Wer zum Dialogprozess Tempelhofer Feld gehört
Kritiker wie Grünen-Fraktionschef Werner Graf nennen das Verfahren „eine Farce“, Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler nennt die Kritik daran „eine Farce“ – und das dürfte auch schon die einzige Gemeinsamkeit der beiden in Sachen Tempelhofer Feld sein.
Für den „Dialogprozess“ zur Zukunft des ehemaligen Flughafengeländes hat er Senat in einem zweistufigen Verfahren von einer Agentur 275 Bürgerinnen und Bürger auswählen lassen – der Anspruch: Die Gruppe, die jetzt Vorschläge für einen Ideenwettbewerb erarbeitet, soll repräsentativ sein, also eine Art „Mini-Berlin“ darstellen.
Die Auftaktveranstaltung war klandestin terminiert, um Störungen zu verhindern, doch der Checkpoint bekam natürlich Wind davon – und so konnte unsere Kollegin Katharina Kalinke nach einem kurzen, aber freundlichen Hin und Her mit der Gaebler-Verwaltung nicht nur zuhören, sondern auch mit den Auserwählten sprechen.
Hier stellen wir Ihnen heute exklusiv neun Menschen vor, die auch für Sie eine Entscheidung darüber vorbereiten sollen, ob das Tempelhofer Feld so frei bleibt, wie es ist – oder ob (und wenn ja, wie) es bebaut wird. Und sie verraten Ihnen auch, welche Zukunft sie sich zu Beginn des Dialogverfahrens für das Tempelhofer Feld wünschen – los geht’s:
+ Daniela B. ist 34 Jahre alt, kommt aus Alt-Glienicke, arbeitet im Kommunikationsbereich und sagt: „Ich bin da noch relativ offen. Ich kann mir schon vorstellen, dass man das Feld für Wohnraum nutzen könnte. Allerdings finde ich problematisch: Was heißt Randbebauung? Am Ende gibt man den kleinen Finger und weiß nicht, ob einem die ganze Hand rausgerissen wird und das komplette Tempelhofer Feld vollgebaut wird.“
+ Norbert Zwanziger, 60, Orthopädieschuhmachermeister aus Lichtenberg – er sagt: „Ich bin das erste Mal auf dem Tempelhofer Feld, schon beeindruckend. Nicht bebauen oder doch? Gibt es auch ein Zwischending? Man könnte vielleicht schauen, dass die Sonne nicht ganz so knallt. Aber Bebauen mit Häusern – das ist vielleicht nicht das richtige.“
+ Jasper Heine, 17 Jahre alt, Abiturient aus Spandau: „Ich vermute, dass es auf jeden Fall irgendwann teilweise bebaut wird oder werden muss, wegen der Wohnraumnot. Aber ich hoffe, dass ein Teil vom Tempelhofer Feld bleibt, so wie es jetzt ist, damit die Bürgerinnen und Bürger es weiter als Riesenpark genießen können.“
+ Henri Siller ist Mitte 50 und direkter Anwohner – er lebt am Platz der Luftbrücke, arbeitet als Ingenieur und sagt: „Ich finde das Tempelhofer Feld so wie es ist gut. Ich denke, das kann so weitergehen. Gerade dadurch, dass jedes Jahr neu verhandelt werden kann, wie einzelne Gruppen hier verschiedene Flächen bespielen können. Ich denke, Berlin hat genug Platz und genug gescheiterte Bauprojekte und genug vernichteten Wohnraum, dass es mir nicht klar ist, warum man das ausgerechnet hier machen muss. Ich denke, eine Stadt wie Berlin kann sich den Luxus eines freien Blickes über ein weites Feld leisten.“
+ Renate S., 73, ist Rentnerin und wohnt im Tempelhofer Fliegerviertel – sie meint: „Ich finde diese Brachfläche nicht sehr reizvoll. Ich würde es begrüßen, wenn begrünt würde oder eine erweiterte Nutzung stattfinden würde. Ich bin hier, um mich inspirieren zu lassen. Aber von Anfang an war ich für eine Randbebauung. Das Land gehört nun mal dem Staat, da ließe sich günstiger Wohnraum gut schaffen.“
+ Maria Emilia Zehrer ist 18 Jahre alt, kommt aus Treptow-Köpenick, macht Öffentlichkeitsarbeit im Berliner Abgeordnetenhaus und studiert: „Ich find‘s super, wenn wir hier Kultur, Sport und Freizeitaktivitäten weiter passieren lassen, wenn wir es so grün wie möglich lassen. Aber natürlich kann man auch darüber nachdenken: Ist es vielleicht sinnvoll, an einigen Stellen Wohnungen zu bauen? Wenn man sich dazu entscheidet, was nicht mein Hauptfokus wäre, sollte es aber sozial verträglich sein, also keine Luxus-Penthäuser, sondern Wohnungen, die sich jeder leisten kann.“
+ Holger R., 66, Rentner, Gärtner und selbsternannter Querdenker - er hält den Dialogprozess für ein gutes Beispiel, wie die Demokratie auf Bürgerräte umgestellt werden kann. Zur Zukunft des Feldes sagt er: „Eine Randbebauung erscheint mir als das Schlechteste, weil ich das wegen der Autobahn und sonstigen Anbindungen nicht für in die umgebenden Stadtteile integrierbar halte. Ich stelle mir kleine urbane Zentren mit Dorfplatz vor, am besten in ökologischer Bauweise. Vielleicht muss das auch gar nicht nach der Bauordnung mit Wärmeschutz und so erfolgen, sondern als Behelfsunterkunft für Flüchtlinge. Sie könnten diese Stadtteile vielleicht selbst errichten. Das fände ich gut.“
+ Neva F. ist 17 und Abiturientin aus Pankow – sie sagt: „Ich bin ziemlich zwiegespalten. Auf der einen Seite finde ich das Tempelhofer Feld als Begegnungsort für Berlin total wichtig. Trotzdem gibt es hier viel ungenutzten Raum, um Wohnungen zu bauen, um Menschen zu ermöglichen, in Berlin zentral zu leben. Leute, die schon sehr glücklich sind, hier zu leben, sollten mehr Leuten die gleiche Chance geben.“
Mehr über den Auftakt des Dialogverfahrens können Sie hier lesen. Und in der neuen Folge unseres Checkpoint-Podcasts, die heute Nachmittag erscheint, nehmen wir den gesamten Prozess nochmal unter die Lupe, beschreiben den weiteren Weg, die Rolle der Politik - und wagen einen Blick in die Zukunft: Ist der Dialogprozess ein demokratisches Experiment mit Modellcharakter auch für andere Entscheidungen oder doch nur ein Ablenkungsmanöver des Senats? Und selbstverständlich interessiert uns auch hier Ihre Meinung: