fast 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner leben außerhalb des S-Bahnrings, aber für den Senat ist das oft nur irgendwo jottwede (für Neuberliner: ganz weit draußen). Im Mittelpunkt des politischen und öffentlichen Interesses stehen meistens Innenstadtthemen, die in Spandau, Marzahn, Südneukölln und Mariendorf kaum eine Rolle spielen: E-Scooter, Parklets, Rollkoffergeschwader… Manches davon hätten sie hier sogar ganz gerne. Stattdessen wartet z.B. Mahlsdorf seit 14 Jahren auf eine Ampel (CP v. 2.1.).
Wie wäre es z.B. endlich mal mit einer Radschnellverbindung von der Landsberger Allee Richtung Innenstadt? Wer heute dort langfährt, ist entweder mutig oder lebensmüde. Doch der Senat sagt: „Mit einem Baubeginn ist nicht vor 2023 zu rechnen.“ (Q: Staatssekretär Ingmar Streese).
Oder dann vielleicht wenigstens ein paar zusätzliche gesicherte Fahrradabstellanlagen am hoch frequentierten S- und U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz? Wir haben ja Verkehrswende, und die Leute sollen mit den Öffis fahren. Doch der Senat sagt: „Derzeit wird der Bedarf für das Jahr 2030 ermittelt.“ (Q: ebd, DS 18/21790)
Ich habe mit Ex-Senator Mario Czaja darüber gesprochen, ob der Senats die Außenbezirke vernachlässigt – der Abgeordnete aus Wuhletal sagt: „Wir gehören offensichtlich zum ungeliebten und zweitrangigen Stadtrand.“ Im Interview weiter unten nennt er auch gleich ein paar weitere eklatante Beispiele (Abo-Fassung).
Anders als etwa in Estland, wo 99 % der staatlichen Verwaltungsleistungen digital erledigt werden (hier ein schöner Tech-Bericht von Oliver Bilger) bietet die Berliner Verwaltung online keine Dienstleistungen an, sondern nur „Informationen über Dienstleistungen“ – hier ein kleines exklusives Top-9-Ranking, was auf dem offiziellen Stadtportal „berlin.de“ am meisten nachgefragt wird (Zugriffe September bis November 2019, insgesamt enthält die Datenbank 700 „Leistungsbeschreibungen“):
1) Anmeldung einer Wohnung: 417.245
2) Personalausweis beantragen: 130.624
3) Führungszeugnis: 94.624
4) Reisepass beantragen: 88.650
5) Meldebescheinigung beantragen: 53.125
6) WBS beantragen: 37.442
7) Kinderreisepass beantragen: 34.829
8) Abmeldung einer Wohnung: 32.931
9) Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz: 32.501
So, schauen wir doch mal nach unter „Anmeldung einer Wohnung“… und was lesen wir da?
„Innerhalb von 14 Tagen nach Ihrem Einzug müssen Sie sich nun bei der Meldebehörde anmelden.“ Aha. Dann mal schnell los. Aber…
„Eine schriftliche Anmeldung ist nicht möglich.“
Na dann drücken wir eben den Button „Termin berlinweit suchen und buchen… und stellen fest: Der nächste freie Termin ist leider erst in vier Wochen - wenn bis dahin der Regierende Bürgermeister nicht aus Versehen das Internet gelöscht hat.(Q: Innenverwaltung, DS 18/21787, Anfrage MdA Sven Kohlmeier).
Der Anbau von Aufzügen an Wohnhäusern ist jetzt auch in Alt-Treptow, Niederschöneweide und Oberschöneweide verboten, die Begründung: Das ist hier „kein Standard“ – und könnte „Aufgrund der Vorbildwirkung“ Entwicklungen in Gang setzen, die „eine überdurchschnittlich hohe Verdrängungsgefahr“ nach sich ziehen. Ok, die Politik bemüht sich zu Recht, die rasante Gentrifizierung vieler Kieze zu bremsen. Aber warum geht sie dabei nicht etwas fantasievoller vor (z.B. gebundene Förderung), damit auch alte und behinderte Menschen so lange wie möglich in ihren Wohnungen bleiben können? „Inklusion“, „barrierefreies Wohnen“ und die „Senior*innenfreundliche Stadt“ sind vertraglich vereinbarte Koalitionsziele. Oder ist der Zusatz „Ausnahme: in Erhaltungsgebieten“ nur vergessen worden?
Laura Hofmann meldete hier gestern die Einstellung eines Verfahrens wegen Körperverletzung mit Fahrerflucht: Ein Radler wurde angefahren, die Ermittler konnten kein „öffentliches Interesse“ feststellen – u.a., weil „die Verletzungen nicht schwerwiegend sind“. Aha. Wieviel Schürfwunde darf’s denn sein, bitte? „Reicht eine Prellung, oder sollte doch schon was gebrochen sein?“, fragt auch Daniel Drepper, Betroffener in diesem Fall.
Tja, offenbar bewegen sich die Ermittler auf Wolke 7 durch die Stadt, wie zwei weitere Fälle zeigen: Unser Kollege Daniel Erk wurde vorsätzlich angefahren, um ihn in den Türbereich der parkenden Autos zu drängen – Verfahren eingestellt. Und Christopher Lauer berichtet von einer Einstellung nach einem Beinahe-Unfall, Begründung: „Die vorfahrtsberechtigten Radfahrer“ wurden „infolge Unachtsamkeit übersehen“, und: „Es handelt sich um ein Augenblicksversagen, wie es im Berliner Straßenverkehr tagtäglich zu sehen ist“, gefolgt von dem Hinweis: „Etwaige Ordnungswidrigkeiten sind bereits verjährt.“
Aber genau solche „Augenblicke“ sind gefährlich, und gerade weil sie „tagtäglich zu sehen“ sind, ist eine höhere Achtsamkeit wichtig. Die fatalistische Haltung, die aus solchen Einstellungsbescheiden spricht, hilft nicht dabei, den Verkehr sicherer zu machen – im Gegenteil.
Telegramm
In den Dörfern werden wieder die Trecker betankt – es geht auf nach Berlin zur nächsten Demo, das Motto diesmal: „Wir haben es satt! Agrarwende anpacken, Klima schützen – Bauern beim Umbau der Landwirtschaft unterstützen“. Angekündigt für den Konvoi am 18. Januar sind auch „Tierkostüme und Kochtöpfe“.
Post für Yoram Roth, den neuen Eigentümer von „Clärchens Ballhaus“: Mehr als 3000 Fans der Kulturinstitution haben den offenen Brief „Berlin für Clärchens“ bereits unterschrieben (seit Silvester online, Stand heute früh) – ihre Forderung:
„Bitte schenken Sie den jetzigen Betreibern des Ballhauses das gleiche Vertrauen wie die Vorbesitzer und erhalten Sie mit deren Hilfe den Betrieb aufrecht. Retten Sie diesen besonderen Ort! Clärchens Ballhaus ist das starke, alte Herz von Mitte. Bitte sorgen Sie dafür, dass es weithin für alle schlägt!“
Ob Sie sich der Petition anschließen wollen oder nicht: Die Website ist einen Besuch allemal wert – wegen der tollen Bilder von Bernd Schönberger.
Suizid in der JVA Moabit: Ein 33-jähriger lettischer Staatsbürger ist tot in seiner Zelle aufgefunden worden – er saß wegen Diebstahls in besonders schweren Fällen in Untersuchungshaft (die Kriminalpolizei ermittelt, eine offizielle Mitteilung gibt es noch nicht). Im vergangenen Jahr gab es in Berlin keine Gefängnis-Suizide.
1000 Arbeitslose wollte Michael Müller mit seinem Prestigeprojekt „Solidarisches Grundeinkommen“ allein in der Pilotprojektphase beschäftigen, 56 Mio. Euro wurde im Doppelhaushalt 20/21 dafür bereitgestellt – hier eine erste Bilanz nach einem halben Jahr: Gerade mal 48 Arbeitsverhältnisse wurden auf dieser Basis vereinbart. Es kommentiert unser Gastautor Johann Wolfgang von Goethe: „Erfahrung ist fast immer eine Parodie auf die Idee.“
„Mehr direkte Demokratie“ wollte Rot-Rot-Grün ermöglichen (Koa-Vertrag, S. 149) – tatsächlich aber verwehrt der Senat zurzeit 5 Initiativen nach der erfolgreichen Sammlung von mindestens 20.000 Unterschriften die Einleitung eines Volksbegehrens (Werbefreies Berlin, Mehr Videoüberwachung, Gesunde Krankenhäuser, Deutsche Wohnen enteignen, Transparenzgesetz) – Teils durch Verschleppung, Teils durch Abschiebung vors Verfassungsgericht. Aus Angst vor einer weiteren Niederlage (nach Tegel)? Willy Brandt, Namensgeber des BER, macht dem Senat Mut und rät: „Mehr Demokratie wagen.“
Hurra, der Sommer kommt! Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie nicht aus dem Fenster, sondern ins Amtsblatt – die Bäderbetriebe suchen für die Saison 2020 „engagierte, praxiserprobte Kassierer/-innen, die mit Geschick im Umgang mit Gästen und auch an heißen Tagen mit Ruhe und Umsicht die Gäste an der Kasse betreuen, ihnen den Eintritt in unsere Bäder schon an diesem Punkt positiv gestalten, bei Fragen zu Angeboten und Produkten freundlich und kompetent beraten“. Hm, ist das noch Berlin, oder ist das schon Satire?
Bloß gut, dass es im Naturkundemuseum noch ein paar zweisprachige Originalexemplare der Alt-Berliner Servicespezies gibt – neben Deutsch (halbwegs) beherrschen sie Berlinerisch („Schnauze!“), was vor allem im Umgang mit anthropologisch interessierten englischsprachigen Touristen von Vorteil ist („German please!“). Gestern standen die Leute vor dem Museum (Förderhöhe in den kommenden Jahren: 600 Mio) in langen Schlangen im Regen, nur eine von drei Kassen war besetzt (dafür aber original, siehe oben), und dass noch bis Montag Ferien sind, ist schließlich kein Naturgesetz.
Wenn Sie den Grundkurs „Mathe mit dem Checkpoint“ erfolgreich abgeschlossen haben und auf Jobsuche sind, hätte wir hier evtl. was für Sie – die Berliner Finanzämter haben drei Stellen ausgeschrieben:
1) „Amtsleitung eines sehr großen Finanzamts als Leistungs- und Verantwortungszentrum (m/w/d) (Amtsblatt S.43).
2) „Amtsleitung eines sehr großen und bedeutenden Finanzamts als Leistungs- und Verantwortungszentrum (m/w/d) (S.43).
3) „Herausgehobene Bearbeiterin/ Herausgehobenen Bearbeiter im Steuerfachservice auf einem Insolvenzplatz mit schwierigen Aufgaben (m/w/d) (S.114).
Und falls Sie sich nicht entscheiden können: Wie wäre es mit einem Praktikumsplatz beim Checkpoint (m/w/d)? Bewerbungen bitte an checkpoint@tagesspiegel.de.
Neuer Versuch, die Stadtvermüllung schön zu reden: „Nothing Really Matress“, hat jemand auf die vor einem Baum abgeworfene, kaputte Schaumstoffmatratze geschrieben (hier zu sehen), und doch – it matters.
Berechtigte Frage von @Echtjetzt5 auf Twitter zur neuen Bonpflicht: „Wenn ich beim Bäcker ein Brot kaufe und keinen Beleg bekomme… ist das dann ein Schwarzbrot?“
So, hier noch eine Verkehrssache, zählen wir mal durch: Der Fahrer war 16, natürlich ohne Führerschein, den Smart von der Mutter geklaut, ohne Licht unterwegs, durch die Einbahnstraße, bei Rot über die Kreuzung, Vorfahrtsstraßen ignoriert, mit 120 Sachen durch die Tempo-30-Zone… da kommt einiges zusammen. Die Mutter kam übrigens mit dem Taxi dorthin, wo die Amokfahrt endete – und spuckte wütend nach ihrem Sohn. So, und jetzt Sie: Wo fand das Ganze statt? Richtig, das war leicht: natürlich in Neukölln.
Wie versprochen gibt’s im neuen Jahr auch Neues vom Checkpoint zu hören (Podcast) und zu sehen (Kino) – los geht’s mit „Checkpoint Cinema“, und da haben wir gleich einen Kracher: Am 12. Januar zeigen wir exklusiv als Preview und nur für Checkpoint-Leserinnen und -Leser im „Delphi Lux“ den Film „Lindenberg! Mach dein Ding“ von Hermine Huntgeburth (mit Jan Bülow, Detlev Buck, Charly Hübner, Julia Jentsch u.a., bundesweiter Kinostart: 16. Januar). Nicht nur für Udo-Fans ein Erlebnis. Den Abend moderiert unser Mister Berlinale Robert Ide, als Gast begrüßt er u.a. den Produzenten Dario Suter, los geht’s um 19.30 Uhr. Die Tickets kosten 11 Euro, mit Checkpoint-Abo 7 Euro, und zur Online-Buchung geht’s hier.
Durchgecheckt

Mario Czaja ist Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Wuhletal. Foto: Thilo Rückeis
Seit 14 Jahren warten die Menschen in Mahlsdorf auf eine Ampel (CP v. 2.1.). Ist das ein Sonderfall – oder ist dem Senat alles außerhalb des S-Bahnrings nicht so wichtig?
Leider ist das kein Sonderfall. Wir hier draußen gehören aus Sicht der Regierenden ganz offensichtlich zum ungeliebten und zweitrangigen Stadtrand. Anders ist es nicht zu erklären, dass angesichts des Bevölkerungswachstums besonders am Stadtrand Investitionen in die Infrastruktur verzögert werden, obwohl 70 Prozent der Berliner außerhalb des S-Bahn-Rings wohnen.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt unzählige Beispiele, ich nenne hier mal nur sieben:
1) Im Frühjahr 2019 wurde mir vom Senat mitgeteilt, dass man die Verstärker-S-Bahnen auf der S5 vorübergehend eingestellt hat, weil man die Züge für den S-Bahn-Ring benötigte. Zum Winterfahrplan wurde dies wiederholt: Die Zahl der Waggons der S75 wird zugunsten der Innenstadt reduziert.
2) In meinem Bezirk ist es keine Ausnahme, dass einige hundert Grundschüler mehr in einer Schule sind, als vorgesehen und pädagogisch sinnvoll ist.
3) In der Kolibri-Grundschule wurden einzelne Klassen in einen 10 Kilometer entfernten Standort ausgelagert, ohne dass verlässlich feststeht, wann diese für alle Beteiligten aufwendige Pendelei ein Ende haben wird.
4) In der Mummelsollschule, an der schwerstbehinderte Kinder lernen, wurde das Therapiebecken über Monate nicht saniert, und jetzt, da es fertig ist, gibt es keinen Hausmeister, der es betreiben kann.
5) Die Sanierung und damit Sperrung eines 1,3 Kilometer langen Straßenabschnitts in der Eisenacher Straße zieht sich über mindestens vier Jahre hin, weil der Senat hier die Investitionsmittel gestreckt hat. Und auf dem Brückenbereich der Straße bleibt auch der Geh- und Radweg dauerhaft unterbrochen, weil es laut Senat „im Bereich Ingenieurbau nicht möglich war, dafür Kapazitäten bereit zu stellen“.
6) Der Senat verschleppt seit mehr als einem Jahr die Koordination von sechs Ampeln entlang der B1/5 und hemmt so den Verkehrsfluss. Ursprünglich sollte das im Frühjahr 2019 erledigt sein, nun wird Mitte 2020 in Aussicht gestellt.
7) Die B158, die Anbindung an die A10 durch Marzahn und Ahrensfelde, ist ein täglicher Stauschwerpunkt im Verkehrsfunk, aber leider offenbar weiterhin nicht auf der Agenda des Senats. Für Ende 2018 wurde eine Vereinbarung zwischen Berlin, Brandenburg und Bund in Aussicht gestellt. Bis heute ist diese nicht unterzeichnet.
Was sind die drängendsten Probleme in den Außenbezirken?
Auch hier ein paar Beispiele:
1) Es fehlen Schul- und Kitaplätze.
2) Der öffentliche Personennahverkehr ist bruchstückhaft und nicht stabil, weder Autos noch Fahrräder kann man ausreichend und sicher an den Bahnhöfen abstellen.
3) Während in der Innenstadt zusätzlich zum dichten ÖPNV-Netz Angebote wie der BerlKönig geschaffen werden, werden Genehmigungen für andere derartige Anbieter in den Randbezirken verschleppt. Ich frage mich: Ist das Ignoranz oder Absicht?
4) Die ambulante ärztliche Versorgung ist hier ein dramatisch größer werdendes Problem, weil viele Ärzte aus Altersgründen in den Ruhestand gehen.
In Marzahn-Hellersdorf ist die AfD besonders stark – ist das eine Folge der Fokussierung auf die Innenstadt?
Viele Menschen fühlen sich abgehängt. Aus Enttäuschung, Unzufriedenheit und Protest wird dann oft AfD gewählt. Aber obwohl die AfD in Marzahn-Hellersdorf seit der Wahl 2016 zweitstärkste Kraft in der BVV ist und den stellvertretenden Bezirksbürgermeister stellt, ist sie bei der Lösung der Probleme überhaupt nicht erkennbar. Es sind verlorene Mandate, die wir für die konstruktive und überparteiliche Bezirksvertretung dringend bräuchten.
Mit Kai Wegner hat die Berliner CDU einen Vorsitzenden aus Spandau, einem westlichen Randbezirk. Wirkt sich das auf die Schwerpunkte der politischen Arbeit der Partei aus?
Kai Wegner kennt die Sorgen der Menschen an den Stadträndern sehr gut und diese sind zwischen Spandau und Marzahn nur in Details unterschiedlich.
Der Senat setzt auf ein dezentrales Tourismusprogramm – ist das bei Ihnen im Bezirk bereits spürbar?
Die Gärten der Welt erfreuen sich wachsender Beliebtheit mit mehr als 600.000 Besuchern pro Jahr. Einen Zusammenhang mit dem aktuellen Tourismuskonzept sehe ich dabei zwar noch nicht, aber die Absicht ist richtig. Allerdings brauchen wir in den Gärten dringend Indoor-Angebote, wie etwa zum Thema Umweltbildung. Doch hier tut sich der Senat mit der nötigen Unterstützung schwer. Wichtig wäre auch, die Seilbahn in das Netz der BVG zu integrieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass uns Berlins einzige Seilbahn langfristig erhalten bleibt.
Wie würden Sie Marzahn-Hellersdorf charakterisieren?
Es ist sicher der überraschendste Bezirk Berlins. Er vereint die größte Plattenbausiedlung Deutschlands mit dem größten Einfamilienhausgebiet. Hier lebt man gern - in kaum einem anderen Berliner Bezirk bleiben die Bewohner so lange wohnen wie bei uns. Er ist besonders grün und ruhig. Aber es gibt hier auch viele soziale Probleme: Fast jeder fünfte Schüler verlässt die Schule ohne Schulabschluss und jedes dritte Kind lebt in einem Hartz-IV-Haushalt.
Was zeigen Sie einem Besucher von Ihrem Bezirk gerne – und was würden Sie lieber verschweigen?
Am liebsten nehme ich meine Gäste mit auf eine Tour entlang des Wuhlewanderweges, der quer durch den Bezirk verläuft und einen exzellenten Überblick über die verschiedenen Facetten gibt. Auch das Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf ist einen Besuch wert, und die Gärten der Welt sind es natürlich auch. Ein absolutes Ärgernis ist, dass Marzahn-Hellersdorf mit 270.000 Einwohnern der einzige Bezirk ohne Freibad ist. Das müssen wir dringend ändern.

Wochniks Wochenende
Die besten Berlin-Tipps für drinnen, draußen und drumherum.
48h Berlin
Während Thomas Wochnik sich noch von einem anstrengenden Jahr erholt, begrüßt Sie hier diese Woche Jana Weiss mit den Tipps zum Start in 2020.
Samstagmorgen – Neujahrsvorsätze sind ja im Grunde nichts anderes als Selbstgeißelung in Endlosschleife: Jedes Jahr aufs Neue nimmt man sich vor, jetzt aber wirklich eine bessere Version seiner selbst zu werden. Das Sportstudio soll öfter besucht werden, ungesunde Beziehungen aus dem Leben verschwinden, dafür nur noch gesundes Essen auf den Teller kommen. Und jedes Mal wird es am Ende doch nichts. Also kann man auch gleich am ersten Januarwochenende alle zu groß gedachte Vorsätze über Bord werfen – oder zumindest bis Montag aufschieben – und zum Brunch ins Geist im Glas in der Lenaustraße 27 in Neukölln gehen (ab 10 Uhr). Bei Huevos Rancheros mit selbst gemachten Tortillachips – auch in einer veganen Variante – und Pancakes in allen möglichen Variationen (zum Beispiel „sweet and salty“ mit Bananen, Dulce de leche und Bacon) werden auch noch die letzten Silvester-Katerreste ausgemerzt. Dazu Konter-Frühstückscocktails wie Bloody Mary oder Mimosa in Krügen. Kann es einen besseren vorsatzlosen Start ins neue Jahr geben?
Samstagmittag – Satt und angetrunken lässt es sich am besten über die Zukunft nachdenken. Über die des kommenden Jahres natürlich, aber auch über die der nächsten Jahrzehnte. Wie wird unsere Welt im Jahr 2040 aussehen? Werden all unsere natürlichen Ressourcen zu Ende gehen, der Klimawandel eine Umweltkatastrophe nach der anderen auslösen? Oder gibt es doch noch Hoffnung? Der Filmemacher Damon Gameau macht sich in „2040 – Wir retten die Welt“ auf die Suche nach Lösungsansätzen, z.B. durch nachhaltige Landwirtschaft, die Abschaffung von Monokulturen und durch bessere Bildungschancen für Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt. Gezeigt wird der Film im Zeiss-Großplanetarium. Prenzlauer Allee 80, um 16.30 Uhr, der Eintritt kostet 9/7 Euro.
Samstagabend – Am Montag kommt der Weihnachtsbaum weg – und damit auch die weihnachtliche Beleuchtung im Berliner Tierpark, die dort seit Mitte November Bäume und Wege ziert. Nutzen Sie also die letzte Gelegenheit, über den Rundweg zu spazieren, eine Kleinigkeit zu essen, und dabei noch ein wenig Dezember-Charme mitzunehmen, bevor der graue Berliner Winter richtig losgeht. Außerdem gibt's dort eine 320 qm große Eisbahn, auf der man mit eigenen oder ausgeliehenen Schlittschuhen laufen kann. So wird man dann auch gleich ein paar Frühstückskalorien los und hält doch noch den sportlichen Neujahrsvorsatz ein. Rundgang und Eisbahn sind von 17 bis 22.30 Uhr geöffnet, der Tierpark ist dann geschlossen. Tickets kosten 17/14,50 Euro. Am Tierpark 125, Eingang Bärenschaufenster
Sonntagmorgen – Noch ein wenig Urlaub vor dem Wochenstart – dafür muss man sich, ganz im Sinne des klimaneutralen Lebens, auch überhaupt nicht ins Flugzeug setzen, die S-Bahn nach Potsdam reicht völlig aus. In der dortigen Biosphäre gibt es nicht nur Palmen, Urwälder und Wasserfälle, sondern auch Amphibien, die durch Terrarien klettern und bunte Fische in Aquarien. Der Neujahrsbrunch inmitten der Pflanzen ist zwar schon ausgebucht, aber im Café gibt's von 10 bis 12 Uhr auch ein Frühstücksbuffet „mit Tropenblick“ und Prosecco (18 Euro zzgl 9,80 Euro erm. Eintritt). Danach empfiehlt sich ein Spaziergang durch den Volkspark zum Schloss Sanssouci, das nur unweit entfernt liegt. Georg-Hermann-Allee 99, 14469 Potsdam.
Sonntagmittag – Zu einem anständigen Urlaub gehören auch große Gewässer und Whirlpools. Beides kann man auf dem Badedampfer kombinieren: Das kleine Boot besteht eigentlich nur aus einem beheizten Whirlpool, in dem bis zu sechs Personen Platz haben. Damit kann man dann ganz bequem über die Spree schippern – mit leisem und umweltfreundlichem Elektromotor. Der Einstieg befindet sich im Treptower Park, gegenüber der Insel der Jugend beim Restaurant-Schiff Klipper (Bulgarische Straße/ Ecke Poetensteig). Die Fahrt dauert 1,5 Stunden und kostet 33 bis 59 Euro pro Person, je nachdem, wie viele mitfahren. Tickets sollten vorher online hier gebucht werden.
Sonntagabend – Wir reisen noch mal zurück in die Zukunft, diesmal ins Jahr 2050. Werden wir bis dahin noch mehr mit der Technik verschmelzen, zu Cyborgs? Werden humanoide Roboter Teil unseres Alltags? Wenn es nach dem Autor David Levy geht, werden sogar Sex, ja gar Liebesbeziehungen zu Robotern in 30 Jahren ganz normal sein. Um die mögliche Empathie zu den menschenähnlichen Maschinen, aber auch darum, wie unheimlich sie uns echten Menschen sein können, geht es in dem Stück „Uncanny Valley“ von der Theatergruppe Rimini Protokoll und Schriftsteller Thomas Melle, das im Haus der Berliner Festspiele zu sehen ist (heute um 15.30, 18 und 20.30 Uhr). Für das Stück wurde von Melle ein Roboter-Double erstellt, das auf der Bühne steht und als „Schauspieler“ performt – inklusive Gestik und Mimik, die detailgetreu dem Schriftsteller-Vorbild nachempfunden sind. Schaperstraße 24, noch bis zum 11. Januar, Eintritt 12/8 Euro, alle Infos zu den Spielzeiten hier.
Mein Wochenende mit

Laura Iriondo, 31, leitet seit September 2018 das Cateringunternehmen „Taube Grau – kulinarische Tischkonzepte“ gemeinsam mit ihrem Partner Martin. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in Neukölln. Foto: Anne Freitag
„Am Samstagmorgen stehen mein Partner und ich relativ früh auf und frühstücken mit unseren Kindern. Besonders glücklich machen wir sie mit Pancakes mit Joghurt und Honig. Nachdem die Küche wieder sauber ist, gehe ich eine Runde joggen auf dem Tempelhofer Feld oder zu Dharma Yoga in die Kienitzer Straße. Anschließend treffe ich meinen Partner und die Kinder auf dem Wochenmarkt am Herrfurthplatz, wo wir saisonales Gemüse, Blumen oder Käse kaufen. Danach machen wir noch einen kurzen Abstecher im Isla, wo es den besten Kaffee für uns Erwachsene und ein Glas Milch für die Kids gibt. Wenn das Wetter mitspielt, verabreden wir uns am Nachmittag mit Freunden zum Drachen steigen lassen auf dem Feld. Wenn die Kinder im Bett sind, treffe ich mich mit Freunden an der Bar im Tier in der Weserstraße, ich schätze die guten Drinks und die Perserkatze, die dort von Dr. No seit Jahren im Schwarz-Weiß-Fernseher gekrault wird. Da wir in den Sommermonaten an den Wochenenden meistens auf tollen Schlössern und Höfen Hochzeiten kulinarisch ausrichten, ist es mir im Herbst und im Winter besonders wichtig, Zeit mit den Kindern außerhalb der Stadt zu verbringen – zum Beispiel bei einem Sonntagsspaziergang nahe den Beelitzer Heilstätten. Das entschleunigt und hilft gegen Winterblues im grauen Berlin.
Leseempfehlungen
Die Geschichte steht für das Schicksal vieler Frauen und Mädchen: Mauza und Maryiam aus Oman werden mehr oder weniger zwangsverheiratet – mit demselben Mann. Sie wäre tragisch, wäre da nicht das (vorläufige) Happy End, das jeder Hollywood-Schmonzette Konkurrenz macht. Denn die beiden, die etwas ältere Erst- und die sehr junge Zweitfrau, finden die Liebe und mit ihr eine Form von Freiheit beieinander. Die Geschichte der polnischen Soziologin Agata Romaniuk im aktuellen „Reportagen“-Magazin erzählt nicht nur die verbotene Liebesbeziehung der beiden Frauen, sondern auch von Unterdrückung und Widerstand, von Feminismus und Selbstliebe in einem frauenfeindlichen System. Und wie Reichtum Frauen dabei hilft, sich ein wenig Freiraum zu schaffen – aber die völlige Freiheit trotzdem nicht ermöglicht.
Wenn Sie von Jahresrückblicken noch nicht genug haben, sei hier noch mal der Text des Kollegen Julius Betschka „Raues Pflaster, großes Herz“ empfohlen, in dem er von den Zehner Jahren in Berlin berichtet: Wie er sie ganz persönlich erlebt hat – er kam 2010 nach Berlin – aber auch, was in der Stadt passiert ist, vom Ende der „Bar 25 über S-Bahnkrisen bis BER.
Wochenrätsel
3065 Notrufe gingen in der Silvesternacht bei der Berliner Polizei ein. Welcher gehörte nicht dazu?
a) In Neukölln wird im Treppenhaus gegrillt.
b) In Schöneberg hat sich ein verängstigtes Eichhörnchen in einen Wintergarten verirrt.
c) In einem Späti in Friedrichshain sollen die Leute durchdrehen.
Schicken Sie uns die richtige Lösung und gewinnen Sie einen Checkpott.
Jetzt mitmachenEncore
Ende Januar kommt als Gastspiel ein Stück in die Volksbühne, dessen Titel so gut zu Berlin passt wie kaum etwas anderes: „Unendlicher Spaß“. Das ist natürlich äußerst zynisch: In dem Buch von David Foster Wallace, das dem Stück zugrunde liegt, geht es zwar auch um Vergnügliches, vor allem jedoch um ein Leben mit Depressionen. Etwas, das dieser Stadt auch bald drohen könnte, möchte man meinen. Oder dem ganzen Land – betrachtet man die Debatten des letzten Jahres, die oft von Hass und Hetze dominiert waren. Deshalb lohnt es, sich einmal mit dem Werk von Foster Wallace zu beschäftigen, der sich 2008 das Leben nahm. Besonders wichtig ist sein Essay „This is Water“, den man im Original hier anhören kann. Er handelt vom Offensichtlichen und Allgegenwärtigen als am schwersten zu erkennenende und zu diskutierende Tatsachen, vom Denken als „Entscheidung für das, worüber es sich nachzudenken lohnt“ und von der menschlichen Eigenschaft, die Welt vor allem aus der eigenen Perspektive zu betrachten statt mit den Augen anderer.
In diesem Sinne wären Empathie und Konzentration auf die wesentlichen Dinge doch schöne Neujahrsvorsätze, die auch gar nicht so schwer einzuhalten sind – am Montag stehen wir Ihnen dabei wieder mit voller Tatkraft zur Seite.
Ihr