Guten Morgen, der Begriff „fließender Verkehr“ hat seit gestern in Berlin eine neue Bedeutung: Alles steht im Stau (Autos, Züge, Flüge), aber das steigende Wasser rauscht in Strömen vorbei - niemand hätte sich gewundert, wenn hinterm Brandenburger Tor eine Arche Richtung Reichstag die Fluten entlang geschaukelt wäre, um von jeder Art ein Pärchen mitzunehmen: je zwei von CDU, CSU und SPD, den Grünen, Linken usw, immer ein Männlein und ein Weiblein, weil über die Ehe für alle ja erst heute im Bundestag abgestimmt wird.
Und damit zu den weiteren Meldungen aus Atlantis, Ortsteil Berlin:
Was macht eigentlich die versprochene Reform der so genannten Verkehrslenkung (Berlins beliebteste Behörde)? Im Dezember 2015 hatte das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert, jeweils zum 30. Juni und 31. Dezember Bericht zu erstatten - schauen wir also mal rein in die neueste Vorlage an den Hauptausschuss (Drucksache 17/2600), eine 15-Zeilen-Miniatur: „Im Zuge der Organisationsuntersuchung“, heißt es da, „werden unter anderem die Schnittstellen zwischen den Bezirken und der VLB betrachtet“, aber: „Derzeit können im laufenden Verfahren noch keine aussagekräftigen Ergebnisse vorgelegt werden.“ Sind ja auch erst anderthalb Jahre. Es kommentiert Vicco von Bülow alias Loriot: „Ja, wo laufen sie denn, die Verfahren, wo laufen sie denn hin?“
P.S.: Staatssekretär Kirchner verweist auf die vorherigen Berichte vom 6. Juni 2016 und 28. November 2016: „Diese Darstellungen entsprechen nach wie vor der derzeitigen Aufgabenwahrnehmung der VLB“. Sie stehen also, die Verfahren, sie stehen im Stau, während wenigstens der Stau an der Spitze der VLB jetzt endlich aufgelöst wird: Nach ewigen Zeiten kann die bisher nur kommissarisch vom ehemaligen Stadtgüterchef geführte Behörde den Leitungsjob richtig besetzen - und zwar mit Axel Koller, dem bisherigen Chef des Grünflächenamts F’hain-Xberg. Die „Morgenpost“ schriebt: „Der Beamte gilt alsdurchsetzungsstarker Macher“ - solche haben sie in der VLB ja besonders gerne.
Riesenkrach im FDP-Ortsverband Zehlendorf-Wildwest (heißt wirklich so): Fraktionschef Sebastian Czaja, vor der Abgeordnetenhauswahl hierhin übergesiedelt, will den Saloon übernehmen, zum Ärger etlicher Altmitglieder. Anfang des Jahres war Czaja beim Kampf um den Vorsitz noch gescheitert, doch sein Gegner gab vor einem Monat auf - die Rede ist von einem „blutigen Rachefeldzug“. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung ließ Czaja diese Woche durch eine einstweilige Anordnung des Landesvorstands platzen, jetzt nimmt er wieder Anlauf, unterstützt von Neumitgliedern. Mittendrin im Getümmel - ein alter Bekannter: Detlef Untermann, bis 2009 bei der CDU, während der BankenaffäreKrisenmanager von Klaus Landowsky, Berlin-Hyp-Sprecher, Parteischatzmeister, Sammler von Spenden unklarer Herkunft für Monika Grütters, später Autor des beliebten „Opas Blog“ - und heute Czaja-Berater sowie Deputy im OV Wildwest. Checkpoint-Warnung: Da ist die Luft ziemlich bleihaltig.
„Wie beurteilt der Senat die Stimmung im Berliner Olympiastadion während der DFB-Pokalendspiele“, wollte der CDU-Abgeordnete Andreas Statzkowski wissen - die Antwort von Staatssekretär Christian Gaebler: „Der Senat macht sich hier eine Äußerung des DFB-Präsidenten zu eigen, der das Olympiastadion als ‚deutsches Wembley‘ bezeichnet hat, das zu einem ‚Mythos‘ geworden sei.“ Apropos Stimmung - der neue Bundesligaspielplan ist da:Hertha spielt am 1. Spieltag 19.8.) zu Hause gegen Prenzlauer Berg (aka VfB Stuttgart).
So, was hätten die Zehlendorfer denn nun gerne für ein Angebot im historischen Kiosk an der Potsdamer Straße (wegen des „Kunstwollens der fünfziger Jahre“ unter Denkmalschutz, CP von gestern)? Hier eine Auswahl: Craft-Biere fehlen im Bezirk noch, meint Mario Heinemann; eine Fußpflegefisch-Station kann sich Herbert Schneider vorstellen; und Dennis Egginger-Gonzalez rät angesichts der maroden Schulen zu einem Baumarkt für den Bildungsbedarf: Schimmel-Entferner, Toiletten, Fenster, Heizungen und Elektrokabel. Reinhard Hübsch wiederum empfiehlt statt Zeitungen, Zigaretten, Zischbrause, Ziegelsteine und Zartbitterschokolade eher Kondome, Korn und Kotztüten (für die vorzeitig von der Elbe zurückgekehrte Einheit PPPP) sowie Klappspaten (falls wieder mal jemand ein Rad ausbuddeln will) und Köllnflocken (warum auch immer). Außerdem bietet er an: „Mittwochs nach 20 Uhr könnte ich am Kiosk aushelfen.“ Ok, ich mache dann schon mal die Bewerbung klar.
Telegramm
Das nenne ich Tempo: Nur ein Vierteljahrhundert nachdem Verkehrsminister Günther Krause der „Dresdner Bahn“ durch Berlin „vordringlichen Bedarf“ attestierte, geht’s schon los: Das Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für den oberirdischen Streckenbau quer durch Lichtenrade - die Anwohner, die einen Tunnel wollen, werden jetzt wohl erstmalin die Luft gehen.
Auch die CDU-Fraktion geht heute in die Luft - von Tegel aus, mit Air Berlin (sind eben Optimisten). Die Absicht: eine Klausurtagung, ihr Ziel: über Saarbrücken zum Bostalsee. Wem’s zu langweilig wird, kann ja abtauchen (maximale Tiefe: 20 m).
Der McDonalds in der Wrangelstraße (Kreuzberg) war Ziel eines Anschlagversuchs - vor dem Gebäude wurde eine Gasflasche mit Zünder gefunden, ein Schlauch führte in die Räume. Ein Ermittler sagt: „Hätte es einen Funken gegeben, wäre es zu einer Explosion gekommen.“
Und damit vom Konjunktiv zum Indikativ: In der Prenzlauer Allee sind zwei Trams zusammengestoßen - 27 Menschen wurden verletzt, die Unfallursache: Es war wohl eine Weiche zu weich.
Unsere Pimper-Pinkel-Party-Polizisten (Einheit PPPP) dürfen zwar nicht mehr an den G20 teilnehmen, aber für die F54 hat’s gerade noch so gereicht: Mit einem massiven Einsatz räumten sie gestern früh dem Gerichtsvollzieher einen Weg in den linken Szeneladen Friedelstraße frei - wer die Bilder vergleicht, stellt fest: In Bad Segeberg waren sie besser drauf (und hatten mehr zu trinken).
Der Linken-Abgeordnete Hakan Taş kommentierte den Einsatz gegen die Sitzblockierer so: „Wir wollen in Berlin keine türkischen Verhältnisse“. Die haben wir auch nicht, unabhängig von der Härte eines Polizeieinsatzes. In der Türkei wollen (oder können) sie nicht mal zwischen Terroristen und Journalisten unterscheiden - und das wiederum (u.a.) unterscheidet Deutschland von der Türkei.
Apropos „türkische Verhältnisse“: Erdogan will in Deutschland auftreten dürfen, hatte er mitgeteilt. Da kenne ich noch einen: Deniz Yücel (seit 137 Tagen wegen der Verwechslung von Terrorismus und Journalismus in Haft) - am besten, Erdogan bringt ihn gleich mit. Reden lassen wird ihn die Bundesregierung aber nicht: Außenminister Gabriel sagt hayır - öffentliche (Wahlkampf-)Reden sollen nur noch Politikern aus EU-Staaten gestattet werden. Die Türkei ist mal wieder empört.
Der heutige Beitrag zur Ergänzung unseres Betriebsstörungsbingos kommt zur Abwechslung mal von mir selbst, und zwar aus dem ICE 842 (Berlin - Köln) - anstatt die 30 min Verzug naheliegender Weise auf das Weltuntergangswetter zu schieben, hieß es: „Resultierend aus einer verspäteten Vorleistung“. Das ist sprachlich so originell wie sachlich universell - bitte ausschneiden und bei Bedarf dem Arbeitgeber vorlegen (oder bei wem auch immer eine Erklärung nötig ist).
Sensation am BER: Nur elf Jahre nach Baubeginn funktionieren jetzt schon mehr als die Hälfte aller Türen - Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat durchgezählt: Es sind genau 51 Prozent.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Ich wohne in SO 36, da wo die Miete mit dem Revolver kassiert wird.“
CP-Leser Andreas Thom zitiert seine Oma (Jahrgang 1923) – per Mail als Beitrag zur Checkpoint-Sammlung „Kreuzberg“.
Tweet des Tages
„Hab beim Aufräumen der Speisekammer versteinerte Nudeln gefunden. Vermutlich Fossili.“
Antwort d. Red.:
Stadtleben
Essen & Trinken Das Hotel am Steinplatz in Charlottenburg ist auch unter neuer Leitung eine Empfehlung wert, urteilt Elisabeth Binder heute in ihrer Restaurant-Kolumne. Die Gourmet-Ambitionen des neuen Chefs Nicholas Hahn werden schon beim Gruß aus der Küche deutlich (in Parmesan gewälzte Tomaten-Marshmallows). Da wird gesponnen und gewickelt (rohe Kartoffeln zu Spaghettifäden) und blättrig gebogen (Radieschenscheiben), mit Cheviche begossen (dicke Scheiben roher Fjordforelle mit Perlzwiebeln), die Regenbogenforelle („zart und saftig“) raffiniert präpariert (mit Eigelb und hauchfeinen Haselnuss-Streuseln). Schön übrigens, dass dies ein Allwetter-Restaurant ist. In lauwarmen Sommernächten sitzt man gut geschützt im farbig ausgeleuchteten Innenhof. Steinplatz 4 (S/U-Bhf Zoologischer Garten), tgl. 18-22 Uhr, Reservierung empfohlen
Die hoteleigene Bar haben wir neulich erst empfohlen als Gin-freie Zone. Was nicht heißt, dass es keinen Wacholderschnaps gibt: Statt London Dry hat Barchef Christian Gentemannauf Eversbuch Doppelwacholder umgestellt. Die Traditionsspirituose aus dem sauerländischen Hagen-Haspe soll sogar noch besser mit Tonic zusammengehen.