Mit einer kämpferischen Rede, die auch an einige Mitglieder der Regierungsparteien gerichtet war, hat Angela Merkel das wahrscheinlich letzte Kapitel ihrer Kanzlerschaft eröffnet: „Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die geprägt ist von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ – der Verlauf der Debatte, die Robert Birnbaum hier in seiner Reportage beschreibt, zeigte: Leicht wird es nicht für die Kanzlerin. Aber wann war es je leicht? Ach, und wenn Sie mal sehen wollen, wie es ist, wenn Merkel es so richtig krachen lässt – bitte sehr.
Als neue Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt möchte Dorothee Bär gerne strahlendes Vorbild sein – schon als Staatssekretärin war sie mit klugen Kommentaren zur Netzpolitik aufgefallen, in den sozialen Netzwerken ist sie eine Größe, im Bundestag warb sie dafür, Grundschulkindern das Programmieren beizubringen, und im ersten TV-Interview nach ihrer Ernennung schwärmte sie im ZDF-„heute-journal“-Interview mit Marietta Slomka von der Idee eines Flugtaxis. Ihre Worte sind längst nicht mehr in Holzrinde geritzt, sondern werden permanent in binäre Ziffern umgerechnet. Doch jetzt hat die CSU-Politikerin einen papiernen Rückfall erlitten – unbemerkt von der Öffentlichkeit, der sie weiterhin das Bild der Digi-Doro zeigt. Und das kam so:
Am Dienstag twitterte das Landwirtschaftsministerium um 17.40 Uhr stolz: „Digitale Bundesregierung: Vorbereitung auf die zweite Sitzung des Bundeskabinetts ganz ohne Papier, dafür mit sämtlichen Unterlagen auf dem Tablet“ – dazu im Bild: ein Ipad. Um 18.50 verbreitete Dorothee Bär den Tweet an ihre mehr als 75.000 Follower und kommentierte, noch stolzer als stolz: „So läuft das bei uns! ;-)“.
Doch so läuft es ganz und gar nicht, jedenfalls nicht bei Dorothee Bär. Denn ebenfalls am Dienstag, anderthalb Stunden zuvor (17.22), ging im Bundeskanzleramt per Mail eine interne Weisung heraus, und die schauen wir uns jetzt mal genauer an:
„Betreff: Abdrucke für Frau StMin Bär
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für eine möglichst gute und zeitnahe Einbindung von Frau Staatsministerin Bär ist mit ChefBK besprochen, dass Sie bitte ab sofort von allen Vorlagen mit ‚digitalpolitischem Bezug‘ einen Abdruck an Frau StMin Bär verfügen. Die Vorlagen laufen über ChefBK an Frau StMin Bär. Sobald alle organisatorischen Veränderungen umgesetzt wird (sic!), wird auch die Hausordnung entsprechend angepasst.
Herzlichen Dank und schöne Grüße“
Hm, je ein Abdruck von allen Vorlagen mit digitalpolitischem Bezug? Herrje, da kommt einiges an Papier zusammen, viel Papier. Vielleicht sogar genug Papier, um damit den Heizkessel eines Flugtaxis betreiben zu können. Denn mit der Breitbandversorgung, Voraussetzung für eine zuverlässige Verbindung auf all unseren Wegen, haben wir es in Deutschland, allen Versprechungen zum Trotz, ja noch immer nicht so.
So, schnell ein Blick in die Spambox… na so was: Eine Einladung zu einem Digitalisierungskongress mit Grußworten der Regierungsmitglieder Peter Altmaier und Katarina Barley: „Sehr geehrter Herr Maroldt, die Digitalisierung verändert alles…“ Ach! Echt jetzt?
In Berlin fehlen tausende Kitaplätze – trotz des gesetzlichen Anspruchs. Christine Kroke, Mutter eines sechs Monate alten Sohns, sagt, dass sie fast 100 Kitas angeschrieben habe, ohne Erfolg. Deswegen startete sie bei change.org eine Online-Petition, mehr als 30.000 Unterstützer haben bereits unterschrieben. Gefordert werden u.a. bessere Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher, eine bessere Bezahlung – und mehr Plätze.
Beim Berlin-Monopoly hat „Zalando“ eine Ereigniskarte gezogen: „Geben Sie Ihr Bauprojekt auf der Cuvry-Brache auf. Machen Sie von Ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch. Behaupten Sie, ihr Rückzug hat weder etwas mit Protesten der Anwohner, noch mit der Entlassung von 250 Mitarbeitern zu tun. Beschuldigen Sie die Cuvrystraße 50-51 Berlin GmbH, vertraglich vereinbarte Fristen nicht eingehalten zu haben.“ (Q: „Morgenpost“)
Neues von der Affäre Nachtigall: Am Samstag will der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vor dem Roten Rathaus demonstrieren, 15 Teilnehmer sind angemeldet, da wackeln die Wände und die letzten Fledermäuse flüchten aufs Land. Schade, dass wohl auch der Regierende Wissenschaftssenator an diesem Tag ausgeflogen sein wird, sonst hätte er die Sache nochmal erklären können: Drei freilebende Nachtigalleriche sollen mit drei gezüchteten Nachtigallinnen Sex haben dürfen. Skandal.
Telegramm
Ein Schwan landete gestern am Reichpietschufer und blockierte den Verkehr, Bauarbeiter sicherten die Ruhepause zur Rush Hour. Berlins Wildtierbeauftragter Derk Ehlert rät für ähnliche Fälle: „Erstmal den Kopf anfassen. Sonst hat man den Schnabel im Auge.“
Und noch was aus Berlins Tierleben: Die Abgeordneten debattieren heute über das Wildschwein, das gemeine, das die Vorgärten der Wähler von CDU und FDP zerwühlt. Die Opposition ruft deshalb nach dem Jäger, die Koalitionsfraktionen wollen es leben lassen. Dazu auch der Blick auf den Speiseplan der Parlamentskantine, Moment... hier: Heute gibt’s Rindsroulade.
Die Öffnungszeiten der Notunterkünfte für Obdachlose werden nicht nach dem Wetter ausgerichtet, sondern nach dem Kalender: Ende März machen die meisten dicht. Die Wetterprognose für Ende März: Nachtfrost.
Apropos Nachtfrost: Der Spargel bleibt stecken – vor Ostern wird das nichts mehr.
Mit einem leicht abgewandelten Peter-Fox-Zitat macht heute die „Berliner Zeitung“ auf: „Frust kommt auf, denn die Bahn kommt nicht“ – der Tram-Verkehr leidet unter Personalmangel, allein am 16. März wurde für 32 Dienste intern notiert: „Ausfall“.
Kunst-Doyen Peter Raue („MoMa in Berlin“, „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“) vermisst in Berlin zurzeit „museale Sinfoniekonzerte“ – wer die erleben will, muss woanders hin, mindestens nach Potsdam („Barberini“). Immerhin, in der bildenden Kunst beherrscht Berlin den Kammerton – Raues Tipp: „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“. (Q: „B.Z.“) Unser Tipp: Wenn die Ausstellung sich dem Ende zuneigt, geben wir Ihnen wie gewohnt eine letzte Warnung - unter „Noch hingehen“ im Checkpoint-Stadtleben.
Bitte anschnallen: Direkt nach Ostern gilt auf der Leipziger Straße Tempo 30 (Test der Verkehrsverwaltung zur Schadstoffmessung) – so schnell war ich dort schon lange nicht mehr unterwegs.
Wir kommen zu unserer beliebten Rubrik „Mathe mit dem Checkpoint“. Aufgabe: Flughafenchef ELD benennt im BT-Verkehrsausschuss die Zusatzkosten wegen der jüngsten Eröffnungsverschiebung – 400 Mio Einnahmeausfälle, 350 Mio Bau und Unterhalt, 100 Mio Risikovorsorge, macht 850 Mio. Im aktuellen Businessplan sind diese Kosten allerdings mit 770 Mio angegeben. Frage: Wohin sind die fehlenden 80 Mio verschwunden? Eine kleine Hilfestellung finden Sie hier.
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Schritt für Schritt rücken wir dem Senat auf die Pelle.“
„Bild“-Kolumnist Heinz Buschkowsky. Sein „Aktionsbündnis für mehr Videoaufklärung und Datenschutz“ hat 21.028 anerkannte Unterschriften gesammelt – genug, um ein Volksbegehren zu starten (dafür notwendig: 170.000 Unterschriften). Es ist der vorletzte Schritt vor dem Volksentscheid, der eingeleitet wird, falls das Parlament nicht innerhalb von vier Monaten den Zielen der Initiative zustimmt.
Zitat
„Die Bezirke sollten sich nicht weiter darüber beklagen, dass das Land sie nicht genug unterstützt“.
Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen zu den Jahresabschlüssen der zwölf Bezirke – zusammen haben sie 54 Millionen Euro Überschüsse erwirtschaftet.
Tweet des Tages
„In der U2 löffelt ein Mann in einem Eselskostüm eine Dose Teewurst aus. Alles wie immer!“
Stadtleben
In Friedrichshain hat das Goura Pakora wiedereröffnet. Nach einem Brand vor zwei Jahren hat das für seine vegane südindische Küche beliebte Lokal beim Wiederaufbau gleich noch etwas umgebaut, der Gastraum ist nun größer und noch gemütlicher. Die Kollegen von Qiez schwärmen vom Mango Lassi „der besser nicht sein könnte“, vom Dosa (knusprige Reis-Linsen-Pfannkuchen), Papadam und Mungdal mal ganz abgesehen. Zu finden in derKrossener Straße 16 (U-Bhf Frankfurter Tor), geöffnet Mi-Mo ab 17 Uhr, Fr ab 18 Uhr, barrierefreier Gastraum (Toiletten leider nicht).
Kaffeetrinken mit Berlinbesuch im The Greens in Mitte. Lange bevor die Politik die Alte Münze am Molkenmarkt zu einem „lebendigen Kulturstandort“ entwickeln wollte, hat die Kreativszene das alte Münzprägewerk für sich entdeckt. Da darf eine ausgefallenes Café nicht fehlen, das vom Konzept her mit dem Zeitgeist geht: Fair gehandelter Kaffee, überwiegend vegetarische Gerichte, regionale Zutaten, am besten aus dem Münzgarten nebenan. Das Besondere: Bananenbrot und Kurkuma-Ingwer-Latte werden zwischen und unter Grünpflanzen aller Art genossen, die ebenfalls erworben werden können. Den Dschungel zum Mitnehmen finden Sie Am Krögel 2, zwischen Fischerinsel und Alexanderplatz (Mo-Fr 10-16 Uhr, Sa-So 12-18 Uhr).
Berlinbesuch können Sie aber auch mit einem Abstecher ins Café Sibylle und damit zu einem Ausflug in die DDR begeistern. Das Café ist das letzte Geschäft auf der Karl-Marx-Allee, das es schon zu Ostzeiten hier gab, damals ursprünglich als Eiscafé Milchtrinkhalle geführt, später umbenannt, um einer in der DDR beliebten Frauenzeitschrift zu huldigen. Es beherbergt eine Ausstellung zur Geschichte der Karl-Marx-Allee, ehem. Stalinallee, und ist von der Schließung bedroht. Wenn es ganz doof läuft, schließt es zum 31. März. Karl-Marx-Allee 72 (U-Bhf Strausberger Platz), Mo 11-18 Uhr, Di-So 10-18 Uhr
Geschenk (via Nele Jensch) Im kinderreichen Graefekiez (nicht umsonst als Prenzlauer Berg Kreuzbergs bekannt) gibt es diverse Secondhand-Läden mit Kindersachen - ein besonders gut sortierter findet sich fast direkt am Ufer des Landwehrkanals: Anna och Larson verkauft nicht nur gut erhaltende Kinderklamotten und -schuhe aus zweiter Hand, sondern auch Spielsachen, Bücher, Lauf- und Fahrräder, Buggys und Kinderwagen. Wühlen muss man nicht: Trotz des charakteristischen, leicht miefigen Second-Hand-Geruchs im Laden sind die Pullis, Hosen, Jacken und Bodys übersichtlich nach Größe sortiert und hängen ordentlich auf Bügeln, anstatt in Grabbelkisten auf Entdeckungswütige zu warten - und kosten im Schnitt rund die Hälfte ihres ursprünglichen Preises. Graefestraße 1 (U-Bhf Schönleinstraße), Mo-Fr 11-18 Uhr