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In 455 Berliner Wahlbezirken wird die Bundestagswahl wiederholtLand kauft das Fernwärmenetz von Vattenfall zurückTempo 30 vor Kitas: Senat hat keinen Überblick

von Daniel Böldt
und Lotte Buschenhagen
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und täglich grüßt: die Wahlwiederholung! Das Bundesverfassungsgericht hat gestern entschieden, dass auch Teile der verkorksten Bundestagswahl vom 26. September 2021 in Berlin wiederholt werden müssen. Genau genommen betrifft das 455 der 2256 Berliner Wahllokale, also fast ziemlich genau jedes Fünfte. Ob auch Ihre Stimme am 11. Februar 2024 nochmal gefragt ist, können Sie auf der Karte in diesem Text nachschauen.

Fest steht schon jetzt: Die Wahlwiederholung wird auf die Zusammensetzung des Parlaments nur minimalen Einfluss haben, da bundesweit gesehen nur rund 0,9 Prozent der Wahlberechtigten zur Abstimmung aufgerufen sind. Allerdings könnte diese Einsicht eine eigenwillige Dynamik in Gang setzen: Denn je geringer die Wahlbeteiligung am Ende wird, desto größer könnten die Auswirkungen für Berliner Abgeordnete sein. Diese könnten unter Umständen ihre Mandate an Parteifreunde in anderen Landesverbänden verlieren.

Weitere Absurditäten der Wiederholungswahl:

+ Da die Auswirkungen gering und die Kassen der Parteien nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl leer sind, steht Berlin ein merkwürdig gedämpfter Wahlkampf bevor. Plakatiert werden darf ohnehin erst ab dem 2. Januar – übrigens auch in Stimmbezirken, die nicht von der Wiederholung betroffen sind.

+ Sollten die Ampelregierung und Schwarz-Rot in Berlin halten, dann wird in Berlin in vier aufeinanderfolgenden Jahren (2023 bis 2026) jeweils eine Landes- oder eine Bundeswahl stattgefunden haben. Das dürfte (hoffentlich) ein Rekord für die Ewigkeit sein.

+ Als erprobte Wiederholungswähler wissen Berlinerinnen und Berliner, dass die Parteien mit den gleichen Listen antreten müssen wie 2021. Für die SPD wird sich also zum Beispiel Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe zur Wahl stellen, die aber bereits erklärt hat, ihr Mandat nicht anzunehmen. Für die AfD wiederum wird (auf einem aussichtslosen Listenplatz) eine gewisse Birgit Malsack-Winkemann kandidieren – mutmaßliches Mitglied einer Terrorvereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß und derzeit in Untersuchungshaft.

Hoppla, die CDU findet plötzlich Gefallen am Konzept Rekommunalisierung. Per Unterschrift besiegelte CDU-Regierungschef Kai Wegner gestern den Rückkauf des Berliner Fernwärmenetzes von Vattenfall, der noch vom rot-grün-roten Vorgängersenat angestoßen wurde. „Historisch“, nannte Wegner die Einigung, die das Land Berlin rund 1,6 Milliarden kosten wird – vorausgesetzt, das Berliner Abgeordnetenhaus stimmt zu.

Was die CDU plötzlich zum Kommunalisierungsfan macht: die Einsicht in die Notwendigkeit. Berlins Wärmeversorgung ist für 40 Prozent des CO₂-Ausstoßes der Stadt verantwortlich. Wenn Berlin klimaneutral werden will, gilt es also vor allem dort anzusetzen. Ob ein renditeorientierter Investor dazu in der Lage beziehungsweise Willens wäre, bezweifelt selbst die CDU. Und so nimmt Berlin die Frage, wie die Stadt künftig geheizt werden soll, lieber selbst in die Hand. Hot!

Ist vor der Kita Tempo 30? Gute Frage, sagen Berliner Eltern – und auch der Senat. Die Richtlinien der eigenen Regierungspolitik von CDU und SPD sehen vor, dass Tempo 30 unter anderem an Orten gelten soll, wo es der Verkehrssicherheit gebietet – zum Beispiel vor Schulen, Kitas und Seniorenheimen. Und wie läuft das in Berlin? „Die Einführung vor Schulen, die einen direkten Zugang an den Straßen des übergeordneten Netzes haben, wurde vor etwa 15 Jahren in Berlin begonnen“, schreibt der Senat auf Anfrage (Oda Hassepaß, Grüne). Die entsprechenden Schulstandorte „wurden und werden“ alle kurzfristig geprüft und die Tempolimits erlassen. Wie schön! Ach so, und die Kitas? Keine Ahnung: „Eine auswertbare Übersicht über alle Standorte der sonstigen sensiblen Einrichtungen inklusive der bereits erfolgten Anordnungen existiert nicht.

Apropos keine Ahnung: Sie erinnern sich an das Skandälchen vom Sommer, bei dem die Grünen Tricksereien beim Losverfahren für Schulplätze vermuteten? Damals klagte ein Anwalt gegen die Entscheidung einer Schule, dass die Losresultate nur „mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Milliarde“ zustande gekommen sein konnten – es seien überproportional viele Kinder mit guten Notendurchschnitten ausgelost worden. Grünen-Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz hat den Senat jetzt nochmal befragt (DS 19/17 441): An welchen Schulen wurden denn nun die Auslosungen beanstandet und wie viele Klagen gab es dieses Schuljahr? Überraschung: Eine Statistik werde durch Senat und Schulämter „nicht erstellt und liegt somit nicht vor“, schreibt die Schulverwaltung. Eine Abfrage bei den Bezirken sei „in der Kürze der Zeit nicht möglich“. Immerhin: Die gemeinsame AG Schulorganisation will die mutmaßlichen Lotterien nochmal auswerten.

Telegramm

Neues Jahr, neuer Streik. In einer Urabstimmung haben sich 97 Prozent der GDL-Mitglieder für unbefristete Streiks im Bahnverkehr ausgesprochen. Ab Januar könnte es so weit sein. GDL-Chef Claus Weselsky stimmte die Reisenden schon mal ein: „Das, was jetzt kommt, wird kräftiger, wird länger und wird härter für die Kunden.

Neues auch im Fall des geschassten Lichtenberger Bezirksstadtrat Kevin Hönicke. Die von ihm bisher verantworteten Geschäftsbereiche Bauen, Stadtentwicklung und Facility Management soll künftig die Linke-Stadträtin Camilla Schuler übernehmen. SPD und auch die Grünen kritisieren die Entscheidung des CDU-Bezirksbürgermeisters Martin Schaefer (T+).

An Berlins Schulen gibt es offenbar vermehrt Nachfragen nach Gebetsräumen und Gebetsmöglichkeiten. Das geht aus einem Rundschreiben hervor, das Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Dienstag verschickte und meiner Tagesspiegel Susanne Vieth-Entus vorliegt (T+). Es gelte, die Balance zwischen der Freiheit zur Glaubensbekundung und der im Grundgesetz geschützten negativen Religionsfreiheit zu finden, schreibt die Senatorin in dem Schreiben und bittet die Schulen um Rückmeldung zu Fragen, die rund um das Thema Beten an Schulen auftauchen.

Nachdem die Trassenplanung für die neue S-Bahnstrecke 21 vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz über Jahre mehrfach geändert werden musste, hat der Senat gestern den Weg für den Tunnelbau frei gemacht (T+). Die Grabungen, die Ende dieses Jahrzehnt beginnen könnten, werden nicht unbemerkt bleiben. Notwendig sei eine „relativ große Baugrube“ (Deutsche Bahn) direkt vor dem Brandenburger Tor.

Servicemeldung I: Sie sind über 60 und fürchten sich vor einem tristen Heiligabend? Die Berliner „Silbernetz“-Initiative gegen Einsamkeit im Alter wird auch in diesem Jahr wieder ein Feiertagstelefon besetzen. Wer sich alleingelassen fühlt oder einfach jemanden zum Reden braucht, erreicht unter der 0800 4 70 80 90 anonym und kostenlos einen der 65 Haupt- und Ehrenamtlichen der Hotline. Das Projekt läuft vom 24. Dezember (8 Uhr) bis Neujahr (22 Uhr). 2022 gingen rund 5600 Anrufe beim Telefon ein.

Servicemeldung II: Telegram-Gruppen haben (spätestens) seit der Corona-Pandemie nicht den allerbesten Ruf. Es gibt sie aber natürlich, die kleinen, feinen, serviceorientierten Gruppen, gegen die niemand etwas haben kann. Kurz vor Weihnachten und Silvester empfehlen wir Ihnen daher unverbindlich die „Sekte“: Wo ist Sekt in Berlin im Angebot? Hier der Link zur Telegram-Gruppe.

Gestern bezifferte Chef-Checkpointer Lorenz Maroldt hier die Chance, dass wir von der „Zwischenpassarelle“ im Bahnhof Potsdamer Platz nochmal hören, auf fifty-fifty. Und – was sollen wir sagen – es gibt bereits heute Neues in Sachen Passarellen-Gate:

Nachdem die Deutsche Bahn zunächst zugesagt hat, den vermeintlichen Rechtschreibfehler auf dem Schild zu korrigieren („Auf der Hinweistafel müsste Zwischengeschoß oder Passerelle stehen. Wir werden dies so bald wie möglich anpassen“), rudert sie in einer zweiten Mail an den Checkpoint wieder zurück: „Die Bereiche der Mittel- und Zwischenpassarelle wurden damals vom Architekten (mit Schweizer Hintergrund) so benannt.“ Es handele sich „um eine historisch gewachsene Namensgebung“, die man doch nicht ändern wolle. Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass wir von der Sache nochmal hören.

Korrektur zur Meldung „Berliner Senat verschleppt Gesetz zur Vergesellschaftung“ (CP von gestern): Die AGH-Anfrage zum aktuellen Enteignungsstand kam natürlich von Niklas Schenker (und Elif Eralp, beide Linke), nicht vom Parteikollegen Niklas Schrader. Drei Buchstaben, großer Unterschied.

Zum Schluss nochmal auf Anfang: Um die Wiederholung der Bundestagswahl etwas erträglicher zu machen, haben wir für alle Winter-wahlkämpfenden Kandidaten (und alle anderen) eine Wiederholungswahl-Playlist zusammengestellt: „Mamma Mia! Here We Go Again“, „On Repeat“, „Oops I Did It Again“, „Yesterday Once More“ und natürlich: „Wake Me Up When September Ends“. Zur Spotify-Playlist, für die wir gerne noch Hinweise entgegennehmen, geht’s hier.

Zitat

„Es ist ja erst Halbzeit.“

Versprechen oder Drohung? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zieht im Gespräch mit Thomas Sigmund und Julian Olk (T+) nach zwei Jahren Ampel Bilanz und erklärt, wie er trotz fehlender Mittel die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft vorantreiben will.

 

Stadtleben

Essen & Trinken – Quirlig ist der Winterfeldtplatz im Winter eigentlich nur, wenn Wochenmarkt ist (mittwochs, also heute, und samstags). Die anderen Tage hellt ein Besuch im „Berkis“ auf. Das freundliche griechische Lokal verfeinert alles mit Olivenöl aus Kreta – und hat das beste Taramas (Paste aus gesalzenem Fischrogen) weit und breit. Große Platte aus kalten und warmen Vorspeisen, u.a. Zucchinibällchen mit Minze und Tzatziki. Mo-Sa 11.30-24 Uhr, So 13-24 Uhr, Winterfeldtstraße 45, U-Bhf Nollendorfplatz

Kiekste

Die Zukunft des Weihnachtsmanns ist ungewiss – Angebot und Nachfrage sinken gleichermaßen, hat der „Spiegel“ festgestellt (CP von gestern). Das sieht in Zehlendorf allerdings anders aus. Dank an Leser Achim Heinecke! Mehr Weihnachtlich-Skurriles aus Berlin mailen Sie uns bitte an: checkpoint@tagesspiegel.de!
 

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Berliner Gesellschaft

Geburtstag – „Aus dem Wilden Westen gratulieren Birgit & Michael ihrem Lieblingsneffen Alexander im Fernen Osten zum Sechzigsten. Also: Allet Jute und Glück Auf!“ / Alain de Botton (54) Schweizer Schriftsteller, Philosoph und Drehbuchautor („Gelassenheit. Zeit für ein gutes Leben“), Gründer der „The School of Life“, die auch einen Ableger in Berlin hat / Billy Bragg (66), britischer Sänger und Songschreiber („A New England“, im Juni 2022 hat er im Heimathafen Neukölln gespielt) / Rick van Drongelen (25), niederländischer Fußballspieler, war bis zum Ende der Saison 2022/23 als Leihspieler des 1. FC Union Berlin bei Hansa Rostock unter Vertrag / Alexander Herrmann (48), Politiker (CDU), Mitglied des Abgeordnetenhauses seit 2021 / Joey Kelly (51), Mitglied der „The Kelly Family“, Extremsportler, 2019 fuhr er in einem alten VW-Bus von Berlin nach Peking / „Herzlichen Glückwunsch, Hans-Jürgen Lahl, Krankenhausapotheker i. R.“ / „Vielleicht mal ein bisschen früher ins Bett, ansonsten einfach so weitermachen, lieber Marius ❤️! Wir wünschen dir ein sparkling neues Lebensjahr, Kuss Mama und Papa“ / „Herzliche Glückwünsche, Munni, zum 85. Geburtstag von Mathias, Evita und Sandra“ / Hans-Jochen Wagner (55), Schauspieler, u.a. Schaubühne Berlin, seit 2017 ist er als Kommissar Friedemann Berg im Schwarzwald-„Tatort“ zu sehen

Gestorben – Roswitha Haubold, geb. Breithaupt, * 9. September 1943 / Norbert Kentrup, * 2. Mai 1949 / Karl Köckenberger, * 10. Juli 1955, Gründer des Kinder- und Jugendzirkus „Cabuwazi“ und Träger des Bundesverdienstkreuzes / Gisela Kurze, geb. Knopf, * 14. Mai 1936

StolpersteinChaim Schattner wurde am 19. August 1867 in Kúty (Polen) geboren. Er war verheiratet mit Ester Sara Scheiner, das Paar hatte sechs Kinder. Um das Jahr 1927 zog die Familie nach Berlin. Ein Sohn konnte mit seiner Familie nach New York emigrieren; drei Brüder wurden verhaftet und deportiert, überlebten aber den Krieg. Ende August 1942 erlag Ester einer Krankheit. Wenig später wurden Chaim und die Tochter Jente von den Nazis verhaftet und am 22. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Chaim starb am 20. Dezember 1943, Jente wurde 1944 in Auschwitz ermordet. An beide erinnert ein Stolperstein in der Bamberger Straße 3 in Wilmersdorf.

Encore

Adventskalender, Türchen Nummer 20

Noch 4 Tage bis Weihnachten! Bis zum Fest öffnen wir hier in unserem Adventskalender für Checkpoint-Abonnent:innen (Vollversion) jeden Tag ein „Erlebnistürchen Berlin“ und verlosen damit Zeit für sich, zu zweit, die Familie oder Freunde. Hinter Türchen Nr. 20 versteckte sich heute eine Familienkarte für die Stiftung Planetarium Berlin. Sollten Sie die verbleibenden Türchen mitöffnen und an den Verlosungen teilnehmen wollen: Zum kostenlosen Weihnachtsprobe-Abo (Checkpoint Vollversion & alle Artikel auf Tagesspiegel.de inklusive) geht's hier entlang.

Das Stadtleben in diesem Checkpoint hat Antje Scherer verfasst. Produktion: Florian Schwabe. Co-Autorin dieser Ausgabe war Lotte Buschenhagen, die Sie hier auch morgen wieder empfängt.

Auf bald,

Ihr Daniel Böldt

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