Senat und Bezirke werden durch Parlamentsanfragen lahmgelegt
Wenn Abgeordnete etwas wissen wollen, stellen sie eine Anfrage an den Senat. Seit Jahren steigt die Zahl der Eingaben massiv an – andere Arbeit bleibt deshalb liegen. Von Julius Betschka

Achtung, Kontrolle! Ganze 18.785 schriftliche Anfragen von Abgeordneten hat der Senat in der vergangenen Legislaturperiode (2016-2021) beantwortet, teilt das Abgeordnetenhaus auf Checkpoint-Anfrage mit. In der Legislaturperiode davor (2011-2016) waren es nur etwas mehr als 9000, in der Legislaturperiode 2006-2011 nur 5767. Warum das wichtig ist? Wenn Parlamentarier etwas wissen wollen, stellen sie eine schriftliche Anfrage an den Senat. Sie haben ein Recht auf Antwort innerhalb von drei Wochen. So können sie ihre Kontrollfunktion wahrnehmen, Öffentlichkeit für Themen schaffen. Gute Sache – übrigens auch für die Presse. Beantwortet werden die Fragen zuerst von den zuständigen Fach-Referenten in den Senatsverwaltungen. Zum Merken: Das sind dieselben Menschen, die möglichst rasch Gesetze oder Verordnungen erarbeiten und umsetzen sollen.
Das Problem: In den vergangenen Jahren hat sich (bei weniger Abgeordneten) eine Flut von Anfragen über die Mitarbeiter ergossen – Aktenstapelstand: stark steigend. Im ersten halben Jahr dieser Legislaturperiode wurden allein 2032 Anfragen gestellt. Rechnet man deren Zahl bis zum Ende der Legislaturperiode hoch, landet man bis 2026 bei mehr als 20.000 schriftlichen Anfragen. Während sich im Parlament die Umfragekönige feiern, spitzen die Referenten schon die Mistgabeln. Besonders, nunja, gefragt ist bisher die Verkehrsverwaltung. Fast 500 schriftliche Anfragen haben deren Mitarbeiter schon beantwortet. Beispiel: Stellen Abgeordnete besonders viele Anfragen zum Thema Radwege, müssen die zuständigen Referenten wegen der Drei-Wochen-Frist zuerst alle Anfragen beantworten – und können eben keine Radwege planen.
„Anfrageritis“, nennt ein langjähriger Mitarbeiter einer Senatsverwaltung das. „Das legt ganze Abteilungen lahm“, sagt er. Unter einigen Abgeordneten gelte es als „Sport“, mit möglichst vielen Anfragen zu glänzen, die jeweilige Opposition nutze Anfragen gezielt: zur Arbeitsverhinderung. Viele der Fragen ließen sich oft „einfach googeln“, sagt der erfahrene Verwalter. Ein anderer Senatsmitarbeiter sagt: „Ich kenne keine Arbeitsgruppe, die nicht dauernd deshalb Projekte verschiebt und liegen lässt. Man kann sich da draußen nicht ausmalen, welche Ressourcen hineinfließen, die an anderer Stelle fehlen.“ Auch die Bezirke bekommen das zu spüren. Senatsverwaltungen leiten Anfragen oft zur Beantwortung an sie weiter: „Das vollkommen ausgeuferte Anfragenwesen legt auch die Bezirksämter stellenweise lahm“, sagt Spandaus Baustadtrat Thorsten Schatz (CDU) dem Checkpoint. „Anfragen haben den Zweck, die Verwaltung zu kontrollieren, heute hat man eher den Eindruck, dass viele Anfragen als Tätigkeitsnachweis geschrieben werden.“ Das ist wie früher im Deutschabitur: Wer viel schreibt, liefert nicht automatisch Qualität.