Guten Morgen, gerade sah es noch aus, als wenn Air Berlin bald gar keinen Flughafen mehr braucht, jetzt überrascht der Chef mit einem Nachnutzungskonzept für unsere Lieblingsbaustelle: „Wenn Tegel offen bleibt, kann man aus dem BER ein Museum machen“, sagt Thomas Winkelmann der „Zeit“. Ob die Brandschutzanlage des Gebäudes dafür genehmigungsfähig wäre, ist eine andere Frage. Aber drei Monate vor der TXL-Volksabstimmung wird immer klarer, wie viel Zunder in dem Thema steckt.
Die sympathische Fluglinie Ryanair, bekannt aus Debatten um Freiberufler-Crews, Stehplätze und WC-Gebühren, fliegt jetzt gemeinsam mit Teilen der 17,6%-Volkspartei CDU auf TXL. Gestern wurde das passende Gutachten präsentiert, in dem nur nichts zu Mehrkosten und Lärmschutz steht. Zu Letzterem hat CP-Leserin Danièle B. geschrieben, die mit der Aussicht auf den Single-BER ab 2012 an den Kurt-Schumacher-Platz zog: „Wenn hier drüber gedröhnt wird, kann man sich bei offenen Fenstern NICHT unterhalten! Nicht persönlich und nicht am Telefon. Ich gehe davon aus, dass meine Gesundheit und Lebenserwartung und die meiner Nachbarn erheblich Schaden genommen hat und weiter nimmt.“ Dass die Leute aber auch wegen jeder Lappalie meckern müssen
Post zum selben Thema von CP-Leser Christian P., der gerade vom Möbelhaus seines Vertrauens schön gegrüßt wurde – und fast vom Designerstuhl fiel, weil auf dem Werbebrief prominent das „Berlin-braucht-Tegel“-Logo prangte. Herr P. hat dem Laden daraufhin in einer bitterbösen Mail die Freundschaft gekündigt. Der Fall zeigt exemplarisch, dass das Thema TXL die Stadt noch ordentlich durchrütteln und manche Freundschaft strapazieren wird. Ein Eröffnungstermin für den BER wäre wohl ein wirksames Gegengift, aber wo wir den jetzt so schnell herbekommen sollen, weiß ich auch nicht.
Noch bis morgen kann man sich am Südkreuz von echten Bundespolizisten bestechen lassen: In der Westhalle suchen sie 275 Freiwillige für einen Test zur automatischen Gesichtserkennung; gestern Nachmittag waren rund 180 beisammen. Zur Belohnung werden 25-Euro-Einkaufsgutscheine in Aussicht gestellt. Aber nicht für den BuPol-Fanshop (Mehrzweckstock und Pfefferspray kann man ja immer gebrauchen), sondern ausgerechnet für den Steuervermeidungsdatenkraken Amazon. Power-User, die besonders oft unter den Kameras durchlaufen, haben Chancen auf einen von drei Hauptpreisen: eine Action-Kamera zum Zurückfilmen sowie ein Fitness-Armband und eine Apple Watch. Da ist das NSA-Abo quasi inbegriffen.
„Sie wollen technischen Fortschritt unterstützen“, steht auf dem Flyer dazu, den eine zivile Bundespolizistin mir so charmant überreicht hat, dass ich vor Aufregung kaum Nein sagen konnte. „Melden Sie sich am besten gleich an!“, sagten sowohl der Flyer als auch die Beamtin, die dabei mit dem Arm zur Bahnhofswache wies. Aber dann hatte ich doch zu viel Angst, dass mir vor dem Ausgang mein Fahrrad geklaut wird, während ich drinnen auf der Wache mein Gesicht zu Markte trage für ein Projekt, von dem ich noch nicht recht weiß, ob eswirklich nötig oder doch eher ein Placebo mit unbekannten Risiken und Nebenwirkungen ist.
Mein Kollege Hans Monath hat am Mittwochabend den Theodor-Wolff-Preis des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger erhalten – für seinen Essay „Der Hochmut der Vernünftigen“. Dieses großartige Stück Welterklärung handelt davon, welchen Schaden eigentlich Wohlmeinende anrichten, weil ihnen die Maßstäbe verrutschen und die Akzeptanz anderer – durchaus kritikwürdiger – Ansichten und Weltbilder nicht mehr gelingt. Insgesamt wurden fünf Journalisten geehrt. Deniz Yücel, der wegen seiner Arbeit seit 129 Tagen ohne Anklage in der Türkei in Haft sitzt, erhielt einen Sonderpreis.
Telegramm
Die Resonanz auf unsere CP-Leserweltkarte ist so groß, dass wir interaktive Stecknadeln nachbestellen mussten. Eine bewegliche brauchen wir für Sönke Schmidt, der auf einer Radtour durch die USA gerade in Idaho ist. Und Alexander von Hohenegg berichtet von einer CP lesenden bayrischen Community aus Alice Springs. Rechne man die Berichte über die Berliner Verwaltung und den Baufortschritt am BER auf australische Verhältnisse um, „würden dort wahrscheinlich noch die ersten Siedler versuchen, ins Landesinnere vorzustoßen“, schreibt er.
Ähnlich scheint die Lage in Brandenburg zu sein. Laut einer repräsentativen Umfrage kennen zwar 83 Prozent der Westdeutschen Potsdam, aber nur 55 Prozent wissen, dass es zu Brandenburg gehört. Wie viele Brandenburger Westdeutschland kennen, wurde nicht gefragt.
Wer Brandenburg auf dem Luftweg überbrücken will, braucht einen Ausweis. Und wer am Gate in TXL panisch merkt, dass er den vergessen hat, bekommt auch morgens um 7 von der Bundespolizei (konkret: letzten Do. im Air-Berlin-Anbau) einen Ersatz-Perso ausgestellt – so schnell und freundlich, dass man es am liebsten immer wieder machen würde, wenn die Schrecksekunde nicht wäre.
Der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses hat die Immunität des inzwischen fraktionslos rechts neben der AfD sitzenden Kay Nerstheimer aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft will Nerstheimer wegen Volksverhetzung anklagen, weil er auf Facebook übel über Homosexuelle hergezogen sein soll.
Manche in der Koalition würden Raed Saleh mal wieder zum Tafeldienst verdonnern. Der SPD-Fraktionschef soll die „mittelfristig“ vereinbarte Lernmittelfreiheit in den Haushaltsentwurf 2018 gedrückt haben. Die 27 Millionen Euro dafür müssen noch gefunden werden – genau wie eine Antwort auf die Frage, ob das Geld an anderer Stelle im Bildungsetat nicht besser investiert wäre.
Passend zum Thema die neueste Info von Mittes Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU): „Wegen der angespannten Personalsituation im Schulamt – Fachbereich Schulorganisation – kommt es derzeit zu Engpässen in der Bearbeitung. Eine telefonische Erreichbarkeit kann daher nicht gewährleistet werden.“ Er hoffe auf Besserung Anfang im Juli. CP-Prognose: Am 20.7. beginnen die Sommerferien.
Die Zeit der kostenlosen Tüten ist vorbei? Nicht in Neukölln, wo das (nach allem, was man hört, auch sonst gut funktionierende) Bezirksamt Sämereien verteilt, mit denen die Leute ausdrücklich auch Baumscheiben erblühen lassen sollen. Also das, was die Kollegen in Mitte mit letzter Kraft roden, damit der Bürger begreift, was gut für ihn ist und was er zu unterlassen hat. Nicht auszudenken, wenn an der Sonnenallee der Erste gegen eine Sonnenblume rast.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Man redet doch nicht über die Scheidung, bevor überhaupt eine Hochzeit stattgefunden hat!“
Zoodirektor Andreas Knieriem auf die Frage (von „Berliner Zeitung“ und „Kurier“), was wird, wenn zwischen den beiden Pandas im Zoo nichts läuft. Mehr zum Thema (Zu welchem genau? – Lassen Sie sich überraschen!) morgen im CP.
Tweet des Tages
„Dieser sonnige Morgen wird ihnen von arbeitenden Bauarbeitern präsentiert. Um 07:30Uhr! Mit dem Presslufthammer!“
Stadtleben
Essen ganz weit draußen, also "jottwede". Das südamerikanische Restaurant Casa Toro Negro im havelländischen Dallgow-Döberitz ist in einem alten Bahnhof mit Sommergarten untergebracht. Neben klassischen argentinischen Steaks landen auchLammfilet, Hähnchenbrust, Gambas und Lachsfilet auf dem offenen Grill. Dazu können Kartoffelecken, grüne Bohnen oder Maiskolben an Kräuterbutter geordert werden. Manchmal auch zu Livemusik. Zu finden in der Bahnhofstraße 151 (mit dem RE4 Richtung Rathenow sind es nur 20 Minuten vom Hauptbahnhof), geöffnet tgl. 12-23 Uhr.
Eine Anmerkung zum Currywurst-Burger, den wir vorgestern als neueste Burger-Erscheinung in Berlin vermeldet haben: Checkpoint-Leser Jörg Buch hat sich für uns „geopfert“ und den Wurstburger (aus dem die Autokorrektur einen Wutbürger machen will) im Schillerburger im Akazienkiez getestet. Sein Fazit: „Kann man durchaus essen! Der Wurstpatty ist extrem gelungen, schmeckt nicht nach überwürzter gebrühter Wurstpampe, sondern kommt lecker langfaserig, saftig und samtig daher.“ Aber: „Ich hätte mir das Ganze schärfer und nicht so verzwiebelt gewünscht.“ Lieber Herr Buch, wir bedanken uns für ihre Expertise und sind geneigt, Sie als Gastro-Gast-Kritiker zu engagieren. Interesse?
Trinken im Berliner Untergrund: Im Keller der Kunst-Werke lässt der Künstler und Designer Robert Wilhite mit Bob’s Pogo Bar ein Lokal wiederaufleben, das Ende der 90er Treffpunkt für Autoren, Künstler und Musiker war. Die Bar, die nur donnerstags ihre Pforten öffnet, ist Installation, Salon und Theaterbühne in einem und wird jede Woche von einem anderen Künstler bespielt. Diese Woche übernehmen ab 21 Uhr Natasha Stagg und Chris Filippini den Tresen in der Auguststraße 69 (Mitte, S-Bhf Oranienburger Straße).