dass die Nächte mal wieder länger werden, ist in Berlin eigentlich immer eine gute Nachricht (auch, wenn nach der Sonnenwende, also ab sofort, bei demnächst 30 Grad im Schatten, die ersten Schoko-Weihnachtsmänner gegossen werden). Fehlt nur noch die Party zur Nacht – und dazu gibt’s weiter unten eine krachende Idee. Aber jetzt erst mal zu unserem Regierenden Bürgermeister.
Normalerweise macht ein Verfallsdatum einen Politiker zur „lame duck“ – doch seitdem Michael Müller seinen Abgang als SPD-Landesvorsitzender angekündigt hat, wird er zum Überflieger. Im Aufwind der Krise kreist er über der Stadt und freut sich über die immergleiche Frage: Tritt er etwa doch noch mal an als Kandidat fürs Amt des Regierenden Bürgermeisters?
Einer, der Müller dabei kräftig warme Luft unter die Flügel wedelt, ist sein alter Gefolgsmann Robert Drewnicki. Wie ein sprechendes Werbeplakat haut der Strategiechef in der Senatskanzlei eine Jubelstanze nach der anderen heraus. Ein Interview Müllers in der „taz“ z.B. feiert Drewnicki bei Twitter gerade andächtig so: „Authentisch. Ehrlich. Nachdenklich. Politisch. Und hat noch was vor.“ Aber was?
Bert Schulz fragt im „taz“-Interview vorsichtig, mit Bezug auf Angela Merkel: „Gab es auch bei Ihnen konkrete Anfragen, dass Sie noch mal als Spitzenkandidat der SPD antreten?“
Müller: „Franziska Giffey und Raed Saleh werden für den SPD-Landesvorsitz kandidieren. Die anderen Fragen spielen zu einem späteren Zeitpunkt eine Rolle.“
Schulz verweist auf die verpasste Möglichkeit, in einem „Lanz“-Interview „alles klar zu machen“, stattdessen habe Müller alles offen gelassen. „Warum?“
Müller: „Ich habe etwas entschieden für den Parteivorsitz. Und damit – ich mache mir ja nichts vor – gibt es auch eine Diskussion um die Situation im Roten Rathaus. Das ist okay, aber noch ist nichts entschieden.“
Schulz: „Was treibt Sie denn?“
Müller: „Es macht einfach Spaß, wenn man spürt, da geht noch was – da hören Sie bei Ihrer Arbeit doch auch nicht morgen auf!“
Streng genommen hält sich Müller an die mit Giffey und Saleh für die Kommunikation nach außen verabredete Sprachregelung (erst das eine, dann das andere). Doch was auffällt: Raed Saleh weicht einer Antwort auf die Frage nach der Spitzenkandidatur stoisch aus (wie gerade wieder im Tagesspiegel-Interview), Müller dagegen gibt sich genussvoll sybillinisch – auch wenn sich die Interviews der vergangenen Wochen wohlwollend als Abschlussbilanz oder Vermächtnis lesen lassen.
Der Regierende kokettiert – oder taktiert. Oder beides. In der Partei jedenfalls wächst die Unruhe wieder, manche sind auch schwer genervt. Und die vergangene Woche begann fast mit einem Eklat. Es tagte der geschäftsführende Landesvorstand mit den Kreisvorsitzenden, auch Franziska Giffey war dabei. Top-Thema: Die Orga für einen zweiten Parteitag im Dezember (voraussichtlich am 12.12.) nach der Kür der neuen Landesvorsitzenden am 31. Oktober. Alle dachten, es geht um die Plätze für die Bundestagswahl und die Spitzenkandidatur. Doch Müller ließ erkennen: Was den zweiten Punkt betrifft, hält er den Mai 2021 für besser geeignet, seine Begründung: Da ist es sicherer, wegen Corona und der Raumsituation.
Mai 2021 – da hätte Giffey als Spitzenkandidatin nur wenige Wochen für ihren Wahlkampf. Kopfschütteln in der Runde. Es folgte ein kurzer Schlagabtausch, Tenor der Giffey-Seite: Es ist doch sowieso alles klar, nur für die Presse werde die Geschichte offengehalten. Die interne Verabredung für die Spitzenkandidatur laute, Giffey macht’s – da müsse man doch hier nicht so tun, als ob… aber da sagte Müller: „Ja, es gibt eine Verabredung – für den Parteivorsitz.“ Und Giffey saß da wie versteinert.
Müller spielt offenbar auf Zeit. Zumindest kann er so seine Chance auf Listenplatz 1 für die Bundestagswahl verbessern – wenn er nicht überzieht.
Für die Morgenpost öffnete der Regierende am Sonntag sein privates Fotoalbum. Schule, Ausbildung, Tempelhof, die Druckerei des Vaters und ein Kindertraum, der zur Überschrift wird: „Der verhinderte Astronaut“. Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2020. Das sind die Abenteuer des Raumschiffs Rathaus, erzählt von Theodor Storm: „Junge“, sagte der gute alte Mond, „hast du noch nicht genug?“ – „Nein“, schrie Häwelmann, „mehr, mehr!“. Da wurde es im ganzen Himmel auf einmal so dunkel, dass man es ordentlich mit Händen greifen konnte. „Leuchte, alter Mond, leuchte!“ schrie Häwelmann, aber der Mond war nirgends zu sehen und auch die Sterne nicht; sie waren schon alle zu Bett gegangen.
„Niedriges Risiko – Bisher keine Risiko-Begegnung“, zeigt meine Corona-Warn-App an. Aber die Zahl der aktiven Fälle steigt in Berlin seit Tagen deutlich, der R-Wert (Ansteckung pro Person) liegt bei 1,58 – kein guter Trend jedenfalls. Wie sorglos ausgerechnet manche Politiker mit der unsichtbaren Gefahr umgehen, zeigt u.a. Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (ChaWi) – unbekümmert verbrachte er trotz Reisewarnung seinen Pfingsturlaub in Schweden, die verordnete zweiwöchige Quarantäne ignorierte er. Naumanns Begründung: Die Amtsärztin des Bezirks habe sein Angebot akzeptiert, stattdessen eine Woche ins Homeoffice zu gehen. Bonum relationes. Wir lernen: Die Corona-Verordnung ist verhandelbar – jedenfalls für Bezirksbürgermeister.
Eine weitere Erkenntnis im Fall Naumann: Das Virus kann strikt trennen zwischen Dienstlichem und Privaten – jedenfalls (siehe oben) bei Bezirksbürgermeistern. So fehlte Naumann am Freitagnachmittag vor einer Woche zwar bei einem wichtigen BVV-Termin, feierte aber am Abend fröhlich mit Freunden in einem Lokal seinen zehnten Hochzeitstag. Am nächsten Tag besuchte er den Wochenmarkt am Karl-August-Platz. Naumanns Erklärung hier: Außerhalb seiner Dienstzeit sei er „Privatmann“ und nicht Bürgermeister. Und außerhalb der Dienstzeit ist der Bürgermeister nicht mal für Covid-19 zu sprechen.
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Corona-Verordnung offenbar für nicht anwendbar auf Politiker – im TXL-Terminal wartete er (wie hier zu sehen) inmitten von Maskenträgern ohne den vorgeschriebenen Mund-Nase-Schutz auf seinen Rückflug nach Stuttgart (Co2-Verbrauch: 318 kg). Vielleicht wollte er sich aber auch nur den örtlichen Gepflogenheiten anpassen – vor allem in Bussen und Bahnen hängt die Maske locker unterm Kinn. Das ist zwar verboten, wird aber weder verfolgt noch sanktioniert. Doch das wird sich am Dienstag ändern: Nachdem Innensenator Andreas Geisel völlig überraschend Kontrollen für möglich erklärte, sind plötzlich auch die Grünen für Strafen. Der Senat wird den Bußgeldkatalog entsprechend erweitern – nur die Höhe steht noch nicht fest (für Bürgermeister verhandelbar).
Wenn Wörter wegen Missbrauchs klagen könnten, hätte „Solidarität“ gute Chancen auf Schadensersatz. Wenn aber der Bundesinnenminister Strafanzeige gegen eine freie Journalistin stellt, weil ihm eine Kolumne nicht passt, muss die Solidarität wieder ran. Konkret: Horst Seehofer will, dass gegen „taz“-Autorin Hengameh Yaghoobifarah ermittelt wird „wegen des unsäglichen Artikels über die Polizei“ – und da kann es (anders als über den Text selbst) nicht nur für einen Journalisten keine zwei Meinungen geben: Die Presse- und Meinungsfreiheit gilt – oder sie gilt nicht. Der Staat mit all seiner Macht gegen eine unbequeme Journalistin, die (wenn überhaupt) einen Berufsstand beleidigt (und deswegen Morddrohungen erhält):Was für eine autoritäre Pose. Und auch, wenn der Innenminister, der ja nebenbei Verfassungsminister ist, die Fassung verliert: Sein Angriff auf die Medien (ja, die Medien – da sind wir aus Prinzip und zur Verteidigung der Grundsätze einer freien Gesellschaft absolut solidarisch) ist nicht nur „unsäglich“, sondern unerträglich.
Wenn Voltaire noch lebte, er hätte Seehofer jetzt die Reden von Franz-Josef Strauß vorgelesen – der beschimpfte Schriftsteller als „Dreckschweine“ und Journalisten als „Ratten und Schmeißfliegen“. Strauß irrte. Genauso wie Erdogan und der IS. Das müsste Seehofer eigentlich wissen. Alles weitere regelt der Presserat.
Berliner Schnuppen
Telegramm
Neues aus der Reihe „Berlins marode Schulen“, heute: Neukölln. Letzter bekannter Sanierungsbedarf in Euro: 346.963.996,32. Betroffene Schulen: „Alle“. (Q: Bildungsverwaltung). Aktueller Stand: „Eine differenzierte Auflistung ist so ohne Weiteres nicht möglich“ – der Senat hat das Verfahren zur Erfassung vor genau drei Jahren eingestellt. (Q: BM Martin Hikel). In diesem Jahr sollten Arbeiten an 46 von insgesamt 60 Neuköllner Schulen beginnen. Aber: Die bereitgestellten Mittel wurden bereits in den Vorjahren nicht ausgeschöpft, die Gründe für lange Verzögerungen sind „vielschichtig und komplex“ (Hikel). Es kommentiert Steve Jobs: „Einfachheit kann schwieriger sein als Komplexität.“
Völlig verblüfft stellen viele Leute gerade fest: Der Ausweis muss noch vor den Ferien verlängert werden – aber wie? An einem einzigen Tag zwischen 9 und 10 Uhr zählte die Innenverwaltung 12.500 Anrufe unter der Servicenummer 115 (Q: Mopo), das sind fast 3,47 pro Sekunde. Und wie sieht’s mit der Online-Buchung aus? Na, das können Sie sich ja denken (vergl. dazu auch die Checkpoint-Jahrgänge 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020) – der Ausnahmezustand ist hier auch ohne Corona die Normalität.
Was für eine Debatte! Erbitterte Wortwechsel von fast einer Stunde, Sitzungsunterbrechung, Absprachen, zwei Abstimmungen – aber am Ende hatte die BVV Charlottenburg-Wilmersdorf leider keine Zeit mehr, sich um die Verkehrsberuhigungen in der Xantener Straße und am Luisenplatz zu kümmern, denn: Die Bundeswehr war den Verordneten wichtiger als die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Die Frage, ob das Wachbataillon vor dem Schlossplatz öffentlich geloben darf, verführte die Verordneten zum Grundsatzstreit über Auslandseinsätze. Dazu Militärexperte Carl von Clausewitz: „Nur wer mit geringen Mitteln Großes tut, hat es glücklich getroffen.“
Das Netzwerk „Außergewöhnlich Berlin“ schlägt zur Rettung von Clubs, Cafés, Events, Bars, Theatern, Konzerten etc. vor: a) Aussetzung der Lärmschutzregelungen bis Oktober – Berlin wird zur 24- Stunden-Kulturmetropole. Solidaritätsidee b) lautet: 12 Wochen Fête de la Musique – die Straßen werden zu Veranstaltungsorten. Die Vorteile: 1) Einhaltung der Abstandsregeln, 2) Kickstart für den Kulturbetrieb, 3) weltweite Resonanz, 4) einfach umzusetzen. Es kommentiert Emma Goldmann: „Wenn ich nicht tanzen kann, will ich Eure Revolution nicht.“
Einen „kleinen Sieg über die Diktatur“ nannte Helga Schubert bereits ihre Nominierung für den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis – vor 40 Jahren war sie schon einmal eingeladen, doch die DDR-Autoritäten verweigert ihr die Reise nach Klagenfurt. Jetzt ist es ein großer Sieg für die Literatur geworden: Die Berliner Schriftstellerin wurde gestern von der Jury für ihr Werk „Vom Aufstehen“ ausgezeichnet.
Aline von Drateln ist zurück von ihrer Tour ins (fast) touristenfreie Venedig – den letzten Teil ihrer kleinen Serie unter dem Titel „Wenn die Gondeln Mundschutz tragen“ finden Sie hier, der große Abschlussbericht („Gondoleere“) erschien am Sonntag auf unserer Reportageseite. Beim Bäcker bestellte sie gestern zur Verblüffung der Verkäuferin „eine Schrippe bitte und vier Tagesspiegel“ („Andersrum, oder?“ – „Nein“) – was sie damit machte, sehen Sie hier.
17 Unfälle mit 34 Beteiligten gab es in den vergangenen drei Jahren am Zebrastreifen Oberspreestraße, Höhe Bärlauchstraße – dem Senat reicht das für die Klassifizierung als „Unfallschwerpunkt“ nicht aus. Immerhin ist „die Anordnung einer Fußgänger-Lichtzeichenanlage vorgesehen“. Mit anderen Worten: „Ein Termin für den Bau kann noch nicht benannt werden.“ (Q: Sts. Torsten Akmann auf Anfrage MdA Lars Düsterhöft)
Was das bedeutet, zeigt das Beispiel Hultschiner Damm/ Rahnsdorfer Straße – diese Ecke hatte die Unfallkommission im Jahr 2006 als gefährlich eingestuft. Aktueller Stand laut Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese (Anfrage MdA Iris Spranger): „Aktuell wird von der Straßenbaufirma der Antrag auf verkehrsrechtliche Anordnung zur Einrichtung einer Arbeitsstelle (Baustelleneinrichtung) vorbereitet.“ Zur Erinnerung: Im Jahr 2006 erfolgte der erste Spatenstich für den BER.
Lebenszeichen aus der Verkehrslenkung – gesucht wird ein Jurist, und zwar „sofort“. Manchmal muss es eben auch in Berlin schnell gehen.
Apropos schnell – auch Radfahrer können gegen das Tempolimit verstoßen: 60 solcher Verstöße wurden registriert – in den vergangenen fünf Jahren. Berlins Autofahrer schaffen das in fünf Minuten.
Dazu heute auch unsere Frage für Berlinkenner: Wie viele Verwaltungsschritte sind in Berlin bisher üblich für das Aufpinseln eines Zebrastreifens? Wenn Sie‘s wissen, schreiben Sie Ihre Antwort bitte an checkpoint@tagesspiegel.de – zu gewinnen gibt es zehn Plätze für eine exklusive Lesung am 29. Juni aus unserem neuen Buch „Berlin in 100 Kapiteln, von denen leider nur 13 fertig wurden“ (Ullstein, 288 Seiten – da steht die Antwort übrigens drin). Der Ort: Das neue „The Haus“ in der Graefestr. 92, gestaltet von der Dixons-Crew um Kimo von Rekowski – eine Mischung aus Restaurant, Bar und Graffitimuseum mit „Kunstkulinarik“. Und wir dürfen schon einen Tag vor der offiziellen Eröffnung rein…
Nachtrag zur Meldung „Verschollener gesucht“ (CP v. 20.6.): Bruno Müller, den das Amtsgericht Wedding per Amtsblatt schneidig auffordert, sich bis zum 10. August 2020 zu melden, „widrigenfalls er für tot erklärt wird“, wurde am 1. März 1909 geboren. Mit seinen 111 Jahren wäre er also der älteste Berliner der Welt.
Es gibt wieder Komparsenplätze für den BER-Probetrieb – aber offenbar nicht (mehr) für jede/n. Hier der Bericht eines Checkpoint-Lesers: „Versuche ich mich, mit meinem realen Alter von 66 Jahren als nicht-vegetarischer Mann anzumelden, bekomme ich keinerlei buchbare Termine angezeigt. Melde ich mich dagegen als 30-jähriger, divers-geschlechtlicher Vegetarier an, sind noch fast alle Termine buchbar.“ Falls Sie sich angesprochen fühlen – hier geht‘s zur Anmeldung.
Percy MacLean und Victor Weber haben Berliner Justizgeschichte geschrieben – der eine als Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht und Menschenrechtler (u.a. Mitbegründer der Flüchtlingsarbeit von Amnesty International), der andere als kämpferischer Oberstaatsanwalt. Unser Archiv ist voller Artikel über sie. Vor wenigen Tagen sind beide gestorben.
Nicht nur die „Zitty“ ist verschwunden (CP v. 20.6.) – auch das „Berlin Programm“ musste eingestellt werden, nach 69 Jahren. Aber unser „Ticket“ kommt bald zurück – es gibt noch so viel zu erleben…
Seit zwei Wochen sammelt Dominik Lucha aus Neukölln unter dem Hashtag #WASIHRNICHTSEHT bei Instagram rassistische Alltagserfahrungen, fast 47.000 Menschen folgen dem Account inzwischen – im Interview mit Checkpointer Felix Hackenbruch sagt er: „Ich möchte künftig online und offline eine Plattform anbieten, die Menschen zusammenbringt, die jetzt der Seite folgen – nicht nur die schwarzen Menschen. Da möchte ich die Brücke für einen Dialog bauen.“ Im Checkpoint werden wir von heute an jeden Tag ein Beispiel für die verschiedenen Formen des Alltagsrassismus zeigen – ein kleiner Pfeiler für eine große Aufgabe.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Getränke – so kalt wie das Herz deiner Ex!“
Werbetafel vor einem Neuköllner Späti.
Tweet des Tages
Alte Dame soeben zu mir bei roter Fußgängerampel. Sie: ‚Könnens mir über die Straße helfen?‘ Ich: ‚Freilich, wenn es grün wird.‘ Sie: ‚Bei grün kann ich alleine rüber gehen.‘
Stadtleben
Essen – Südseewind im Weinbergsweg! Wer sich gen Brise Polynesiens sehnt, der saust flugs ins Wild & Raw. Zwischen Marmor, Stuck und Tropenpflanzen kredenzt das Lokal Poké Bowls, als kämen sie schnurstracks aus Hawaii: Tofu-, Lachs- und Gambasschalen stellen sich Hipster und Yogis im Alleingang zusammen – oder stürzen sich auf eine der Signature Bowls. Eine „Spicy“-Schale mit Thunfisch und Algen serviert der Koch für 13 Euro, den frischen Karottensaft gibt’s für 4,50 Euro dazu. Zum Nachtisch wird eifrig an Eisbällchen geknabbert: Die japanischen „Mochi“ kommen in knuspriger Sesamkruste. Keinen Platz mehr ergattert? Dann geht’s samt To go-Bowl auf die Wiese am Weinberg – zum Poké-Picknick mit Fernsehturmblick. Mo-So 12-21.30 Uhr, Weinbergsweg 5, U-Bhf Rosenthaler Platz
Nachtisch zum Frühstück gibt’s in unserer Genuss-Redaktion: Felix Denk verrät sein Rezept für French Toast im Canadian Style – gebraten mit Speck und Ahornsirup.
Trinken – Palmen mit Spreeblick und U-Bahnanschluss locken direkt an der Jannowitzbrücke: Das Gestrandet Mitte verlegt die Riviera geradewegs unter die Hochbahntrasse. Auf steinernen Treppen verputzen die Gäste Flammkuchen, Tapas und stilechte Currywurst – mit Hugo, Mojito und Apfelcidre. Spontane hüpfen auf einen Ausflugsdampfer und schippern eine Runde quer durch Berlin, Arbeitserschöpfte lassen einfach die Beine über dem Spreewasser baumeln. Wenn es Abend wird, schimmern Lampions im Dunkeln, wer fröstelt, drängt sich um ein Lagerfeuer. Checkpoint-Tipp: Schuhe aus und die Zehen im Sand vergraben – fast wie Karibik, Mitte am Meer! Täglich ab 12 Uhr, Rolandufer 4, S+U-Bhf Jannowitzbrücke
Das ganze Stadtleben gibt‘s mit Checkpoint-Abo.
Geschenk – Perlen über Perlen, so weit das Auge reicht: Schon seit 30 Jahren lässt Manuela Meyer große und kleine Passanten am Schaufenster verweilen. In unzähligen Fächern stapeln sich Röhren, Würfel und Anhänger aus Metall, Ringe aus Keramik und Kugeln aus Korallen – der Schmuck der Perlenbar (Foto) kommt direkt aus Murano, aus Indien, den Philippinen und Afrika. Ihre Stammkunden waren erleichtert, als sie wieder öffnen durfte, erzählt Meyer dem Checkpoint. Im ganzen Kiez ist ihr Laden bekannt: Viele wollen sie gerade jetzt unterstützen. Trotzdem spürt auch sie die Einschränkungen durch die anhaltende Pandemie. Derzeit dürfen nur drei Kunden gleichzeitig auf Perlensuche gehen, vor ihre Tür hat Meyer Stühle gestellt. Auch Basteln dürfen die Gäste nicht wie früher, ihre Kurse fallen den Vorschriften zum Opfer. Die letzten Wochen verbrachte Meyer daher vor allem mit alten Fundstücken: „Dadurch, dass Viele im Lockdown aufgeräumt haben, gab es unheimlich viel zu reparieren.“ Jetzt, wo sie die Bar wieder besuchen dürfen, stürzen sich die Wilmersdorfer besonders auf Meyers glitzernde Schubladen. Gerade die bunten Glasperlen sind gefragt: „Die Leute brauchen wieder Farbe im Leben!“ (Foto: Promo)
Mehr als 2000 Perlen wollen in der Uhlandstraße 156 durchstöbert werden (derzeit Mo-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr, U-Bhf Spichernstraße). Wer es gerade nicht nach Wilmersdorf schafft, kann das Team von zu Hause aus unterstützen: Gutscheine für die Perlenbar finden Sie auf unserer Tagesspiegel-Kiezhelfer-Seite.
Noch hingehen – (ein Kunsttipp von Birgit Rieger) In der Liebermann-Villa am Wannsee sind nicht nur die schönen Gartenbilder Max Liebermanns ausgestellt, derzeit ist dort auch eine Sonderausstellung zur Geschichte des Hauses zu sehen. Das einstige Sommerhaus des Malers wurde nach dessen Tod als Lazarett, später als Teil eines Krankenhauses – der Operationssaal war im ehemaligen Atelier Liebermanns eingerichtet – und noch später als Vereinsheim für Taucher genutzt. Nun kann man sich ansehen, wie alles wieder in den Originalzustand versetzt und ab 2006 als Museum eröffnet wurde. Und diese Jahreszeit ist auch perfekt für einen Spaziergang durch den herrlichen Garten mit Blick auf den Wannsee. Es blüht! Eintritt 10/6 Euro, täglich außer Dienstag 10-18 Uhr, Colomierstraße 3, S-Bhf Wannsee
Karten sichern – Wenn die Bühne schließt, zieht Wagner aufs Parkdeck – binnen weniger Stunden waren die Tickets für das Freiluft-„Rheingold“ restlos vergriffen. Doch ran an die Tasten, wer verzichten musste: Ab heute Mittag startet die Deutsche Oper ihren Vorverkauf für den Monat August. Neben Wotan und Fricka spaziert auch die Big Band mit lauten Fanfaren über die Parkplatz-Bühne. Mit Text und Trompeten erinnern die Bläser an den Jazzkomponisten Duke Ellington (25. & 26.8., 19.30 Uhr). Karten gibt es ab 12 Uhr hier – und mit einer Prise Glück bei uns beim Checkpoint: Für die Ellington-Hommage am 26. August haben wir für Sie zwei Karten ergattert. Wer hat Lust?
Palmenkonzert – (ein Tipp von Ticket-Kollege Ingolf Patz) Ben Wagins „Parlament der Bäume“: Kenn' wa schon. Ein Konzert für Topfpflanzen? Das ist neu. In Barcelona wird so nach dem Corona-Lockdown das prächtige Gran Teatre del Liceu wiedereröffnet. Das UceLi Quartet spielt auf der Bühne Giacomo Puccini‘s „Crisantemi“, auf den fast 2.300 Plätzen lauschen keine Menschen, sondern Gummibäume und Zimmerlinden. Berliner Pflanzen dürfen sich um 17 Uhr per Stream dazuschalten. Für Kulturpessimisten ein Blick in die Zukunft: Was, wenn nach den Sommerferien unsere Theater doch nicht wieder öffnen dürfen? Also, nie wieder...? So sähe das wohl aus: Die Natur erobert Gold und den Samt zurück. Für die Künstlerin Eugenia Ampudia, die die Idee der Kunstaktion hatte, und Menschen mit grünem Daumen ist das Konzert der Neubeginn des Zusammenlebens von Pflanze und Mensch in friedlicher Biozönose. Das Grünzeug geht anschließend als Dank an 2.300 Heldinnen und Helden aus Barcelonas Gesundheitswesen.
Last-Minute-Swing – Losgegroovt! Mitten in den Heckmann-Höfen werden Kleider gewirbelt, Füße geschwungen und Virussorgen fix weggesteppt: Der Solo-Swing-Kurs von Claire Berlin lädt zum partnerlosen Lindy Hop-Abend – bei Frischluft und Abstand. Los geht’s jeden Montag um 18 Uhr, Fortgeschrittene müssen sich bis 19.15 Uhr gedulden. Tickets gibt es für 12 Euro hier, jeder Jive ist auf sieben Tänzer begrenzt – flott sein lohnt sich.
Last-Minute-Stream – Der Saal bleibt leer, doch gedichtet wird trotzdem: Um ihre Bühne zu retten, textet die Lesedüne frisch virtuell. Marc-Uwe Kling, Maik Martschinkowsky und Sebastian Lehmann jonglieren mit Worten, zeichnen Dystopien und besingen Berlin – Eintritt gibt’s keinen, doch gegeben wird fleißig: Damit das SO36 die Krise überlebt, sammeln die Künstler für ihr Zuhause in Kreuzberg. Losgelesen wird ab 20 Uhr, direkt zum Livestream geht es hier entlang. Spenden nicht vergessen: Alle Infos zum Digitalobolus finden Sie unter diesem Link.
Das Stadtleben zum Wochenstart heute von: Lotte Buschenhagen.
Berlin heute
Verkehr – BVG: Die U2 wird ab 1.30 Uhr zwischen U-Bhf Gleisdreieck und U-Bhf Wittenbergplatz eingestellt (bis zum 10. August). Bitte steigen Sie hier auf die U12 um.
Hultschiner Damm (Mahlsdorf): Sperrung zwischen Badener Straße und Werbellinstraße, Fuß- und Radverkehr darf passieren (bis Ende Juni).
Karl-Marx-Allee (Friedrichshain): Zwischen Frankfurter Tor und Friedenstraße wird die Fahrbahn stadteinwärts auf zwei Streifen verengt (bis Mitte August).
Goltzstraße (Lichtenrade): Sperrung zwischen Bahnhofstraße und Briesingstraße, Rad- und Fußverkehr frei (bis Mitte August).
Straße Alt-Friedrichsfelde (Friedrichsfelde): Von der Straßentunnelausfahrt bis zur Löwenberger Straße ist nur eine Fahrbahn verfügbar, mit Stau ist zu rechnen (bis Anfang Juli).
Steglitzer Damm (Steglitz): In Richtung Attilastraße ist hinter der Kreuzung Halskestraße/Munsterdamm nur eine Spur frei (bis Mitte Juli).
Königsstraße/B1 (Wannsee): Auf Höhe Wannseebrücke ist die Fahrbahn in beiden Richtungen auf eine Spur verengt (bis Anfang Juli).
Blaschkoallee (Britz): Auf Höhe Fritz-Reuter-Allee ist in Richtung Gradestraße nur eine Spur befahrbar (bis Mitte August).
Katzbachstraße/Monumentenstraße (Kreuzberg): Wegen einer Demo kommt es zwischen 16.30 und 18 Uhr zu Verkehrseinschränkungen (s.u.).
A100: Nächtliche Sperrung zwischen AS Gradestraße und AS Buschkrugallee in beiden Richtungen, auch die Auffahrt Grenzallee in Fahrtrichtung Wedding ist betroffen (21-5 Uhr).
Demonstration – An der Ecke Katzbachstraße/Monumentenstraße picknicken 50 Protestierende „für die Verkehrsberuhigung und Einrichtung einer Fahrradstraße“ (16.30-18 Uhr). „Gegen Atomwaffen und atomare Teilhabe“ demonstrieren 50 Personen auf dem Pariser Platz (17.30-18.30 Uhr). Vor der Russischen Botschaft Unter den Linden versammeln sich 50 Teilnehmende „gegen den Urteilsspruch in St. Petersburg gegen zwei junge Menschen, die aus politischen Gründen verurteilt werden“. Die Protestierenden beziehen sich auf den sogenannten „Network-Case“ (18-20 Uhr). Auf dem Alexanderplatz trifft sich die Gruppe der „Berliner Montagsdemos“ unter dem Motto „Kampf gegen Hartz IV“, erwartet werden 50 Personen (18-20 Uhr).
Gericht – Ein 50-Jähriger kommt wegen versuchten Mordes auf die Anklagebank. Er soll eine 37-jährige Frau, die er flüchtig kannte, bei einem Besuch in ihrer Wohnung mit einem Messer angegriffen, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Sie sei lebensgefährlich verletzt worden (9.30 Uhr, Kriminalgericht Moabit, Turmstraße 91, Saal 537).
Heimuniversität – Willkommen in Berlin! Seit fünf Jahren begrüßt die FU Geflüchtete in ihrem Welcome-Programm. Im Interview zieht die Uni Bilanz: zu Workshops, Lehre und Corona-Semester. Was lief gut, was muss dringend besser werden? Zum Gespräch geht‘s hier, mehr Infos zum Programm finden Sie unter diesem Link.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – Elvira Bach (69), Künstlerin / Wolfgang Becker (66), Filmregisseur / Klaus Maria Brandauer (77), Schauspieler und Regisseur / Javairô Dilrosun (22), Spieler bei Hertha / Bernadette Heerwagen (43), Schauspielerin / Ehrhart Körting (78), ehem. Berliner Innensenator (SPD) / Barbara Luchmann, „(77, nach Belieben Schnaps- oder Weinzahl), bleibt locker, neugierig, reisefreudig und Goethe-Oldie“ / Klaus Müschen (70) / „Der tollen Tine einen tollen Tag – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. A.“ / Visa Vie (33), Radiomoderatorin bei Fritz, Schauspielerin, Rapperin
Sie möchten jemandem zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.
Gestorben – Eva Christina Ebert, * 25. Juni 1974 / Martha Jansen, * 13. Oktober 1949 / Frank Koslowski „Frank aus Spandau“, * 17. August 1944, Mitbegründer der taz und der Alternativen Liste Berlin / Gottfried Oehme, * 16. Mai1929 / Andreas Rapp, verstorben am 3. Juni 2020, Stromnetz Berlin GmbH / Jürgen Holtz, * 10. August 1932, „Motzki“-Darsteller und Schauspieler am Berliner Ensemble
Stolperstein – Paul und Else Hahn (Jg. 1869 und 1876) lebten zusammen in der Schillerstraße 14 in Charlottenburg. Ab dem Jahr 1941 wurden mindestens sechs ihrer jüdischen Nachbarn in Konzentrationslager verschleppt. Um ihrer eigenen Deportation zu entgehen, nahmen sich beide am 22. Juni 1942 das Leben – am heutigen Tag jährt sich ihr Todesdatum zum 78. Mal.
Encore
Berlin lässt das Gehirn schrumpfen, lautete vor ein paar Jahren das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie (die Forscher hatten offenbar selbst an der Untersuchung teilgenommen). Alles Quatsch (wissen Sie ja selbst am besten). Tatsächlich sind hier bei uns sogar die Vögel schlauer als im Rest der Republik. Denn raten Sie mal, welchen der vielen abgestellten Roller unterschiedlichster Anbieter sich eine Krähe gleich neben der Friedrichstraße als Landeplatz ausgesucht hat? Na klar – den der Marke „Tier“.
Ich wünsche Ihnen einen tierisch guten Start in die Woche – morgen begrüßt Sie hier Stefan Jacobs, der gerade mit einem Hausboot durch Brandenburgs Gewässer geschippert ist (seinen Bericht finden Sie hier).
Bis dahin,