation. Was jetzt gilt, ist nicht ausreichend“, hatte Merkel bereits am Montag gesagt. Sollten Bund und Länder sich doch noch für schärfere Lockdowns (für alle) aussprechen, müssten sie die entsprechenden Maßnahmen bis Mitternacht beschließen. Danach wären Änderungen – aufgrund des neuen Infektionsschutzgesetzes – erst wieder ab dem 9. Dezember möglich. Es kommentiert RKI-Präsident Lothar Wieler: „Wir müssen jetzt das Ruder herumreißen. Wir dürfen wirklich keine Zeit verlieren.“
Für Berlin gilt vorerst: Leise rieselt 2G. Der Senat hat sich am Dienstag auf einen weitestgehenden Lockdown für Ungeimpfte geeinigt. Wer gegen jeglichen Immunisierungsappell immun bleibt, muss ab Samstag auf Indoor-Sport, Erwachsenenbildung, Fahrschulen, Hotelbesuche und Weihnachtsshopping verzichten. Weihnachtsmärkte sollen – wo durch Einlasskontrollen möglich – ebenfalls unter 2G-Bedingungen stattfinden. Berlins Noch-Regierender Michael Müll (SPD) sprach sich am Abend erstmals für eine generelle Impfpflicht aus: „In der Situation, in der wir sind, sind wir durch die vielen Ungeimpften. (…) Ich glaube, wir werden um eine Impfpflicht nicht mehr drum herumkommen“, sagte er der rbb-Abendschau. Dazu die Zahl der freien Termine in den Berliner Impfzentren: null.
Andere Zahl: 200.000. So viele neue Wohnungen plant Rot-Grün-Rot bis 2030. Stadtquartiere sollen unter anderem in der Elisabeth-Aue in Pankow, am Zentralen Festplatz in Reinickendorf, in Tempelhof-Nord/ Marienhöfe und in Späthsfelde in Treptow entstehen. „Nicht angefasst“ wird das Tempelhofer Feld. Weitere Meldungen hat die SPD auf ihrer Webseite veröffentlicht. Wir zitieren: „Lorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit. Aenean commodo ligula eget dolor. Aenean massa. Cum sociis natoque penatibus et magnis dis parturient montes, nascetur ridiculus mus.“ Noch schöner wird’s da nur mit der Tagesspiegel-Zeile: „Enteignen, mieten, bauen: Wie Zigaretten-Diplomatie die Berliner Koalitionsverhandlungen gerettet hat.“ Den Text von Ralf Schönball, Sabine Beikler und Julius Betschka lesen Sie hier mit T+.
Was Berlin nach wie vor fehlt: Ein Held oder eine Heldin für’s Bildungsressort: „Ja, Bildung war in den letzten Jahren kein Thema, mit dem man einen Blumentopf gewinnen konnte“, konstatiert auch Landeselternsprecher Norman Heise. „Aber genau hier liegt die Chance, sich zu bewähren.“ Der Landeselternausschuss appelliert entsprechend an die Koalitionsverhandelnden, „in der Besetzung des Senatspostens für Bildung keine Kompromisse einzugehen, sondern hier die fachlich beste und geeignetste Person zu finden. Eine Parteizugehörigkeit ist dabei nachrangig“. Weil bisher keiner will, wollen wir an dieser Stelle Ihre Meinung wissen: Wem trauen Sie das Ressort zu? Und warum? checkpoint@tagesspiegel.de
Apropos Herausforderungen: Am Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow geht man mit denen ziemlich rigide um. Weil es seit Beginn des Schuljahres immer wieder Schmierereien in den Toilettenräumen gibt (u.a. das Antifa-Signet, „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“, „trans rights“ & „FUCK THE SCHOOL SYSTEM), hat sich Schulleiter Ralf Treptow mit einer außerordentlichen Information an die Elternschaft gewandt. „Diverse Meinungen, die das Schulleben mitgestalten, sind hier willkommen“, heißt es darin. Aber: „Schmierereien auf den Toiletten gehören nicht zur akzeptierten Mitteilungskultur.“ Treptow bittet darum, die Problematik „zum Gesprächsgegenstand in der Familie werden zu lassen“. Eine Selbstanzeige bei ihm sei noch „bis zum 29.11.21 um 12 Uhr“ möglich. Wer bis dahin nicht „den Arsch in der Hose“ habe, sich zu stellen, müsse mit anderen Konsequenzen rechnen: etwa einer polizeilichen Anzeige und einer einstweiligen Verfügung, die den Unterrichtsbesuch untersagt. Dazu der freundliche Hinweis: „Wenn die Eltern aller hier lernenden Kinder und Jugendlichen denken würden, dass das eigene Kind nicht Verursacher sei, dann täuschen (entsprechend der nunmehr vorliegenden Schriftproben) mindestens zwei Familien.“ Laut Schulhomepage handelt es sich beim Rosa-Luxemburg-Gymnasium um eine Schule „besonderer pädagogischer Prägung“.
Noch was Schönes: Märchen! Für das Crowdfunding-Projekt „Märchensofa“ haben sich 31 Sprecher:innen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen, um ihre liebsten Geschichten einzulesen. Hörfunkjournalistin Viola Gräfenstein hatte die Idee, die Sprecherdatei Berlin hat technisch unterstützt und jetzt ist das Ganze fertig: Vom 1. Dezember an, steht „das Märchensofa“ in Hörbuchform kostenlos als Download auf der Website www.maerchensofa.de zur Verfügung. Zusätzlich öffnet sich jeden Tag ein digitales Türchen mit einer Podcastfolge und einem Video. „Für Menschen in Altenheimen, Hospizen sowie für Kitakinder“, die in der Pandemiezeit „kaum oder gar keine Besuche“ empfangen können. Aber auch für alle anderen; für die kleinen Freuden zwischendurch.
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Telegramm
Jetzt 3Gilts: Von heute an müssen Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr genesen, geimpft oder getestet sein. Die entsprechenden Nachweise sind digital oder analog mitzuführen. Einzige Ausnahme: Schüler:innen und Kinder bis zum 6. Lebensjahr.
Kein Durchkommen gibt’s mit der Tramlinie 21: Fast täglich muss die Straßenbahn ihren Betrieb einstellen, weil zu viele Autos die Strecke blockieren. „Die Linienteilenstellungen sind in aller Regel meist im Berufsverkehr am Nachmittag unvermeidbar“, teilt ein BVG-Sprecher mit. Besserung ist erst 2022 in Sicht (T+).
Dauerhaft defekt sind auch die U7-Rolltreppen am U-Bahnhof Möckernstraße. Der Grund: „Eine komplette Erneuerung ist wirtschaftlich nicht vertretbar, da die beiden Fahrtreppen im Zuge des barrierefreien Ausbaus wegfallen werden.“ Wann das passiert? Keine Ahnung. Laut BVG ist der Prozess sehr „komplex“. Man befindet sich noch in der „technischen Machbarkeitsuntersuchung“.
Nächstes Problem, andere Lösung: Der Berliner Senat hat die Einrichtung einer „Expertenkommission Wahlen in Berlin“ beschlossen. Das 20-köpfige Gremium soll die Pannen vom 26. September systematisch analysieren, Probleme aufarbeiten und „Handlungsempfehlungen für die Durchführung künftiger Wahlen geben“.
„Ich bin in die Politik gegangen, um etwas für meine Visionen zu erreichen und nicht, damit ich mich ständig mit so etwas herumschlage“, sagt Berlins jüngste Abgeordnete Klara Schedlich und meint damit die mehrfachen Angriffe auf ihr Büro in Reinickendorf. Was sie außerdem sagt: „Jetzt erst recht, jetzt ist Präsenz wichtig.“
Wenn es eine Serienrolle gibt, mit der einen halb Deutschland kennt, dann hatte sie der griechische Schauspieler Kostas Papanastasiou. Im deutschen Fernsehen wurde er als „Lindenstraßen“-Wirt Panaiotis Sarikakis bekannt“. Im „echten“ Leben führte er das Alt-68er-Lokal „Terzo Mondo“ in Charlottenburg. Nun ist Papanastasiou im Alter von 84 Jahren gestorben.
Kurzer Blick ins Ausland: Als erste Stadt der Welt will Seoul bis 2030 eine 3-D-Simulation schaffen, in der alle administrativen Vorgänge abgewickelt werden können. Man stelle sich das gleich mal für Berlin vor – IT-Ausfall beim ITDZ (so wie gestern) und man bleibt tagelang im virtuellen Bürgeramt stecken.
Aber hey: Auch in Berlin geht’s digital voran. Die HTW vergibt die „Erneuerung bestehender Medientechnik und Erweiterung um Videokonferenzfunktionalitäten in einem Seminarraum“ zur Hybridlehre.
Und gleich noch eine Ausschreibung: Reinickendorf sucht ein Unternehmen, das „Strahl- und Beschichtungsarbeiten für eine überarbeitete und ergänzte historische Stehanstalt“ ausführt. Ja, wir haben uns dann auch gefragt, was um Himmels Willen das ist. Google sagt: Berlins historische Pissoirs. Wieder was gelernt.
Stichwort neue Erkenntnisse: „Warum ist es in Berlin so oft so bewölkt“, wollte eine Userin von der Reddit-Community wissen. Die drei logischsten Erklärungen: „Gottes Strafe für unseren dekadenten Lebensstil“, „Nee, Gott liebt uns, will uns sicher aufbewahren und packt uns deshalb in eine Tupperbox“ und „Shisha-bars in Neukölln“.
Zitat
„Tut mir leid, ab Sachsen dürfen Sie im Bordbistro am Platz nichts mehr bestellen – erst in Lutherstadt Wittenberg dann wieder.“
Durchsage im ICE nach Berlin; Peak Föderalismus (Q: Lisa Altmeier)
Tweet des Tages
‚Ach guck, der Lauchmann!‘ ‚Bitte?‘ ‚Bei uns im Laden sind Se der Herr Lauchmann.‘ ‚Aber das sind Karotten.‘ ‚Is egal. Lauchmann bleebt Lauchmann.‘ ‚Und wieso heiß ich so?‘ ‚Quatschen se mir nich voll. Muss arbeiten.‘ Netto am Leopoldplatz im Wedding. Immer wieder ein Erlebnis.
Stadtleben
Essen – Shopping-Schlendergänge durch Mitte schlauchen mitunter. Und manchmal muss das Essen ja gar nicht posh, prämiert oder von Prominenz kredenzt sein. Ab morgen geöffnet, finden Sie im Oukan einen entspannten Ort, der Achtsamkeit und Ausruhen groß schreibt. Gastronom Huy Thong Tran Mai, Geschäftsführer Trung Le, Culinary Director Martin Müller und Unternehmer Dr. Erik Spickschen haben ein japanisch und buddhistisch inspiriertes sowie auf ausschließlich pflanzenbasierte Küche fokussiertes Refugium der Ruhe geschaffen. Tische lassen sich hier reservieren, für das passende Tee-Pairing wird gesorgt. Dienstag bis Samstag von 18 bis 23 Uhr in der Ackerstraße 144, M8 Pappelplatz
Das ganze Stadtleben gibt‘s mit dem Tagesspiegel-Plus-Abo.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – „Für Arno Barner, mit besten Wünschen von Nina“ / Klaus Bugdahl (87), ehem. Radrennfahrer / „Peter Knoth, 75, beste Gesundheit (für unseren immer aktiven Wahlberliner) wünschenagh Mo, Karo & Karla“ / Bettina König (43), für die SPD im AGH / Franziska Konitz (35), Judoka / „Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Prof. Ludger Pesch und ein Hoch auf viele fröhliche PFH-Arbeitsstunden!“ / Ilja Richter (69), Autor, Schauspieler und Synchronsprecher / Anja Tuckermann (60), Autorin und Journalistin
+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++
Gestorben – Hannelore Dreimann, * 26. Februar 1940 / Jürgen de Haas, * 15. März 1943 / Volker Lechtenbrink, * 18. August 1944, Schauspieler / Lutz Tempelhagen, *18. Februar 1953 / Klaus Wüsthoff, * 1. Juli 1922, Komponist / Gerhard Zettler, * 27. März 1955
Stolperstein – Die im schlesischen Głogów geborene Berta Nelson (Jg. 1871) wohnte gemeinsam mit ihrem Mann in der Amsterdamerstraße 14 in Wedding. Mit dem „II. Transport“ am 24. Oktober 1941 wurde sie nach Łódź deportiert, wo sie einen Monat später ermordet wurde. Sie wurde 70 Jahre alt.
Encore
Zeitreise zum Schluss: „Günstige Wirkung der Impfaktion: 650.000 Berliner sind bereits geimpft“ lautete am 26.09.1945 eine der Schlagzeilen in der von der Sowjetarmee herausgegeben Zeitung „Tägliche Rundschau“. „Tagesgespräch in Berlin ist immer wieder das Impfen“, hieß es darunter.
„Also das sag‘ ich dir, alles tut mir weh!“ –
„So? Bei mir war nichts, ich hab‘ überhaupt nichts gespürt.“ –
„Aber ich! Ich hatte sogar Fieber.“
Die Frage, wie weit man mit „dem großen Impfen“ sei, kommentiert Dr. Franz Pfabel, Dezernent für Seuchenbekämpfung beim Hauptgesundheitsamt der Stadt Berlin wie folgt: „Als wir Ende Juli zum erstenmal größere und steigende Zahlen von Fällen der Typhuserkrankung vor uns hatten, haben wir an Stelle der freiwilligen die pflichtmäßige Impfung angesetzt, um schneller vom Fleck zu kommen. Heute haben wir zum erstenmal einen Stillstand und eine Senkung der Erkrankungsziffer feststellen können.“ Mit Dank an Checkpoint-Leser Johann Sauer fürs Fundstück!
Meldungen für diesen Checkpoint gesucht und gefunden haben dieses Mal Juliane Reichelt (Stadtleben) und Matthieu Praun (Recherche). Lionel Kreglinger (Frühschicht) hat sie in Ihr digitales Postfach gebracht. Morgen übernimmt hier Julius Betschka. Kommen Sie gut durch!
Ihre Ann-Kathrin HippBerlin braucht guten Journalismus!
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