„Senatsgutachten von Rechtsanwalt Geulen hält Tegel-Offenhaltung für ausgeschlossen“ ist als Meldung ungefähr so überraschend wie „Märchengutachten von Rentier Rudolph hält Existenz des Weihnachtsmanns für gesichert“ - und das nicht (nur), weil Geulen „BER-Advokat und rot-grüner Stammanwalt“ ist (FDP-Fraktionschef Czaja), sondern weil sich an der Ausgangslage vor dem Volksentscheid (24.9.) nichts ändert: 1) Möglich ist alles, 2) Klagen sind sicher, 3) Zwei Juristen, drei Meinungen. Zwischenfazit: Vor Gericht und auf hoher See sind alle in Gottes Hand (solange sie daran glauben). PS: Auf wie viele Meinungen zu Tegel vier Juristen kommen, können Sie am Freitag zwischen 11 und 13 Uhr im Abgeordnetenhaus bei einer vom BUND organisierten Diskussion selbst erleben.
Bei zwei anderen Tegelsachen hat die FDP gestern schon mal vor dem Verwaltungsgericht eine juristische Bruchlandung hingelegt: 1) Der Senat darf seine 431.000 Euro teuren Anti-TXL-Werbebriefe verschicken (Eilantrag abgelehnt). 2) Die Volksentscheid-Initiative darf in Reinickendorf die von Ryanair gesponserten Pro-TXL-Plakate nicht mehr aufstellen. Ist das gemein?
Nein: Der Senat muss die Möglichkeit haben, der kommerzialisierten Partei-Kampagne etwas entgegen zu setzen. Und die Verquickung eines Volksentscheids mit staatlich subventionierter Airline-Reklame ist eine Perversion der Bürgerbeteiligung. Die Initiative (Kurzform: FDP) hatte die „Unterstützung“ von Ryanair bei der Innenverwaltung mit einem Marktwert von 30.000 annonciert. Dafür überließ die FDP der Fluggesellschaft stadtweit mehr als 100 Großplakatplätze, die der Partei für die Bundestagswahl zur Verfügung standen. Jetzt ist als Absender auf diesen Pro-TXL-Plakaten groß das Ryanair-Logo zu sehen und darunter der Werbespruch „Low Fares. Made Simple.“ Und so ist es ja auch: 300 Euro pro Plakat - billiger und simpler als mit dem liberalen Ticket ist Ryanair-Kampfpreispilot O’Leary noch nie auf einen so attraktiven Werbeplatz geflogen. Reinickendorf hat ihm jetzt auf den Straßen die Landerechte entzogen - wann ziehen die anderen Bezirke nach?
Rabbi Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Center streicht Michael Müller als Kandidat für die „Antisemitismusliste“: „Nichts mache ich lieber als das“, zitierte die „Jerusalem Post“ gestern Abend den Vize-Direktor. Zuvor hatte der Regierende Bürgermeister dem Zentralrat der Juden in Deutschland versichert, dass Unterstützer der anti-iraelischen BDS-Bewegung in Berlin keine öffentlichen Räume und Gelder mehr bekommen und mit allen rechtlichen Mitteln gegen die antisemitischen Al-Quds-Demonstrationen vorgegangen wird.
Die abgeschmackteste PR-Aktion der Woche startet heute in der Mall of Berlin (Sie erinnern sich: fertiggestellt von rumänischen Bauarbeitern, die vergeblich ihren Lohn einforderten). „Im Namen der Stadt und aller Berliner“ (mich haben sie allerdings nicht gefragt) will der Projektentwickler den Air-Berlin-Angestellten „Dankeschön“ sagen: Wer einen Mitarbeiterausweis vorzeigt oder eine Firmenuniform anhat, bekommt einen „Ich bin ein Air-Berliner“-Jutebeutel, eine Packung Merci und einen 20-Euro-Einkaufsgutschein (gilt auch für AB-Flugausfallopfer mit Ticketnachweis). Wenn Sie darauf (rein)fliegen wollen: Ab 13 Uhr, „Piazza“ am Leipziger Platz.
Wir blättern um und kommen zum Feuilleton - das Gedicht des Tages stammt vom Lyriker Eugen Gomringer: „Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.“ Hm, na gut. Sowas kennt man ja auch als Bild. Wir blättern weiter und kommen zur Wissenschaft, Fachbereich Astalogie: Die Studierendenvertretung der Alice-Salomon-Hochschule hat das Gedicht von Eugen Gomringer, das im spanischen Original auf die Hochschulfassade gepinselt ist, akribisch untersucht und Spuren von Sexismus entdeckt: Frau und Bewunderer? Quatsch: Gaffer mit Muse! Widerlich. Weg damit. Schon lobt der Akademische Senat der ASH einen Wettbewerb zur Neugestaltung der Fassade aus. Ha! Da macht der Checkpoint natürlich gerne mit: „Köpfe/Köpfe und Bretter/Bretter/Bretter und Nägel/Köpfe/Köpfe und Nägel/Köpfe und Bretter und Nägel und/ein Hammer/.“ Ok?
Telegramm
Nach den Supermärkten (die ersten Lebkuchen sind ausgeliefert) hat jetzt auch die S-Bahn ihre Weihnachtssaison eröffnet – Sie wissen noch, woran man das merkt? Logo, an Fahrersprüchen wie diesem: „Bitte auch andere Türen am Zug öffnen, ist ja kein Adventskalender!“ (gehört von Louis Stümmler)
Air-Berlin-Interessent Alexander Skora (Qualifikation u.a.: Betreiber des „Happy-go-Lucky“-Hostels am Stutti) hat Ärger mit einer seiner anderen Immobilien in Neukölln: Das Oberveraltungsgericht stellte fest, dass der Betrieb des Hostels „Fantastic Foxhole“ in der Weserstraße rechtswidrig ist. Falls Skora tatsächlich den Zuschlag für Air Berlin bekommt: Wie würde er den Flugbetrieb mit Skybistro wohl nennen? „Champagne Supernova“?
Neues von unserer Lieblingseinheit PPPP (Pimper-Pinkel-Party-Polizei, Nr. 32), bekannt für repräsentative Auftritte und berlinensisches Benehmen (zuletzt beim Gipfel in Hamburg): Ihr gestrenger Gruppenleiter hatte in der Rigaer Straße einen pupsenden Linksaktivisten angezeigt (offizieller Vorwurf: „Beleidigung und Ehrverletzung einer Beamtin durch Flatulenz“) - gegen den Strafbefehl von 900 Euro legte der Mann Widerspruch ein, jetzt kam es zur Verhandlung vor dem Amtsgericht. Das Ergebnis: eine Luftnummer - die Richterin stellte das Verfahren ein.
Zahl des Tages: 0 (Null) - mit einem Bevölkerungswachstum in dieser nicht vorhandenen Größe rechnet der Senat offiziell für die nächsten drei Jahren in Mitte. Erheiterte Verblüffung gestern im Stadtentwicklungsausschus der BVV, als Stadtrat Ephraim Gothe die Prognose präsentierte - alleine bis zur Hälfte dieses Jahres zählte Mitte einen Zuwachs von 2500 Einwohnern. Kommentar des Piraten-Abgeordneten und Informatikers Michael Konrad: „Bei der Ermittlung der Bevölkerungsentwicklung haben wohl die Taschenrechner der Verwaltung ein Overflow produziert und NULL zurückgegeben.“
Und noch was aus Mitte: „Kroneneinkürzung im Großen Tiergarten“, meldet das Bezirksamt – huch, geht’s dem Kaiser jetzt endgültig an den Kragen? Nein, nur 23 bruchgefährdeten Bäumen.
Aus der Leserinnenpost: Die Damentoilettensituation in der Philharmonie (CP von gestern) ist offenbar tatsächlich ein drängendes Problem, aber leicht zu lösen („Was stört mich ein blödes Schild, wenn ich muss und das Pausenende eingeklingelt wird?“): Hiermit erklärt der Checkpoint den Scharoun-Bau sowie sämtliche weitere Musikhäuser und Opern zur Unisex-Zone. Bitte diese Meldung ausschneiden und im Konfliktfall zur Klärung vorlegen. Pikierte Herren können sich melden unter checkpoint@tagesspiegel.de, gerne werden wir Ihre Beschwerde namentlich veröffentlichen.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
Als Inhaber einer Top-Bonus-Card erhalten Sie... oh, Entschuldigung: Sie bekommen ja gar keine Bonusmeilen mehr…“
Ansage der Kabinencrew gestern beim Flug AB 6514 von Köln/Bonn nach Tegel. Die Maschine war übrigens pünktlich. (Gehört von Volker Düring)
Zitat
„Wenn Sie mich fragen, was ist deutsche Leitkultur, dann antworte ich: die Kritik als wichtigste Form der Auseinandersetzung.“
Chris Dercon spricht im „Morgenpost“-Interview über seine ersten Erfahrungen als Volksbühnenintendant und die Grenze zwischen Streit und Hass.
Tweet des Tages
„Der Zug muss jeden Moment kommen. Die Schienen liegen ja schon.“ Man liebt uns Berliner für unseren Optimismus.
Stadtleben
Das Emma Pea zwischen den Clubs Cassiopeia und Badehaus auf dem RAW Gelände ist nicht nur in langen Nächten ein guter Anlaufpunkt. Auch sonst kann in der alternativen Bistro-Bar mit Kamin und zusammengewürfeltem Interieur unter bunten Graffitis der vegetarischen Küche gefrönt werden. Auf der Karte stehen Kürbiscurry, Wraps, Tapas und gebackener Blumenkohl. Definitiv ein Highlight: der Asia-Burger mit Krautsalat, Süßkartoffeln, Mango-Mayonnaise und Erdnusssauce. Zu finden in der Revaler Straße 99 in Friedrichshain (S-U Warschauer Straße). Geöffnet Di-Fr ab 17 Uhr, Sa ab 16 Uhr, So ab 14 Uhr.
Neu im Weitlingkiez in Lichtenberg ist die Bar Zum Schwalbenschwanz eingezogen. Vergangenes Wochenende haben die Jungs vom Wilde-Möhre-Festival die neue Hipster-Bar in der Margaretenstraße 22 (S-Bhf Lichtenberg) eröffnet. Mit Livemusik, Poetry Slams, Lesungen, "Möhre-Kino" und guten Drinks soll die Zeit bis zur nächsten Festival-Saison überbrückt und die Barszene in Lichtenberg aufgemischt werden. Heute auf dem Programm: Ein Kneipenquiz mit Hindernisparcours (Eintritt 2 Euro). Geöffnet Di-So ab 18 Uhr.
Für maritimes Flair ist Tempelhof eigentlich nicht bekannt. Aber das Einkaufscenter Tempelhofer Hafen heißt nicht nur wegen seiner Lage am Teltowkanal so, sondern verfügt auch über eine Mini-Marina. Von einer der Terrassen der Cafés kann man den auf dem Wasser dümpelnden Booten zuschauen und sich an den Hafenpier einer italienischen Bucht träumen (Tempelhofer Damm 227, U-Bhf Ullsteinstraße).