Durchgecheckt

Nach dem Fall Carola Rackete ruft das Bündnis Seebrücke am heutigen Samstag deutschlandweit zu Demonstrationen für die Rechte von Geflüchteten auf. Mitorganisatorin und Sprecherin ist Liza Pflaum. Foto: @vilmapflaum
Am 29. Juni wurde die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete verhaftet, das Bündnis Seebrücke hat daraufhin den „Notstand der Menschlichkeit“ ausgerufen. Rackete ist mittlerweile wieder frei. Wie sieht es mit dem Notstand aus?
Der gilt auf jeden Fall immer noch. Dass Rackete wieder frei ist, ist großartig. Abgesehen davon ist nichts okay. Die Menschen ertrinken weiter. Erst gestern Morgen hat die deutsche Organisation Sea Eye 65 Menschen vor der libyschen Küste gerettet. Der Notstand muss bestehen, bis eine europäische Lösung gefunden wird – und das ist bislang nicht absehbar. Aktuell zählen politische Machtkämpfe mehr als Menschenleben und die Nationalstaaten ziehen sich aus der Verantwortung. Deshalb fordern wir zumindest von der deutschen Bundesregierung ganz klar, dass sie sich bereiterklärt, bis auf Weiteres alle aus Seenot geretteten Menschen aufzunehmen. Es braucht jetzt einen aktiven Schritt nach vorne.
Rund drei Viertel der Bundesbürger finden es einer aktuellen ARD-Umfrage zufolge gut, dass private Initiativen Flüchtlinge retten (Q: ARD). Mit dem Bündnis Seebrücke demonstrieren am heutigen Samstag in 90 Städten Menschen gegen das Sterben auf dem Mittelmeer. Welche Chance hat die Zivilgesellschaft, tatsächlich etwas zu bewegen?
Ich denke, die Zivilgesellschaft ist in dieser Debatte die treibende Kraft. Wir sehen ja, wie sich der Diskurs im Laufe der Zeit bereits verändert hat. Es besteht weitestgehend der Konsens, dass man Menschen vor dem Ertrinken retten und Verantwortung übernehmen muss. Dazu hat die Zivilgesellschaft beigetragen und muss auch weiterhin beitragen – gerade in Zeiten, in denen es auch einen Rechtsruck gibt. Jeder Einzelne von uns ist verantwortlich für das gesellschaftliche Grundklima. Dafür, dass es Zusammenhalt gibt und dass man gemeinsam für die Demokratie und Menschenrechte einsteht.
Was ist die Rolle Berlins in dem Ganzen? Das Land ist Teil des Bündnisses „Städte Sicherer Häfen“, hat seine Bereitschaft bekräftigt, Geflüchtete von dem in Italien festgesetzten Rettungsschiff zu helfen.
Die Zivilgesellschaft ist in Berlin sehr progressiv und hat eine starke Haltung. Aber ich glaube, dass Berlin in dieser Debatte auch politisch eine wesentliche Rolle einnimmt, weil das Land eine gewisse Ausstrahlungskraft und viel mehr Möglichkeiten hat als kleine Kommunen. Einiges ist schon passiert, aber wir erwarten noch mehr. Ein Schritt etwa wäre, ein Aufnahmeprogramm nach Paragraph 23/ 1I durchzusetzen. Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Das könnte man sofort machen. Berlin könnte so zum Zentrum einer neuen Migrationspolitik werden, die für Menschenrechte steht.