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Grüne in Pankow wählen Julia Schneider zur Direktkandidatin 75. Geburtstag: Kai Wegner würdigt Berliner Legende Rio Reiser So viel Geld wird bei Maßnahmen gegen Jugendgewalt gekürzt

von Daniel Böldt
und Jessica Gummersbach
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der Vorstoß der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), einen Feiertag in Berlin abzuschaffen, hat scharfen Widerspruch ausgelöst. Der SPD stieß insbesondere sauer auf, dass die UVB sich vorstellen können, die Berlinerinnen und Berliner am Internationalen Frauentag wieder an die Werkbank zu schicken (CP von gestern).

Dabei ist die Empörung etwas wohlfeil. Rot-Rot-Grün ging es bei der Einführung des Feiertags in erster Linie nicht um den Kampf für Frauenrechte, sondern schlicht um einen Feiertag mehr für Berlin. Kurzer Rückblick: Der damalige Berliner SPD-Chef Michael Müller favorisierte den 18. März, die Linke zunächst den 8. Mai und die damalige Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek den 9. November. Der Internationale Frauentag war so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner.

Auf der anderen Seite müssen sich auch die UVB fragen, wie sinnvoll der Vorschlag wirtschaftlich tatsächlich ist. Das Plus von 230 Millionen Euro, das Berlin erwirtschaften könnte, entspricht gerade einmal 0,12 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Stadt. „Die schwierige wirtschaftliche Lage wird sich nicht durch einen Feiertag mehr oder weniger verbessern“, sagt Svenja Flechtner, Ökonomin an der Universität Siegen (T+).

Gesellschaftliche Wirkung und Ertrag stehen also nicht gerade in einem günstigen Verhältnis, was im Übrigen auch Sie (mehrheitlich) so sehen: 78 Prozent der Checkpoint-Leserinnen und -Leser sind dagegen, in Berlin einen Feiertag abzuschaffen.

Der Andrang bei den Pankower Grünen war riesig, der Anlass ein schmerzvoller für alle Beteiligten. Der Kreisverband wählte gestern Abend Julia Schneider mit 74,3 Prozent zur neuen Direktkandidatin für die Bundestagswahl. Auf den bisherigen Kandidaten und derzeitigen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar entfielen 35 Prozent (die Mitglieder konnten für mehrere Kandidaten stimmen).

Ende Dezember wurde bekannt, dass mehrere Frauen aus der Partei Gelbhaar sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt vorwerfen. Dem RBB liegen nach eigenen Angaben eidesstattliche Erklärungen einiger Frauen dazu vor, Strafanzeigen gegen Gelbhaar gibt es bislang nicht. Der Politiker bestreitet die Vorwürfe und wehrt sich mittlerweile juristisch gegen diese.

Sein Bundestagsmandat wird Gelbhaar dennoch verlieren. „Das war eine politische Entscheidung. Es stand heute nicht zur Abstimmung, wie der Kreisverband die Vorwürfe bewertet“, sagte Nicolas Scharioth, Co-Kreisvorsitzender der Grünen Pankow, im Anschluss an die Wahl. Gelbhaar habe jedes Recht, sich zu verteidigen. „Für ihn gilt die Unschuldsvermutung wie für jeden anderen auch.“

Heute wäre Ralph Christian Möbius – besser bekannt als Rio Reiser75 Jahre alt geworden. Der Berliner wurde in den 70ern mit seiner Band „Ton Steine Scherben“ und später als Solokünstler nicht nur zur linken Ikone, ihm ist letztlich auch die Gründung der Checkpoint-Band zu verdanken.

Ein Cover des Rauch-Haus-Songs war beim Debüt erstes und einziges Lied und gehört bis heute – jeweils anlassbezogen umgedichtet – zum Stammrepertoire. Dass auch CDU-Regierungschef Kai Wegner Rio „Das-ist-unser-Haus“ Reiser ehrt, zeigt, welche Bedeutung dieser Ausnahmekünstler für die Stadt bis heute hat.

„Rio Reiser ist in Berlin unvergessen – nicht nur als ‚König von Deutschland‘“, sagte Wegner dem Checkpoint. „Leider ist der gebürtige Berliner viel zu früh gestorben. Gut, dass wir seit 2022 mit einem Rio-Reiser-Platz an ihn und seine Lieder, die eine Generation geprägt haben, erinnern.“ Zu gerne wüsste man, was Rio Reiser zu dieser Ehrung sagen würde.

Sie wollen noch wissen, warum Visit-Berlin-Chef Burkhard Kieker der FAZ einen „Frankfurter Minderwertigkeitskomplex“ vorwirft, wie viel Geld vom Jugendgewaltgipfel 2023 nach den milliardenschweren Kürzungen tatsächlich übrigbleibt und warum die Stimmenabgabe bei der Bundestagswahl insbesondere für Deutsche im Ausland zum Problem werden könnte?

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Meine Plus-Leseempfehlungen für Sie heute:

+ Wie umgehen mit der Rambo-Rhetorik von Donald Trump? Nur Empörung über den künftigen US-Präsidenten hilft nicht weiter, kommentiert unsere USA-Korrespondentin Juliane Schäuble.

+ Keine Partei hat bislang ein tragfähiges Konzept vorgelegt, um Deutschland aus der Krise zu führen, kritisiert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Im Interview mit Katharina Kalinke und Felix Kiefer fordert er mehr Mut und Ehrlichkeit von der Politik.

+ Facebook, Instagram und Threads sollen in Zukunft ohne Faktenchecker und mit weniger Regeln auskommen. Ob Hass und Fake News auf den Plattformen nun Tür und Tor geöffnet wird, analysiert Adrian Lobe.

Telegramm

Die Zentralisierung der Einbürgerungen in Berlin zeigt Wirkung: Seitdem das Landesamt für Einwanderung am 1. Januar 2024 die Arbeit von den Bezirken übernommen hat, erhielten mit rund 22.000 Menschen so viele Berliner wie nie zuvor innerhalb eines Jahres die deutsche Staatsbürgerschaft. Problem: Im gleichen Zeitraum gingen 43.800 neue Anträge ein, weswegen Amtsleiter Engelhard Mazanke für 2025 die Marke von 40.000 Einbürgerungen pro Jahr ausgegeben hat.

Kein Silvester ohne leidige Vornamen-Debatte. Gestern veröffentlichte das rechte Portal „Nius“ eine durchgestochene Liste mit Vornamen von festgenommenen deutschen Staatsbürgern. Polizeisprecher Florian Nath nannte es inakzeptabel, dass „offenbar illegal Namenslisten von Tatverdächtigen“ herausgegeben worden sind. Die Behörde ermittelt nun intern, wie mein Kollege Alexander Fröhlich berichtet.

Die Treitschkestraße in Steglitz, benannt nach dem Antisemiten Heinrich von Treitschke, wird in Zukunft Betty-Katz-Straße heißen (Katz war Direktorin des Jüdischen Blindenheims in Steglitz, sie wurde 1944 in Theresienstadt ermordet). Bei der Abstimmung im gestrigen Kulturausschuss ging es zwar nur noch um den neuen Namen, Aufregung hatte jedoch im Vorfeld ein Brief der CDU Steglitz gesorgt, in dem sie Anwohner aufforderte, sich gegen die Umbenennung auszusprechen. Treitschkes Ansichten (u.a. schrieb er: „Die Juden sind unser Unglück“) seien „umstritten“, hieß es darin. Das Wort Antisemit suchte man vergebens.

Seit dreieinhalb Jahren sitzt Monika Grütters für die CDU Reinickendorf im Deutschen Bundestag. Für die Wahl 2025 wurde sie nicht erneut aufgestellt. Nun verabschiedet sich die ehemalige CDU-Landesvorsitzende in einem kühlen, zweiseitigen Schreiben, das dem Checkpoint vorliegt, und kündigt ihre Rückkehr in ihren Heimatverband Charlottenburg-Wilmersdorf an. Eine halbe Seite verwendet Grütters darauf, klarzustellen, dass sie dem Verband kein Geld schulde – wie zuvor behauptet worden sei. Mit anderen Worten: Ein Abschied, der beiden Seiten leichtfallen dürfte. 

Verkehr I: Berlin kann auch entschleunigend sein, zumindest für Autofahrer: Der Navi-Anbieter TomTom hat in seinem jährlichen „Traffic Index“ den Verkehrsfluss in 29 deutschen Innenstädten verglichen. Demnach fließt es inBerlin am langsamsten. Autos schlichen 2024 mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 21 km/h durch die Hauptstadt, brauchten also für zehn Kilometer im Schnitt rund 28 Minuten. Das schafft auch mancher Radfahrer.

Verkehr II: Der Wedding kommt … nur langsam voran. Erst wurde der U-Bahnhof Seestraße stadtauswärts monatelang wegen Umbaumaßnahmen nicht bedient, dann verengte sich der Autoverkehr auf der Seestraße wegen der Sanierung eines Wasserrohrs auf jeweils eine Spur. An Silvester platzte dann ein unsaniertes Wasserrohr, wodurch der Tramverkehr bis auf Weiteres zu einem Busverkehr degradiert wird. Gestern teilte die BVG schließlich mit, dass es nun den U-Bahnsteig stadteinwärts trifft. Bis Herbst 2026 müssen Fahrgäste entweder bis zum Leopoldplatz laufen oder eine Station stadtauswärts bis Rehberge fahren und dort umsteigen.

Verkehr III: Falls Sie sich schon immer gefragt haben, was es in der KFZ-Zulassungsstelle in Lichtenberg zu Mittag gibt: Buletten, Suppen, Salate, Paninis, Wraps, Bowls, Milchreis, Smoothies... Das zumindest sollten Sie im Repertoire haben, wenn Sie die Cafeteria der Behörde betreiben möchten. Gefordert wird außerdem „ein qualitativ gutes Kaffeeangebot“ und „mindestens zwei Fairtrade-Produkte“. Zur Ausschreibung hier entlang

Die politischen Mühlen mahlen langsam: Im Sommer 2023 schlug Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) ein Azubi-Werk vor, um Berufsschülerinnen und -schüler die Wohnungssuche zu erleichtern. Anderthalb Jahre später soll nun das Projektbüro Minor eine erste Machbarkeitsstudie durchführen. Berliner Azubis können ihre Wünsche und Ansprüche über eine Online-Umfrage hier mitteilen.

Brauchen Sie noch ein bisschen schwarz-weißen Flausch gegen den Januar-Blues? Bitte sehr: Die Panda-Zwillinge Leni und Lotti erkunden gerade schüchtern ihr „Spielzimmer“ im Zoo Berlin. Am liebsten würde man sie knuffen (darf man aber natürlich nicht). Hier gibt‘s immerhin Bilder.

Zitat

„Umso wichtiger ist es nun, dass an allen Hochschulen Antisemitismusbeauftragte eingesetzt werden.“

Hochschulleitungen würden noch immer berechtigte Palästina-Solidarität mit Hass gegen Juden verwechseln, sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Jüngstes Beispiel: Die Besetzung der Alice-Salomon-Hochschule.

 

Kiekste

Stellvertretend für all die eingesandten Altglasbeiträge: das Werk von Leser Michael Kämpf aus Hermsdorf. Weitere Bilder gern an checkpoint@tagesspiegel.de! Mit Ihrer Zusendung nehmen Sie aktuell an unserem Kiekste-Fotowettbewerb in Kooperation mit DASBILD.BERLIN teil.

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Berliner Gesellschaft

Geburtstag – „Meine geliebte Ehefrau Julia Binner hat Geburtstag! Die Geburtstagsgrüße kommen vom hummeligen Ehemann Uli und von Hans-Norbert (an die beste Hundemama der Welt)“ / Catherine, Princess of Wales (43), bei einem Berlin-Besuch 2017 verbrachte sie u.a. einen Abend in Clärchens Ballhaus und besuchte ein Projekt für Straßenkinder in Marzahn / Monika Grütters (63), Politikerin (CDU), MdB, 2013-2021  Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, von 2016 bis 2019 Landesvorsitzende der CDU Berlin / Benjamin Lebert (43), Schriftsteller, sein Debütroman „Crazy“ (1999) wurde in 33 Sprachen übersetzt / Farelle Alicia Njinkeu (18), Handballspielerin, Außenspielerin bei den Füchsen Berlin / Marie Ulrich (23), Fußballspielerin, bis vor Kurzem Torhüterin bei Hertha BSC / Henriette Richter-Röhl (43), Schauspielerin („Sturm der Liebe“, „Unsere Mütter, unsere Väter“), spielt auch Theater, u.a. in der Komödie am Kurfürstendamm (2023) / Helmut Schäfer (92), ehemaliger Politiker (FDP, inzwischen ausgetreten), von 1987 bis 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt, war Gastdozent an der HU / Ralf Zacherl (54), Koch und Fernsehkoch, von 2001 bis 2003 Küchenchef in der Weinbar Rutz in Berlin, bekam als bester Newcomer 2001 den Gastro Award verliehen, 2002 wurde er Berliner Meisterkoch

+++ Sie möchten der besten Mutter, dem tollsten Kiez-Nachbarn, dem runden Jubilar, der Lieblingskollegin oder neugeborenen Nachwuchsberlinern im Checkpoint zum Geburtstag gratulieren? Schicken Sie uns bis Redaktionsschluss (11 Uhr) einfach eine Mail an checkpoint@tagesspiegel.de.+++

Gestorben – Prof. Dr. Benjamin Fabian, verstorben am 4. Dezember 2024 / Kirsten Mälzer, * 23. März 1960, verstorben am 30. Dezember 2024

StolpersteinBertha Isaacsohn, geb. Karpf (*1897), hatte fünf Geschwister, ihrem Vater gehörte eine Zigarrenfabrik in Erlangen. Sie arbeitete als Krankenpflegerin und war in zweiter Ehe mit Adolf Isaacsohn verheiratet. Anfang 1939 ging das Paar nach Berlin, vermutlich sich um Papiere für die geplante Auswanderung zu kümmern. Dies scheiterte, Bertha und Adolf blieben aber in Berlin. Am 26. September 1942 wurde Bertha nach Raasiku in Estland deportiert, am 23. August 1944 weiter nach Stutthof. In einem Außenlager des KZs wurde sie am 9. Januar 1945 ermordet. An Bertha Isaacsohn erinnert ein Stolperstein in der Mommsenstraße 47 in Charlottenburg.

Encore

Zum Schluss noch ein kurzer Blick nach Österreich: Neben einer politischen Krise samt radikalen Rechtsruck macht dort noch etwas viel Profaneres Probleme: Seit Januar gilt Pfand auf PET-Flaschen und Getränkedosen. Ein kurzer Auszug aus den Kommentarspalten:

+ „Wo soll man das Zeug lagern bis zur Rückgabe?!“

+ „Ständig mit den riesigen, leeren, unzerdrückten Flaschen herumzugehen wird mir ziemlich am Arsch gehen, befürchte ich.“

+ „Kann man dann ewig Schlange stehen, um die paar Almosen zu bekommen?“

+ „Werde jetzt im Büro immer in den Mistkübel schauen, ob was rumliegt. Bringt extra Geld.“

Sie haben Tipps und Tricks für überforderte Österreicher im Umgang mit Leergut, Automaten und Bons? Schreiben Sie an checkpoint@tagesspiegel.de

Tipps und Tricks für diese Ausgabe kamen von Valentin Petri, Boris Buchholz und Christian Latz. Co-Autorin war Jessica Gummersbach, das Stadtleben stammt aus der Tastatur von Antje Scherer. Produktion: Jaqueline Frank. Morgen begrüßt Sie hier Margarethe Gallersdörfer.

Auf bald

Ihr Daniel Böldt

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