Anonym und meinungsstark: Angehender Berliner CDU-Stadtrat machte Wahlkampf unter falscher Flagge
Hannes Rehfeldt ist designierter Gesundheitsstadtrat von Neukölln und vertritt seine Haltung selbstbewusst im Tagesspiegel-Diskussionsforum – aber nur inkognito. Von Margarethe Gallersdörfer und Lorenz Maroldt
Am 22. September 2022, die Wahlwiederholung war absehbar, eine Entscheidung stand unmittelbar bevor, meldete sich um 13.13 Uhr ein neuer User für das Diskussionsforum auf der Tagesspiegel-Website an. Sein Nutzername: @reh383.
Seitdem hat @reh383 genau 131 Kommentare verfasst, in denen er sich an Linken, Grünen, Klimaschützern („Mit solchen Leuten spricht man nicht“), der SPD und dem Tagesspiegel abarbeitet.
Die Artikel im Tagesspiegel zu den Koalitionsverhandlungen nennt er eine „Kampagne“. Er sieht „geschlossene linke Weltbilder in der Hauptstadtpresse“. Einem Gastautor von der SPD bescheinigt er „krude Thesen“, nennt ihn „bekloppt“ und fragt: „Warum dürfen hier ständig Sozialdemokraten ihr Gift ablassen?“ Zu Franziska Giffey heißt es: „Nett vom Tagesspiegel, der Frau ein wenig Wahlkampfunterstützung zu geben.“
Über den Text eines Tagesspiegel-Redakteurs schreibt @reh383: „Es ist ja immerhin ehrlich, wenn sich der Autor als linker Sozialromantiker outet. Konsequenterweise müsste man das bei allen weiteren Artikeln dazuschreiben - so als Disclaimer.“
Wer hinter @reh383 steckt, erfahren die anderen Leserinnen und Leser nicht. Für sie ist er einfach ein konservativer Bürger, der seine Meinung vertritt. Dabei müsste @reh383 konsequenterweise unter alle Kommentare seinen Namen und seine Funktion dazuschrieben – so als Disclaimer. Denn @reh383 ist Hannes Rehfeldt, Pressesprecher des CDU-Kreisverbands Neukölln sowie Koordinator und Verantwortungsträger im Stab des bisherigen CDU-Sozialstadtrats Falko Liecke, der im neuen Senat Jugendstaatssekretär wurde. Die Mailadresse, mit der Rehfeldt sich angemeldet hat, ist sein offizieller Dienstkontakt: hannes.rehfeldt@bezirksamt-neukoelln.de. Die CDU sagt danke: Nett vom Bezirksamt, Kai Wegner ein wenig Wahlkampfunterstützung zu geben.
Mehr als 100 Kommentare zu Texten, die auf tagesspiegel.de erschienen sind, hat Rehfeldt zwischen 10 und 16 Uhr geschrieben, die meisten davon am Vormittag. Das fällt in die Kernarbeitszeit des Bezirksamts. Die Nutzung dienstlicher E-Mail-Adressen ist in der bezirklichen „Dienstvereinbarung zur Nutzung des Internet“ geregelt. Unter Punkt 2.2 heißt es da: „Die private Nutzung des Internet und der anderen Dienste ist grundsätzlich nicht zulässig.“
Vom Checkpoint dazu befragt, spricht Rehfeldt offen von einem Fehler: „Das soll natürlich nicht so sein. Ich will das gar nicht auf irgendwen schieben, ich hätte das früher prüfen sollen.“ Auf die Frage, ob er Kommentare während der Dienstzeit geschrieben hat, sagt er:
„Ich habe stets darauf geachtet, die stets als private Meinung zu verstehenden Kommentare nicht in der Dienstzeit zu verfassen, sondern das in Pausen zu tun. In meiner bisherigen dienstlichen Tätigkeit ist diese Abgrenzung aber nicht immer einwandfrei möglich. Pausen werden dann gemacht, wenn es gerade passt, nicht nach Stechuhr. So kann es durchaus sein, dass Kommentare auch zu Zeiten, in denen üblicherweise keine Pausenzeiten und damit Raum für private Dinge sind, verfasst worden sind.“
Rehfeldt will sich am 24. Mai zum Stadtrat für Gesundheit und Soziales wählen lassen.