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Berliner Senat beschließt weitere Einschränkungen fürs öffentliche LebenDie Not-Betreuung von Kindern wird flexiblerDie BVG kann 1500 neue U-Bahnwagen nach Kammergerichtsurteil endlich bestellen

es wird weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Berlin geben: Als nächstes sollen Restaurants gar nicht mehr öffnen dürfen, und die zulässige Größe von Versammlungen wird voraussichtlich auf zehn Personen reduziert (bisher: 50). Doch dabei bleibt es voraussichtlich nicht: Nachdem Bayern Ausgangsbeschränkungen beschlossen hat, wächst der Druck auf die anderen Länder. Am Sonntagmittag berät die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten über das weitere Vorgehen, das Ziel: ein einheitliches Vorgehen.

Linke und Grüne in Berlin lehnen Ausgangsbeschränkung allerdings bisher rigoros ab, im Gegensatz zu Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci - im Senat kam es am Donnerstag deshalb fast zum Eklat. Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer fragte Kalayci erregt, ob sie überhaupt noch für den Senat sprechen könne. Nur SPD-Fraktionschef Raed Saleh verteidigte die Senatorin - „wie ein Löwe“, hieß es später, die etwas feinere Beschreibung von „brüllend“.

Auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, wie Lederer Bürgermeisterin, stellte den Nutzen von Ausgangssperren in Frage und hielt den möglichen Schaden dagegen: Wenn Familien wochenlang nicht herauskönnen, kommen noch ganz andere Probleme auf die Stadt zu – und wie lange soll das gehen? Zudem sei ja nicht sicher, ob es in Berlin wirklich so viele schwere Krankheitsverläufe geben werde wie anderswo.

Justizsenator Dirk Behrendt warf ein, ob sich Berlin nicht eher an Taiwan oder Südkorea orientierte sollte – dort wird viel intensiver getestet. Andererseits: Läuft nicht Berlin jetzt die Zeit davon? Im Hintergrund hustete dazu immer mal wieder wie ein Menetekel Steffen Zillich, der parlamentarische Geschäftsführer der Linken. Er war nicht der einzige, den es im Hals etwas kratzte.

Bei einer Telefonkonferenz am späten Freitagnachmittag ging es dann friedlicher zu, die Last der Entscheidung, vielleicht aber auch die Distanz, ließ alle wieder ein wenig zusammenrücken. Am Abend verkündete Michael Müller dann in der Abendschau:

Wir haben keine Angst vor irgendwelchen Entscheidungen. Aber Dinge müssen durchsetzbar und durchhaltbar sein. Eine Ausgangssperre wird dramatische soziale Folgen haben. Ich will so etwas so weit wie möglich vermeiden“.

Müller sagt aber auch: Die bisherigen Maßnahmen haben noch nicht gereicht. Und ob die nächsten Maßnahmen zu Restaurants und Gruppengrößen reichen werden, weiß niemand. Wie weit ist „so weit wie möglich“ entfernt? Zu lange warten, kann tödlich sein. Müller will keine Ausgangssperren, aber er schließt sie nicht aus. Müller will ein einheitliches Vorgehen aller Länder und des Bundes. Wenn die aber am Sonntag den Ausgang beschränken, setzt Müller das dann auchdurch?

Rechtlich ist die Sache heikel – gesellschaftlich sowieso. Bisher sprechen alle über das Infektionsschutzgesetz. Aber in den Notstandgesetzen heißt es. „Bei länderübergreifenden Katastrophen kann die Bundesregierung den Ländern Weisungen erteilen.“ Seuchen zählen dazu. Nicht, dass die Generation der politisierten 68er am Ende noch von jenen Gesetzen gerettet wird, gegen die sie am heftigsten kämpfte.

Drei kurze Fragen, auf die es noch keine vernünftige Antwort zu hören gab:

1) Warum bekommen in Supermärkten nicht alle Kassenbereiche einen Plexiglasschutz?
2) Wer ist auf die irre Idee gekommen, dass Friseure zur systemrelevanten Versorgung gehören?
3) Warum stürzt die Bildungsverwaltung die AbiturientInnen ins Chaos?

Zu 3: „Ich habe so die Schnauze voll“, sagte gestern einer der Schulleiter, der selbst entscheiden sollte, wann die Prüfungen stattfinden – und damit zu verantworten hat, schon bald größere Gruppen von Schülerinnen und Schülern zusammenzubringen, auf dem Höhepunkt der Infektionswelle. Das ist absurd. Absurd gefährlich. Und unhaltbar.

Zwischendurch mal eine Nachricht aus dem Vatikan: „Die katholische Kirche will allen mit dem Coronavirus infizierten Gläubigen die Sünden erlassen“ - sie müssen dazu nur an einem online übertragenen Gottesdienst teilnehmen oder in der Bibel lesen, das allerdings „mindestens eine halbe Stunde“. Das sollte zu schaffen sein.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres hat die Notbetreuung neu geregelt – bisher werden nur ca. 6 % der Kinder von Eltern mit „systemrelevanten Berufen“ beaufsichtigt, bis zu 15 % wären möglich. Anspruch auf eine Notbetreuung besteht in den Kitas und Schulen der Grundstufe 1 bis 6. Bisher konnten das jedoch nur solche Familien nutzen, in denen beide Elternteile in entsprechenden Berufsgruppen arbeiteten.

Jetzt hat der Senat an dieser Stelle nachgebessert. Wie die Bildungsverwaltung am Sonnabend mitteilte, "wird die strikte Regelung, dass beide Elternteile in den festgelegten Berufsgruppen arbeiten müssen, für einige dieser definierten Berufsgruppen aufgehoben" - dann reicht es, wenn ein Elternteil einen entsprechenden Beruf hat.

Für diese Berufsgruppen gilt die "Ein-Elternregelung" künftig: Pflege, Polizei, Feuerwehr, Justizvollzug, Behindertenhilfe, Einzelhandel (Lebensmittel- und Drogeriemärkte) sowie den Gesundheitsbereich (ärztliches Personal, Pflegepersonal und medizinische Fachangestellte, Reinigungspersonal, sonstiges Personal in Krankenhäusern, Arztpraxen, Laboren, Beschaffung und Apotheken).

Damit machte sich der Senat in einer telefonischen Konferenz eine von Scheeres eingereichte Vorlage zu eigen. "Die Situation ist derzeit für viele Eltern zweifellos sehr schwierig", teilte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit. "Mit der veränderten Notbetreuungs-Regelung für Eltern wollen wir gezielt jene derzeit lebenswichtigen Bereiche im Gesundheitssektor und anderswo unterstützen, die aktuell einen besonders großen Personalbedarf haben." Eine entsprechende Änderungsverordnung zum Erlass werde für die nächste Senatssitzung vorbereitet, hieß es aus der Bildungsverwaltung.

Die Bundesregierung wird am Montag über Sofortmaßnahmen zur Unterstützung von Solo-Selbständigen, Kleinstgewerbetreibenden und Kulturschaffenden beraten – dabei geht es um Zuschüsse, einen erleichterten Bezug von Arbeitslosengeld und ein Kündigungsmoratorium. Hinter der Initiative steht u.a. die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe. Die Bundeshilfen sollen den Betroffenen zusätzlich zu den bereits in Berlin beschlossenen Maßnahmen zugutekommen, um ihre Existenz zu sichern.

Zu den Besäufnisanstalten, die sich am vergangenen Sonnabend nicht an die Schließungsverfügung des Senats hielten, gehört das „TiER“ in der Neuköllner Weserstraße. Mein Kollege Sebastian Leber war für seine Reportage gegen 21.45 Uhr hier, gesehen und gehört hat er das:

In der Raucherkneipe „Tier“ wird dagegen gefeiert. Der Laden ist voll, die Gäste sitzen und stehen eng beieinander. „Morgen leider nicht mehr“, erklärt die Bedienung. „Eigentlich hätten wir heute schon nicht mehr aufmachen dürfen.“ Sie hätten irgendwie zu spät von der Senatsentscheidung erfahren. „Jetzt nehmen wir mit, was geht.“

Das hat dem Betreiber des Ladens nicht gefallen, wahrscheinlich war er beleidigt, dass wir sein Etablissement als „Raucherkneipe“ tituliert haben, jedenfalls schreibt er uns unter der Überschrift „Gegendarstellung“ u.a.:

Unwahr ist, dass in der Rauchkneipe TiER gefeiert wurde. Wahr ist, dass an diesem Abend in der Cocktailbar TiER nicht gefeiert wurde, es wurden lediglich Cocktails und andere Getränke getrunken.“ Außerdem sei die Bar „kaum gefüllt“ gewesen.

Und jetzt fragen wir uns: Lässt sich mit Cocktails und anderen Getränken in Neukölln nicht feiern? Warum erfahren wir das erst jetzt? Und wie kann eine Bar kaum gefüllt sein, wenn sie voll ist wie die feiernden Gäste? Wir werden der Sache im Dienst der Aufklärung auf den Grund gehen wie einem leckeren Cocktail im Glas, Rerum Cognoscere Causas. Und dazu schauen wir uns das kleine Video von dem Abend im TiER nochmal an, ich will da auch gar nicht zuviel von dieser Party erzählen, das ist im Berliner Nachtleben ja eher verpönt. Don't drink and tell, aber so viel kann ich verraten: Es ist voll beindruckend – oder heißt es: beeindruckend voll?

Raketenschnell zog gestern die Firma „Rocket Internet“ die Kündigung von Räumen in der Urbanstraße zurück - nachdem Julius Betschka von Team Checkpoint dort nachgefragt hatte, wie sich das denn mit der Ankündigung des Unternehmens verträgt, den Mietern sozialverträgliche Lösungen anzubieten. Die Antwort aus dem Haus der Samwer-Brüder:

Die Kündigungen wurden bereits Mitte Februar angestoßen, bedingt durch Krankheitsfälle bei der externen Hausverwaltung jedoch erst jetzt zugestellt. Die gesamtwirtschaftliche Situation ist nun eine andere wie Mitte Februar und wir werden daher die zwei Kündigungen zurücknehmen.“

Unterschrieben wurden die Kündigungen den Unterlagen zufolge allerdings erst am 17. März - an dem Tag lautete die Schlagzeile im Tagesspiegel: „Deutschland macht dicht“.

Die Gerichtsvollzieher sollen wegen der Corona-Krise übrigens „soweit wie möglich von Zwangsvollstreckungen im Wohnraum Abstand nehmen“ – darum hat Staatssekretärin Daniela Brückner nach Checkpoint-Informationen den Präsidenten des Kammergerichts Bernd Pickel und die Amtsgerichtspräsidenten gebeten.

Außerdem: Bei Zahlungsrückständen soll es keine Sperrung von Strom- und Gasversorgung geben – haben die Unternehmen angekündigt.

In Kreuzberg sind überall Kreidezeichnungen aufgetaucht (hier zu sehen) – sie markieren den Abstandsradius von 1,5 Meter. Dahinter steckt eine engagierte WG, in der Nachricht an den Checkpoint grüßt „herzlich distanziert“ Jenny. Wir grüßen herzlich distanziert mit Dank zurück.

Umfrage 21_03_2020

Vivantes stellt dem Klinikpersonal Personal nach CP-Informationen jetzt einen „personalisierten, textilen Mund-Nasen-Schutz“ zur Verfügung – 10.000 Stück werden bis Anfang nächste Woche verteilt, weitere 50.000 Stück sollen in wenigen Tagen folgen. In einer Handreichung heißt es: „Für die Wäsche der Mehrweg-MNS ist jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin selbst verantwortlich“. Die gute Nachricht kommt zum Schluss: „Bügeln erlaubt“.

p.s.: Bitte basteln Sie sich keine Masken selbst – sie schützen meist nicht.

Und hier noch ein Warnhinweis: Falls Ihnen irgendwo die wirren Corona-Thesen des Lungenarztes und Ex-SPD-Abgeordneten Wolfgang Wodarg begegnen: Hier steht, warum Sie dazu auf größtmögliche coronale Distanz gehen sollten (es sei denn, Sie halten auch den Klimawandel für eine Erfindung der geheimen Untergrundarmee von Angela Merkel – aber dann wären Sie hier sowieso im falschen Film).

Checkpoint-Abonnenten lesen heute außerdem:

+Neue Verhaltensregeln: Wie in Neukölln jetzt die Hygiene erhöht wird.

+Neues Lied: Wie Heimgeh-Gegner Frank Zander auf den Coronavirus reagiert.

+Keine Panik: Was Udo Lindenberg zum Corona sagt.

+Brett vor'm Kopf: Was der World Wood Day mit dem Virus zu tun hat.

+World Poetry Day: Welches Gedicht jetzt Daheimbleiber tröstet.

+Post vom Prinzen: Wie das Tagesspiegel-Duell mit den Hohenzollern abläuft.

+Eletrifizierende Namen: Wie die Berliner Stadtwerke ihr neues „E-Infomobil“ nennen wollen

+Versorgungsengpässe: Welchen besonderen Baum der Bezirk Charlottenburg partout nicht pflanzen kann.

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