es kommt etwas ins Rutschen in Deutschland. Wenige Tage nachdem in Dresden der SPD-Politiker Matthias Ecke brutal zusammengeschlagen wurde, wurde gestern Nachmittag Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey attackiert.
Die SPD-Politikerin wurde „gegen 16.15 Uhr unvermittelt von einem Mann in einer Bibliothek in der Straße Alt-Rudow von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen“, teilte die Berliner Polizei vergangene Nacht mit. Anschließend habe sich der Täter entfernt.
Giffey kam mit Kopf- und Nackenschmerzen ins Krankenhaus, konnte dieses aber glücklicherweise wieder verlassen. Staatsschutz und Staatsanwaltschaft ermitteln. Auch die Dresdner Polizei meldete am Dienstag erneut einen Angriff auf eine Politikerin. Es kommt etwas ins Rutschen in Deutschland.
Nur wenige Stunden dauerte ein pro-palästinensisches Protestcamp gestern an der FU Berlin – dann löste die Polizei die nicht angemeldete Versammlung, teils gegen Widerstand, auf.
Die Protestierenden forderten Solidarität mit der Zivilbevölkerung in dem von der Terrororganisation Hamas kontrollierten Gazastreifen, der seit dem Massaker vom 7. Oktober von Israel bombardiert wird. Neben Solidaritätsparolen kam es laut FU dabei auch zu antisemitischen Äußerungen. Die Uni stellt den Lehrbetrieb teilweise ein.
„Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgericht“, erklärte Universitätspräsident Günter M. Ziegler am Dienstagabend. „Eine Besetzung ist auf dem Gelände der FU Berlin nicht akzeptabel. Wir stehen für einen wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise.“
Nach dem Protest an der HU am Freitag war es bereits die zweite von der Polizei aufgelöste pro-palästinensische Versammlung innerhalb weniger Tage. Für die Unis bleibt der Umgang mit den Protesten ein „heikler Balanceakt“, kommentiert Tagesspiegel-Kollege Tilmann Warnecke. Von Zuständen wie in den USA, wo Tausende demonstrierten und es zu heftigen Ausschreitungen kam, sei man noch weit entfernt. „Es sollte alles versucht werden, dass es so weit nicht kommt.“
Lichte Reihen gestern Abend im Willy-Brandt-Haus: Der Schlagabtausch der verbliebenen Kandidatenpaare um den Berliner SPD-Vorsitz lockte gerade mal etwas mehr als 100 Genossen nach Kreuzberg. Beim ersten Mitgliederforum, als noch drei Duos antraten, waren es rund 3000.
Die, die da waren, sahen einen guten Verlierer: Raed Saleh, der in der ersten Runde krachend scheiterte, eröffnete den Abend. Auf der Bühne blieb es danach wie immer fair zwischen den Kontrahenten Martin Hikel & Nicola Böcker-Giannini und Kian Niromaand & Jana Bertels.
Auf den Nebenplätzen wird’s dafür langsam ruppiger. Die Jusos Neukölln veröffentlichten gestern auf Instagram ein Video, in dem sie Hikel und Böcker-Giannini vorwerfen, „nicht die Werte unserer Partei“ zu vertreten. Am 18. Mai wird das Ergebnis der Mitgliederbefragung bekannt gegeben.
Der AfD-Abgeordnete Tommy Tabor sorgt sich, dass die Berliner Verwaltunng durch zu viele Schriftliche Anfragen überlastet wird und hat zu dem Thema – Sie ahnen es – eine Schriftliche Anfrage gestellt. Als Hauptverantwortlichen hat Tabor die „Regierungsparteien“ ausgemacht.
„Seit der Neukonstituierung am 16. März 2023 stellten […] alleine Abgeordnete der Regierungsparteien CDU und SPD zusammen 814 Schriftliche Anfragen und trugen somit zur oben beklagten Belastung von Verwaltungen bei“, schreibt Tabor mit Verweis auf einen Tagesspiegel-Artikel.
Hätte Tabor diesen aber aufmerksam gelesen, wäre ihm aufgefallen, dass die Opposition naturgemäß die große Mehrheit der Anfragen stellt (mehr als 75 Prozent) – und dass der Abgeordnete, der die Verwaltung in den vergangenen zwölf Monaten mit 269 Anfragen am meisten belastet, ein AfD-Politiker ist. Sein Name: Tommy Tabor.
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+ Wie ist es, nach dem schweren Angriff auf Matthias Ecke, Parteiplakate aufzukleben? Unterwegs mit Wahlkämpfern, die beleidigt werden und die Dunkelheit meiden. Von Sebastian Leber.
+ Früher machte er Straßenmusik, später gewann er eine Talentshow. Jetzt startet Isaak für Deutschland mit „Always On The Run“ beim ESC in Malmö. Der Song ist gut gemacht, aber reicht das? Von Nadine Lange.
+ Wenn die Nasa im September 2025 in Richtung Mond startet, ist ein Satellit aus Berlin dabei. Für seine Bewerbung hatte das Berliner Unternehmen Neurospace nur 24 Stunden Zeit. Von Tanja Buntrock.
Telegramm
Seit gestern liegen die Pläne für eines der wichtigsten Verkehrsprojekte Berlins aus: die „Tangentiale Verbindung Ost“, die Marzahn und Köpenick besser verbinden soll. Dass die geplante Straße vierspurig und zum Teil auf einer Trasse für eine neue S-Bahnstrecke gebaut werden soll, stößt bei der Bürgerinitiative Wuhlheide und so manch anderen auf wenig Gegenliebe.
Bock auf Herkulesaufgaben? Die Berliner Stellenbörsen hätten diverse: Unter anderem könnten Sie Tarifbeschäftigter für Digitalisierung und E-Government in der Umweltverwaltung werden („hohes Verständnis für Prozessabläufe erforderlich”) – oder auch Schulleiter an der neuen Integrierten Sekundarschule in Neu-Hohenschönhausen, die gerade noch gebaut wird. Außerdem sucht die Sportverwaltung einen neuen Betreiber für die Max-Schmeling-Halle und das Velodrom, falls Ihnen eher nach latentem Schweißgeruch ist. Obwohl, dann könnten Sie auch Schulleiter werden.
Kampf dem Leerstand: In Charlottenburg-Wilmersdorf hat es letztes Jahr berlinweit die meisten amtlichen Leerstandsverfahren gegeben (1027), gefolgt von Tempelhof-Schöneberg (862). Das geht aus einer Anfrage von Katrin Schmidberger (Grüne) hervor. Insgesamt wurden in Berlin 2023 mehr als 3200 Verfahren eingeleitet, wobei Steglitz-Zehlendorf keine Daten vorgelegt hat. Zur Verhängung von Zwangsgeldern gibt es deutlich weniger Statistiken – aber: Allein in Reinickendorf wurden letztes Jahr 340.000 Euro zwangsweise verhängt. Immerhin.
Lars Bocian (CDU) verfolgt weiter seinen persönlichen Krimi: Warum knattern so viele Helis über Pankow?! Im Anschluss an seine Anfrage von Mitte April, die einen deutlichen Anstieg der Polizei- und Privatflüge in den letzten fünf Jahren ergeben hat, hat der Abgeordnete nochmal beim Senat nachgebohrt. Warum haben sich die Polizeieinsätze über Pankow seit 2019 verzehnfacht? Gute Frage, sagt die Innenverwaltung. Über Berlin flögen auch Bundespolizei und die Beamten anderer Länder. „Dem Senat sind keine Gründe für die Einsatzanlässe anderer Polizeien bekannt.” Und die privaten Flüge, die sich allein im letzten Jahr verdoppelt haben? Dito: keine Ahnung, schreibt die Verwaltung. Sind das damit eigentlich automatisch Unbekannte Flugobjekte?
Polizei I: Von Tuten und Blasen ham’se Ahnung? Ab ins Polizeiorchester Brandenburg! Das sucht gerade eine neue Klarinette. Polizist müssen Sie dafür nicht sein, nur Musik studiert haben. Mit seinen Konzerten leiste das Ensemble einen „wesentlichen Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit der Polizei” und unterstütze die Präventionsarbeit, heißt es in der Ausschreibung. Was die Stelle noch zu bieten hat? Die kostenlose Nutzung der Polizei-Sportkurse und Fitnessräume – und, ganz wichtig, „eine musikalische Tätigkeit im polizeilichen Umfeld.”
Polizei II: Die Beamten scheinen es richtig ernst zu meinen mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Neben Musikern sucht das Berliner LKA gerade “Streuartikel” – nein, nicht etwa Salz, sondern Werbegeschenke. Unter anderem auf der Liste: Regenponchos, Stadionsitzkissen, Pflasterspender und Taschentücher. Natürlich mit Polizeiwappen.
Unser Fahhradklau-Barometer: Vergangene Woche wurden in Berlin 250 Fahrräder im Wert von 335.792 Euro als gestohlen gemeldet. Das sind weniger als in der Woche davor (291). Innerhalb des Rings wurde mehr (129) geklaut als außerhalb (121). Die meisten Diebstähle gab es in Alt-Friedrichshagen (Treptow-Köpenick), Wrangelkiez (Friedrichshain-Kreuzberg) und Revaler Straße (Friedrichshain-Kreuzberg).
Besonders häufig wurden Fahrräder um 17 Uhr sowie am Dienstag gestohlen. Höchster Diebstahlwert: 9450 Euro. Das Rad stand in der Uhlandstraße. 2024 klauten Diebe bisher 5906 Räder im Wert von 7.494.210 Euro. Das geht aus einer Checkpoint-Auswertung von Daten der Berliner Polizei hervor. Der nächste Klau-Counter erscheint kommenden Dienstag. Auf unserer Fahrraddiebstahl-Karte sehen Sie, wie die Lage in Ihrem Kiez ist.
Zum Schluss noch ein Podcast-Hinweis: In der 36. Folge von „Tatort Berlin“ geht es diesmal um einen Femizid. Staatsanwältin Antonia Ernst gibt einen exklusiven Einblick in die Ermittlungen zu einem Fall, bei dem das Berliner Landgericht am Ende entscheiden muss: War das ein Mord oder Totschlag? Die Folge mit Katja Füchsel und Sebastian Leber können Sie hier hören.
Zitat
„Beim estnischen Beitrag etwa denkt man: Huch, ist das ein WLAN-Passwort?“
Thorsten Schorn moderiert am kommenden Samstag erstmals den Eurovision Song Contest und tritt damit die Nachfolge von Peter Urban an, der die Veranstaltung zuvor 27 Jahre begleitete. Im Tagesspiegel-Interview spricht Schorn über große Fußstapfen und warum LGBTQI-Anliegen für ihn beim ESC keine Rolle spielen. (Der estnische Beitrag lautet übrigens: „(nendest) narkootikumidest ei tea me (küll) midagi“.)
Kiekste
Das entlaufene Gebiss möchte am Alten Luisenstädtischen Friedhof abgeholt werden! Dank an Kollege Wiehler. Weitere bissige Berlin-Bilder gern an checkpoint@tagesspiegel.de! Mit Ihrer Zusendung nehmen Sie aktuell an unserem Kiekste-Fotowettbewerb in Kooperation mit DASBILD.BERLIN teil.
Berliner Gesellschaft
Geburtstag – „Wir Herzschrittmacher singen heute das Ständchen für unsere Altistin Anita mit den besten Wünschen zum Geburtstag!“ / Aneurin Barnard (37), walisischer Filmschauspieler (Netflix-Serie „1899“, „Marie Curie – Elemente des Lebens“) / Roddy Doyle (66), irischer Schriftsteller und Drehbuchautor („Die Commitments“, „The Snapper“) / Wolfgang Engler (72), Soziologe und Publizist, von 2005 bis 2017 Rektor der Berliner Schauspielschule Ernst Busch / Erika Franke (70), ehemalige Militärärztin, erste Frau in der Bundeswehr, die den Dienstgrad eines Generalstabsarztes erreicht hat, bis 2006 leitete sie das Institut für den Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr in Berlin / Adalbert Kwasigroch (77), „Kaufmann, alles Gute zum Geburtstag und noch mehr wünscht Marion“ / Colja Löffler (35), ehemaliger Handballspieler, der bei den Füchsen Berlin spielte / Norbert Nigbur (76), ehemaliger Fußballprofi, 1976–1979 Torhüter bei Hertha BSC / Carola Rackete (36), Kapitänin, Aktivistin und Politikerin (parteilos), von der Partei Die Linke als Europaparlamentskandidatin nominiert / Marie Reim (24), Schlagersängerin, Tochter der Musiker Michelle und Matthias Reim, nahm im Februar mit „Naiv“ am deutschen Vorentscheid zum ESC 2024 teil (6. Platz)
Donnerstag – Lars Lindemann (53), Politiker (FDP), bis März 2024 MdB, Generalsekretär der FDP Berlin
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Gestorben – Prof. Dr. Gerd Brunk, * 20. Juni 1938 / Otto Höhne, * 30. Juli 1926 / Dr. med. Claus Jacobi, * 1. September 1948 / Frauke Elisabeth Kühnhold, * 4. Juli 1961 / Ulf Reinsperger, * 10. Dezember 1967
Stolperstein – Nathan Graetz wurde am 9. März 1870 in Landsberg an der Warthe geboren. Er hatte fünf Geschwister. Verheiratet war er mit Elsbeth Eger, das Paar hatte drei Kinder: Hans, Alfred und Rosy. Nathan Graetz war wie sein Bruder Salomon Juwelier und Kaufmann. 1909 gründeten die beiden in Berlin die Firma „N.&S. Graetz, Juwelen (Schmuck und Edelmetalle)“, die Firma wurde 1937 liquidiert. Nathan und Elsbeth wurden am 20. November 1942 von den Nazis in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Nathan Graetz starb dort am 8. Mai 1943, seine Frau am 5. August 1943. An beide erinnern Stolpersteine in der Westarpstraße 3 in Schöneberg.
Encore
Die Dönerpreisbremse – schon öfter Protagonist im Checkpoint – macht gerade eine erstaunliche Karriere. Jetzt hat sie es bis nach England geschafft. „Germans grill Olaf Scholz over soaring cost of doner kebabs”, titelt der Guardian gestern. Darunter finden sich Fotos und Schilderungen aus Berliner Dönerbuden, unter anderem von der Friedrichstraße.
Dort ist der Preis in den letzten zwei Jahren von 3,90 auf 7 Euro geklettert – nicht zuletzt wegen der hohen Miet- und Energiekosten, sagt Verkäufer Deniz: „People talk to us all the time about ‘Dönerflation’, as if we were diddling them, but it’s completely out of our control.” Anderswo koste der Döner sogar schon 10 Euro, heißt es im Artikel. Das ist uns noch nicht untergekommen. Ihnen schon? Einreichungen für den teuersten Döner der Hauptstadt (der klassische, mit Fleisch und im Brot) bitte an checkpoint@tagesspiegel.de
Co-Autorin dieser Ausgabe war Lotte Buschenhagen, Unterstützung kam außerdem von Julius Geiler. Antje Scherer hat das Stadtleben für Sie zusammengestellt und Lea-Marie Henn diese Ausgabe produziert. Morgen ist Feiertag. Am Freitag führt Sie hier Lorenz Maroldt über den Brückentag ins Wochenende.
Auf bald,
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