„Wenn Patienten ein Problem haben, kriegt man das gar nicht mit“: Eine Pflegerin am Jüdischen Krankenhaus Berlin erklärt die Gründe für den anhaltenden Streik

Manchmal betreue sie als einzige Fachperson bis zu 45 Patienten in einer Schicht, sagt die streikende Pflegerin im Interview. Am Donnerstag wird vor dem Abgeordnetenhaus protestiert. Von Robert Ide.

„Wenn Patienten ein Problem haben, kriegt man das gar nicht mit“: Eine Pflegerin am Jüdischen Krankenhaus Berlin erklärt die Gründe für den anhaltenden Streik
Foto: Nikola Kuhn / TSP

Er ist ganz leise, der Protest, und er betrifft eine leise Branche. Aber ist er deshalb weniger wichtig? Seit mehr als einer Woche sind nun schon die Pflegekräfte im Jüdischen Krankenhaus im Streik, sie fordern eine Begrenzung der zu Pflegenden pro Schicht, kurz gesagt: eine menschenwürdigere Betreuung. Stephanie Maaß ist Pflegerin im Jüdischen Krankenhaus und erzählt am Checkpoint-Telefon von ihrem Alltag. „Auf der somatischen Station habe ich manchmal 40 bis 45 Patientinnen und Patienten allein versorgen müssen, lediglich unterstützt von Hilfskräften und Azubis im ersten Lehrjahr. Man hat in solchen Schichten keinen Überblick mehr. Wenn Patienten ein Problem haben, kriegt man das gar nicht mit.“ Manche Menschen seien auf Hilfe bei Toilettengängen angewiesen, müssten aber zu lange darauf warten. „Dann kann es vorkommen, dass Patienten allein versuchen auf die Toilette zu gehen. Und wenn sie sich dann verletzen, ist das auch für uns Pflegende schlimm.‘‘

Nach solchen Schichten könne sie selbst nicht schlafen, berichtet die 33-jährige Pflegerin. „Ich bin mit Bauchschmerzen zum nächsten Dienst gefahren: Wird diesmal ein zweiter Kollege dabei sein? Oder wird er wieder kurzfristig abgezogen? Diese Zustände sind auch für die Pflegekräfte nicht gesund.“

Einige Pflegekräfte des Jüdischen Krankenhauses sind nach Angaben des Betriebsrats schon zur Charité und zu Vivantes gewechselt, weil es dort einen Tarifvertrag für Entlastung gibt. Durch den Streik sind derzeit vier von zwölf Stationen im Jüdischen Krankenhaus geschlossen, eine sei wegen Personalmangels sowieso dicht. Nun kommt Bewegung in den Tarifstreit: Am Donnerstag soll es Protestaktionen vor dem Abgeordnetenhaus geben, dann gehen auch die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiter.

Haben die Pflegekräfte angesichts der Bauern-Blockaden und des Bahnstreiks, die das Land mehr zu bewegen scheinen als die seit Jahren andauernden Proteste in der Pflege, Sorgen um ihre eigene Sichtbarkeit? „Als Gewerkschafterin finde ich es richtig, dass Menschen für ihre Anliegen eintreten“, sagt Maaß dazu. „Aber die Pflege wird seit Jahren allein gelassen. Das ist ein durch Einsparungen gemachtes und von der Politik ignoriertes Problem.“ Vielleicht sollten sich die Pflegekräfte mal einen Traktor kaufen, damit sie besser gehört werden.