Es waren unfassbare Szenen, die sich gestern in Berlin abspielten. Der Tag begann mit der fürsorglichen Meldung „Bundesregierung rät zur Gartenarbeit“ – als Ersatz für die geschlossenen Sportstudios. Da öffneten die Betonstädter ihre Türen und versammelten sich bei 20 Grad und Sonnenschein überall in den Parks, umarmten und küssten sich, ließen die Flaschen kreisen und pfiffen auf Corona, den Senat und die Welt.
Am Abend dann, die dritte Welle wurde immer steiler, ein Impfstoff aus dem Verkehr gezogen, ein wirksamer Lockdown abgelehnt, deklamierte Angela Merkel: „Der Prozess des Nachdenkens ist noch nicht abgeschlossen.“ Heureka. Vielleicht könnten die Kanzlerin und der Relativierende Bürgermeister Corona um ein Moratorium bitten, bis in diesem Prozess mal ein Urteil fällt?
Denn je länger das Virus wütet, desto wütender werden die Leute – und zwar auf die Politik. „Die Lage ist ernst“, nennt der NDR die neuste Folge seines Corona-Podcasts mit Christian Drosten. „Der Begriff der Dauerwelle gehört in den Friseursalon und nicht in die Infektionsepidemiologie“, sagt da der Virologe, „wir kennen diesen Begriff dort überhaupt nicht.“ Was Drosten dagegen kennt: das Wort „Holzhammer“ – und den hält er jetzt für erforderlich: „Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen.“
Auch Bürgermeister Klaus Lederer schreibt (Bezug nehmend auf die jüngsten Senatsbeschlüsse): „Mit jedem Tag wird leider klarer: Das genügt nicht, um die dritte Welle zu brechen.“ Ausgangssperren lehnt er als „hilflos und rein symbolisch“ ab: „Wir müssen Verhältnisse ändern, damit Menschen ihr Verhalten ändern können.“ Der Kultusenator befindet sich derzeit in Quarantäne, die Folgen einer Bundesratssitzung.