So langsam müssten uns aber die Ohren klingeln bei dem Lob, das außerhalb über Berlin ausgekübelt wird. Dadurch fährt die S-Bahn zwar auch nicht pünktlicher, aber interessant ist es schon. Nach der „Times“ (CP vom Montag) kriegt sich jetzt die „New York Times“ nicht mehr ein. War die Zeitung vor zwei Jahren noch vom Spielplatzparadies begeistert, so ist es jetzt die Kunstszene. Ein bisschen gönnerhaft schreibt Reporter Ted Loos: New York sei ja das Herz der Kunstwelt und natürlich des Kunstmarktes, London und Hongkong seien führend im Auktionsgeschäft, Paris besitze die Museen, und in Italien sei Kunst quasi in jeder Kirche zu finden. Aber nur Berlin habe Künstler zu bieten. Die lebten gern hier, die Stadt sei offen für Unkonventionelles, wirke inspirierend – und biete billige Räume. Um Berlin von anderen Seiten kennen zu lernen, empfiehlt die „New York Times“ noch, Orte wie den Flughafen Tempelhof, das vietnamesische Don-Xuan-Center oder das David-Hasselhoff-Museum zu besuchen.
Offensichtlich blenden sie außerhalb aus, dass Berlin nicht für jeden der Ort ist, an dem er gut und gerne leben kann. Das hat nicht zuletzt der Übergriff eines 19-jährigens Syrers auf einen kaum älteren Israeli gezeigt. Für diesen setzte es Schläge mit dem Gürtel, weil er die jüdische Kopfbedeckung trug. „Berlin trägt Kippa“ hieß es deshalb am Mittwoch, und laut Polizei versammelten sich 2500 Menschen aus Solidarität vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße, viele mit der Kippa. Auch auf dem Hermannplatz sollte es eine Aktion gegen Antisemitismus geben. Doch die Organisatoren brachen nach 15 Minuten ab: Nach eigenen Angaben wurden sie bespuckt und als "Terroristen" beschimpft; ein junger Mann entriss ihnen eine Israel-Fahne.
„Es reicht“, sagte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland fast zur selben Zeit auf der Demo an der Fasanenstraße. Er zählte zahlreiche antisemitische Vorfälle auf und kritisierte die Echo-Vergabe an die Rapper Kollegah und Farid Bang. Zumindest in diesem Punkt droht keine Wiederholung: Der Musikpreis ist abgeschafft. Unverzüglich. Zu sehr war der Echo aus dem Lot geraten. Pech für alle Westernhagens: Jetzt hat‘s leider keinen Sinn mehr, die Preise zurückzugeben. Mal sehen, wann die ersten Trophäen bei Ebay auftauchen.
Aber nochmal zurück zum Berliner Image. Über das Ansehen der Stadt, oder besser: ihres Flughafens, hat sich am Mittwoch ein besorgter Bayer geäußert. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ließ nach einem BER-Besuch wissen: „Ich akzeptiere es nicht, wenn die Welt über diese Baustelle lacht.“ Leider vergaß er dabei, dass immer noch die Flughafengesellschaft die Pointen liefert. Wobei die neueste wie ein schlechter Witz (oder ein Mario-Barth-Kalauer) klingt: Eine temporäre Abfertigungshalle wird nämlich nicht rechtzeitig fertig, weil es Probleme mit dem – Brandschutz gibt.
BER-Dimensionen nimmt mittlerweile auch das Projekt des Senats an, in Friedrichshain gewaltige 1200 Meter Straßenbahnstrecke zum Bahnhof Ostkreuz zu bauen. Mindestens seit dem Beginn des Umbaus der Station – 2006/2007 – wird darüber geredet. Zu sehen ist noch nichts. Vielleicht ist das auch gut so, denn es könnte besonders auf der Sonntagstraße, einer beliebten Kneipen- und Restaurantmeile, eng werden. Lastwagen können nach bisheriger Planung keine Geschäfte beliefern, ohne ständig die neue Tram zu blockieren, wie aus einer Antwort des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg auf die Anfrage der bezirklichen CDU-Fraktion hervorgeht. Es fehlen 80 Zentimeter fürs Vorbeikommen. Und weil für neue Parkplatzbuchten 1,80 Meter vom Bürgersteig abgeknapst werden, kommen sich Passanten und Kneipentische in die Quere. Zollstöcke gibt‘s übrigens schon für weniger als einen Zehner im Baumarkt.
Telegramm
Aprilfrisch liegt am kommenden Sonnabend die neue Ausgabe des Magazins „Tagesspiegel Berliner“ der gedruckten Zeitung bei. Mittwochabend gab‘s dazu schon mal die Launchparty für alle, die mit dem Begriff „Kornversuchsspeicher in der Heidestraße“ etwas anfangen konnten (ist ein historischer Ziegelbauzahn mitten in der Europacity).
Was wird eigentlich aus ausgedienten Waffen der Polizei? Ganz einfach, möchte man scherzen, einen Buchstaben einfügen und als Waffeln verscherbeln. Doch so einfach ist das mit dem Verkaufen nicht. Denn woanders findet man die Berliner Pistolen einfach zum Schießen, da von gestern (Quelle: Anfrage des CDU-Abgeordneten Burkard Dregger). Da sie nicht an privat verkauft werden dürfen, wird aus dem Schieß- nun Alteisen. 400 Stück seit 2017.
Auf knall und fall weg war gestern die 500-Kilo-Weltkriegsbombe, die Experten am vorigen Freitag nahe dem Hauptbahnhof entschärften. Im Grunewald war Sprengaktion.
Wieder da: Der frühere Rektor der Rütli-Schule in Neukölln, Aleksander Dzembritzki, soll Staatssekretär für Sport in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport werden – meldet die „Morgenpost“.
Das Bezirksamt Mitte hat jetzt einen Letterman. Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) verschickt neuerdings einen eigenen Newsletter (willkommen in Club). Die Premierenausgabe enthält unter anderem die Ankündigung, dass der rumplige Alex einen Platzmanager erhält. CP-Prognose: Wer diesen Job wuppt, empfiehlt sich für Höheres.
Die Höhe war für viele S-Bahnpassagiere, dass sich viele Züge am Mittwoch mitten im Berufsverkehr wieder ausfallend zeigten. Ursache war erneut eine Signalstörung am Hauptbahnhof.
Dazu gleich mal eine neue Folge des Betriebsstörungsbingos: „Im Bereich des Nord-Süd-Tunnels ist es zu Verspätungen gekommen. Grund: erhöhtes Fahrgastaufkommen“, meldete die Bahn, um kurze Zeit später nachzuschieben: „Die Verspätungen haben sich bis auf drei Züge aufgelöst.“ Hoffentlich ohne Klumpen.
Kleine Randnote zur Beobachtung eines Musikstudenten und einer befreundeten Musiklehrerin, dass Züge eine Tonleiter spielen, wenn sie anfahren (CP von gestern): Dabei handelt es sich um astreines Sounddesign, wie die Kollegen von n-tv bereits vor geraumer Zeit herausgefunden haben. Technisch wäre es auch möglich, andere Melodien abzuspielen. Ein ICE hat sogar schon mal die deutsche Nationalhymne gesummt.
Ob den Taxikunden nach Singen sein wird, wenn die nächste Preiserhöhungdurch ist? Der Antrag der drei größten Branchenverbände liegt jetzt zumindest beim Senat: unter anderem 6 statt 5 Euro für die Kurzstrecke, höhere Kilometerpreise, 2 Euro statt 50 Cent Zuschlag für Fahrten ab Tegel. Grundpreis dafür stabil, Kreditkartengebühr weg.
Bleiben wir kurz noch im Bereich Rad und Schiene. Auf dem stillgelegten Pankower Rangierbahnhof entsteht jetzt endgültig ein Wohnviertel. Investor Kurt Krieger („Möbel Höffner“, „Möbel Kraft“) hat sich mit dem Bezirk auf den Bau von 2000 Wohnungen, einer Schule, einem Einkaufszentrum und einem Möbelhaus geeinigt – das Pankower Tor.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Am Ende meiner Ausbildung war ich überzeugter Atheist“
Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission im Bahnhof Zoo, über seine Diakonenausbildung
Tweet des Tages
Heute ist zwar ein Tag, an dem ich mich mit der S-Bahn verfahren habe, aber auch einer, an dem alle auf der Rolltreppe rechts standen und links gingen.
Stadtleben
Essen & Kunst betrachten Industrie-Brötchen adé: Nach den Kreuzbergern haben sich auch die Neuköllner mit ihren heißen Kieztipps für Bäcker, die noch selbst backen, im Leute-Newsletter zu Wort gemeldet - und einen Favoriten gekürt: Die Königliche Backstube in der Zwiestädter Straße 10 (S-Bhf Sonnenallee). Leicht versteckt hinter dem Richardplatz liegt die Bäckerei mit offener Backstube, in der offenbar geschickt mit Mehl, Hefe und Eiern hantiert wird. Die Newsletter-Leser loben besonders das Backhandwerk und die eigenen Rezepte. Die Brotsorten wechseln täglich, donnerstags gehen dieHaferkrone, Kartoffel-Dinkel-Brot und die Mais-Walnuss-Mischung über die Theke. Der Laden besticht aber nicht nur durch Bio-Brot, sondern stellt auchKunst von Kreativen aus dem Kiez aus: Am Samstag eröffnet dort etwa Claudia Buschings „Wand, verschränkt“. Mo-Fr 9-19 Uhr, Sa 8-14 Uhr
Neu in Prenzlauer Berg ist ein neuer Taproom der Stone Brewery. Nach dem„Stone Brewing World Bistro & Gardens“ in Mariendorf eröffnet heute um 16 Uhr die zweite Dependence der „Kreativbier-Brauerei“ aus Kalifornien in der Oderberger Straße 15 (U-Bhf Eberswalder Straße). Die Bierkarte wird wohl ähnlich experimentell und extravagant sein, wie in Mariendorf: Hinter„Tangerine IPA“, „Stone Scorpion Bowl IPA“ und „Fred’s Super Nut Stout“verbergen sich die neusten Craftbeer-Trends aus den USA – mit der „Stone White Geist Berliner Weisse“ ist auch etwas lokaler Einfluss dabei.