„Dass um jedes Stück Fahrradweg aufgeregt debattiert wird, macht es nicht einfacher“
Professor Remo Klinger ist Experte darin, Umwelt- und Klimaschutz durchzusetzen, auch, wenn es wehtut. Er erklärt, welche Folgen der Berliner Klimaentscheid hat. Von Stefan Jacobs
Zu den juristischen Konsequenzen im Erfolgsfall und die Möglichkeiten nach dem Scheitern des Entscheids hat der CP am Sonntagabend einen der renommiertesten Verwaltungsrechtler Deutschlands ans Telefon geholt, während der gerade Kaiserschmarrn für die Familie machte: Prof. Remo Klinger, der z.B. Verfahren gegen Autokonzerne im Dieselskandal geführt, Fahrverbote wegen zu dreckiger Luft erzwungen und zwei der vier Verfassungsbeschwerden für mehr Klimaschutz geführt und gewonnen hat.
Sie sind Experte darin, Umwelt- und Klimaschutz durchzusetzen, auch wenn es wehtut. Sollten wir Berliner froh sein, dass uns ein unrealistisches Gesetz mit milliardenschweren Folgekosten erspart bleibt?
Bei einem Erfolg hätte das Land die Pflicht gehabt, alle denkbaren Maßnahmen bis an den Rand des Möglichen zu ergreifen. Wenn bis 2030 nicht 95 Prozent CO2-Minderung machbar gewesen wären, sondern vielleicht nur 85, dann eben 85. Ein Ja zu der Gesetzesänderung hätte einen starken Impuls gesetzt. Ich bin gespannt, was die künftige Koalition nun tun wird für mehr Klimaschutz.
Hätte der Senat nicht jederzeit auf die unverhältnismäßigen Konsequenzen verweisen können?
Die Hürden, da Abstriche zu machen, wären sehr hoch. Zwar muss die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen stets abgewogen werden, aber der Klimaschutz hat juristisch einen hohen Wert. Vor allem wären Rückschritte noch schwerer zu rechtfertigen, etwa durch einen 17. Bauabschnitt der A100: Dann hätte man sagen müssen, wie man die damit verbundene Klimabelastung ausgleicht. Die Autobahn verursacht ja schon im Zementwerk eine irre Menge CO2, nicht erst durch den zusätzlichen Verkehr.
Mit dem Verweis darauf, dass Berlin nicht im Alleingang die Welt retten kann, wäre ein Senat also nicht davongekommen?
Nein: Gesetz ist Gesetz. Wir haben das bei den Verfahren zur dreckigen Luft erlebt, wo viele der rund 40 betroffenen Kommunen auf alles Mögliche verwiesen haben, von EU-Abgasnormen bis zu fehlenden Schildern im Katalog der StVO. Die Gerichte haben diese Kritik zwar gehört, aber zugleich klargestellt: Ihr müsst trotzdem alles tun, was ihr könnt.
Das Scheitern des Volksentscheids ändert nichts an der Notwendigkeit von mehr Klimaschutz, aber im Straßenverkehr steigen auch in Berlin die Emissionen sogar noch. Müssen wir uns damit nun abfinden?
Das ginge schon rechtlich nicht, die aktuellen Klimaschutzvorgaben bleiben ja. Man muss schon zur Erfüllung des aktuellen Rechts viel unternehmen, um die Verkehrswende voranzutreiben. Dass um fast jedes Stück Fahrradweg derart aufgeregt debattiert wird, ist eine Berliner Besonderheit und macht es sicher nicht einfacher. Und unser öffentlicher Nahverkehr ist auch noch nicht premium. Was den Volksentscheid betrifft: Die Legislaturperiode ist nicht allzu lang, und in der nächsten ist ein neuer Versuch möglich – vielleicht zusammen mit einem Wahltermin, dann hat man kein Problem mit der Beteiligung. Wenn die Regierenden da wieder gewinnen wollen, sollten sie bis dahin zeigen, dass es beim Klimaschutz vorangeht.
Wie haben Sie eigentlich abgestimmt?
Ich habe mein Wahlrecht leider verwirkt – indem ich vor ein paar Jahren ins Umland gezogen bin.