Diese digitalen Bretter deuten der Welt, kleiner zu werden
Beim Festival „3hd 2020: Crisis Management“ im HAU dreht sich alles um den Begriff „Degrowth“. Die Wochenendtipps von Thomas Wochnik
Foto: Stephanie Holl-Trieu/HAU
Samstagmorgen ist die beste Zeit für etwas körperliche Ertüchtigung. Wie gut, wenn dabei auch noch etwas Sinnvolles entsteht. Wer sich kunsthandwerklich ans eigene Holzmobiliar machen und womöglich sogar der Geschichte des Holzhandwerks auf die Spur kommen möchte, braucht erstmal Werkzeug – zum Beispiel aus dem Mariendorfer Geschäft von Dieter Schmid (Wilhelm-von-Siemens-Straße 23), dessen Geschäftsname „Feine Werkzeuge" keineswegs hochstapelt. Im Sortiment befindliche Bücher zu alten Holzverbindungen, Werkzeugkunde und Möbeln aus aller Welt liefern reichlich Ideen.
Samstagmittag – Apropos Hochstapeln: Wer es nicht so mit Holz und Handwerken hat, lieber Zeitung liest, aber trotzdem schöpferischen Willen verspürt, bastle sich doch einen Zeitungshocker (ein Stapel Zeitungen in gewünschter Sitzhöhe sowie zwei Gurte oder Schnüre genügen für die einfachste Ausführung). Das Möbel bietet nicht nur bequemen Sitz und soliden Stand, sondern protzt mit geistigem Reichtum und beweist, dass die Presse weit mehr kann, als manche meinen. Es gibt auch Varianten auf Rollen, mit Sitzkissen und selbst gestanzten Riemen. Mit etwas Fantasie sollten auch Liegen, ganze Sofagarnituren und der ultimative Bildungsaufstieg vom Paletten- zum Zeitungsbett möglich sein.
Samstagabend kommt das Performance-Theater ins Haus (frei Haus). Und zwar im Stream, der, erstens, nicht bloß ein kompromissbehaftet abgefilmtes Bühnengeschehen so wiedergibt, dass man eigentlich lieber live dabei wäre, sondern die Möglichkeiten seiner virtuellen Bühne auch nutzt. Zweitens, und das ergibt sich aus erstens, (Kopf-)Reisen, denn das Ereignis ist global: Im HAU4, das ist die online-Bühne des Theaters Hebbel am Ufer, findet das Festival „3hd 2020: Crisis Management“ statt und heute ab 20 Uhr dreht sich alles um den Begriff „Degrowth“, also gewissermaßen „Schrumpfung“, der nicht nur gegen das Ideal maßlosen Wirtschaftswachstums antritt, sondern für das Wachstum von Wäldern, natürlichen Landschaften und bedrohten Biotopen.
Sonntagmorgen – Apropos Degrowth: Findet das nicht auch beim Gegessenwerden statt? Dass Käse und Süßes gut zusammengehen, hat die französische Küche längst bewiesen. Die Teltower Variante von Brocciu und Feigenmamelade heißt schlicht Käsetorte und wer sich seinen sauren, salzigen oder bitteren Aufenthalt im Hier und Jetzt (denn wo und wann auch sonst?) versüßen möchte, bestelle ebenda online. Eine im Homeoffice unabdingbare Dehnübung ist auch enthalten: Das Jetzt ist so nämlich auf einige Tage erwatungsvoll gespannter Lieferzeit gestreckt.
Sonntagmittag – Wenn das sicherste JWD darin besteht, sich nicht allzu weit aus dem eigenen Fenster zu lehnen – etwa bei der Lektüre von Georg Schmidts „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“, der bekanntlich mit einem Fenstersturz begann – empfiehlt es sich, das Draußen nach drinnen zu holen. Zum Beispiel in Miniatur-Gewächshäuser, die nicht nur bei angehenden Botaniker:innen beliebt sind. Schon mit einfachsten Mitteln (simples Gestell, Folie und Blumenerde) lassen sich die Wunder der Natur zu kindlicher Freude in die heimischen vier Wände holen – aber es gibt auch fertige Bauten bis hin zu höherpreisigen Designerobjekten. Gut für Kräuter, Gemüse, Bonsais und Gärtner:innenglück.
Sonntagabend – Nach all dem Do it Yourself jetzt mal was Fertiges: Lektüreideen zum Wochenendeende und andere gemütliche Herbstabende liefert das Literarische Colloquium Berlin, das neben einem der freundlichsten Stipendiat:innen-Programme der Hauptstadt, diskursiven Exkursen und dem Reiseliterat:innen-Blog Diplomatique seit dem ersten Lockdown im April auch einen Podcast pflegt, in dem erzählt, aus jungen Texten vorgelesen und kommentiert wird, was in der Literaturwelt gerade los ist.