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Kommission legt Bericht zur Berliner Chaos-Wahl vorErste Lehrer-Verbeamtungen nach 18 JahrenSo NS-belastet war die Justizverwaltung Berlins nach 1945

von Daniel Böldt
und Thomas Lippold

wir schauen zunächst auf die aktuellen Entwicklungen rund um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine:

+++ Sowohl ukrainische als auch russische Truppen haben nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht verletzt.

+++ Die Nato hat den Ratifizierungsprozess für den Beitritt Finnlands und Schwedens eingeleitet. 

+++ Nach einer monatelang anhaltenden Aufwertung ist der russische Rubel an der Moskauer Börse deutlich eingebrochen: Gegenüber dem Dollar und dem Euro verlor die russische Landeswährung am Dienstag rund zehn Prozent. 

Alle weiteren Entwicklungen können Sie darüber hinaus in unserem Live-Blog (hier) und auf unserer Live-Karte (hier) verfolgen.

Eine Königin ohne Land – so bezeichnet die Expertenkommission zur Aufarbeitung der Wahlpannen 2021 die Landeswahlleiterin in Berlin. Und es muss schon einiges passieren, damit ein Gremium zu solch blumigen Worten greift. Der Bericht, der dem Checkpoint vorliegt, soll heute vorgestellt werden. Er zeichnet auf 64 Seiten ein Bild des Scheiterns der Wahl vom 26. September 2021. Fehlende oder falsche Stimmzettel, geschätzte Wahlergebnisse, zu wenig Wahlhelfer:innen und, und, und. Doch die Kommission war ja nicht nur da, um zu meckern, sondern sollte vor allem Vorschläge machen, wie es in Zukunft besser laufen kann. Und sie hat so einige. Eine Auswahl:

— Die Wahlleiterin (oder der Wahlleiter) sollte „eine starke Persönlichkeit mit Durchsetzungsstärke auch gegenüber höheren Ebenen“ haben, „was bei der Auswahl vor Bestellung mitberücksichtigt werden sollte“.

— Die institutionelle Stellung der Wahlleiterin sollte gestärkt werden, sowohl innerhalb der Senatsverwaltung als gegenüber den Bezirken.

— Die Geschäftsstelle der Wahlleiterin sollte zu einem „Landeswahlamt“ mit mehr Personal und mehr Befugnissen ausgeweitet werden.

— Die Prozesse zur Vorbereitung und Durchführung der Wahlen sollten nach „gesamtstädtischen Kriterien standardisiert“ werden.

— Wahlvorstände sollten besser geschult werden.

— Landeswahlleitung und Bezirkswahlleitung sollten bereits ein Jahr vor einer Wahl im ständigen Austausch stehen.

— Bezirksämter sollten mehr finanzielle Planungssicherheit haben.

Bei dieser Liste bleibt zu hoffen, dass die nächste Wahl in Berlin nicht allzu bald stattfindet. Entscheiden wird darüber, womöglich schon im Herbst, das Berliner Verfassungsgericht.

Quizfrage: Worauf beziehen sich folgende Kommentare? „Instant Migräne“, „da passiert viel zu viel“, „Ich find’s schön“, „Es ist Horror“, „Love it. Colorful like the city“, „Busfahren auf LSD“. Ok, das war leicht. Natürlich geht es um die BVG und ihr neues Design. Wer mit Bus, Tram und U-Bahn fährt, sitzt zukünftig auf einem Gewimmel von Personen in unterschiedlichen Farben – Rostrot, Hellblau, Eidottergelb, Beige und Schwarz. Und irgendwo dazwischen versteckt sich auch ein Hund (hier können Sie mal gucken). „Wir haben jetzt ein Muster, das die Vielfalt, die Berlin ausmacht, abbildet“, sagte Christine Wolburg, Bereichsleiterin Vertrieb und Marketing bei der BVG, bei der Vorstellung des Designs. Auf der Erregungsmaschine Twitter war man mehrheitlich etwas anderer Meinung. Und was denken Sie?

Umfrage neue Sitzmuster BVG

Nehmen wir mal an, das neoliberale Dogma, demzufolge jemand umso mehr verdient, je mehr er oder sie arbeitet und je mehr Verantwortung übernommen wird, stimmt. Dann nämlich müsste sich der Arbeitsaufwand zwischen den Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) gravierend unterscheiden. Die Vorsitzenden aller Fraktionen erhalten neben den Abgeordneten-Diäten von ihren Parteien eine sogenannte Funktionszulage. Das hat nichts Anrüchiges und ist im Landesabgeordnetengesetz explizit erlaubt.

Erstaunlich ist jedoch, wie unterschiedlich die Fraktionen den Wert ihres Vorsitzes bemessen. Während die Grünen ihre Vorsitzenden mit 12.000 Euro im Jahr abspeisen, sind es bei der AfD immerhin 24.000 und bei den Linken 37.500. Noch etwas großzügiger ist man bei SPD und FDP. Sowohl Raed Saleh als auch Sebastian Czaja geben auf der Webseite des AGH an, für ihre Häuptlingsfunktion nach Stufe 3 vergütet zu werden. Das entspricht einem Betrag zwischen 75.001 und 150.000 Euro im Jahr – genauere Angaben wollten die Fraktionen nicht machen.

Gar nicht zu beneiden scheint jedoch Kai Wegner zu sein. Denn offenbar ist die Arbeit als CDU-Fraktionsvorsitzender derart fordernd, dass sich die Fraktion genötigt sieht, ihren Chef sogar nach Stufe 4 zu vergüten, also mit einem Betrag zwischen 150.001 und 250.000 Euro im Jahr. Auch die CDU wollte nicht verraten, wie viel es genau ist. Nur als Vergleich: Ein Senator oder eine Senatorin in Berlin bekommt rund 170.000 Euro.

Wie NS-belastet war die Berliner Justizverwaltung nach 1945? Dieser wichtigen Frage widmeten sich in den vergangen dreieinhalb Jahren Professor:innen und Student:innen der FU und HU. Die Ergebnisse werden heute Vormittag präsentiert. Zwei der zentralen Erkenntnisse des Forschungsprojekts hat Jan Thiessen, HU-Jura-Professor und einer der Projektleiter, dem Checkpoint vorab am Telefon verraten.

Zunächst: „Die NS-Belastung war in Berlin sehr viel geringer als im Bonner Bundesministerium der Justiz.“ Während in Berlin „nur“ knapp über zehn Prozent der Beamten vorher in der NSDAP aktiv waren, war es in Bonn mehr als jeder zweite. Grund dafür sei: „Als Frontstadt zog Berlin viele Juristen aus der sowjetischen Besatzungszone und der DDR an, die dann eher als Spione verdächtigt wurden.“ Während den wenigen NS-Schergen kaum Beachtung geschenkt wurde, kam es zu Denunziationen vermeintlicher Kommunisten. „Man hatte mehr Angst vor Kommunisten als vor Nazis“, sagt Thiessen. Auf dieser Webseite können Sie sich die Ergebnisse des Forschungsprojektes selbst anschauen.

Telegramm

Hefte raus, Klassenarbeit! Kleiner Scherz – heute ist letzter Schultag in Berlin, morgen beginnen die Sommerferien. Womit wir bei Ihnen wären. Wir würden nämlich gerne wissen: Wo lesen Sie gerne den Checkpoint den Sommer über? Schicken Sie uns bitte ein Foto mit einem Satz zum Urlaubsort an checkpoint@tagesspiegel.de, auch und gerade, wenn ihr Urlaubsort „Berlin“ heißt. Danke!

Vorher bleiben wir aber noch kurz im Klassenraum: Anlässlich des letzten Schultages hat die zuständige Senatorin Astrid-Sabine Busse einen Brief an die Berliner Schulen geschrieben und kündigt darin Historisches an. Am Donnerstag werden in Berlin erstmals seit 18 Jahren wieder Lehrer:innen als Beamte vereidigt.

Gong, jetzt aber… doch Halt, der Lehrer beendet die Stunde! Wir bleiben noch für eine Meldung im Schulalltag und sind auch gleich im Thema. Der Berliner Lehrer und Slam-Poet Diego Hagen hat die nervigsten Lehrer-Sprüche zusammengetragen und daraus ein Rap-Video produziert. Das klingt erst mal zum Fremdschämen und ist doch ganz großartig, wie Sie hier sehen können.

Eine wichtige Position in Zeiten des Klimawandels und der anhaltenden Dürre wird neu besetzt. Christoph Donner wird Anfang 2023 Chef der Berliner Wasserbetriebe und löst dann Finanzvorstand Frank Bruckmann ab, der den seit einem Jahr vakanten Job übergangsweise innehatte.

Eine Maßnahme, die nach Verzweiflung klingt: Seit Freitag gibt es beim Rettungsdienst neben dem Ausnahmezustand Stufe 1 auch noch die Stufe 2 (T+). Sie tritt ein, wenn länger als 60 Sekunden kein einziger Rettungswagen in Berlin losgeschickt werden kann. Menschen am Notruftelefon soll dann gesagt werden: „Wie sind derzeit ausgelastet, unser Eintreffen bei Ihnen kann sich verzögern. Wenn sich die Lage verschlimmert, wählen Sie erneut den Notruf.“

Mathe für den Checkpoint: Auch wir verrechnen uns mal und wollen hier natürlich keine Leistungs-Schmälerei betreiben. Also: Die Durchschnittgeschwindigkeit der Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini beim Velocity am Sonntag betrug 28,916 km/h (und nicht 26,95 km/h, wie wir errechnet hatten). Sorry an Frau Böcker-Giannini und danke an Jürgen Fraede für den Hinweis.

„Verwaltungsseitige Energieeinsparmaßnahmen“ kündigte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey gestern an. Zum Glück für die Gäste betraf das noch nicht Giffeys gestriges Hoffest am Roten Rathaus. Fast 4000 Menschen waren am Dienstagabend gekommen und ließen sich unter anderem von Sängern und Musikern der Komischen Oper bezirzen.

Frauenfußball hat eines der größten Wachstumspotenziale im Fußballmarkt – sagt zumindest die UEFA. Wie um das zu beweisen, tun sich nun sechs prominente Investorinnen zusammen, darunter die BRLO-Brauerei-Inhaberin Katharina Kurz, und übernehmen das Frauenteam von Viktoria Berlin. Ziel: Aufstieg von der Regional- in die Bundesliga in fünf Jahren. Wer so lange auf Spitzenfußball nicht warten will: Heute startet die Fußball-EM in England.

Zitat

„Großereignisse dieser Art und Wahlen sollten nicht am gleichen Tag stattfinden.“

Die Mitglieder des Expertenkommission zur Aufarbeitung des Wahl-Chaos 2021 haben einen praktischen wie einfachen Tipp: Keinen Marathon am Wahltag veranstalten.

 

Tweet des Tages

‚Zum Pariser Platz, bitte.‘ – ‚Welcher ist das?‘ – ‚Der mit dem Brandenburger Tor.‘ – ‚Woher soll ich das wissen?‘ – ‚Sie fahren hier ein Taxi.‘ Guten Abend Berlin.

@erik_fluegge

Stadtleben

Essen & Trinken – In dem kleinen französischen Restaurant L'Eustache finden Gäste jeden Tag Neues auf der Speisetafel. Zum Lunch oder Abendessen bietet das Bistro rund um Besitzerin und Köchin Justine Daufresne bspw. Ratatouille oder Burrata mit Panisse, die auf den ersten Blick wie Pommes Frites aussehen, aber aus Kichererbsen bestehen. Diese Kompositionen kommen also auch Vegetarier:innen zugute. Mi-Sa 12-14.30/ 18-22.30 Uhr, Weisestraße 49, Neukölln, U-Bhf Boddinstraße

Das ganze Stadtleben – mit satirischer Science-Fiction und dokumentarischer Fotografie – gibt’s mit dem Tagesspiegel-Plus-Abo.

Berliner Gesellschaft

Geburtstag – Aelrun Goette (56), Filmregisseurin / „Thomas Hahn, dem klugen und unterhaltsamen Gesprächspartner alle guten Wünsche für die neue Dekade.“ / Anne Helm (36), Fraktionsvorsitzende der Linken im AGH / Gunhild Hoffmeister (78), ehem. Leichtathletin / Joachim Krüger (73), Politiker (CDU), Bezirksstadtrat a.D. für Bürgerdienste, Ausbildungsförderung und Personal in Charlottenburg-Wilmersdorf / Johannes Ludewig (77), ehem. Staatssekretär und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn / „Lieber Jakob Lutz, wir wünschen Dir über Dein morgendliches Update alles Gute zum Geburtstag!!“ / Hans-Jürgen Papier (79), Staatsrechtswissenschaftler, ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts / „Mein in London lebender Kumpel Werner Paetz, Torjäger des Friedenauer TSC, wird 75. Allet Jute, Winne aus Aschaffenburg“ / Bernhard Schlink (78), Schriftsteller und Jurist

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben – Tudio Billo, * 16. Juni 1947 / Dr. Tobias Böhm, * gestorben am 25. Juni 2022 / Dr. Reinhard von Bremen-Kühne, * 1. Mai 1955 / Nina Maria Gorrissen Freifrau von Maltzahn, * 30 Januar 1941 / Hans Werner Pilhofer, * 1935

Stolperstein – Friederike Johanna Neuber (geb. Maison, 1869) war zweimal verheiratet und lebte im selben Haus auf dem Engeldamm 66 in Mitte, in dem sich der Familienbetrieb befand und in dem auch ihre Eltern bis zu deren Tod gelebt hatten. Heute vor 80 Jahren wurde die damals 72-Jährige gemeinsam mit ihrem Bruder Hermann nach Theresienstadt deportiert, ihre Schwester Clara einen Monat später. Friederike Johanna Neuber starb im selben Jahr ihrer Deportation im Ghetto Theresienstadt.

Encore

Ein fantastisches Zeichen gegen das Siegen um jeden Preis, gegen das Schneller-und-besser-sein-wollen-als-alle-anderen setzte gestern der Radprofi Jasper Philipsen bei der Tour de France. Obwohl „nur“ Zweiter auf der 4. Etappe von Dünkirchen nach Calais, jubelte Philipsen im Ziel als gäbe es kein Morgen mehr. Dass Philipsen nicht bemerkt haben will, dass der Belgier Wout van Aert bereits acht Sekunden vor ihm ins Ziel radelte, nehme ich ihm nicht ab. Für mich bleibt er ein Held der Anti-Leistungsgesellschaft.

Heldenhaft recherchiert hat für diesen Checkpoint Thomas Lippold. Sophie Rosenfeld war die Heldin des Stadtlebens, Kathrin Maurer die des Frühdienstes. Und morgen tischt Ihnen hier Stefan Jacobs die neusten (Anti-)Helden-Geschichten auf.

Auf bald,

Ihr Daniel Böldt

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