Vereinzelte Schauer bei grauen 18°C

Senat kassiert seinen 2G-Plan nach massivem Protest wieder einWo und wie gewinnt man mehr Menschen fürs Impfen? Ideen der Checkpoint-LeserAngeblicher Absender eines CDU-Werbebriefs distanziert sich

Während die Inkubationszeit beim Coronavirus knapp eine Woche beträgt, dauerte es vom rigorosen Berliner 2G-Beschluss bis zum Ausbruch der Empörung nur einige Stunden. Gestern kassierte der Senat seine tags zuvor beschlossene Regel für Restaurants und Veranstaltungen wieder ein, die nichts Geringeres war als ein Lockdown für Kinder (und deren Eltern). Nun gilt, dass Kinder bis sechs Jahre auch ohne Test und Kinder bis elf getestet am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen. Verantwortlich für das am Dienstag verzapfte Desaster sollen laut mehreren Teilnehmern Gesundheitsverwaltung und Senatskanzlei sein, also SPD-Ressorts, die die Ausnahme für Kinder aus dem Entwurf der Verordnung gestrichen hätten. Franziska Giffey war entweder nicht involviert oder klug genug, noch rechtzeitig in die allgemeine Empörung einzustimmen. Während die meisten Beteiligten den selbst gebauten Mist gestern nicht recht erklären konnten, brachte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) immerhin eine Entschuldigung zustande.

Die gestern hier gestellte Frage, wie man mehr Menschen zum Impfen motivieren kann, ergab Dutzende Spritzenideen. Am häufigsten vorgeschlagen wurden Impfstationen vor den Wahllokalen und vor den Testzentren (wo die Zielgruppe bei zunehmend ungemütlichem Wetter ansteht) sowie am Rande von Wochenmärkten, in Einkaufszentren und vor Geschäften. Dort raten mehrere CP-Leser/innen, zum Impfangebot Einkaufsgutscheine zu spendieren. Einer merkt an, dass Super- und Baumärkte als Profiteure der Lockdowns solche Gutscheine selbst spendieren sollten (CP-Tipp: Am Leopoldplatz gibt’s diese Woche Moderna mit Döner). Mehrere betonen, dass zu einem überzeugenden Impfteam mehrsprachige Mitarbeiter gehören, um möglichst viele Unentschlossene zu erreichen.

Eine Leserin rät, Wartebereiche ins Visier zu nehmen: Haltestellen, Bahnhöfe, Friseure, Ämter – und das Umfeld von Damen-Umkleiden, wo insbesondere samstags herrenlose Männer warten, dass jemand sie abholt. Mehrere empfehlen die vor allem von jüngeren Leuten frequentierten Spätis, einer den täglichen Stau auf der Stadtautobahn am Dreieck Funkturm: „Fenster runter, Arm raus.“ Apropos Arm raus: Laut Kraftfahrtbundesamt waren zu Jahresbeginn bundesweit noch 3136 Opel Manta zugelassen, aber das nur am Rande. Weitere Empfehlungen: Bibliotheken, Schulen (auch für Eltern), Vereine, Schwimmbäder inkl. freiem Eintritt am Impftag, das Tempelhofer Feld, Firmen, Kieztreffs, Ärztehäuser, Apotheken, Bordelle, Moscheen, Zoo, Funk- und Fernsehturm inkl. Drink und Aussicht, Kinos, Olympiastadion mit Hertha-Ticket für die VIP-Loge (oder man hat Glück und Union ist mal wieder zu Gast), Alex, Hermannplatz, Börger King und McDo.

Die Meinung zu materiellen Anreizen ist geteilt: Gutscheine für Einkauf, Gastro und Events werden oft empfohlen. Bargeld wird vereinzelt genannt, aber auch mehrfach abgelehnt, weil die schon Geimpften sich als die Dummen fühlen und die noch nicht Geimpften auf Prämien spekulieren könnten. Ein Leser plädiert für Überzeugungsarbeit in Bekanntenkreisen und für Impf- statt Wahlwerbung, eine andere für eine verschärfte Impfpflichtdebatte zu bestimmten Berufsgruppen. Jemand schlägt Selfies mit B-Promis oder Kurzauftritte in Fernsehshows vor, ein anderer will Skeptiker mit einem Deal im Sinne von 1x gratis Falschparken oder Schwarzfahren für eine Impfung ködern. Die Xhainer Bürgermeisterin Monika Herrmann fragt, wie der Zweittermin organisiert werden soll (jetzt alle: „Bei Johnson & Johnson reicht 1x!“). Und mehrere beklagen fehlende Angebote in ihren Kiezen, konkret: In Lichterfelde, in Alt-Tegel, in Frohnau, im Märkischen Viertel. Dieser Service, liebe Behörden, wurde Ihnen präsentiert vom Checkpoint und dessen großartigen Leser/innen.

Der aus Funk und Fernsehen bekannte Tempelhof-Schöneberger Bezirksverordnete Kevin Kühnert (SPD) hat in dieser Wahlperiode exakt eine Kleine Anfrage ans Bezirksamt gestellt – Ende 2017 zur „Maßnahmenplanung Lichtenrader Graben“. Der Schnitt im Bezirk liegt bei 13 Anfragen pro Verordnetem. „So sieht es aus, wenn man als gewählter Bezirkspolitiker nicht an Kommunalpolitik und den Anliegen des kleinen Mannes interessiert ist, sondern nur Mandate sammelt“, schnaubt ein CP-Leser. Näheres wüsste wohl MdA Marcel Luthe (1389 beantwortete Anfragen Stand Mittwoch 23.30 Uhr), aber wir haben doch lieber Kühnert selbst gefragt. Ein SPD-Sprecher antwortet für ihn, der willkürliche Fokus auf die Anfragen sei wie der Vorwurf an eine Fußballstürmerin, sie habe noch nie einen Elfmeter gehalten. Kühnert habe viele mündliche und Große Anfragen gestellt, sich in Hunderten Sitzungen eingebracht und viele Dinge aus seinem Themenbereich Schule, Jugend und Sport auf dem kurzen Dienstweg geklärt.

Thomas Heilmann sei „einer der ideenreichsten Abgeordneten, die wir bisher kennenlernen durften“, steht in einem persönlich adressierten Brief, den viele Steglitz-Zehlendorfer zu ihrem Erstaunen im Briefkasten hatten (CP von gestern). Dabei liefert das Schreiben selbst den Beweis für den Ideenreichtum des Werbeprofis (Scholz & Friends, nicht verwandt oder befreundet mit Olaf Scholz): Als Absender stehen die Unternehmerin Verena Pausder und der Start-Up-Gründer Johannes Reck im Kopf, obwohl der Brief von der CDU kommt. Reck sagte der „B.Z.“, dass ein Rundschreiben an Parteimitglieder vereinbart worden sei, aber kein Massenbrief ans Wahlvolk. Als Klimaexperte in Armin Laschets sog. Zukunftsteam kann der Jurist Heilmann jetzt gleich mal gut Wetter machen.

Telegramm

Morgen ist U18-Wahltag: 368 Lokale stehen jungen Berliner/innen offen. In Berlin kann sowohl fürs Abgeordnetenhaus als auch für den Bundestag abgestimmt werden; Hochrechnungen sind ab 18.30 Uhr avisiert. An einer Tempelhofer Grundschule war bereits gestern U12-Wahl: Grüne 64,2%, SPD 11,1%, CDU 8,5%, Linke 6,6%, Tierschutzpartei 2,1% (jeweils Bundestag). Auf Landesebene schnitten SPD und Linke etwas stärker ab – auf Kosten von Grünen und CDU. Für die FDP sind keine Stimmen überliefert; offenbar steckten deren Jungwähler/innen noch im Elterntaxistau.

Die wilden Partys in den Parks haben jetzt ein Preisschild: Das BA Mitte schätzt allein den Schaden im James-Simon-Park auf 200.000 Euro. Die Summe geht „zu Lasten des Unterhaltungstitels zur Pflege und Erhalt der Grünanlagen“, teilt der Senat auf Anfrage von Stephan Lenz (CDU) mit.

Klimawandel live ist, wenn allein der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nächstes Jahr von seinen 16.500 Straßenbäumen rund 2000 fällen muss, weil sie Hitze, Dürre und Starkregen nicht mehr gewachsen sind. Ein Viertel der seit 2001 gepflanzten Bäume sei bereits hinüber, nur etwa ein Drittel gesund. Laut Felix Weisbrich, studierter Förster und Grünflächenamtsleiter des Bezirks, sind mit zu wenig Geld zu viele Bäume gepflanzt worden. Den Wurzeln fehle es an Platz, guter Erde und  entsiegelter Fläche.

Tofuteufel Attila Hildmann hat einen an der Waffel – sagt sinngemäß dessen ausgestiegener Gefolgsmann, der dem Hackerkollektiv „Anonymous Germany“ Zugang zu den Accounts des Holocaustleugners und Verschwörungserzählers geliefert hat. Gestern Abend ließ sich der Insider online interviewen. Ihm zufolge hat der per Haftbefehl gesuchte Hildmann nur einen deutschen Pass, aber keinen türkischen – was die Chancen der Berliner Justiz verbessern könnte.

Glückwunsch an Tareq Alaows: Der 32-jährige Grüne, der als erster syrischer Geflüchteter in den Bundestag einziehen wollte und seine Kandidatur nach kurzer Zeit zurückgezogen hatte, weil er das Ausmaß der rassistischen Hetze nicht ertrug, ist seit Dienstag deutscher Staatsbürger.

Der Superwahltag braucht super Wahlhelfer/innen, aber in einigen Bezirken werden die, die sich gemeldet haben, weiter hingehalten (CP vom 10.9.). Auch zwei Tagesspiegel-Kollegen aus Kreuzberg und Mitte haben trotz Nachfrage per Mail immer noch keine Rückmeldung bekommen, ob sie gebraucht werden. Dazu die vor Sonnenlicht geschützt durchaus noch lagerfähige Koalitionsvereinbarung: „Das Ziel der Koalition ist die Stärkung des sozialen Zusammenlebens und der politischen Kultur in unserer Stadt und die Förderung der partizipativen Demokratie.“

Die Wirtschaftsverwaltung fördert die Nachrüstung von Lkw mit Abbiegeassistenten weitere 15 Monate, also bis Ende nächsten Jahres: Selbstständige und Unternehmen können sich bis zu 20 Warnsysteme à 1500 Euro fördern lassen. Um zu verdeutlichen, worum es geht: Im vergangenen Jahr wurden in Berlin sieben Radfahrer/innen von rechts abbiegenden Lastwagen getötet, 2021 bisher drei.

Die Polizei hat die Beschaffung von zwei Tiefkühltruhen ausgeschrieben, ohne Rollen. Letzteres gilt auch für die Energieeffizienz; einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Wer bei den geforderten Maßen von 160 bzw. 180 x 95 x 75 cm nicht an Leichen im Keller denkt, hat keinen Fernseher.

Zitat

Da unser Lokführer in Berlin seine Freundin hat, die sehnlichst auf ihn wartet, hat er noch mal auf die Tube gedrückt.

Durchsage im überraschend pünktlichen ICE 601 aus Hamburg (via Matthias Meisner)

 

Tweet des Tages

Ich bin heute im Hunsrück und der Name Hunsrück trifft den Hunsrück äußerst präzise.

@HerrSupersonic

Stadtleben

Essen – Es gibt Berlin-Formate, die lassen sich Außenstehenden nur schwer erklären. Folgende Situation, zum Beispiel: Morgens ist da ein Café, mittags gibt es Mittagessen und abends Bier, zweimal im Monat stehen da außerdem unzählige Trucks und Stände, an denen feinstes Streetfood gegessen und der passende Drink getrunken wird. Die Rede ist vom Bite Club, der morgen zum vorletzten Mal in diesem Sommer stattfindet. Die Türen des Jules | B-Part öffnen um 17 Uhr, nach 18 Uhr sind drei Euro Eintritt zu bezahlen. Komprimierter lässt sich selten erleben, wie Berlin schmeckt. Beziehungsweise, wie rund 40 Gastronomen Geschmäcker von allen Enden der Welt nach Berlin bringen.

Trinken – Der Schneeeule Salon für Berliner Bierkultur hat sich auf den Uralt-Bierstil der Berliner Weißen kapriziert und damit inzwischen verschiedene Hits gelandet – so zum Beispiel mit Chili, Sanddorn oder Jasmin. Weil die Weddinger Brautruppe um die Hefe-Tüftlerin Ulrike Genz allerdings selten müde wird, geht es heute um 18 Uhr weiter im Programm: ein „Metal Merch“ im Zeichen einer „True Berliner Weiße“, passenderweise mit entsprechendem Logo und zugehöriger Musik. Es wird düster schmecken, laut prickeln und aller Voraussicht nach lange nachdröhnen. Ofener Straße 1, U-Bhf Rehberge

Berliner Gesellschaft

Geburtstag – Helga Bumke (55), Archäologin / „Ercan Gökçen, liebster Freund und bester Moabiter Gastgeber: „Lieber Ercan, 62 ist das neue 42. Und 42 ist ja bekanntlich die Antwort auf fast alles! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag von Jœlle“ / Steffen Groth (47), Schauspieler und Regisseur / Thomas Kapielski (70), Schriftsteller / Regina Kittler (66), für Die Linke im AGH / „Lieber Papa und Opa Klaus, viel Spaß und Gesundheit auch für die nächsten 12 Monate! Deine LAGSe“ / Yael Ronen (45), Theaterregisseurin, u.a. am Gorki Theater / Steffen Sünkel (40), „Wir wünschen unserem tollen Freund und Nachbarn alles Gute!“ / Christine Urspruch (51), Schauspielerin

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben Peter Hofmann, * 26. März 1932 / Frank Lignow-Arndt, verstorben am 3. September 2021, Berliner Stadtreinigung / Dr. med. Mehdi Mani, verstorben am 31. August 2021 / Dr. Ulrich Weimann, * 8. August 1934, Oberstaatsanwalt i.R.

StolpersteinAdolf Zucker (geb. 1868 in Jaratschewo, Posen), ansässig in der Fasanenstraße 60 in Charlottenburg, war im Volkszählungsregister von 1939 als „ledig“ eingetragen. Am 20. August 1942 wurde er vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert, wo er heute vor 79 Jahren ermordet wurde. Die zu dieser Zeit gängige Todesursache „Darmkatarrh“ war Mangelernährung sowie schlechter hygienischer Versorgung geschuldet.

Encore

Den Wahlkreis wird er wohl nicht gewinnen, dennoch zeigt sich Haustein ambitioniert. Sein Traumprojekt: Eine U11 unter der Landsberger Allee.  Von Stefan Jacobs.

Ebenfalls jung, aber unparteiisch sind Matthieu Praun (Recherche), Juliane Reichert (Stadtleben), Florian Schwabe (Frühpoduktion) und erst recht Anke Myrrhe, die Sie morgen hier in, ähm, gewohnter Frische begrüßt.
Machen Sie’s gut!

Ihr Stefan Jacobs

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