Eine Woche geht zu Ende, in der viel über den Zustand dieses Landes zu erfahren war. Erst gab es Aufregung über eine Politikerin, die sich eine 7000-Euro-Uhr ans Handgelenk bammelt (bei einem Auto dieser Preisklasse vor der Haustür hätte vermutlich keiner was gesagt), gefolgt von der Abrechnung einer Kiez-Cafébesitzerin, die ihren Vermieter für krank hält, weil er reich geworden ist (mit seiner erfolgreichen Band und nicht durch illegalen Welpenhandel). Und dann ist da noch der Kampf gegen den Google-Konzern, dessen Dienste jeder nutzt, der sich aber bitteschön nicht in der Nachbarschaft breitmachen soll. Zumindest nicht in der eigenen.
Dafür ist Kreuzbergs Stinkefinger gegen Google groß rausgekommen. Mit einem Tag Verzögerung berichtet nun auch die „New York Times“ über den „seltenen Sieg“ von Gentrifizierungsgegnern über einen „Firmengiganten“(während in Williamsburg und anderswo schon die Verschlüsse an den Hipsterkoffern klacken für den Trip ins „funky Kreuzberg“). Dort widersprechen derweil Bezirkspolitik und Wirtschaftsvertreter, dass die Gegend nun zur No-Go-Area für Tech-Unternehmen geworden sei, wie Florian Nöll, der Chef des Bundesverbandes Deutscher Start-ups, behauptet. „Unternehmen, kleine und große, sind bei uns herzlich willkommen und Teil der berühmten Kreuzberger Mischung“, beteuert Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Der Unternehmerverein ist ganz dieser Ansicht: „Die Stimmung ist nicht unternehmerfeindlich.“
Zum Glück haben sie die Initiative „Google Campus & Co. verhindern“ nicht gehört. Die hat bereits ein Luxushotel und zwei andere Start-up-Standorte auf dem Kieker. Notfalls wolle man mit Farbbeutelwürfen, Entglasungen und Besetzungen weiterkämpfen. Und nennt das mal fröhlich „zivilen Ungehorsam“. Welcome to Cross Mountain!
Apropos Willkommenskultur: Die Zeiten von „Sänk ju for träwelling wis Deutsche Bahn“ sind jetzt endgültig vorbei (wobei der Satz eh schon lange nicht mehr zu hören war). Vielmehr sei jetzt Spontaneität gefragt, auch bei Durchsagen, hieß es bei der Präsentation der neuen Serviceoffensive am Donnerstag. Da dürfe schon mal ein „Moin, moin“ oder „Servus“ durch die Lautsprecher schallen, kurz: „Sprache, die aus dem Bauch kommt.“ Hey, solche Bauchredner haben wir hier in Berlin doch schon lange, liebe Bahn. Wir nennen sie Busfahrer.
Auch Gregor Gysi redet ja gern wie ihm der Schnabel gewachsen ist. In letzter Zeit war allerdings nicht mehr viel von ihm zu hören, außer, dass er bei 36 von 40 namentlichen Abstimmungen im Bundestag gefehlt hat. Jetzt macht sich der Linkspolitiker aber von sich reden, weil er für eine bundesweite Ost-Quote bei der Besetzung von öffentlichen Chefposten ist. Der Impuls dazu kommt allerdings von der politischen Konkurrenz: In der brandenburgischen SPD ist die Quote ein großes Thema, weil die Stimmung im Osten weit unter Westniveauist. Die Potsdamer Hochschulprofessorin Frauke Hildebrandt, Tochter der legendären SPD-Politikerin Regine Hildebrandt, hat deswegen einen Ossi-Anteil von 17 Prozent vorgeschlagen – entsprechend dem Bevölkerungsanteil. Der Checkpoint geht da mal schon mit guten Beispiel voran: Quote bei 50 Prozent.
Drei Berliner Bezirke sind weiße Flecken auf der Landkarte – und zwar auf einer zum Thema Radverkehr. „Fix my Berlin“ heißt das Internetprojekt, wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert und soll Radlern aufzeigen, wo sie gefahrlos entlangstrampeln können, wo für sie gebaut wird. Stadtweit gibt es lauter Eintragungen – nur nicht in Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf. Aufgefallen ist das den jungen Bezirkspolitikern David Jahn, Lars Rolle und Felix Recke (allesamt FDP übrigens). Auf deren Nachfragen erklärten die Macher von Fix my Berlin, dass die Bezirke auf zahlreiche Mails nicht reagiert hätten. Die drei Liberalen vermuten nun System dahinter, denn ihre schriftlichen Anfragen zum Thema an die Bezirksämter blieben ebenso unbeantwortet – was gegen alle Regeln verstößt. Manches Rathaus ist eben noch lange kein Radhaus.
Berliner Schnuppen

Telegramm
„Wem gehört Berlin?“ fragt der Tagesspiegel gemeinsam mit Recherche-Team von Correctiv und lädt alle Interessierten ein mitzuforschen. Das Ziel ist herauszufinden, wem die Häuser in der Stadt gehören – und was das für die Mieten bedeutet. Bislang haben sich 400 Leser beteiligt. Wer mitmachen will, findet unter dieser Adresse alle Informationen.
Ein Polizist außer Dienst ist am Mittwochabend von einem Fahrraddieb mit dem Messer schwer verletzt worden. Der Täter hatte sich gegen seine Festnahme gewehrt. Laut „Berliner Zeitung“ schlägt die Deutsche Polizeigewerkschaft nun vor, dass Polizisten auch ihre Waffen auch in der Freizeit tragen dürfen.
Berlin-Hasser nennen unsere bezaubernde Metropole ja bisweilen „Failed City“. Eindeutig Stimmungsmache, wie CP-Leser Andreas Göllner wohl bestätigen kann. Am Donnerstagmorgen meldete er seinem Ordnungsamt ein Stück beschädigtes Straßenpflaster. Bereits am Abend war der Makel behoben. Berlin ist also voll in Ordnung – zumindest in Steglitz-Zehlendorf.
Dafür ist der fraktionslose Abgeordnete Kay Nerstheimer aber unglücklich. Via parlamentarischer Anfrage beschwert er sich über die langsame Verwaltung. Sein Problem: die schleppende Vergabe von Waffenbesitzkarten, unter Laien auch als Waffenscheine bekannt. Unter Jägern, Sportschützen und Waffensammlern mache sich bereits Unmut breit, klagt Nerstheimer, der vor zwei Jahren wegen rechtsextremer und homophober Äußerungen aus der AfD-Fraktion geflogen war.
Eine Trostmail hat uns von CP-Leser Peter Kammer, z.Zt. Karlsruhe, erreicht: „Ich kann kaum nachvollziehen, warum man sich in Berlin über den Nahverkehr beschwert“, schreibt er. Das System dort sei völlig chaotisch. Aber nicht nur das. „Jede Bahn - die wahlweise S-Bahn oder Tram heißt, aber keine Unterschiede aufweist – kommt mindestens 5 Minuten zu spät.“ Jede Menge Zugausfälle gebe es auch.“ Zum Glück haben wir in Berlin ja unsere S-Bahn.Denn die soll im bundesweiten Vergleich gar nicht so schlecht sein, schreibt die „Berliner Zeitung“. Zumindest bei der Pünktlichkeit ist sie die drittbeste S-Bahn von insgesamt zwölf. Rostock liegt vorn, Rhein-Neckar hinten.
Ausgerechnet in die Region mit der schlimmsten S-Bahn zieht Herthas Co-Trainer Rainer Widmayer. Der allseits geschätzte Experte geht wohl zum Saisonende zum VfB Stuttgart (zurück). Der 51-Jährige ist in Sindelfingen geboren, seine Familie lebt im Großraum Stuttgart. Na dann Ha-Ho-Hele.
Der Umzug der Komödie am Ku’damm ins Schiller-Theater ist ein gewagtes Spiel gewesen. Bühnen-Chef Martin Woelffer kann dort trotzdem gut lachen: Für bislang 35 Aufführungen hat er 25.000 Tickets verkauft. „Das übersteigt unsere kühnsten Hoffnungen“. Hört sich nach guter Komödie an der Bismarckstraße an.
Wer bislang nicht wusste, was Baluster sind, braucht jetzt auch nicht zu goog…äh im Internet zu suchen. Denn diese Teile aus der Fassade des Doms im Lustgarten sind weg, verkauft an Ort und Stelle. Das Interesse an den 80 Kilo schweren Säulen war riesig. Sie schmücken nun Gärten und Eigenheime in Berlin und Brandenburg. Selten war die Region so dom-inant.
Reicht das Thema Unisex noch zum Aufreger? Die „B.Z.“ versucht es zumindest und wundert sich über einen Antrag der Jusos für den SPD-Landeparteitag am 17. November. Sie fordern darin zusätzliche Unisexumkleidekabinen und Unisexduschen in den Berliner Schwimmbädern einzurichten – was laut Jusos meist ohne große Umbauten ginge: durch Beschilderung.
Aufstieg für Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup: Er ist auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) ins Präsidium der Organisation gewählt worden. Hauptthema des Treffens in Leipzig war das „Maßnahmenpakete für mehr Pünktlichkeit“ – allerdings nicht auf der BER-Baustelle, sondern im gesamten deutschen Luftverkehr.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Mit Ost und West werden wir in dieser Gesellschaft schon klarkommen. Schwieriger wird es mit oben und unten."
Regine Hildebrandt (1941-2001), SPD-Politikerin
Tweet des Tages
"Ich finde, die GroKo sollte sich mit Sommer- und Winterzeit befassen. Dann gibt's bestimmt einen Kompromiss. Statt einer Stunde eine halbe Stunde Zeitumstellung. Kompromisse sind halt immer schmerzhaft"
Antwort d. Red.: (Tagesspiegel-Kollege Malte Lehming twittert für eine Woche unter diesem Account)
Stadtleben
Essen & Trinken Dass sich das zünftige, bayerische Wirtshaus Maria & Josef im bürgerlichen Lichterfelde befindet, mag Zufall sein, passt aber stimmungstechnisch. Zur rustikalen, klischeebayerischen Stimmung tragen auch Hopfengirlanden und das Hirschgeweih bei. Typisch Berlinerisch ist in der Hans-Sachs-Straße 5 jedoch der Umgang - gewohnt schroff und liebevoll miesepetrig, wie Restaurantkritikerin Elisabeth Binder erfahren musste. Positiv fällt die üppige Weinkarte auf, aus der sie sich den Lugano als "leichten und beschwingten Begleiter zu einem eher schweren" Mahl ausgesucht hat. Letzteres bestand aus der obligatorischen Brezn mit Obatzda, einer Pfifferlingssuppe und einer Schweinshaxe aus dem Rohr - natürlich samt krosser Haut - mit Semmelknödeln und Sauerkraut. Klingt fast zu bayerisch - selbst für Lichterfelde. Aber keine Sorge: Im Gegensatz zu den Originalwirtshäusern aus dem Süden, können hier Vegetarier mehr bestellen, als nur Mozarellasticks und Beilagen: Maultaschen in schwarzem Oliven-Pesto mit Pinienkernen und Rucola klingt schon viel besser! Tägl. ab 12 Uhr, S-Bhf Lichterfelde West