frostige Zeiten sind das – aber frustig wollen wir sie natürlich nicht werden lassen. Deshalb beginnen wir hier mit einem kleinen Gruß aus der Kirche. Der einstige Pfarrerssohn, Bauingenieur, Gärtner und Schriftsteller Heinrich Seidel hat vor mehr als 100 Jahren in Berlin der Grauheit des Novembers ein buntes Gedicht entgegengesetzt, das wir heute wieder gut gebrauchen können:
„Solchen Monat muss man loben: /
Keiner kann wie dieser toben, /
keiner so verdrießlich sein /
und so ohne Sonnenschein! /
Keiner so in Wolken maulen, /
keiner so mit Sturmwind graulen! /
Und wie naß er alles macht! /
Ja, es ist ′ne wahre Pracht.“
Herbstlich Willkommen im Berliner Vorwinter!
Am langen Mauerfall-Jubiläums-Wochenende ging im Party-Feuerwerk fast ein Paukenschlag unter. Der Berliner Schriftsteller Marko Martin hielt bei der Feierstunde im Schloss Bellevue eine nahezu revolutionäre Rede, mit der er die gesamtdeutschen Lebenslügen in Bezug auf die osteuropäische Freiheitsbewegung offenlegte. Hausherr Frank-Walter Steinmeier, den Martin in seiner Rede wegen dessen jahrelang russlandfreundlichen Kurses als SPD-Außenminister auch persönlich kritisierte, verlor danach die Fassung und ging nach Augenzeugen-Berichten Martin persönlich an, dieser habe keine Ahnung, wie Außenpolitik funktioniere. Marko Martin hatte in der DDR den Kriegsdienst verweigert, wurde mit einem Hochschulverbot belegt und reiste noch vor dem Mauerfall in die Bundesrepublik aus. Im Checkpoint-Interview spricht der 54-Jährige, der sich auch gegen Antisemitismus engagiert, über die Reaktionen und seine Beweggründe.
Herr Martin, haben Sie sich schon vom Schlagabtausch mit dem Bundespräsidenten erholt?