Wieviel Neubau braucht Berlin wirklich?

Ein Blick auf die vergangenen 30 Jahre zeigt, die Wohnungspolitik hinkt der Realität oft hinterher. Ob sich das nun wohl ändert? Von Lorenz Maroldt

Wieviel Neubau braucht Berlin wirklich?

Mark Twain war nicht nur ein profunder Kenner der Berliner Schulen („In Berlin gibt es nichts, was man nicht lernen könnte - außer der deutschen Sprache!“, 1891), sondern auch ein besserer Zukunftsforscher als Kaiser Wilhelm („Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung“, 1905) und Matthias Horx („Das Internet wird kein Massenmedium“, 2001). Wenn Berliner Städteplaner und Wissenschaftssenatoren auf ihn gehört hätten, gäbe es heute weder eine Wohnungsnot noch Lehrermangel, denn der Schriftsteller wusste: „Voraussagen soll man unbedingt vermeiden, besonders solche über die Zukunft.“

Schauen wir auf die vergangen 30 Jahre: Kurz nach der Wende prognostizierte die Gesellschaft für Demographie für das Jahr 2010 eine Einwohnerzahl in Berlin von 5 bis 6 Millionen. Als die Berlinerinnen und Berliner das lasen, hörten sie auf Kinder zu zeugen oder wanderten aus. Die anderen erwarteten Millionen von außerhalb überlegten sich die Sache nochmal. Aber der Senat machte weiter und baute, baute, baute. Das waren die Neunziger. In den Nullerjahren, als die Bewohnerzahl langsam wieder stieg, ging die Zahl der Baugenehmigungen drastisch zurück, der Senat verramschte städtische Wohnungen oder ließ sie gleich abreißen. In den Zehnerjahren wurde die Wohnungsnot dramatisch, 2015 kamen 80.000 Menschen zusätzlich in die Stadt, und der Senat prognostizierte: „Das aktuelle Wachstum wird von Dauer sein.“ Im Jahr 2017 wurde ein Fehlbedarf von 200.000 Wohnung bis zum Jahr 2030 geschätzt, aber mit dem Bauen ging es nicht richtig voran. Seit Anfang der Zwanziger lautet die Parole wieder „bauen, bauen, bauen“ – aber die Einwohnerzahl stagniert.

Die Wohnungspolitik ist in den Koalitionsverhandlungen eine der härtesten Nüsse. Ob sie wohl geknackt wird?