Studentin klagt erfolgreich gegen geringes Bafög
Wie sollen Studierende eigentlich zum Studieren kommen, wenn die Monatsmieten selbst für kleinste Mikroapartments oder WG-Zimmer die Studienförderung auffressen? Das haben wir hier vor einem Monat gefragt und ein wahrscheinlich wegweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts aufgegriffen. Eine Berliner Medizinstudentin hatte gegen die geringe Höhe ihres Bafögs geklagt und nach einem langen Verfahren beim Verwaltungsgericht einen Gang vors Bundesverfassungsgericht erstritten (Hintergrund hier). Nun hat meine Kollegin Katharina Kalinke mit der 29-Jährigen gesprochen, die 2016 in Berlin ein Medizinstudium begonnen hatte und nach erfolgreichem Abschluss mittlerweile als Assistenzärztin im Umland arbeitet. Im Checkpoint-Interview berichtet Sandra Nissen von ihrem Studi-Leben bei knapper Haushaltskasse.
Frau Nissen, erleichtert Sie das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts?
Ich bin positiv überrascht. Das Verfahren hat sich gezogen und zwischendrin habe ich gezweifelt, ob ich mir nicht zu hohe Ziele gesteckt habe. Mein Umfeld wusste von der Klage, ich bin mal auf mehr, mal auf weniger Verständnis gestoßen. Mit dem Urteil habe ich das erste Mal das Gefühl, dass man wirklich etwas bewirken kann, wenn man sich einsetzt und von der Sache überzeugt ist.
Warum haben Sie gegen den Bafög-Satz geklagt?
Chancengleichheit hat für mich eine große Rolle gespielt. Im Studium habe ich festgestellt, dass noch immer ein sehr geringer Anteil an Studierenden aus Nichtakademikerhaushalten kommt. Die sehr niedrigen Bafög-Sätze sind gerade für sie eine Hürde, ein Studium aufzunehmen. Und die angesetzte Wohnpauschale wird den Berliner Verhältnissen einfach nicht gerecht. Keiner meiner Kommilitonen ist damit ausgekommen.
Kommen Sie auch aus einem Nichtakademikerhaushalt?
Ja, tatsächlich bin ich die erste aus meiner Familie, die studiert hat.
Sie hatten bereits 2016 eine Klage eingereicht, 2021 dann noch einmal, mittlerweile haben Sie Ihr Studium beendet und die Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht steht noch aus. Wieviel Kraft hat Sie der Prozess gekostet?
Wir haben fast jedes Jahr Beschwerde gegen den Bafög-Bescheid eingereicht, das hielt sich zeitlich in Grenzen. Aber Durchhaltevermögen braucht es auf jeden Fall. Mittlerweile bin ich mit meinem Studium fertig und arbeite, ich selbst bin nicht mehr auf Nachzahlungen angewiesen. Was mir aber am Herzen liegt und mich motiviert hat, ist die Aussicht, dass in Zukunft vielleicht mehr Gerechtigkeit herrscht und mehr Leute studieren können, wenn sie wollen.
Haben die Finanzen Sie im Studium eingeschränkt?
Ein großes Thema in der Medizin ist ja die Doktorarbeit. Wäre meine finanzielle Lage entspannter gewesen, hätte ich die wahrscheinlich eher in Angriff genommen. Gerade am Anfang und am Ende meines Medizinstudiums hatte ich aufgrund der Masse an Studieninhalten keine Zeit, nebenbei noch zu jobben. Im Jahr 2021/22 lag die Wohnpauschale bei 325 Euro, mein Zimmer im Studierendenwohnheim hat aber monatlich 390 Euro gekostet. Mich hat beschäftigt, wie ich gut über den Monat komme, was ich mir an Freizeit leisten kann und was nicht. Ich habe mich nicht komplett ausgeschlossen gefühlt, aber schon Abstriche gemacht.
Und was denken Sie: Kann der Staat weiter an seinen Studierenden sparen?