Adieu, Würmchen-Muster!
Das berühmte „möglicherweise künstlerisch umstrittene“ Design darf von der BVG nicht mehr verwendet werden. Und der Rechtsstreit treibt die buntesten Blüten. Von Nina Breher.
Man sieht es immer seltener: das berühmte „Würmchen“-Sitzmuster der BVG (Symbolbild hier). Seit gestern, ca. 17 Uhr, kann man nicht einmal mehr Souvenirs davon kaufen. Und womöglich ist die Autorin dieses Newsletters auch noch schuld daran. Aber der Reihe nach. Im Mai hatte die BVG erklärt, das ikonische Sitzmuster auslaufen zu lassen. Es habe sich „schlicht überlebt“. Kurz zuvor hatte sie zwar noch Tassen, Jahresberichte und BerlKönige damit dekoriert, aber sei’s drum. Parallel lief ein Rechtsstreit – der Designer des Musters klagte, die BVG habe nie Lizenz genommen (CP vom 17.5.). Die Klage war nun teilweise erfolgreich, die BVG darf das Muster nicht mehr verbreiten, muss ggf. Schadensersatz zahlen und Produkte vernichten.
Die Muster seien „als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt“, heißt es in dem Urteil des Hamburger Landgerichts vom 9.11., das dem Checkpoint vorliegt. Auch wenn, wie das Gericht freimütig einräumt, die ästhetische Wirkung eine „möglicherweise künstlerisch umstrittene“ sei. Die BVG hatte unter anderem ins Gefecht geführt, das Muster sei ja gar nicht schön. Das ließen die Juristen nicht gelten, erlaubten sich einen Exkurs in die philosophische Ästhetik: „Hässlichkeit“ sei „eine bloße Geschmacksfrage und daher kein Argument für oder gegen die Urheberrechtsfähigkeit“. Mit Sinn für Poesie stellte die Kammer (die sich in der Urteilsbegründung outet als „Kammer, deren Mitglieder zu den für Kunst empfänglichen und interessierten Kreisen gehören“) zudem fest, im Design würden „illusionistische, naturalistische Tiefenwirkungen vermieden“, das habe eine beruhigende Wirkung.
Und die BVG? Man prüfe derzeit die Einlegung der Berufung, sagt Sprecher Jannes Schwentu. „Der Rechtsstreit ist noch nicht final entschieden.“
Aber Moment! Auf www.das-muster-kennen-wir.de war am Donnerstag (12:30 Uhr) noch feinster Würmchenmuster-Merchandise erhältlich (z. B. Brustbeutel, Handyhüllen, Kinderleggins). Auf Checkpoint-Frage, wie das zu erklären sei, sagt die BVG, sie habe bereits „vorsorglich“ veranlasst, den Vertrieb der Produkte einzustellen und „ebenso (…) die Einstellung der Seite geplant, welche seit heute auch nicht mehr aufrufbar ist“ (17 Uhr). Tatsache: Am späten Nachmittag war die Seite nicht mehr erreichbar. Der Checkpoint entschuldigt sich bei allen, die ihren Liebsten Sitzbezug-Weihnachtsgeschenke kaufen wollten. Von den Sitzen reißen (genutzt in „168 Wagen im U-Bahn-Kleinprofil und 560 Wagen im U-Bahn-Großprofil“, Q: Klageschrift) muss die BVG die alten Sitzbezüge aber nicht. Hier zeigt das Hamburger Gericht Mitleid mit Berlin: Der öffentliche Nahverkehr „in der Stadt Berlin“ würde dadurch „ganz erheblich beeinträchtigt werden“. Deshalb würden hier die Interessen der BVG „und der Berliner Öffentlichkeit“ dominieren.