Im Oktober 2017 hatte Michael Müller in einem Beitrag für den Tagesspiegel erstmals seine Gedanken zum „solidarischen Grundeinkommen“ vorgestellt. Jetzt nimmt der Regierende Bürgermeister und Bundesratspräsident den Faden wieder auf – er fordert „Schluss mit dem bisherigen System“ und ein „Recht auf Arbeit“ (IV in der „Morgenpost“) – Städte und Gemeinden sollen Arbeitslose sozialversichert zum Mindestlohn beschäftigen, z.B. als „Schulhausmeister, Schulsekretärin, Begleiter in Bus und Bahn, Nachmittagsbetreuung für Kinder und Jugendliche“. Zu Chancen, Risiken und Nebenwirkungen heute der Dienstagskommentar um kurz nach 8 bei Radioeins.
Die SPD-Fraktion möchte die Silvester-Böllerei drastisch beschränken (hier eine gute Zusammenfassung von Stefan Strauß in der „Berliner Zeitung“) – doch die SPD-geführte Innenverwaltung hält davon nichts: „Nach Einschätzung des Senats ist es fraglich, ob sich Verbote in großen Städten wie Berlin selbst mit massivem Personalaufwand von den Ordnungsbehörden durchsetzen lassen“, antwortete Staatssekretär Christian Gaebler jetzt fatalistisch auf Anfrage des Grünen-Abgeordneten Georg Kössler - in noch größeren Städten wie London und Paris funktioniert das komischerweise.
Ohnehin scheint Innensenator Geisel die Anarchie zum Jahreswechsel als unvermeidlichen Kollateralschaden anzusehen – besonderes Erkenntnisinteresse lässt sich ihm nicht nachsagen: Silvestermüll? „Wird nicht separat erfasst.“ Atembeschwerden wegen der enormen Schadstoffbelastung? „Hierzu hat der Senat keine allgemeingültigen Ratschläge.“ Wie viele und welche Böllerunfälle gab es? „Hierzu liegen dem Senat keine Informationen vor.“ Einsätze wegen unsachgemäßem Gebrauch von Feuerwerkskörpern? „Wurde nicht erfasst.“ Einsätze wegen nicht zugelassener Feuerwerkskörper? „Diese Zahlen werden nicht erhoben.“ Schäden durch Feuerwerkskörper an öffentlichen Gebäuden? „Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.“ Wird das in der Silvesternacht abgebrannte Musikhaus Bading wieder aufgebaut? „Hierzu liegen dem Senat keine Informationen vor.“ Welche Maßnahmen anderer Städte sind dem Senat bekannt? „Eine offizielle Auflistung derjenigen Städte und Gemeinden, die Verbote erlassen haben, ist dem Senat nicht bekannt.“ Wie schätzt der Senat solche Verbote juristisch ein? „Der Wortlaut der erlassenen Allgemeinverfügungen liegt nicht vor. Eine juristische Einschätzung ist daher nicht möglich.“ Und so weiter (usf). Ein herrlich pyrokratisches Feuerwerk der schlechten Laune – Checkpoint-Prognose: Zwischen der SPD-Fraktion und dem Innensenator wird es in dieser Angelegenheit noch ordentlich krachen.
Zweimal fragte SPD-MdA Joschka Langenbrinck vergeblich nach der Verteilung von Quereinsteigern in den Schulen – zweimal blockte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ab. Erst als sich der Abgeordnete auf das Verfassungsgericht berief (das hatte die Auskunftsrechte des Parlaments gestärkt), gab sie nach – das Ergebnis: Besonders betroffen sind ausgerechnet Brennpunktschulen. Die Verwaltung kündigte an, jetzt „intensiv“ zu prüfen, wie „eine Steuerung gelingen kann“.
Geblockt hatte auch die AfD-Bundestagsfraktion: Sie bestritt Erkenntnisse meines Kollegen Alexander Fröhlich über ein früheres Mitglied der rechtsextremen „Heimatreuen Deutschen Jugend“ im Stab von Alexander Gauland (mit eigener Telefonnummer im Parlament). Erst nach Veröffentlichung der Recherche über den Hitler-Fan, der den Namen seiner Frau angenommen und bereits im Potsdamer Landtag für den Fraktionschef gearbeitet hatte, wurde bestätigt, was nicht mehr zu bestreiten war, und Gauland sagte der „FAZ“: „Ich frage meine Mitarbeiter nicht, was sie im jugendlichen Alter gemacht haben.“ Unangenehme Vergangenheit interessiert den Hobbyhistoriker („Fürst Eulenburg – ein preußischer Edelmann“, 2010) offenbar nicht so.
Die Berliner AfD hatte gestern übrigens bei Twitter zwei Umfragen laufen – die erste: „Gehört der Islam zu Deutschland?“ Stand heute Nacht bei 40.000 Teilnehmern: 84 % meinten ‚Ja“. Die zweite: „Erfüllt Kanzlerin Merkel ihren Amtseid zum Wohle des deutschen Volkes?“ Hier sagten sogar 85 % der Teilnehmer: „Ja“. Noch vor dem Morgengrauen löschte die AfD ihre Umfragen klammheimlich wieder - offenbar war die russische Bot-Armee der Partei geradeauf einem anderen Schlachtfeld beschäftigt.
Und auch Shahak Shapira hat eine Umfrage gestartet, die Frage: „Gehört die AfD zu Deutschland?“, die Antwortmöglichkeiten: „Nein“, „Nein“, „Kommt auf’s Jahr an“, „Nein“. Hm, da kann man sich ja gar nicht entscheiden…
Telegramm
Unfassbare 60 Spritzen mit Nadeln und weitere Fixerutensilien sammelten Helfer der Initiative „Clean Kiez“ an einem einzigen Tag auf den Spielplätzen im Akazienviertel ein – die Drogenpolitik dreht sich im Kreis, immer schön der gerade wieder irgendwo verdrängten Szene hinterher.
Frage des Tages: Wer wird zuerst abgerissen – der BER oder Herr Dirks von der Lufthansa (der den Abriss des BER prognostiziert)? Ich tippe mal auf Letzteren. Mit dem seltsamen Verhältnis der Lufthansa zu Berlin beschäftigt sich auch Gerd Appenzeller in unserem neuen Podcast.
Die politische Linie der Stadtentwicklungsverwaltung ähnelt derzeit einem Hasen auf der Flucht – zick, zack, zick… Aktuelles Beispiel: Berlins größtes Bauprojekt „Blankenburger Süden“ in Pankow. Hier waren erst 6000 Wohnungen geplant. Dann erhöhte Senatorin Lompscher auf 10.000 – ohne Beteiligung der Anwohner. Nach massiven Protesten baut die Koalition jetzt zurück: SPD, Grüne und Linie einigten sich gestern darauf, „die Anlage nicht zu überplanen“ - auch die Tangentialverbindung quer durch die Erholungsanlage ist vom Tisch – „politisch nicht durchsetzbar“, heißt es jetzt. Heute sollen die Fraktionen über die abermalige Wende informiert werden.
Ein Miniladen in Charlottenburg hat maximalen Ärger: Ein großes Kaufhaus am Tauentzien (Name der Redaktion bekannt) untersagte kurz vor Eröffnung des Startup-Markts, in dem es nur Produkte gibt, die noch nicht eingeführt sind, die Verwendung des Titels „KaDeTe“ (Kaufhaus des Testens). Man kann’s ja mal versuchen.
Ein zerbrochener Gullydeckel hat gestern auf der A100 (Ausfahrt Kurfürstendamm) den Verkehr ausgebremst – Staus bis zum Britzer Tunnel und 90 Minuten Wartezeit waren die Folge. (Bitte ausschneiden und dem Arbeitgeber vorlegen).
Drei Jahre lang hat Ex-Finanzsenator Ulrich Nußbaum jeden Dienstag in seiner „B.Z.“-Kolumne „Butter bei die Fische“ geschrieben, warum er der bessere Regierende Bürgermeister wäre – außer dem Checkpoint (und dem zuständigen „B.Z.“-Redakteur) hat’s aber offenbar keiner gelesen, oder seine Argumente waren doch nicht überzeugend genug. Jetzt, da er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium unter Studienfreund Peter Altmaier – sorry: über Studienfreund Peter Altmaier ist, hat’s leider nicht mal mehr für einen Abschiedsbeitrag gereicht – er hielte das „nicht für angemessen“, teilt die Redaktion mit, jetzt noch Politik zu kommentieren.
So, und jetzt noch was in eigener Sache: Christoph Biermann aus der „11Freunde“-Chefredaktion hat mich für heute zu seinem „Fußballsalon“ in der Bar des Deutschen Theaters eingeladen (Schumannstraße 13) – ab 21 Uhr sprechen wir über „Liebe im Exil“, und da geht es natürlich vor allem um den 1. FC Köln, der sich auf wundersame Weise am vorletzten Spieltag mit einem Heimsieg gegen die Bayern doch noch auf einen Relegationsplatz retten wird. Na und Arsenal spielt natürlich eine Rolle, ebenso wie der VfL Bochum, an dem der Gastgeber leidet, und Peter Unfried von der „taz“ erklärt, wie man sich eine Beziehung zum VfL Wolfsburg vorzustellen hat. Ein paar Karten gibt’s noch an der Abendkasse (8 Euro, Schüler 6), zwei davon habe ich für den Checkpoint retten können – Bewerbung unter Angabe des Lieblingsvereins bitte an checkpoint@tagesspiegel.de, es gilt der Videobeweis.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Die Personalsituation im allgemeinen Vollzugsdienst ist als prekär zu bezeichnen.“
Gefängnis-Gutachter Gerhard Meiborg bestätigt, was Beschäftigte der Justizvollzugsanstalten auch schon im Checkpoint beklagt hatten: Die Situation gerät „Außer Kontrolle“ (Q und T: Aufmacher der „Berliner Zeitung“)
Tweet des Tages
„Sobald der BER fertig ist, fange ich mit Sport an. Wirklich.“
Stadtleben
Essen & Trinken in Spandau Bei Fisch Frank kommt der Betreiber aus Flensburg – wie auch das Bier. Aber der triftigere Grund, um in die Charlottenstraße 7 (U-Bhf Rathaus Spandau) zu fahren, ist die Flensburger Fischsuppe mit viel Fisch und Nordseekrabben (4,50 Euro) oder der selbstgemachte "Nordische Heringstopf nach Hausfrauenart" mit Bratkartoffeln (9,90 Euro). Foodblogger Georg Weber schmeckt es in dem Lokal in der Spandauer Altstadt richtig gut.
Das Fisch Frank mutet zwar etwas wie ein Imbiss an, bewegt sich aberpreislich und qualitativ auf Restaurantniveau. Geöffnet Mo-Sa 11-20 Uhr
Berlinbesuch eines der zahlreichen Stadtbäder zu empfehlen ist zwar heikel, weil die tatsächlichen Öffnungszeiten berlintypisch „variieren“ können, aber wir wagen es trotzdem. Denn in den historischen Gebäuden versteckt sich - auch nach Renovierung - das ein oder andere Relikt. Im Stadtbad Schöneberg, von dessen einstiger Düsternis als „Städtisches Wannen- und Brausebad“ (eröffnet 1930) kaum noch etwas zu erahnen ist, steht auf der Empore oberhalb der original erhaltenen Treppenhalle, mit dem Rücken zur Spaßbad-Heiterkeit, eine kriegsversehrte Statue einer Badenden des Bildhauers Otto Placzek (1884-1968). Hauptstraße 39 (S-Bhf Julius-Leber-Brücke), tgl. 8-22 Uhr
Das gute alte Vinyl erlebt seit einiger Zeit ein Revival, Fans der Haptik und Sammler sind besonders angetan von den Schallplatten. Der Stoff, aus dem die Platten sind, muss aber nicht unbedingt Vinyl sein: Kakao, Rohrzucker und Kakaobutter tun’s auch. Gibt es für 16 Euro bei Wohlfarth Schokolade in der Choriner Straße 37 in Prenzlauer Berg (Di-Fr 14-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr).