Bewölkt und mild bei maximal 23 °C. Möglicherweise mit Schauern

Seebrücken-Sprecherin im InterviewPassagierzahlen an Berliner Airports steigen deutlichWie Michael Müller die Zukunft der Sozialdemokratie sieht

der Wunsch nach Mobilität durch Luftverkehr ist ungebrochen, hatte Ralph Beisel vom Flughafenverband ADV kürzlich gesagt. Die am Freitag von der Flughafengesellschaft veröffentlichten Zahlen zeigen: Das gilt auch für Berlin. 17,5 Millionen Ankommende und Abreisende wurden in den ersten sechs Monaten 2019 in Tegel und Schönefeld gezählt. Ein Plus von fast 12 Prozent. Von der seit Monaten diskutierten „Flugscham“ keine Spur. Man ist luftwärts unterwegs. Auch im Inland. Wenn schon der BER nur Negatives bringt, so ist zumindest diese Nachricht für Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup eine gute: „Die Hauptstadtregion ist und bleibt eine hochattraktive Destination. Wir blicken auf ein sehr erfolgreiches erstes Halbjahr zurück.“ Verdrängt man Baustelle und Kofferchaos, kann man das so sehen.

Man kann aber auch kurz das Internet anschmeißen und den allzeit beliebten Vergleich machen. Würde ich heute früh spontan nach Frankfurt reisen, hätte ich folgende Optionen: Flug mit der Lufthansa, 1h10, 109 Euro / Bahnticket, 4h7, 138,50 Euro – und fairerweise steht die Bahn in diesem speziellen Vergleich noch ganz gut da. Wer jetzt bucht, schafft es ab Schönefeld auch für 11,99 nach Budapest, für 13,99 nach Köln und Venedig und für 17,99 nach Banja Luka, London, Mailand oder Toulouse in den Last-Minute-Sommerurlaub.

Telegramm

SPD-Neuanfang, Klappe die Fünfundfünfzigste: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat seine Partei dazu aufgerufen, „ab sofort“ mit der Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm zu beginnen. Die SPD müsse wieder „zu dem Thinktank werden, der die Partei in vergangenen Zeiten des Wandels immer erfolgreich sein konnte“, schreibt er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Die Themen, die Müller für besonders wichtig hält: die staatliche Regulierung der Daseinsvorsorge in Bereichen wie Wohnen, Gesundheit, Energie und Verkehr. Dazu der Kampf gegen Klimawandel und Artensterben. Die Agenda 2010 und Hartz IV will er außerdem durch eine „Agenda 2030“ ersetzen, die gute Arbeit auch in einer digitalen und automatisierten Welt garantiere.

Fernab von Zukunftsvisionen kann sich der Regierende in der Realität zumindest über folgende Meldung freuen: Nach jahrelangen Querelen und Unsicherheiten wird das Berliner Institut für Gesundheitsforschung in die Charité integriert. Vom Bund gibt’s eine Förderung von 75 Millionen Euro pro Jahr. Ein wegweisender Beschluss für den Gesundheits- und Forschungsstandort Berlin. Richtung: Weltspitze.

Weltspitze in Sachen Kuriosität: Berliner Drogenfahnder haben 525 Hanfpflanzen geerntet – auf einem Grundstück des Landes Berlin am Rande des großen Müggelsees. Auf Nachfrage teilte die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH mit, es handele sich um ein „kleines Erholungsgrundstück im Bezirk Treptow-Köpenick, welches eingebettet zwischen Einfamilienhäusern liegt und vermietet beziehungsweise verpachtet ist“.

Wer in Berlin Straftaten begeht, hat nicht viel zu befürchten. Der Rechtsstaat sei „in Teilen nicht mehr funktionsfähig“, sagte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, bei „Markus Lanz“, und mit Blick auf die Verbrecher: „Die lachen uns aus.“ Stabiles Internet gebe es nicht. Beweise würden jahrelang nicht ausgewertet und 8500 Haftbefehle seien nicht vollstreckt. Die Senatsverwaltung konnte diese Zahl am Freitag nicht mehr bestätigen. Gelacht hat da wahrscheinlich keiner.

Neue Wendung im Fall „Fabien Martini“: Neben fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit am Steuer wird dem Polizisten Peter G. nun auch der Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhobenwas eher ungewöhnlich ist. In der Regel gilt: Der Tatvorwurf, der weniger ins Gewicht fällt als der ohnehin schon bestehende, wird beiseitegelegt oder dem Verfahren, das schwerer wiegt, zugefügt. Auch weil die Justiz überlastet ist.

Ganz viele Stimmen: Das Berliner Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienkonzernen hat erfolgreich die erste Hürde genommen. Von den 77.000 Mitte Juni übergebenen Unterschriften hat die Berliner Innenverwaltung 58.307 für gültig erklärt – knapp dreimal so viele wie benötigt.

Ganz viel Liebe: 2540 gleichgeschlechtliche Paare haben sich in Berlin seit der Einführung der Ehe für alle das Ja-Wort gegeben. Happy wedding, happy pride.

Damit die Liebe nicht warten muss: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sucht eine „Sachbearbeitung Standesamt als Stadtoberinspektorin/ Stadtoberinspektor“ (Q: Amtsblatt).

Er war Stern-Chefredakteur, Checkpoint-Leser der ersten Stunde, „witzig, frech, direkt, warmherzig. Immer warmherzig“, wie Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff und Checkpoint-Chef und Chefredakteur Lorenz Maroldt in einem Nachruf schreiben. Ende Juni wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, in der Nacht zu Freitag ist der Journalist Michael Jürgs nach langer Krankheit gestorben. Zur Verleihung selbst konnte er nicht kommen, seine Antwort bleibt ein Vermächtnis:

„Den Feinden der Demokratie, auf der Straße oder im Netz, ist zu begegnen mit aller Macht des Staates, aber auch mit unseren eigenen Waffen – Wörtern und Worten. Die werden gelesen. Analog wie digital. Lokal wie regional wie überregional. Wir sind Volkes Stimme. Nicht die anderen. Und wir sind die Mehrheit.“

Sachsen gegen rechts I: Der Landeswahlausschuss hat formale Unstimmigkeiten gefunden. Die AfD muss ihre Kandidatenliste für die Landtagswahl von 61 Kandidaten auf 18 kürzen. Fürs Geschichtsbuch halten wir fest: Gescheitert an der deutschen Bürokratie.

Sachsen gegen rechts II: Die Landesliste der rechtsextremistischen Partei „Der dritte Weg“ wurde nicht zugelassen.

Sachsen gegen rechts III: Der sächsische Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) erwägt ein Pegida-Verbot. Völlig unverhohlen und vor laufender Kamera hatten Demonstranten der Organisation über den Mord an Walter Lübcke gespottet. Er sei ein „Volksverräter“ gewesen, ein Mord, „alle zwei, drei Jahre, aus irgendwelchen Hass-Gründen, relativ normal“. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt.

Die Kapitänin der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch, Carola Rackete, will den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Verleumdung verklagen. Es sei, wie mit einem Eimer den Sand aus dem Meer zu schaufeln, sagte ihr Anwalt. Aber es gehe darum, ein Zeichen zu setzen.

Berlins Beteiligung an der EU-Wahl steht jetzt auch amtlich fest: 2.508.435 Wahlberechtigte, 1.520.678 Wähler, 13.321 ungültige Stimmen (Q: Amtsblatt). Ergibt laut „Mathe lernen mit dem Checkpoint“ ein Europaparlament, dass sich am liebsten mit den eigenen Institutionen und Personalien beschäftigt.

Europa muss Probleme lösen, damit die Welt nicht noch mehr aus den Fugen gerät“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) treffenderweise (Q: Augusburger Allgemeine Zeitung). Recht hat er.

Ein Wort zum Porto von Kollege Gerd Appenzeller: Auf dem Postamt Tegel in der Grußdorfstraße gab eine freundliche Postlerin am Schalter den Tipp, man könne ja auch mit 5-Cent-Marken das Porto auf die 80 Cent aufrunden. „Ich habs gemacht und 40 Marken zu 5 Cent gekauft ...“

Ein Wort zu Spätis von Checkpoint-Leser Manfred Füger: Er war kürzlich an einem Sonntagvormittag tanken –  und der einzige in einer langen Schlange von an der Kasse Anstehenden, der getankt (nur getankt!) hat. Alle anderen machten ihren Sonntagseinkauf, Wartezeit: 10 Minuten. „Da wird doch mit zweierlei Maß gemessen – die 'Tanke' macht den Reibach zu Lasten des 'Späti'.“

Politikpersonalie: Ende Juli wird die Grünen-Abgeordnete Anja Schillhaneck nach 13 Jahren im Abgeordnetenhaus ihr Mandat niederlegen. Sie sagt: „Es war einfach die Luft raus.“

Sportpersonalie: Ich persönlich fand Neven Subotic ja schon cool, als er noch 05er war. Jetzt wechselt der Innenverteidiger zu Eisern Union. Zehnter Neuzugang für die Aufsteiger. Er sagt: „Ich freue mich sehr auf das Abenteuer.“

Durch­gecheckt

Durchgecheckt

Nach dem Fall Carola Rackete ruft das Bündnis Seebrücke am heutigen Samstag deutschlandweit zu Demonstrationen für die Rechte von Geflüchteten auf. Mitorganisatorin und Sprecherin ist Liza Pflaum. Foto: @vilmapflaum

Am 29. Juni wurde die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete verhaftet, das Bündnis Seebrücke hat daraufhin den „Notstand der Menschlichkeit“ ausgerufen. Rackete ist mittlerweile wieder frei. Wie sieht es mit dem Notstand aus?

Der gilt auf jeden Fall immer noch. Dass Rackete wieder frei ist, ist großartig. Abgesehen davon ist nichts okay. Die Menschen ertrinken weiter. Erst gestern Morgen hat die deutsche Organisation Sea Eye 65 Menschen vor der libyschen Küste gerettet. Der Notstand muss bestehen, bis eine europäische Lösung gefunden wird – und das ist bislang nicht absehbar. Aktuell zählen politische Machtkämpfe mehr als Menschenleben und die Nationalstaaten ziehen sich aus der Verantwortung. Deshalb fordern wir zumindest von der deutschen Bundesregierung ganz klar, dass sie sich bereiterklärt, bis auf Weiteres alle aus Seenot geretteten Menschen aufzunehmen. Es braucht jetzt einen aktiven Schritt nach vorne.

Rund drei Viertel der Bundesbürger finden es einer aktuellen ARD-Umfrage zufolge gut, dass private Initiativen Flüchtlinge retten (Q: ARD). Mit dem Bündnis Seebrücke demonstrieren am heutigen Samstag in 90 Städten Menschen gegen das Sterben auf dem Mittelmeer. Welche Chance hat die Zivilgesellschaft, tatsächlich etwas zu bewegen?

Ich denke, die Zivilgesellschaft ist in dieser Debatte die treibende Kraft. Wir sehen ja, wie sich der Diskurs im Laufe der Zeit bereits verändert hat. Es besteht weitestgehend der Konsens, dass man Menschen vor dem Ertrinken retten und Verantwortung übernehmen muss. Dazu hat die Zivilgesellschaft beigetragen und muss auch weiterhin beitragen – gerade in Zeiten, in denen es auch einen Rechtsruck gibt. Jeder Einzelne von uns ist verantwortlich für das gesellschaftliche Grundklima. Dafür, dass es Zusammenhalt gibt und dass man gemeinsam für die Demokratie und Menschenrechte einsteht.

Was ist die Rolle Berlins in dem Ganzen? Das Land ist Teil des Bündnisses „Städte Sicherer Häfen“, hat seine Bereitschaft bekräftigt, Geflüchtete von dem in Italien festgesetzten Rettungsschiff zu helfen.

Die Zivilgesellschaft ist in Berlin sehr progressiv und hat eine starke Haltung. Aber ich glaube, dass Berlin in dieser Debatte auch politisch eine wesentliche Rolle einnimmt, weil das Land eine gewisse Ausstrahlungskraft und viel mehr Möglichkeiten hat als kleine Kommunen. Einiges ist schon passiert, aber wir erwarten noch mehr. Ein Schritt etwa wäre, ein Aufnahmeprogramm nach Paragraph 23/ 1I durchzusetzen. Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Das könnte man sofort machen. Berlin könnte so zum Zentrum einer neuen Migrationspolitik werden, die für Menschenrechte steht.

Thomas Wochnik

Wochniks Wochenende

Die besten Berlin-Tipps für drinnen, draußen und drumherum.

48h Berlin

Samstagmorgen – Er hat seinerzeit das Vulgärlatein salonfähig gemacht und mit der Beschreibung des „Infernos“ unwissentlich die Zustände vorweggenommen, unter denen Geflüchtete heute in libyschen Auffanglagern überleben oder sterben. Außerdem hat Dante eine für seine Zeit durchaus fortschrittlich säkulare Gesellschaft entworfen und um diesen Entwurf, seine mittelalterlichen Voraussetzungen und seine Bedeutung für die heutige Zeit dreht sich der ganze Tag im ICI, Haus 8 auf dem Pfefferberg, Christinenstraße 18/19. Das Programm des Symposiums „Dante’s Political Modernities“ beginnt um 10 Uhr mit Kaffee, gesprochen wird vorwiegend Englisch, teils Französisch.

Keinen libyschen Hafen sondern den von Lampedusa hat Carola Rackete mit der Sea-Watch 3 angesteuert und Leben gerettet. Das Verfahren gegen sie läuft (siehe auch das heutige „Durchgecheckt“). In Berlin hat es u.a. Solipartys gegeben, ein 30 Meter langes Graffito und eine Spendenguerilla-Aktion. Auch eine unter die Haut gehende Solidaritätsbekundung gibt es: Das Studio „Rostige Nadel“ bietet heute die Möglichkeit, sich ein Soli-Tattoo oder -Piercing stechen zu lassen. Der Gewinn soll über Sea-Watch.org in die Seenotrettung fließen, die quasi Spendenquittung trägt man fortan am Körper.

Vom Mittelmeer holpert dieser Wochenend-Einstieg zugegeben etwas ungelenk in heimische Gewässer, genauer: zum heimischen Fisch. Der ist nämlich eine der Spezialitäten des StadtFarm-Wochenmarkts, wo der maritimen Küche gar ein kostenloses E-Book unter eigener Flagge gewidmet ist: Das StadtFarm-Fischkochbuch mit 19 Rezepten von Food-Bloggern und dem StadtFarm-Team bekommen Sie hier. Die Zutaten ab 10 Uhr in der Allee der Kosmonauten 16 – was uns mit einem Satz in kosmische Weiten hinausbefördert. Oder auch bloß nach Lichtenberg.

Samstagmittag – Wem der Sinn nicht nach Abheben steht, setze sich doch: Und zwar an den Tisch im Alten Museum. Da findet ein Tischgespräch statt, bei dem Studierende und Expertinnen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft verschiedene Wissenskulturen betrachten, und dies mit Bezug auf die hauseigene Antikensammlung. Wer aber lieber steht, kann eigentlich gleich gehen. Am besten in die Kunsthochschule Weißensee, die heute ihren Rundgang ausrichtet. Neben der Besichtigung zahlreicher Arbeiten von Studierenden und der Ateliers gibt es um 15 Uhr in der Aula an der Bühringstraße 20 eine BuchvorstellungHeike Schüler hat sich mit DDR-Design von der Weltzeituhr am Alex bis zum Wartburg-Lenkrad auseinandergesetzt. Eintritt frei. Eine West-Option gibt es aber auch: Die Klanginstallation „Chorale“ des New Yorker Urgesteins Elliott Sharp im Geoff Stern Art Space ist heute letztmalig zu hören.

Samstagabend – Wer im Alten Museum was vom Spielbein gehört hat und das jetzt auch mal selber ausprobieren möchte: Bei Disco Tehran in der Loftus Hall ist die körperliche Ertüchtigung mit Einnahme von Posen essenzieller Bestandteil der Programmgestaltung. Im Arkaoda kuratiert ab 20 Uhr die Society of Nontrivial Pursuits das nächtliche Geschehen, ein Ableger der Klasse Generative Kunst der UdK – was die vielleicht ungewöhnlichste musikalische Ausgehmusik der Stadt versprechen dürfte.

Sonntagmorgen – An Sonntagen soll der gemeine Berliner ruhen, wie das Verwaltungsgericht im Späti-Verfahren bestätigt hat – also mehr Zeit in Tankstellen und Bahnhofssupermärkten verbringen. Soll auch schön sein. Und wenn wir schon da sind, können wir gleich weiter nach Neuruppin rausfahren: Die Waldschenke, Stendenitz 13, lädt zum Brunch im Wald um 10 Uhr für 17,50 Euro respektive 7,50 Euro ermäßigt oder frei für Kinder unter 12. Dass anlässlich des 200. Geburtstags gerade Fontane-Jahr ist, beflügelt Theodors Geburtsstadt und das Umland zu reichhaltigem Programm, aber das ist ein weites Feld. 

Sonntagmittag – Ein ebenso weites Feld ist Fontanes Zeit in Berlin – immerhin 55 Jahre hat er hier gelebt. Michael Bienert führt um 14 Uhr durch Fontanes Kreuzberg, Näheres hier. Weit enger gefasst ist dagegen das Sujet, dem sich der Geräuschladen Ohrenhoch von 14 bis 21 Uhr widmet: Jeden Sonntag wird eine Komposition vorgestellt, die speziell auf die im Laden aufgebaute Lautsprecher-Anordnung abgestimmt ist. Die Reduktion auf nur ein sich immer wiederholendes Stück und die Vertiefung darin, bietet einen Kontrapunkt zur Zerstreuung. Heute: „In der Zukunft war alles besser“, ein Stück, das Knut Remond mit Kindern der Ohrenhoch-Schule erarbeitet hat. Der Laden ist nämlich Berlins außergewöhnlichste Spielwiese experimentell musikalischer (Früh-)Erziehung.

Am Sonntagabend, gleich im Anschluss ans Finale der Frauen-WM, kommt schließlich der Pianosalon Christophori als romantischer Salon voll zur Geltung. Bariton Manuel Walser in Begleitung von Anano Gokieli am Klavier bietet BrahmsStrauss und Rachmaninov zum Ausklang des Wochenendes dar. Beginn ist um 20 Uhr, Tickets kosten pauschal 25 Euro inklusive Drinks. Das Kleingedruckte auf der Homepage ist übrigens eine Reservierungsanleitung – ihr zu folgen wird ausdrücklich empfohlen, es kann schon mal voll werden. Uferstraße 8, U-Bhf Pankstraße

Mein Wochenende mit

Durchgecheckt

Shasta Ellenbogen, Bratschistin, Komponistin und Veranstalterin der Reihe „Classical Sundays“ in der Wiesenburg.

Ich verbringe einen großen Teil meines Wochenendes in der Wiesenburg. Es gibt Einiges an Vorbereitung für das Konzert – zugleich gibt es aber auch Raum für meine Tochter, die sich hier frei bewegen und austoben kann. Zwischendrin holen wir uns das beste Eis der Stadt von der Eismanufaktur. Am Sonntag spielen wir ein Sextett von Tschaikovski, „Souvenir de Florence“, ein ziemlich anspruchsvolles Stück. Besonderheit: Wir proben es nur ein einziges Mal vor dem Auftritt. Die Idee ist, klassische Musik in einer unverkrampften Atmosphäre darzubieten. Es darf an unüblichen Stellen geklatscht werden, geredet oder zwischengerufen. Projekte, die Klassik an ein junges Publikum bringen wollen, arbeiten oft an allem Möglichen wie Bühne, Setting oder lassen sogar die Stücke umkomponieren, um sie angeblich interessanter für neue Hörer zu machen. Wir nehmen uns stattdessen der Attitüde der Musiker an: Wenn wir entspannt und zugänglich sind, statt auf absolute Perfektion aus und um jeden Ton bangend, kommt erfahrungsgemäß viel eher ein Dialog mit dem Publikum zustande. Neulich kam ein alternder Punk nach dem Konzert zu mir und sagte: „Ich mag eigentlich keine Klassik. Aber Mozart ist schon eine geile Sau!“ Er hatte offenbar eine gute Zeit mit uns.

Lese­empfehlungen

Gerade ist die dritte Ausgabe des Journals des Literaturforums im Brechthaus erschienen. Eröffnet wird es vom Artikel „Identitätspolitik“ von Lea Susemichel – demnächst ist der Text auch hier zu lesen. Es geht um den Begriff der Identität als Nachfolgebegriff der Klasse. Sicher nicht zufällig, erinnert der Text thematisch an Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“. Darin verteidigt der Autor den Klassenbegriff – und illustriert seine Überlegungen mit seiner eigenen und der Geschichte seiner Familie. Die Eitelkeit Eribons kann streckenweise nerven – fraglich aber, ob er ein so intimes und emotional nachvollziehbares Buch ohne sie hätte schreiben können. Einem größeren Leserkreis wurde Eribon übrigens durch seine Foucault-Biografie bekannt. Der Philosoph war Eribons Lehrer und Freund. Gerade bei Suhrkamp erschienen ist soeben die Sensation eines vierten Teils von Foucaults „Sexualität und Wahrheit“, ganze 35 Jahre nach dessen Ableben.

Wochen­rätsel

Vergangenen Dienstag wurde im Senat der Entwurf für das neue Hochhausleitbilddes Landes besprochen. Wieviele Hochhäuser (ab 35m Höhe) hat die Stadt momentan bei insgesamt 370.000 Berliner Bauten ? 

a) ca. 1.300
b) ca. 15.000
c) ca. 47.000
 

Schicken Sie uns die richtige Lösung und gewinnen Sie einen Checkpott.

Jetzt mitmachen

Encore

Verwaltungsgericht Berlin schafft Berlin ab – so sehen zumindest viele Verteidiger der Spätikultur das Urteil, die Spätis an Sonntagen geschlossen zu halten. Anderen läuft schon beim Begriff Kulturin diesem Zusammenhang ein Schauer über den Rücken. Wer hat denn nun Recht? Es lassen sich Pro und Kontra-Argumente finden, ebenso Verfechterinnen beider Seiten. Durchstöbert man Leserkommentare unter Artikeln und in sozialen Medien, scheint Berlin gespalten. Und das wirft eine Frage auf: Wenn man, ungeachtet der Rechtslage, von der bloßen Demografie ausgeht, ist es da angemessen, die Frage mit einem Mal für ganz Berlin zu verhandeln? Ich selbst bin laut – aus meiner Wohnung dringt oft laute Musik, E-Gitarre und Posaune. Meine Waschmaschine läuft häufig nach 22 Uhr. Es gibt zahlreiche Kieze in dieser Stadt, in denen ich so nicht leben könnte. Muss ich auch nicht. Weil meine Nachbarschaft genauso drauf ist. Und auf dem Weg zum nächsten Supermarkt liegen drei Spätis, die bislang jeder Sonntagsruhe trotzen – das passt so zum Kiez. Zu sagen, das sei typisch Berlin, wäre aber ebenso vermessen, wie das Gegenteil zu behaupten. Berlin ist beides. Und hat für verschiedene Lebensweisen verschiedene Nachbarschaften.

Zurück zur Ruhe der Schrift. Mit dieser wünschen wir Ihnen ein schönes Wochenende.

Ihre Ann-Kathrin Hipp