Mit Prognosen für die Zukunft sollte man sich bekanntlich zurückhalten, aber mit „Harry, hol schon mal den Rettungswagen“ (CP vom vergangenen Samstag) lagen wir ganz gut: Nachdem am Montag die gemeinsame Baustellenspur für Rad- und Autoverkehr auf der Oberbaumbrücke freigegeben wurde, befanden Polizei und Verkehrslenkung beim Ortstermin: zu gefährlich. Weil manche Autofahrer durchdrehen, wenn sie bei beschildertem Tempolimit 20 mal einem Radfahrer mit 17 km/h hinterherzuckeln müssen.
Also wurden die Radfahrer auf den Gehweg geschickt und per Schild zum Schieben aufgefordert, was einerseits niemand tat und andererseits alle empörte. Die von einer gut besuchten Spontandemo der Radfahrerlobby aufgeschreckte Verkehrssenatorin versprach Abhilfe – auf Kosten der Fußgänger, die nun mit einer provisorischen Ampel unters U-Bahn-Viadukt geschickt werden sollen, wo sie fast über die Lager der Obdachlosen steigen müssen. Als „dummdreist, aber aussichtslos“ bezeichnete der Fachverband Fuss e.V. diesen Plan, der nächste Woche umgesetzt werden soll. So exemplarisch bekommt man das Berliner Verkehrswesen nicht alle Tage vorgeführt. Wir lernen: Es gilt nicht die Vorschrift (Tempo 20), sondern das Recht des Stärkeren, das schrittweise von der Spitze der Nahrungskette (Kfz) über die Vegetarier (Radverkehr) durchgesetzt wird, sodass am Ende das Krill (Fußgänger) Neese ist, wie der Berliner sagt.
Natürlich sind Bauarbeiten auf einer extrem frequentierten Brücke per se schwierig, aber der Fall illustriert die Denke der Verantwortlichen auf deprimierende Weise. Wo bleibt in dieser Geschichte eigentlich die Polizei mit ihren 56 Tempo-Lasern und ihren Beamten, die den Leuten gegen Gebühr §1 StVO nahebringen?
Apropos kleine Gebühr: Auf eine Geschichte über die Forderung nach drastisch höheren Bußgeldern für Falschparker hin kamen zwei Leserbriefe. Einer schrieb, in Kalifornien habe er keinen einzigen Falschparker gesehen und sei gewarnt worden, nach einer halben Stunde im Parkverbot sei das Auto weg. „So schön kann konsequente Verkehrsüberwachung sein.“ Ein anderer Leser schrieb, er fühle sich von der Forderung nach höheren Bußgeldern „beleidigt und verleumdet“. Er verstehe sich als gesetzestreuen Bürger, „der sich bemüht, die Verkehrsregeln einzuhalten, aber aufgrund der Verknappung des Parkraums notgedrungen auch mal im Parkverbot stehen muss“.
Bei einer Umfrage würden vermutlich 98% der Falschparker auf "notgedrungen" plädieren. Allerdings würden vermutlich ebenso viele zu Fuß gehende, Rad oder Rollstuhl fahrende oder Kinderwagen schiebende Menschen sagen, dass sie es satt haben, sich ohne Sicht an Gehwegfurten vorzutasten, in den Fließverkehr auszuweichen oder erst einen Block weiter über die Straße zu kommen, wo kein Opfer der Parkraumverknappung den abgesenkten Bordstein blockiert.
Der immer härtere Kampf um den Platz kann in der City nicht von den Autos gewonnen werden, weil dann alle verloren hätten. Gerade hat die Verkehrssenatorin laut über das Modell „Autofahren in die Stadt nur mit gültigem BVG-Ticket“ nachgedacht: Statt einer Citymaut zahlen Autofahrer eine Nahverkehrsabgabe. Klingt ungerecht. Aber jederzeit zehn Quadratmeter in bester City-Lage gratis zu beanspruchen, ist noch viel ungerechter. Die große Fahrradsternfahrt am Sonntag ist eine gute Gelegenheit, das Thema zu diskutieren. Vor allem im Stau vor den Autobahnzufahrten.