„Statt einmal im Jahr ‚Nie wieder‘ zu sagen, jeden Tag ‚Heute nicht‘ sagen“: Berliner Juden über ihre Wünsche, Hoffnungen und Ängste
Berlinerinnen und Berliner jüdischen Glaubens haben vor fünf Jahren Sätze über ihre Wünsche für ein friedliches Miteinander niedergeschrieben. Was ist aus ihren Sätzen geworden? Von Ann-Kathrin Hipp.

Im Checkpoint haben wir heute vor fünf Jahren Berlinerinnen und Berliner jüdischen Glaubens um einen Satz gebeten, der ihre Wünsche, Hoffnungen und Ängste beschreibt. Nicht zuletzt das Massaker der Hamas hat seitdem vieles, wenn nicht alles, verändert. Deshalb haben wir einige erneut kontaktiert. Was ist aus ihrem Satz geworden?
Michael Wuliger (73, Autor) sagte damals: „Wir bewegen uns mittlerweile in Deutschland – und auch hier in Berlin – auf sehr dünnem Eis; ich weiß nicht, wie lange es noch trägt.“ Heute ergänzt er: „Es ist nicht immer schön, Recht gehabt zu haben.“
Michael Wolfssohn (77, Historiker) sagte: „Ich wünsche mir, dass Politik, Polizei, Publizistik und das ‚Publikum‘, also alle, dafür sorgen, dass die diversen Nahostkonflikte, wenn überhaupt, dort stattfinden und Berlin nicht weiter eine der Nebenfronten ist.“ Heute fügt er ein „UND ERWARTE“ hinzu.
Mike Samuel Delberg (35) sagte: „Ich bin 100 Prozent jüdisch und 100 Prozent deutsch. Meine Kippa trage ich mit Stolz – jeden Tag und überall.“ Heute trägt er seine Kippa „weiterhin mit Stolz – nur achtsamer als noch vor fünf Jahren“. Die Beleidigungen und Anfeindung seien „spürbar häufiger geworden, besonders nach dem 7. Oktober 2023. Dennoch wolle er seine Jüdischkeit nicht verstecken – jetzt erst recht!“
Sarah Serebrinski (46, Geschäftsführerin Rabbinerseminar) sagte: „Bei all der berechtigten Wut über den ‚wiederaufkeimenden‘ Antisemitismus in Deutschland, schaue ich auch hoffnungsvoll auf die positive Entwicklung jüdischen Lebens in Deutschland.“ Heute ist sie „besorgt darüber, dass der Hass auf uns Juden eine neue, offene und teils bedrohliche Form angenommen hat“. Das zu ändern werde „ohne unser Zutun, ohne eine starke und selbstbewusste jüdische Community, sowie ohne eine entschlossene und mutige Zivilgesellschaft“ nicht möglich sein.
Debora Antmann (35, Kolumnistin) sagte: „Während unsere eigenen jüdischen Stimmen, die starken, kämpferischen und widerständigen immer lauter werden, werden es auch die von rechts und verschieben dabei die Grenzen des Sagbaren unter unsere Haut.“ Heute wünscht sie sich, „dass wir statt einmal im Jahr ‚Nie wieder‘ jeden Tag ‚Heute nicht‘ sagen“.