Kaum hatte Seyran Ates ihre liberale Moschee eröffnet, bekam sie auch schon die ersten Morddrohungen konservativer Muslime - inzwischen sind es mehr als 100, das LKA hat ihren Personenschutz hochgestuft. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sagt: „Zu unserem Selbstverständnis von Berlin als Stadt der Freiheit gehört, dass niemand für sein Engagement im Sinne des Grundgesetzes bedroht wird.“ Wie es aussieht, ist inzwischen auch dieses Selbstverständnis bedroht.
Oha, was ist denn da am BER passiert? Pünktlich zum 1. Juli veröffentlicht die Flughafengesellschaft den „Baufortschrittsbericht Juni“ (der vom Mai war ja aus Solidarität mit den Zuständen in Tegel ausgefallen) - schauen wir doch gleich mal rein… also,Fertigstellung Terminal: +- 0 % (konstant bei 89 %), Sanierung Kabeltrassen +- 0 % (konstant bei 99 %, das allerdings bereits seit November 2015). Einen Sprung machte dagegen die technische Inbetriebnahme prüfpflichtiger Anlagen - hier werden jetzt 47 % gemeldet (April: 41 %). Wird offenbar Zeit, einen Showakt für die Eröffnungsparty zu buchen.
Unfassbar, wie undankbar die Leute sind: „Neun von zehn Berlinern nennen die Zustände in den Verwaltungen eine Zumutung“, meldet die „Berliner Zeitung" - dabei ist doch dank der super Senatsvorarbeit jetzt schon in vier Wochen ein Termin beim Bürgeramt zu haben (Sie müssten allerdings bis nach Marzahn fahren). Und jetzt könnte das Abgeordnetenhaus auf Antrag der FDP auch noch eine Enquetekommission Verwaltung einsetzen - andere Fraktionen (Ausnahme Linke) haben Zustimmung signalisiert. Im Grunde kommt das einem Misstrauensvotum gegenüber dem Senat gleich.
Zur heutigen Aufgabe für Berlinkenner - ordnen Sie folgenden Sprecherspruch der richtigen Fluggesellschaft zu: „Aeroground hat wieder nicht die Performance gebracht, die wir erwarten.“ Na? Richtig, das war einfach - Air Berlin natürlich (Selbstwahrnehmung: „Wir sind wieder auf Flughöhe“) - allerdings ist das angeschlagene Unternehmen nicht allein: Am Samstag waren wegen schlechter Performance der so genannten „Bodendienstleister“ in Tegel mehr als 250 Flüge verspätet - z.T. bis zu 17 Stunden.(Q: „Morgenpost“).
War ja klar - mal wieder kein Wlan im ICE Köln-Berlin (dafür hatte die Bahn ausnahmsweise das Bordbistro geöffnet). Erste Erklärung der freundlichen Zugbegleiterin: Das war auf der Hinfahrt auch schon so. Zweite Erklärung: Die zuständige Abteilung wurde informiert, aber es ist ja Sonntag, Sie verstehen: Sonntag! Dritte Erklärung: Weil das Wlan (das es nicht gibt) gratis ist, gibt’s auch keinen Anspruch darauf, dass es eins gibt (logo)… und im selben Moment erschien auf dem Monitor über ihr der Spruch „Probieren Sie kostenloses Wlan!“. Fehlte eigentlich nur noch Guido Cantz.
Auf der Onlineseite der Bahn wird das Reisen in der 1. Klasse (das viele Kunden nutzen, um unterwegs besser arbeiten zu können) übrigens so beworben: „Ihre Vorteile (u.a.): Kostenfreies Wlan.“ Wie auch immer: Die Bahn ist das einzige Unternehmen, das mit größter Selbstverständlichkeit angebotene und bezahlte Leistungen regelmäßig schuldig bleibt, aber dennoch den vollen Preis verlangt (plus 12,50 Euro fürs Nachlösen im Zug, wenn die Bahn-App zu lahm war, um das Ticket rechtzeitig vor Abfahrt zu buchen).
Dafür konnte ich dann ein bisschen Betriebsstörungsbingo spielen - denn so ging es weiter: In Hamm hatte der hintere Zugteil „eine technische Störung“ - an der Spitze des Triebwagens klemmte die Klappe, die zum Kuppeln geöffnet werden muss. In Hannover klemmten dann erst am vorderen Zugteil die Türen, dann ging es nicht weiter „wegen fehlender Fahrplanunterlagen für den Lokführer“. Kleiner Tipp: Bei der Tour de France werden die Zeiten immer von begleitenden Motorradbeifahrern auf einer Tafel angezeigt.
Telegramm
Aus der Reihe „Anspruch und Wirklichkeit“, heute: Koalitionsvertrag vs. Koalitionsvertragung. Anspruch: „Die Koalition wird in enger Abstimmung und Zusammenarbeit der Koalitionspartner eine verbindliche Regierungsplanung umsetzen“ (aus dem Koalitionsvertrag, S. 176). Wirklichkeit: „Öffentlich inszenierte Konflikte sind Mist. Es gibt restaurative Tendenzen. Die SPD fällt in ihre alten Muster zurück“ (Kultursenator Klaus Lederer beim Parteitag der Linken).
Neues vom Titanenwurz im Botanischen Garten: Die stinkendste Pflanze der Welt hat ihre Blüte geöffnet - falls Sie es nicht mehr schaffen, sich dieser olfaktorischen Offenbarung vor der Verwelkung im Original auszusetzen, ergeben sich aus der offiziellen Duftnotenbeschreibung Anhaltspunkte für Alternativerfahrungen: „Das Spektrum reicht von gullyartig über vergammelter Kohlkopf bis zu Leichengeruch“. Also eigentlich ganz normal.
Sehr praktisch sind die „Verspätungsbescheinigungen“, die auf der Website der S-Bahn zum Ausdrucken angeboten werden, allerdings steht immer noch „Testversion“ drüber - vielleicht hat sich ja die offizielle Einführung der Verspätungsbescheinigung wegen einer Signalstörung verspätet. (Q: „B.Z.“)
Super Nachricht: „DHL liefert jetzt auch ins All“ - na, da bin ja mal gespannt, bei wem das Paket abgegeben wird, wenn der Bote beim Mann im Mond vergeblich klingelt.
Die CDU hat am Wochenende „Wünsch dir was“ gespielt - herausgekommen ist dabei ein großes Verkehrskonzept, nur für einen kleinen Punkt hat die Zeit leider nicht gereicht: die Finanzierung. Dazu der Kommentar von Franz Müntefering: „Opposition ist Mist“ - hat aber auch seine Vorteile.
„Ein Rad hat sich zu bewegen“, dozierte Frank Castorf an seinem letzten Volksbühnen-Abend - Zuschauer, Schauspieler und auch der Intendant selbst schienen aber zuvor wenigstens noch mal kurz die Zeit anhalten zu wollen: 40 Minuten lang applaudierten sie sich gegenseitig - Rekord. Dann war Schluss mit dem Theater (vorerst jedenfalls).
Hier endlich mal eine Erklärung dafür, warum die Leute in Neukölln ihren Schrott einfach auf die Straße stellen: Es sind gefälschte Sperrmüll-Sammelmeldungen im Umlauf - oft als Aushang in den Hauseingängen. Wie alte Kühlschränke und Teppiche richtig entsorgt werden können, steht hier.
Ihren Humor haben sie im Senat noch nicht verloren - um den TXL-Volksentscheid abzuwehren, kommen sie uns jetzt sogar mit unterirdischen Argumenten: Der BER soll künftig ein „Flughafen der kurzen Wege“ sein, und dafür wird sogar die Absicht verkündet, über eine Verlängerung der U7 bis nach Schönefeld nachzudenken.
Nachtrag - Ja, ja, ist schon klar: „Wo laufen Sie denn“ (CP vom 31.6.) stammt im Original aus den Rennbahngesprächen, die sich bereits 1911 Wilhelm Bendow ausgedacht hat - aber erst Loriot machte den Sketch unsterblich (deshalb der Verweis auf ihn). Außerdem: Daniel Polenta weist darauf hin, dass Flughafenpfarrer Justus Münster („Gut Ding will Weile haben“) uns bisher den BER-Psalm von Petrus verschwiegen hat: „Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, daß ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“ Könnte also sein, dass der BER doch heute früh schon fertig ist.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Ich hoffe, dass wir zwischen 2022 und 2024 anbaden können.“
BBB-Chef Andreas Scholz-Fleischmann über den Plan für die Kombibäder Pankow und Mariendorf. Gesucht wird jeweils ein Generalübernehmer, der 15 Jahre für die Instandsetzung zuständig bleibt (wenn er nicht vorher Pleite geht) - zur Verfügung stehen 60 Millionen Euro.
Zitat
„Entweder steckt Berlin in den Startlöchern, oder es ist eingeschlafen.“
Alexander Meissner, Top-Biologe - er wechselte von einer Spitzenposition am Broad-Institut in Boston zum Max-Planck-Institut und will es jetzt wissen. (Q: Interview im Tagesspiegel)
Tweet des Tages
„Eine Stunde anstehen für Fastfood? Welch Ironie.“
Antwort d. Red.: (Kommentar zum Statement von @ElectrinicFart, dass er bei „Mustafa’s Gemüse Döner“ am Mehringsdamm seit mehr als fünf Jahren immer noch gerne etwas länger ansteht)
Stadtleben
Essen wenn der Pasta-Hunger kommt: Elvira und Roberto Presti stellen in ihrer Nudelfabrik Pasta Presti in der Wühlischstraße 39a in Friedrichshain (S+U Warschauer Straße) Nudeln nach altem italienischen Rezept nur aus Hartweizengries und Wasser her, dazu täglich wechselnde Soßen. Auf den Tellern landen mitunter interessante Nudelkreationen wie Gnocchi an Rote Beete und Kokos-Curry oder Spaghetti an Speck, Datteln und Zwiebeln in Sahnesoße (tgl. ab 11 Uhr). Mehr Tipps aus Friedrichshain-Kreuzberg gibt’s immer donnerstags im Tagesspiegel Leute-Newsletter von Nele Jensch.
Neu in Mitte ist das Jamboree im Grand Hyatt am Marlene-Dietrich-Platz (S+U Potsdamer Platz). Während Retro-Lampen und bunte Cocktailsessel bereits optisch einen interessanten Bruch mit dem 5-Sterne-Chic des Hotels wagen, interpretiert das Barteam um Burak Köseoglu die 80er im Glas neu. So enthält der „Sweet Dreams“ gut abgestimmten Gin, Zitrone, Apfel, Zimt, Nelke und Champagner und „Der Kommissar“ kommt mit Roggenwhiskey, Rosmarin, Campari, Wermut und Tee ins Glas. „Exzentrisch, fröhlich und chic“ nennt Peter Eichhorn den Neuzugang in seinem Beitrag für Mixology. Gleichzeitig sollen Preise um die 11-13 Euro auch Berliner in die Bar locken (geöffnet tgl. ab 12 Uhr).