„Judenhass ist Bestandteil der Partei“: Der Berliner Swing-Musiker Andrej Hermlin greift Die Linke an

Auf ihrem Parteitag hat Die Linke für die Antisemitismusdefinition der Jerusalemer Erklärung gestimmt. Im Exklusiv-Interview übt Hermlin daran deutliche Kritik. Von Robert Ide

„Judenhass ist Bestandteil der Partei“: Der Berliner Swing-Musiker Andrej Hermlin greift Die Linke an
Foto: Kitty Kleist-Heinrich / TSP

Gerade ist sie politisch wieder auferstanden, wiederbelebt durch die in den sozialen Netzwerken erfolgreiche Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek, zahlreichen Zulauf durch junge Menschen und durch das Mittragen staatspolitischer Entscheidungen im Bundestag: Die Linke, endlich befreit vom Dauerstreit mit ihrer einstigen Ikone Sahra Wagenknecht, könnte nach ihrem überraschenden Einzug in den Bundestag politisch durchstarten, muss sich aber jetzt wieder mit sich selbst beschäftigen. Auf ihrem Bundesparteitag in Chemnitz verabschiedete sie am Wochenende mit Mehrheit einen Antrag, der den Antisemitismus-Begriff in weniger engen Grenzen definiert, und steht seitdem in der Kritik aus der Union und der Jüdischen Gemeinde.

Einer, der wegen des aus seiner Sicht zu toleranten Umgangs der Linken mit Judenhass die Partei verlassen hat, ist der bekannte Berliner Swing-Musiker Andrej Hermlin. Aufgewachsen in Ost-Berlin in einer kritischen sozialistischen Familie mit jüdischen Wurzeln – sein Vater war der bekannte Schriftsteller Stephan Hermlin, seine Mutter stammte aus der Sowjetunion – mischt sich der Pianist bis heute in politische Debatten ein. 1990 war Hermlin in die damalige PDS eingetreten, die später zur Linken wurde, und ist vor eineinhalb Jahren ausgetreten. Im Checkpoint-Interview rechnet der 59-Jährige nun mit seiner ehemaligen Partei ab.

Herr Hermlin, wie haben Sie den Parteitag der Linken verfolgt?

Ich bin ja kein Mitglied der Partei mehr, deshalb habe ich den Parteitag nur aus der Ferne in der Presse verfolgt. Für mich ist der dort gefasste Antisemitismus-Beschluss eine Zäsur. Ich hätte nicht gedacht, dass es nach dem Beschluss des Parteivorstands vom Oktober 2023, der mich damals zum Austritt aus der Partei nach immerhin 33 Jahren bewogen hat, noch schlimmer werden könnte. Israelhass ist an diesem Wochenende von einer Mehrheit der Delegierten des Parteitags legitimiert worden. Judenfeindschaft ist damit – allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz – zu einem organischen Bestandteil dieser Partei geworden.

Grund der Debatte ist die Änderung der Antisemitismus-Definition, auf die sich die Partei beruft, um mehr Kritik an Israel zu ermöglichen. Ist es wirklich verwerflich, die Kriegsführung von Israel gegen die Hamas klar zu kritisieren?

Mehr Kritik? Die Kritiker Israels haben in der deutschen Öffentlichkeit sehr viel Raum: in den Universitäten, in der Presse, auf den Bühnen der Theater, bei fast jeder Preisverleihung. Dagegen haben die Verteidiger Israels kaum noch Raum in der Öffentlichkeit. Kritik an Israels Regierung oder seiner Kriegsführung ist legitim, aber hier passiert etwas ganz anderes: Israel wird als Staat delegitimiert. Die Antisemitismus-Definition, auf die sich die Linke nun beruft, ist ja keine wissenschaftliche, sondern eine politische. Wenn darin behauptet wird, die Israel-Boykottbewegung BDS sei nicht antisemitisch oder wenn darin eine Ein-Staat-Lösung im Nahen Osten als akzeptabel angesehen wird, dann rüttelt man wissentlich am Existenzrecht Israels. Das ist so schwerwiegend, dass die Partei damit den Kanon der anständigen Parteien verlassen hat.

Politisch ist die Linke wieder zurück im Bundestag und hat hier auch geholfen, Mehrheiten gegen die AfD zu sichern. Sehen Sie darin nicht auch eine Chance?

Wir reden andauernd über die AfD, aber nicht darüber, was sie stark gemacht hat. Die Demokraten haben darin versagt, diesem Land einen Sinn zu geben, mit der Bevölkerung über ihre Ängste und Zweifel zu sprechen. Aufgrund meiner Herkunft fühle ich mich nicht nur bedroht von der AfD, sondern ebenso von arabischen Schreihälsen auf der Sonnenallee oder von Studenten, die Bluthände an die Wände unserer Universitäten schmieren und damit das Leben jüdischer Menschen in unserem Land gefährden. Mir dreht sich der Magen um bei dem Gedanken, dass die Linke dies nun offensichtlich toleriert und allen Bekenntnissen zum Trotz der Propaganda der Hamas nachläuft.

Aus der Berliner Linken sind neben Ihnen profilierte Politiker wie Klaus Lederer und Sören Benn ausgetreten. Ist eine progressive Linke überhaupt noch möglich?

Meine ehemalige Partei ist dazu offenbar nicht in der Lage. Viele junge Leute sind zuletzt in die Partei eingetreten, die sich für links halten, aber mit Israelhass groß geworden sind. Sie sind vergiftet durch die Agitatoren auf Instagram und Tiktok, denen sie vertrauen, ihnen fehlt oft historisches Wissen. Sonst wüssten sie, dass die reaktionäre Hamas und das iranische Regime, das diese Banditen fördert, seit jeher für nichts anders stehen als für die Unterdrückung von Frauen und die Verfolgung von Homosexuellen, also für Mord und Terror. Dass sich in Deutschland angeblich progressive Kräfte mit islamofaschistischen Kräften im Nahen Osten zusammentun, anstatt ihnen entgegenzutreten, ist eine der niederschmetterndsten und ekelhaftesten Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. So hat die Linke keine Zukunft.