Auch wenn Sie das Gefühl haben, es sei schon vor drei Monaten passiert: Erst heute ist Herbstanfang. Und auch wenn einer Forsa-Umfrage zufolge fast die Hälfte der Befragten der Meinung sind, dass in diesem Jahr das Sommerwetter besonders mistig war - es ist kaum anders gewesen als sonst. Es hat eben nur ein bisschen mehr geregnet.
Michael Müller wird heute zum Bundesratspräsidenten gewählt und ist damit für ein halbes Jahr… ja was? Zweithöchster Repräsentant des Staates nach dem Bundespräsidenten, wie „Morgenpost“ und „B.Z.“ heute melden? Oder dessen Stellvertreter („Berliner Zeitung“)? Oder doch nur vierthöchster Repräsentant nach BuPrä, ButaPrä und BuKa, wie die Bundesregierung mitteilt? Aber dort lesen wir auch: Eine verbindliche offizielle Rangliste gibt es nicht. Also ernennen wir unseren Rathauschef in aller Bescheidenheit doch einfach zum Oberregierenden Bundesmeister (wir sind ja hier schließlich in Berlin).
Eigentlich sollte Ex-Innenstaatssekretär Bernd Krömer heute im Amri-Untersuchungsausschuss vernommen werden - doch dieser Programmpunkt fällt aus: Der CDU-Mann meldete sich kurz vorher beim Vorsitzenden Burkard Dregger per Attest krank. Na mal sehen, ob er bis Sonntag wieder fit ist - noch steht er jedenfalls auf der Marathon-Teilnehmerliste (Startnummer 27263). Krömer sollte gewarnt sein: Beim Rennen 2014 war er 2000 Meter vor dem Ziel kollabiert.
„Die Hauptstadt steht im Wald“ ist ja auch mal eine schöne Meldung: In keiner anderen deutschen Millionenstadt gibt’s mehr Bäume als in Berlin (Flächenanteil 17,7%, Köln 16,6%, HH 7,5%, München 6,8%). Ob es deshalb in Berlin auch überproportional viele Menschen mit Brett vorm Kopp gibt (siehe unten), wird am Sonntag ausgezählt. (Q: Amt für Statistik)
Apropos Brett vorm Kopp: Der AfD-Abgeordnete und Höcke-Fan Thorsten Weiß will „linksextremistische Netzwerke“ in Berlin entlarven und stellte dem Senat deshalb 129 Fragen - unter anderem solche: „Ist dem Senat bekannt, ob der Deutsche Gewerkschaftsbund über personelle Verbindungen zu den Parteien SPD, Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen verfügt?“ Hui! Da bahnt sich ein Skandal an. Und es wird noch krasser: „Ist dem Senat bekannt, ob der Fußballclub BSC Eintracht Südring über personelle Verbindungen zu den Parteien SPD, Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen verfügt?“ What!?! Was für ein Abgrund - Eintracht Südring und die SPD! Alles Volksverräter…
… und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie (ja, Sie!) irgendwo mitmischen im „linksextremistischen Netzwerk“, ist recht groß: Weiß fragt nach Kulturgesellschaften wie dem Pfefferwerk, der AWO, der Clubcommission, dem Verein „Gesicht zeigen“, dem Anne-Frank-Zentrum und vielen mehr. Alle auf der Liste. Nehmen Sie sich die Zeit und schauen mal nach (zur Anfrage geht’s hier). Schwer beleidigt ist übrigens der nicht erwähnte Verein Hansa 07 - mit Blick auf Eintracht Südring und Türkiyemspor (auch auf der Liste) heißt es bei Facebook: „Was haben die, was wir nicht haben?“ Tja… Fehlt noch die Antwort vom Senat - hier ist sie: „Zu 1. - 129.: Dem Senat liegen dazu keine Informationen vor.“
Dr. Michael Schütz, Geschäftsführender Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité, rettete trotz des Klinikstreiks (noch nicht beendet; die bisherigen Kosten belaufen sich auf mehrere Mio Euro) die geplante Operation am mehrfach gebrochenen Schienbeinkopf eines Berliner Rechtsanwalts: Eigenhändig schob der Professor das Bett des Patienten (selbstverständlich Checkpoint-Leser) vom Krankenzimmer in den OP-Saal - wenn Schütz heute auch noch das Essen serviert, bekommt er die Checkpoint-Medaille „Der Goldene Gips“.
Wir bleiben noch kurz in der Charité, und zwar beim formidablen Babylotsen-Projekt von Professor Wolfgang Henrich (Direktor der Geburtsklinik) und Oberärztin Christine Klapp. Sozialpädagoginnen helfen hier im Jahr mehr als 2000 zumeist jungen Eltern, mit der neuen Situation klarzukommen, finanziert werden sie weitgehend über Spenden. Auch bei einem prominent besetzten Fundraising-Dinner heute Abend im China Club (u.a. mit Thomas Gottschalk und Jette Joop) wird gesammelt - Informationen über das Projekt finden Sie hier.
Telegramm
Eine solche Meldung gibt’s auch nur in Berlin: „Die Wahl ist gesichert“ - hurra, wer hätte das gedacht. Und so geht’s: Das Bezirksamt Mitte hat jetzt 46 unwillige Hausmeister offiziell angewiesen, am Sonntag die Wahllokal-Schulen aufzuschließen - der Personalrat will zwar dagegen klagen, verzichtet aber auf ein Eilverfahren.
Eine eindrucksvolle Demonstration ihrer Kunst liefert die Verkehrslenkung (Berlins beliebteste Behörde) gerade am gesperrten Sachsendamm: Per verkehrtem Verkehrsschild leitete sie die endlose Autokolonne an der Gotenstraße stumpf ins Sackgassen- und Einbahnstraßengewirr der Roten Insel. Das Motto: Erst lechts, dann rinks - und wückrärts wieder raus.
Der deutsch-türkische Hetz-Blogger Bilgili Üretmen geht auf Sendung - mit Unterstützung der Botschaft Ankaras in Berlin: Im Namen des Sprechers wurde die Internetseite „Z-23 TV“ registriert, und was dort zu erwarten ist, zeigen Bilgilis bisherige Videos: Da fordert er u.a., man solle den Journalisten Deniz Yücel „einmal pro Tag mit dem Schlagstock durchnehmen“. (Q: „Correctiv“) Der Korrespondent der „Welt“ sitzt übrigens jetzt seit 221 Tagen in einem türkischen Gefängnis, weil Staatspräsident Erdogan Journalismus für Terrorismus hält (und den Rechtsstaat für eine westliche Modeverirrung).
Der Guardian hat die Facebook-Fans der deutschen Parteien gezählt - und stellt verblüfft fest: „Eine Partei, die verspricht, Alkoholfahrten zu legalisieren, Kokain auf Rezept zu verschreiben und den türkischen Präsidenten zu entführen, macht das Rennen.“ Gemeint ist „Die Partei“ (die vom Berliner Verwaltungsgericht gerade vor der Pleite gerettet wurde). Checkpoint-Diagnose: Die Demokratie-Dekadenz schreitet voran.
Der heutige Beitrag zum Betriebsstörungsbingo kommt von CP-Leserin Karola Albrecht - sie meldet folgende Durchsage: „Wegen eines auflaufenden Staus verzögert sich die Weiterfahrt.“ Prima - hatten wir hier noch nicht.
Und die heutige Episode von „Berlin, aber Schnauze“ übertragen wir aus dem M19 Richtung Mehringdamm – ein Mann möchte an der Station Yorckstraße den knallvollen Bus verlassen und fragt eine Frau, die in der Tür steht: „Steijen Se aus?“ Sie: „Nein, aber ich mache Platz.“ Er: "Dit is jut, macht mein Hund och imma." (Gehört von Anette Mischler).
Eine Castorf-Fan-Gruppe mit dem Namen „Staub zu Glitzer“ will aus Protest gegen den Intendanten Chris Dercon die Volksbühne besetzen und drei Monate lang alternative Stücke spielen - aus Protest gegen „unsichere Arbeitsverhältnisse, Karrierezwang, Privatisierung, Kommerzialisierung, Sozialabbau, Finanzkapitalismus, Gentrifizierung, Renationalisierungsbestrebungen“ und einiges mehr. Klingt eigentlich… na ja: Wie ein ironisches Eventbuden-Stück von Dercon selbst. Lassen wir uns überraschen.
Und damit zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: Die Berliner „Jungen Liberalen“ fordern „die Abschaffung des Verbots von Fotos aus der Wahlkabine“. Begründung: In Zeiten steigender Briefwählerzahlen hat „ohnehin niemand mehr die Kontrolle über den korrekten Wahlvorgang“, also ist das Selfie-Verbot „vollkommen absurd“. Und hier das Lied zur Meldung: „Liberallala, Liberallala, Liberallalalala.“
Korrektur zur Meldung „Gedenktafel zum 4. Mal enthüllt“ (CP von gestern): Wolfgang Szepansky schrie nicht am 11. August 1933 „Nieder mit Hitler“, sondern er schrieb „Nieder mit Hitler“ – und zwar an die Mauer in der Methfesselstraße, wo auch an ihn erinnert wird (Dank an Christine Kühnl-Sager).
BER Count Up – Tage seit Nichteröffnung:
Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat das Wunder vollbracht: Am 31. Oktober 2020 ist der Flughafen BER offiziell eröffnet worden. 3.073 Tage nach der ersten Nicht-Eröffnung stellen wir damit unseren Count Up ein. Wer nochmal zurück blicken will: Im Tagesspiegel Checkpoint Podcast "Eine Runde Berlin" spricht Lütke Daldrup mit Tagesspiegel Chefredakteur Lorenz Maroldt und Checkpoint Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über detailverliebte Kontrollen, politische Befindlichkeiten und aufgestaute Urlaubstage.
Zitat
„Buschkowsky hat keine Ahnung.“
Offizielle Reaktion der Innenverwaltung auf die Kritik des früheren Neuköllner Bürgermeisters an den gestern vorgestellten Videowagen der Polizei - der SPD-Politiker hatte die Fahrzeuge als Bollerwagen, Sicherheitsattrappen, Ulknummer, Rosstäuscherei und Krücken verspottet (mehr fiel ihm leider nicht ein).
Tweet des Tages
„Hipsterkiez. Motorradkalle hat sich Herrn Lindner zum Ölwechsel unter die Maschine gelegt. Wir nicken so.“
Stadtleben
Zu den gelungensten Neueröffnungen aus diesem Jahr zählt definitiv das PeterPaul in Mitte. Restaurant-Kritikerin Elisabeth Binder hat das Lokal in der Torstraße 99 unter die Lupe genommen und bestätigt: Wer deutsche Klassiker modern interpretiert und in edlem Ambiente genießen will, sitzt hier genau richtig. Flott trägt der Service die duftenden Kleinigkeiten (2,50-6,50 Euro) herbei, von „Fischstäbchen mit Schmand“ bis „in Buttermilch eingelegtes Knusperhuhn“ – die Berliner Bouletten tragen sogar „in ihrer supersanften Konsistenz zur Ehre der ganzen Gattung bei“. U-Bhf Rosenthaler Platz, geöffnet Di-Sa ab 17 Uhr
Früher war die 8mm Bar in Prenzlauer Berg Anlaufpunkt nach Konzerten im Magnet und Knaack – beide Clubs sind nicht mehr, wohl aber die Bar, die zum Tummelplatz für Indie-Rock und New Wave wurde. Mit der Melloch Bar ein paar Straßen weiter setzten die Betreiber vor ein paar Monaten eine Schwerpunkt auf Cocktails und Craft Beer. Die Kollegen von Mixology waren schon da und sind angetan von der Mischung aus „ein bisschen 1920er Jahre, ein bisschen Omas Retro-Chic gepaart mit ein wenig Ostalgie“ in der Greifswalder Straße 218. Die Karte ist übersichtlich, aber fein zusammengestellt aus Klassikern und Eigenkreationen wie dem "High Tea" aus Earl Grey, Martini und Gin. S-Bhf Greifswalder Straße, dann M4 bis Hufelandstraße, Mi-Fr 18-2 Uhr, Sa-So 19-2 Uhr, mit Raucherbereich.