Guten Morgen, das Wort „Révolution“ stand auf der Wahlkampf-Fibel des neuen französischen Präsidenten, und was sich in Frankreich derzeit abspielt, ist tatsächlich eine Art Revolution: Im ersten Durchgang der Parlamentswahlen setzte Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche“ gestern ihren Siegeszug fort, gewählt wurden dabei fast überall auch Kandidaten, die vor einem Jahr noch kaum jemand kannte. Die traditionellen Parteien dagegen werden geradezu weggefegt - wie das kommt und das bedeutet, beschreibt hier mein Kollege Albrecht Meier.
Und wir machen gleich mal weiter mit den Meldungen aus Berlin: Durch den (Berliner) Wahlkampf radelten die Initiative Volksentscheid Fahrrad und die Grünen wie auf einem Tandem - doch ausgerechnet am Tag vor der Sternfahrt am Sonntag kam es zum Crash: Aktivist Heinrich Strößenreuther schimpft über „Senatsversagen in Grün“ und eine „Bankrott-Erklärung“, Mit-Initiator Peter Feldkamp über „Machtarroganz“ und einen Bruch des „zentralen Wahlversprechens“ - Anlass des Furors: Verkehrssenatorin Regine Günther hatte es für „ausgeschlossen“ erklärt, dass der Entwurf eines Radgesetzes bis zum 30. Juni fertig ist (Q: „Berliner Zeitung“). Bereits zuvor waren 2 Termine geplatzt, die Initiative beklagt zudem, dass Günther ein Gespräch „konsequent abgelehnt“ habe. „ND“-Autor Martin Kröger kommentiert dazu: „Dass der Senat nicht mal in der Lage ist, juristisch korrekte Gesetze zu formulieren, versteht in der Stadtgesellschaft niemand.“
Na ja, sagen wir mal so: Dass es ein bisschen dauert, aus einem rechtlich unzulässigen Gesetzentwurf der Initiative Volksentscheid ein juristisch korrektes Gesetz zu formulieren, versteht der eine oder die andere in der Stadtgesellschaft schon. Aber klar ist auch: Als Oppositionspartei hätten die Grünen dem Senat einen solchen Trödel-Eindruck nicht ohne großes Geklingel durchgehen lassen - den früheren Verkehrssenator Andreas Geisel forderte deren Radverkehrsexperte Stefan Gelbhaar mit Blick auf die Initiative am 3.3.16 im Parlament noch auf: „Hören Sie denen zu!“ Das scheint heute nicht mehr zu gelten.
So, und damit kommen wir zum Ergebnis der großen Volkszählung: An der Sternfahrt nahmen 2014 nach Angaben der Polizei 22.700 Radfahrer teil, der ADFC meldete 200.000. Im Jahr 2015 stand es 35.000 zu 120.000, und 2016 ging die Sache 20.000 zu 140.000 aus. So, und gestern? Die Polizei spielte nicht mehr mit, der ADFC sprach von 100.000 Teilnehmern - und mein Checkpoint-Kollege Stefan Jacobs setzte sich mit einemmechanischen Zähler an den Sachsendamm, drückte sich den Daumen wund, rechnete alles hoch - und kam auf ca. 30.000 Teilnehmer, aber: „Wenn man sie alle an sich vorbeiziehen lässt, und immer nur starren Blickes klickt und klickt, kommt es einem vor wie eine Viertelmillion.“ Bloß gut, dass solche Zahlen nicht ins Radgesetz müssen - die Verkehrssenatorin käme nie ans Ziel.
Die vormalige Geheimjury Afrikanisches Viertel, zusammengesetzt von Stadträtin Sabine Weißler, hat die Anwohnervorschläge bei ihrer Prioritäts-Entscheidung („Gruppe A“) komplett ignoriert: Keiner der drei Nr.1-Namen (Yaa-Asantewaa-Platz statt Nachtigalplatz, Martin-Dibobe-Straße statt Lüderitzstraße und Nzinga-von-Matamba-Allee statt Petersallee) findet sich auf der Liste der Top-10-Vorschläge mit Mehrfachnennungen. Zusammen waren die 3 von der Jury favorisierten Namen, darunter die Sklavenhändlerin Nzinga, nur 5 Mal genannt worden. Erst in der „B“-Variante kommen die beiden meist-vorgeschlagenen Namen (mehr als 50 Nennungen) vor: Miriam Makeba und Wangari Maathai. Nelson Mandela (Vorschlagsplatz 3, aber noch nicht „5 Jahre tot“) fiel ebenso durch wie Adolf Lüderitz (Platz 4, aber der soll ja weg). Nach der letzten Jurysitzung wurde schriftlich festgehalten: „Jeder Name ist ein Vorschlag von Bürgerinnen und Bürgern und wurde ernsthaft und ausführlich besprochen.“ Hm, vielleicht sollte das alte Palast-Schild „ZWEIFEL“ ja doch nicht am Schloss installiert werden, sondern als Wanderpokal an die Bezirksrathäuser gehen (Q: Juryunterlagen).
Apropos Schloss und ZWEIFEL - per Mail schreibt Florian Mausbach, Ex-Präsident des Bundesbauamts: „In dem unheiligen Streit um die Kuppel ein Vorschlag zur Güte: statt des Kreuzes eine Kugel in Form eines Berlin Pfannkuchens - er ist beliebt und schmeckt allen, konfessionsübergreifend.“ So, Ironie aus - im Ernst ist Mausbach für das Kreuz, „das hat keine Haken“. Aber offenbar soll es nun doch einen Kompromiss geben, die Entscheidung scheint für das einzig echte Berlin-Symbol gefallen zu sein: Kran statt Kuppel. Gestern wurde die Sache schon mal heimlich getestet, ein exklusives Checkpoint-Foto finden Sie hier.
Eine Meldung aus dem Ressort „A&W“.
Anspruch: „Auch den Wunsch nach öffentlicher Sicherheit werden wir ernst nehmen. Deshalb werden wir die Polizei stärken“ (Koalitionsvertrag, S. 6). „Die Koalition wird die Polizei systematisch stärken“ (S. 138). „Im Rahmen eines umfassenden Personalentwicklungskonzepts wird die Polizei personell gestärkt. Hierfür soll zunächst das Personal für die ca. 1.000 unbesetzten Stellen schnellstmöglich eingestellt werden“ (ebenda).
Wirklichkeit: „Die Zahl der für den Haushalt 2018/19 angemeldeten Stellen für die Polizei kann wegen des laufenden Aufstellungsverfahrens noch nicht benannt werden“ (Auskunft der Innenverwaltung). Ein Blick auf die Personalplanung des Senats zeigt, warum sich die Verwaltung so schwer tut: Die Quote von 4,5 Polizei-Stellen auf 1000 Einwohner wird sich bis Ende 2019 nicht verbessern. (Q: Ulrich Zawatka-Gerlach im Tagesspiegel).
Telegramm
„Berlin baut internationale Schulen aus“ titelt heute die „Berliner Zeitung“, „Feuerwehrmänner verklagen Berlin“ die „Morgenpost, und in der „B.Z.“ heißt es: „Bist du vom Amt, parkst du schon wieder für lau“ - es geht um dutzende Ausnahmegenehmigungen, die Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel seinen autofahrenden Mitarbeitern gewährt.
Die Meldung „Berlin geht fünf Tage gegen Falschparker vor“ bringt die Probleme der Stadt eigentlich auch ziemlich gut auf den Punkt. Hinweis: Am kommenden Samstag ist der Spuk auch schon wieder vorbei.
So, und damit zu unserer Frage für Berlin-Kenner: Die BVG tauscht zwischen den Bahnhöfen Schlesisches Tor und Hallesches Tor die Gleise aus (Beginn: heute, Ende: vielleicht am 29. Juli) und richtet deshalb einen „SEV“ (Schienenersatzverkehr) mit Bussen ein. Wie lautet der nächste Satz der Nachricht? Na klar, das war einfach: „Die BVG empfiehlt,die Ersatzbusse besser zu meiden, weil sie im Berufsverkehr wahrscheinlich im Stau stecken bleiben“ (denn auf der Straße wird natürlich auch gebaut). P.S.: Dass die Doppelbauarbeiten nicht auf die Sommerferien verschoben wurden, versteht sich von selbst: Wir legen Wert auf Pünktlichkeit, besonders beim Chaos.
In der vergangenen Woche veröffentlichten wir hier auf Bitten der Eltern die Suche nach ihrer Tochter - die 16-Jährige hatte morgens die Kreuzberger Wohnung verlassen, war aber nicht in der Schule angekommen. Jetzt wurde sie tot aufgefunden. Hinweise auf ein Fremdverschulden liegen laut Polizei nicht vor.
Mit Air-Berlin-Geschichten lassen sich stundenlange Wartezeiten überbrücken - und auch wenn das Unternehmen nicht an allem schuld ist, es gilt das Motto: Erst hatten sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu (Original-Zitat von Jürgen Wegmann, Bayern München). Die AB-Anekdote des Tages kommt von Niddal Salah-Eldin, Social-Media-Chefin der „Welt“: Ihr Koffer war nach einem Flug aus New York verschwunden, erst Tage später tauchte er wieder auf, notdürftig mit einem Seil zugebunden. Drinnen fand sie dann Teile eines ihr völlig unbekannten Kinderwagens - dabei hat sie „weder Kinder, noch einen Wagen“.
Zum Pokalfinale war Schalke schon länger nicht mehr in Berlin - dafür dürfen die Königsblauen diesmal aber schon in der ersten Hauptrunde kommen: Es empfängt der BFC Dynamo. Auswärtsspiele haben sowohl Union (in Saarbrücken) als auch Hertha (in Rostock). Was sonst noch so alles ausgelost wurde, steht hier.
Berlins härtester Baum steht in der Warschauer Straße - es ist eine Kirsche, 59 Jahre alt, Stammumfang 195 cm. Juliane Schiemenz hat ihren standhaften Nachbarn in den Mittelpunkt einer der besten Friedrichshain-Geschichten der vergangenen Jahre gestellt - erschienen ist sie am Wochenende auf unseren Seiten „Mehr Berlin“, einen längeren Ausschnitt gibt es hier.
Die S-Bahn liefert wieder ein neues Modul für unser beliebtes Betriebsstörungs-Bingo - am Bahnhof Ostkreuz meldete sie für die Linien 5, 7, 41, 42 und 75 einen Ausfall der Fahrgastinformationen wegen einer „Störung der Energieversorgung“.
Und bevor uns der Akku ausgeht: Die Nadel des Tages für unsere Checkpoint-Weltkarte kommt heute aus Reykjavik - Kerstin Geiger schreibt: „Dank Checkpoint verpasse ich nicht all zu viel aus der Heimat, und so manchen Touristen habe ich schon mit meinem Insiderwissen aus Berlin verblüfft - danke dafür!“
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Wir müssen hier die verschiedenen Möglichkeiten prüfen.“
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop beschreibt im Tagesspiegel-Interview den rasanten Fortschritt im ewigen Entscheidungsprozess des Senats über die Zukunft des „Internationalen Congress Centrums“ und sagt: „Das ICC hat einen ganz eigenen Charme, aber so würde man heute natürlich nicht mehr bauen.“
Tweet des Tages
„Die Termin-beim-Facharzt-Situation in Berlin ist so unmöglich geworden, dass ich auf Tinder bewusst nach Augenärzten Ausschau halte.“
Stadtleben
Essen Das Lokal in der Linienstraße 160 (Mitte, S-Bhf Oranienburger Straße) setzt auf altbewährte Ästhetik im Industrial Chic: weißgetünchte Wände, massive Holztische, unverputzter Betonfußboden. Auf den Tellern landet, was saisonal und regional verfügbar ist - von Küchenchef Stefan Langelüttich mit einem Hauch Extravaganz und viel Liebe zum Detail zubereitet. Zum Beispiel Rote Bete-Wildkerbelsalat (5 Euro), Maibocktatar mit Kartoffel, Ei und Flieder (25 Euro) oder Rumpsteak an Pastinaken Hopfen und Rhabarber (28 Euro). Geöffnet ist Mo-So ab 17 Uhr. Unbedingt reservieren, der Laden ist oft knackevoll (030-28449500).
Trinken Zwischen Orientteppichen und Blümchensofas wird im Vater russische Trinkkultur gepflegt. Die Bar in der Reuterstraße 27 (Neukölln, U-Bhf Hermannplatz) ist ein etwas schummriger Laden, der die Gemütlichkeit eines (verrauchten) Wohnzimmers hat. Die Karte verspricht „sehr viel Wodka, sehr viel Rum“ - serviert als Kurzer und in Cocktails mit Birkensaft und russischem Crème Soda. Für ein schwereloses Abheben empfehlen wir den"Open Cosmos" (geöffnet tgl. ab 19 Uhr). Na dann: Nastrovje!