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466 ungezählte Briefwahlstimmen in Lichtenberg: Poststelle des Bezirks war unbesetzt Hat die Klimaliste die Grünen Platz zwei gekostet? Kollision auf See: Mehr als 140 Zusammenstöße auf Berlins Gewässern

es lief auch einfach alles zu glatt bei der Wahl. Nun aber das: Im Bezirksamt Lichtenberg sind 466 bislang nicht gezählte Briefwahlstimmen aufgetaucht. Sie werden Mittwochmorgen, 9:30 Uhr öffentlich im Bezirkswahlamt ausgezählt und noch gewertet. Selbst beim knappen 105-Stimmen-Rückstand der Grünen auf die SPD ist mit Platzierungsänderungen jedoch eher nicht zu rechnen. Umso peinlicher ist die Sache mal wieder für die Berliner Verwaltung.

„Das Problem wurde leider von der Deutschen Post verursacht und das Wahlamt trifft keine Schuld“, hatte Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) am Dienstag schnell einen Schuldigen gefunden – nur um sich zwei Stunden später kleinlaut zu korrigieren: „Der Fehler liegt nicht bei der Deutschen Post, sondern bei der Poststelle des Bezirkes.“ Dort hat ein Kurierfahrer die Briefe am Freitagnachmittag angeliefert – laut Checkpoint-Informationen jedoch niemanden mehr angetroffen. Natürlich hätte die Post auch am Samstag noch zum Wahlamt weitergeleitet werden können. Doch wurde für die Postverteilstelle offenbar keine Mehrarbeit fürs Wochenende angeordnet, wie es in Behörden nötig ist. Die hunderten roten Wahlbriefe blieben liegen. Am Ende bekommt Berlins Verwaltung zumindest ihre Pannen immer noch selbst organisiert.

An der schusseligen Lichtenberger Poststelle lag es wohl nicht, dass die Grünen ihren Traum vom Einzug ins Rote Rathaus schon wieder verpassen und nur auf Platz 3 gelandet sind. Woran aber dann? Die eigene Stammklientel lockte man mit ihrem eher linken Wahlkampf an die Urne. Dafür verlor die Partei Wähler an CDU, FDP, AfD und sogar die SPD. Nicht nur die auch auf Wunsch von Bettina Jarasch (Grüne) überhastet durchgeführte Sperrung der Friedrichstraße gilt einigen in der Partei mittlerweile als „dicker Fehler“. Die Spitzenkandidatin zumindest rückte bei der Sitzung der neuen Fraktion am Dienstag schonmal sachte vom bisherigen Kurs ab. Die Partei habe ein noch größeres Potenzial in der Stadt. Es müsse aber „auf andere Weise“ erschlossen werden.

Oder sind die Grünen auch über zu engagierte Klimaschützer gestolpert? Schon vor der Wahl befürchteten manche, die Klimaliste könnte der Partei entscheidende Wähler kosten. Am Ende fehlten den Grünen bekanntlich 105 Stimmen zu Platz 2. Die kleine, radikale Alternative wiederum erhielt 4100 Voten. Hat die Klimaliste mit ihrem Einsatz vielleicht mehr Klimaschutz in Berlin verhindert? Anruf bei Partei-Sprecher Antonio Rohrßen: „Die Grünen tragen selbst die Verantwortung für ihr Ergebnis. Sie haben es nicht geschafft, mehr Wähler zu überzeugen.“ Wer die Klimaliste gewählt habe, hätte wegen der Abbaggerung von Lützerath und dem Bau von LNG-Terminals ohnehin schon mit den Grünen abgeschlossen, sagte Rohrßen.

Auch bei der SPD knirscht noch einiges. Der Verlust etlicher Wahlkreise zeige, „wie drastisch das Konzept der „Herzchen“-SPD von Giffey & Saleh gescheitert ist“, twitterte der frühere Berliner SPD-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles. Ein solches Ergebnis müsse auch personelle Konsequenzen haben. Sind die Reihen hinter der (noch?) Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey geschlossen?
Wer nach der Wahl mit schneller Kritik an Giffey hervortrat, bekommt nun auch Gegenwind. Am Dienstagabend soll es Mittes SPD-Kreisvorsitzende Julia Plehnert („Man muss dann Konsequenzen ziehen“) in der Kreisvorstandssitzung getroffen haben. Teilnehmer berichteten dem Checkpoint von „sehr deutlicher Kritik an dem unabgestimmten Vorgehen der Kreisvorsitzenden“.
Mehrheitlich dominiert in einem der wichtigsten Kreisverbände offenbar aber nach wie vor die Stimmung, nach der heftigen Wahlschlappe nicht einfach weitermachen zu können, als wäre nichts passiert. „Es gibt deutlich mehr kritische Stimmen zur Wahlkampagne. Natürlich muss das Konsequenzen für uns in der Partei haben“, heißt es von anderer Stelle aus dem Kreisvorstand.
Ein diskutiertes Szenario: Partei- und Regierungsämter wieder zu trennen. „Die Partei muss sich besser sortieren, der Zeitpunkt ist gekommen.“ Giffey könnte dann an der Regierungsspitze etwa einer rot-grün-roten Koalition bleiben. Den Landesverband jedoch würden andere Personen führen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stärkte Giffey am Dienstag hingegen öffentlich den Rücken. Zumindest für das Regierungsamt sind Alternativen zu ihr ohnehin nicht in Sicht. Zumal die zuletzt herumgeisternden Michael Müller („Das wäre ja absurd“, Spiegel) und Kevin Kühnert („Quark“, Bild) selbst alle Spekulationen auf einen Griff nach der Senatsspitze beendet haben. Dafür gibt Müller seiner eher CDU-affinen Nachfolgerin noch einen rot-grün-roten Koalitionsratschlag mit: Er glaube „nach wie vor, dass es eine Koalition ohne die CDU geben kann“.

Nicht nur die SPD sucht ihre verlorenen Wähler. Auch wir! Sie haben beim letzten Mal noch für die SPD gestimmt und ihr Kreuz diesmal woanders gesetzt? Woran hat’s gelegen? Begründungen bitte an checkpoint@tagesspiegel.de.

Als die eigentlichen Verlierer der Wahl, oder vielmehr des Wahlrechts sehen sich die Kleinparteien – und ihre Wähler gleich mit. Rund 200.000 Stimmen gingen bei der Berlin-Wahl an Parteien, die es nicht ins Abgeordnetenhaus geschafft haben. „Das sind mehr Stimmen als Wahlberechtigte in so manchem Bezirk“, schreiben Volt, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und die Piraten in einer gemeinsamen Erklärung. Sie fordern stattdessen eine Ersatzstimme im Wahlrecht: Wähler könnten dann zusätzlich zu ihrer Hauptstimme eine weitere Partei angeben. Falls der Erstwunsch an der Prozenthürde scheitert, ginge die Stimme automatisch an die Ersatzpartei. Stimmen-Recycling statt Wegwerf-Wahlrecht also.

Auch bei den Bezirkswahlen hat sich am Sonntag viel in Berlin verändert. Analysen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind und wer künftig die Bezirksbürgermeister stellen wird, lesen Sie in den Sondernewslettern des Tagesspiegel-Bezirke-Teams.

Telegramm

Die USA erhöhen den Druck auf die Ukraine, Erfolge vorzuweisen. „Wir werden weiterhin versuchen, ihnen klarzumachen, dass wir nicht ewig alles tun können“, sagte ein hoher Regierungsbeamter mit Blick auf die ukrainische Führung gegenüber der „Washington Post“. Deutschland will nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erstmals wieder die dringend benötigte Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard produzieren, der in der Ukraine im Einsatz ist. Außerdem hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag überraschend Offenheit für einen getrennten Nato-Beitritt von Schweden und Finnland signalisiert. 
 
Alle aktuellen Ereignisse können Sie in unserem Live-Blog (hier) und auf unserer Live-Karte (hier) verfolgen. Spenden für die Ukraine in Not können Sie weiterhin hier.

Was? Noch ‘ne Wahl? Klar doch! Schon seit Montag läuft die Briefabstimmung zum Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“. Auch die Benachrichtigungen flattern ab sofort in die Briefkästen. „Klimawende hat im Wahlkampf eine viel zu geringe Rolle gespielt“, schreiben die Initiatoren auf Checkpoint-Anfrage. Berlin wolle Veränderung. „Und mehr Klimaschutz. Da sind wir uns sicher.“ Ob das stimmt, zeigt sich spätestens am 26. März.

Nur einen Monat vor Start des Deutschlandtickets erhöht der VBB die ÖPNV-Tarife in Berlin und Brandenburg zum 1. April deutlich. Für den Einzelfahrschein gehts um 20 Cent auf 3,20 Euro hoch. Drei Stationen Kurzstrecke kosten bald 2,20 Euro, die Vier-Fahrten-Karte 10 Euro und die 24-Stunden-Karte gibt’s für saftige 9,50 Euro.

Sehr geehrte Fahrgäste, zur Abwechslung mal eine positive Durchsage zum Thema Bahn-Sperrung: Die Arbeiten am Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn enden pünktlich! Ab Freitagabend 22 Uhr rollen die Züge wieder. Sollten Sie ungewohnte Geräusche in der Stadt hören: Es handelt sich um das kollektive Aufatmen entnervter Pendler.

Bis zum 22. Februar müssen die Familien von rund 30.000 künftigen Siebtklässlern entscheiden, wohin der weitere Schulweg gehen soll – wenn das Losverfahren sie denn lässt. Dieses Jahr prognostizieren die Bezirke sogar noch mehr Platzmangel als in den Vorjahren, berichtet Kollegin Susanne Vieth-Entus: Zu Ende Januar fehlten rund 1300 Plätze an öffentlichen Oberschulen.

Deutschlandweit warten Studierende seit fünf Monaten auf die 200 Euro Energiepreispauschale vom Bund. Nun aber gibt es Neuigkeiten: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) startet… eine Infokampagne, wie man das Geld irgendwann mal bekommen können soll. Als nächsten PR-Coup schaltet dann wohl Berlin eine Info-Hotline, wie man in Zukunft leicht an einen Bürgeramts-Termin kommen wird.

Einen der ersten Eindrücke, den viele Bahnreisende von Berlin bekommen, ist eine provisorisch asphaltierte Fläche vollgestellt mit Schrotträdern und E-Scootern. Die Rede ist vom Europaplatz am Hauptbahnhof – der seinen heutigen Charme noch länger behalten wird. Erst 2024 soll es „bauliche Anpassungen“ am Eingang zum Bahnhof geben (Q: Anfrage Stephan Machulik, SPD). Nördlich der Invalidenstraße wird’s erst 2025/2026 besser. Aber auch nur ein bisschen. Weite Teile des Platzes bleiben wegen der S-Bahn-Baustelle noch „voraussichtlich bis 2030“ belegt. Immerhin die E-Scooter sollen noch in diesem Jahr in diesem Chaos nur noch geregelt auf Abstellflächen geparkt werden dürfen.

141 Mal hat es 2022 auf Berlins Wasserstraßen gekracht (Q: Anfrage Stefan Förster, FDP). Nicht zuletzt auf der Müggelspree: Anfang August soll hier ein 19 Meter langes Motorboot ein querendes Kajak gerammt haben – laut Staatsanwaltschaft aus fehlender Sorgfalt. Die Paddler seien dabei gekentert und unter den Schiffsbug des Motorboots geraten. Nur durch „Zufall“ habe sich niemand an der Schiffsschraube verletzt, einer der Kajakfahrer habe sich jedoch beim Auftauchen den Kopf gestoßen. Jetzt kommt der Fall vor Gericht. Die Hauptursachen für Schiffsunfälle sind laut Senat gar nicht so anders, wie auf der Straße: „nautische Fehler, unzureichende Fähigkeiten zum Steuern und fehlende Kenntnisse der Verkehrsregeln.”

Zitat

„In ferner Zukunft werden wir wirklich weniger arbeiten müssen als heute“ 
 
Bill Gates im Tagesspiegel-Interview mit Sebastian Matthes, zu lesen hier.

 

Tweet des Tages

Komplett mystisch einfach, dass es 17:09 Uhr und die Sonne noch nicht untergegangen ist.

@etepastete1

Stadtleben

Trinken – „Fitcher's Vogel“ ist nicht nur ein Märchen der Brüder Grimm, sondern auch eine Bar auf der Warschauer Straße 26. Klassische Cocktails, Alkoholfreies genauso wie Wein oder Bier werden zwischen patinierten Wänden und bunt gemischten Möbeln täglich von 18 bis 3 Uhr serviert. Legere Wohnzimmeratmosphäre, Self-Service und meist gut besucht. Friedrichshain, S/U-Bhf Warschauer Straße

Berliner Gesellschaft

Geburtstag – Serge Aubin (48), ehem. kanadischer Eishockeyspieler und derzeitiger Cheftrainer der Eisbären Berlin / „Liebe Birgit, zu deinem 79 Geburtstag herzliche Glückwünsche von Helmut und Familie.“ / „Lieber Emil Oskar (12 J.) heute hast du Geburtstag. Oma und Opa aus Friedenau wünschen dir alles Gute und feier heute schön mit deinen Freunden“ / Elke Heidenreich (80), Schriftstellerin, Moderatorin und Opern-Librettistin / „Die Hanne aus schön’ Friedenau wird 77 – tolle Frau. Das neue Jahr sei voller Freude, das wünscht ganz herziglich der Oide” / „Bon anniversaire à Paris! lieber Hoppi. Deine Männerrunde aus der Straßenbahn“ / Romuald Karmakar (58), Filmregisseur und Drehbuchautor / Reinhard Loske (64), Volkswirtschaftler, ehem. für die Grünen im BT / „Patrick Pohle ist als Schwiegersohn nicht zu toppen und wird satte 50.“ / Sandra Scheeres (53), SPD-Politikerin und ehemalige Senatorin für Bildung, Jugend und Familie / Clemens Schick (51), Schauspieler / „Willi wird 70! Herzlichen Glückwunsch zu Deinem persönlichen Feier-Tag und bleib fröhlich und gesund! Grüße aus Kar95 nach 47V.”

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie uns bis Redaktionsschluss (11 Uhr) einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben – Margit (Maggi) Eberle, * 12. September 1954 / Barbara Hepke, verstorben am 2. Februar 2023 / Volker Richard Herzog, verstorben am 20. Januar 2023 / Heinz-Dieter Koch, * 21. Dezember 1923 / Waltraud Christa Kutzler, * 11. September 1925 / Jens Rudolph, * 11. Juli 1963 / Rolf Schille, * 19. Januar 1943

Stolperstein – Amalie Wolff (geb. David, 1875) war mit dem Allgemeinmediziner Bernhard Wolff verheiratet, der im rheinhessischen Alsheim eine Arztpraxis eröffnete. Ihr gemeinsamer Sohn Ernst kam 1901 zur Welt. Später zogen sie nach Lichtenrade in die heutige Mellenerstraße 33. Heute vor 80 Jahren starb Amalie Wolff im KZ Theresienstadt angeblich an „Darmkatarrh“.

Encore

Ob Geburt, Sterbefall, oder Hochzeit: Wohl dem, der nicht aufs Warte… äh Standesamt Marzahn-Hellersdorf angewiesen ist. Doch ganz untätig ist auch der Berliner Wartezeiten-Meister nicht. Nun liegt die Bilanz für 2022 vor: Insgesamt mussten 2573 Sterbefälle im Bezirk beurkundet werden. 421 Ehen wurden geschlossen und 870 Geburten registriert. Kommt Zeit, kommt Bescheid. Wie viele Menschen vor lauter Ärger lieber umgezogen, meldet der Bezirk nicht.

Auf der Höhe der Zeit waren heute die Recherchen von Lotte Buschenhagen, Alexander Fröhlich und Thomas Lippold. Sophie Rosenfeld beurkundete nur das Beste im Berliner Stadtleben und im Frühdienst meldete sich Lionel Kreglinger zum Dienst. Lotte Buschenhagen lesen Sie morgen an dieser Stelle schon wieder. Das Warten darauf lohnt sich garantiert. Machen Sie es gut!

Ihr Christian Latz

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